Musique à la carte: Konzert-Berichte

  • Dieser Thread soll fungieren als Anlauf- und Sammelstelle für diverse Konzert-Berichte in loser Form, die nicht anderen Threads zugehörig sind, oder schlichtweg kein eigenes Thread erfordern.

    "erhaben, schön, alles was sie wollen – allein – zu übertrieben schwülstig für meine feinen ohren"
    W. A. Mozart (28.12.1782)

  • Nicht, weil ich Jubiläums-Jahre besonders liebe (eher ist das Gegenteil der Fall), sondern einfach, weil ich wieder einmal Lust auf einen Concert-Besuch hatte, nutze ich die Gunst der Stunde um am heutigen Abend mit zwei guten Freunden das Liszt-Concert das israelisch-amerikanischen Pianisten Menachem Har-Zahav in Stadtallendorf (bei Marburg an der Lahn) zu besuchen.

    Als Örtlichkeit fungierte ein eher kleiner Saal der Stadthalle, welcher wenig schmuck ist und auch bestenfalls eine akzeptable Akkustik bietet. Letzteres galt leider auch für einen größeren Teil des Publikums, welches en gros recht unruhig war (wohl auch, weil mit der Musique überfordert).

    Als Instrument kam erfreulicherweise mal kein Steinway Instrument zum Einsatz, sondern ein großer Bechstein Konzertflügel (ein opi Concert war es natürlich leider nicht).

    Zum Jubiläum ein Liszt-Programm also; natürlich. Der Pianist, welcher übrigens seit er vier Jahre alt ist Klavier spielt und bereits nach drei Monaten Unterricht öffentlich auftreten konnte, war dafür jedenfalls äußerst passend: hagere, große Gestalt, leicht wirre Frisur und spinnenartige Finger; genau wie man Liszt aus Beschreibungen "kennt" also. Hände und Finger boten denn auch beim Spielen einen sehr beeindruckenden und, Klavierliebhaber verstehen das, erquickenden Anblick.

    Nun, Liszt spaltet seit jeher die Gemüter, aber Har-Zahav bot eine äußerst bemerkenswerte Leistung dar. Insbesondere nämlich wusste er Liszts Werke sehr interessant zu spielen, so dass genau nicht bloß die ungemeine Virtuosität im Vordergrund stand; auch wenn er diese verblüffend gut, geradezu atemberaubend gut bewältigte und zur Schau stellte.

    Das Programm war recht bunt, aber gut abgestimmt gewählt und ist bis auf ein zusätzliches Stück ("Nuages gris", Grau Wolken) mit dieserseiner CD "Lisztomania" (2006) identisch. Zwei Zugaben schienen mir auch von Liszt zu sein, aber leider machte er dazu keine Angaben.

    Neben der dritten "Grande Etude de Paganini", welche sehr eindrücklich zeigt, wie sehr Liszt Paganinis Violin-Techniken für das Klavier adaptiert hat, hat mir Har-Zahavs eigene Transkription des Totentanzes am besten gefallen. Diese hat er dann auch meisterlich dargeboten - für meinen Geschmack noch überzeugender als Valentina Lisitsas tolles Video auf youtube!

    Irgendwo ist ein zwei-stündiges Liszt-Programm auch anstrengend zu hören, aber die Genialität der Darbeitung hat diese Anstrengung sehr lohnenswert gemacht!

    In diesem Sinne:
    :wink:

    "erhaben, schön, alles was sie wollen – allein – zu übertrieben schwülstig für meine feinen ohren"
    W. A. Mozart (28.12.1782)

    • Offizieller Beitrag

    Der neue Chefdirigent des SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg stellte sich vor:

    Sonntag, 30. Oktober 2011
    Mannheim, Rosengarten (Mozartsaal)

    Anton von Webern (1883-1945)
    Im Sommerwind.
    Idylle für großes Orchester
    nach einem Gedicht von Bruno Wille

    :love: Liebe auf den ersten Horch :love:

    Das 1904 entstandene und mir - oh Ahnung! - völlig unbekannte Werk faszinierte mich von der ersten Terz an. Mit Anton (zum Zeitpunkt der Werkskomposition noch) von Webern hatte ich völlig andere Musik konnotiert und war überrascht und zugleich voll verknallt. Lieder ist das Werk viel zu kurz, aber ein mehr als ordentlicher Einstand für den neuen SWR-Dirigenten gewesen.

    Pierre Boulez (*1925)
    Notations für Orchester

    Fünf für mich völlig sinnlose und nervtötende Sätze... wie stoisch muß man sein, um Solches aufführen zu können/wollen? Ich habe jedenfalls den Ernst, mit welchem die Orchestermitglieder das Werk produziert haben, stark bewundert; besonders die Schlagzeuger - aber den Applaus verweigert.

    Selbstauferlegtes Smileyverbot. :P

    Gustav Mahler (1860-1911)
    Sinfonie Nr. 1 D-Dur "Titan"

    Mein Gefühl während des ersten Satzes war, daß der Dirigent noch eine gewisse Unsicherheit mit dem neuen Klangkörper zumindest vorschützte (das Gegenheit hatte er letztlich bereits mit Boulez' Werk bewiesen) - der erste Satz klang für mich etwas unflüssig, teilweise zerrupft, aber keinesfalls zäh, nur etwas unförmig. Ab dem zweiten Satz wurde die Musik dann fassbarer und im Finale kam die - eigentlich fast schon unerwartete - Explosion. Einer der Kontrabassisten, die sich in meinem direkten Blickfeld aufhielten, grinste im bombastischen Finale wie ein Schneekönig - das war ansteckend.

    :jubel::jubel::jubel:

    Als Zugabe gab es ein kurzes Stück aus Bizets Schauspielmusik L’Arlésienne.

    Roundabout ein sehr gelungener Abend mit furchtbar netter Begleitung, einem gut gelaunten Orchester und einem schlagfertigen Dirigenten.

    :)

    Im Parkhaus traf ich noch zwei Geigerinnen im Clinch mit dem Parkscheinautomaten... sie meinten einvernehmlich, sie haben einen tollen neuen Chef!

    *sante*

  • Gestern habe ich in der Stadthalle Heidelberg dieses Konzert erlebt:

    Felix Mendelssohn Bartholdy: Streichersinfonie Nr. 12 g-moll
    Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie C-Dur KV 425 »Linzer Sinfonie«
    Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op.37

    Mitwirkende:
    Ragna Schirmer, Klavier
    Heidelberger Sinfoniker, Leitung: Thomas Fey

    Dieses Konzert wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, denn es war für mich - abgesehen von den Werken selbst - in zweifacher Hinsicht interessant: einmal wegen der Solistin Ragna Schirmer, dann wegen des Dirigenten Thomas Fey, dessen Gesamtaufnahme der Symphonien Joseph Haydns - rund ein Drittel der 104 Werke ist bislang erschienen - ich hochschätze.

    Wie man schon bei Fey und seinen Heidelberger Sinfonikern in ihren Studioaufnahmen bemerken kann: Hier hat sich ein ganz spezieller "Sound" herausgebildet, charakterisiert durch eine kompakte Gruppe der Streicher (gestern: 6 1. Vl, 6 2 Vl - beide "antiphonisch" -, 4 Vla, 3 Vc, 2 Kb), die straff und vibratolos agieren, modernen Holzbläsern, historischen Blechbläsern und mit Fell bespannten Pauken, was einen kraftvoll-körnigen Klang ergibt. Für mich klingt das ein wenig wie ein radikalisierter Norrington-Sound (mit den Stuttgartern). Daß Fey früher Schüler von Harnoncourt war, wurde ebenfalls hörbar.

    Fey haßt Verschleppungen und liebt zügige Tempi; so wurde der Kopfsatz des Beethoven-Konzerts endlich einmal schnell und wirklich "con fuoco" geboten. Ragna Schirmer (auf modernem Steinway) zog da gut mit, hochvirtuos und sensibel zugleich, das "fetzte" in den Ecksätzen und berührte im Mittelsatz. Die relativ kleine Streicherbesetzung steigerte das Kraftvolle und Energische noch: Die Schroffheiten und das manchmal Widerspenstige des Konzerts war zu hören wie sonst selten, der ins Dur gewendete Schluß wirkte eher trotzig als aufhellend.

    Mendelssohns 12. Streichersinfonie ist, von der formalen Anlage her gesehen, ein merkwürdig Ding, der Kopfsatz eine Fuge und auch das Finale mit viel Kontrapunktik. Das hektische Feuer, für Mendelssohn typisch, konnte sich herrlich entfalten, mit viel Verve.

    Auch Mozarts "Linzer" mit viel Kraft, recht lärmig teilweise. Gerade hier war auffällig, wie die Entscheidung für Naturhörner und fellbespannte Pauken einen eigenen Ensembleklang erzeugt, der sich deutlich von romantischen Idealen abhebt. Ein Sonderlob hier dem 1. Oboisten, der einen schweren Part zu meistern hatte und mehrfach brillierte, so im Menuett, wo er in den Wiederholungsteilen mit reichen Verzierungen glänzte.

    Die Musiker wirkten auch diesmal wieder hochmotiviert, hochkonzentriert und hatten offensichtlich Spaß an der Sache.

    Ragna Schirmer hat mich auch diesmal wieder beeindruckt; zwei Zugaben gab es zum Schluß, eine wieder hochvirtuose Chopin-Etüde(?), die sich stimmig an die Con-fuoco-Affekte Beethovens anschloß, und die Aria aus Bachs Goldberg-Variationen.

    Ein eindrucksvolles Konzert!

    :wink:

    Es grüßt Golaud

    ---
    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

    • Offizieller Beitrag

    Hi,

    Danke für den Interessanten Bericht. Ob Fey da soetwas wie den "Heidelberg"-Sound kreiert? :D

    In dieser Weise jedenfalls hat Fey auch schon mit dem Schlierbacher Kammerorchester musiziert: zum modernen Instrumentarium gesellen sich ausschließlich historische Blechbläser. Der Effekt des Bleches wird dadurch enorm verstärkt, weil er sehr viel deutlicher auffällt und im Ergebnis von verwirrend bis urcool klingt. Ich weiß noch nicht, was ich von dieser Methode halten soll, Feys Musizieren an sich gefällt mir jedenfalls sehr und schade, daß ich gestern keine Zeit hatte...

    Zitat

    6 1. Vl, 6 2 Vl - beide "antiphonisch"


    Es reicht eigentlich, wenn eine der beiden Gruppen antiphonisch aufgestellt ist, dann ist es die andere zwangsläufig. 8-);)^^

    Ich habe mir erlaubt, Deinen Beitrag in diesen Zwirn einzuflechten, wo wir Konzerterlebnisse sammeln wollen.

    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Wir waren gestern in Düssdeldorf, in der Tonhalle.

    Im Rahmen der Abokonzerte ("Sternzeichen") gab es einen böhmischen Abend.

    Es spielte Sophia Jaffé (Violine), Zdeněk Mácal dirigierte die Düsseldorfer Symphoniker.

    Es gab ein recht buntes Programm, das andererseits auch die Gelegenheitskonzertbesucher mitgenommen hat:

    • Macha — Variationen auf das Thema und den Tod von Jan Rychlik
    • Dvořák — Violinkonzert a-moll, op.53
    • Smetana — Vyšehrad, Vltava, Šárka aus Má vlast

    Zu den meisten Stücken brauche ich inhaltlich wohl nichts zu sagen.

    Begeistert hat mich der Otmar Mácha (1922-2006). Die Variationen auf das Thema und den Tod von Jan Rychlik (Originaltitel: Variace na téma a smrt Jana Rychlíka pro orchestr) von 1964 (Uraufführung in Prag 15. 3. 1966) ließ viele im Auditorium ratlos zurück. Von anderen hörten wir im Vorfeld 'Dvořák und Smetana sind prima, der Macha geht vorbei'. Ich glaube, meine Frau und ich sind vom 20. Jahrhundert verdorben, denn das Stück hat mich vom ersten Takt an begeistert und gefesselt.
    Besetzt für ein großes Symphonieorchester (mit zusätzlichem E-Baß laut Programmheft, sehen konnte ich ihn nicht; gehört habe ich Klänge, die ich nicht anders zuordnen könnte). Zugrunde liegt ein Flötenstück von Máchas Freund Rychlik; die Flöte hat deshalb ausgedehnte Soli, und die Düsseldorfer Bläser enttäuschen einen eigentlich nie. Auch dieses Mal: zu Recht tosender Applaus für die Soloflöte. Das Stück erlebt eine grandiose Steigerung bis zu einem Höhepunkt in der Mitte. Nach einem heftigen Tam-Tam-Schlag verstummt der 'Lärm', und das Stück verklingt ruhig, wieder geprägt von Flötenklängen. Ich habe die CD importieren lassen... sollte ich zum nächsten Sternzeichen eigentlich bekommen.
    *hüpf*

    Der Dvořák war feurig, Sophia Jaffe meistert das Konzert mit Bravour, mit Musikalität und Souveränität. Das Publikum versuchte verunsichert am Ende des langsamen Satzes zu applaudieren, wurde aber vom Dirigenten zur Raison gebracht. Bravorufe für die Solistin, und das zu Recht. Als Encore gab es Eugene Ysaÿes "Morgenröte" aus der 5.Solosonate. Eigentlich hätte man jetzt heimgehen können...

    Nach der Pause dann noch leichte Kost zum Sonntagmittag; nett, aber nicht unentbehrlich. Anekdötchen zwischendurch: zwei Verspätete, die erst kamen, als die Harfen bereits die wunderschöne Einleitung zu Vyšehrad spielten (auch ganz ausgezeichnete Musikerleistung!) wurden ganz in Mahler-Manier vom Dirigenten fixiert und ermahnt. Das gefiel mir. Ansonsten fand ich persönlich den Smetana nicht aufregend. Nicht schlecht, wirklich nicht, aber eher konventionell, solide und sicher dargeboten. Die Moldau hatte mir bisweilen witterungsbedingt zu wenig Wasser und kam im Mittelteil etwas träge daher.

    Das erste Stück, das ich jemals von dem an anderer Stelle oft gelobten Pietari Inkinen hörte, war Šárka mit den Neuseeländern in Düsseldorf als Einleitung zum Sibelius-Konzert mit Hilary Hahn. Das war irgendwie... mitreißender.

    Gewünscht hätte ich mir allenfalls den ganzen Zyklus 'Ma vlast', gerade die letzten beiden Nummern werden viel zu selten dargeboten.

    Kurz und gut: Zdeněk Mácal ist ein Meister Böhmischer Musik, vielleicht nicht der Mann für die große Klangrevolution, aber dafür ein Könner, ein Meister.

  • In dieser Weise jedenfalls hat Fey auch schon mit dem Schlierbacher Kammerorchester musiziert: zum modernen Instrumentarium gesellen sich ausschließlich historische Blechbläser. Der Effekt des Bleches wird dadurch enorm verstärkt, weil er sehr viel deutlicher auffällt und im Ergebnis von verwirrend bis urcool klingt.

    Höre ich ebenso. Ich habe Fey mit den Seinen in den letzten Jahren 2-3mal live erlebt, und der Vergleich mit seinen Konserven ergibt, daß da kein großer Unterschied ist: Er hat recht klare Klangvorstellungen, die er im Konzertsaal wie auf CD gleichermaßen verwirklicht. Für mich neben Norrington der Haydn-Dirigent, vielleicht bei Mozart und Beethoven ähnlich, aber da kenne ich zu wenig mit Fey.

    Die "Heidelberger Sinfoniker" hießen übrigens früher "Schlierbacher Sinfoniker". Auch das "Mannheimer Mozartorchester" ist, glaube ich, nichts anderes. Fey sucht sich für seine Projekte jeweils die passenden Musiker zusammen, mit hoher Fluktuation, so meine ich es mitbekommen zu haben.

    Zitat

    Es reicht eigentlich, wenn eine der beiden Gruppen antiphonisch aufgestellt ist, dann ist es die andere zwangsläufig. 8-) ;) ^^

    Und wenn die andere sich klammheimlich davonmacht? *hmmm* O.k., Du hast natürlich recht. ;)

    Zitat

    Ich habe mir erlaubt, Deinen Beitrag in diesen Zwirn einzuflechten, wo wir Konzerterlebnisse sammeln wollen.

    Völlig in Ordnung. Anderenorts verschiebe ich, hier Du. :D

    Bin schon gespannt drauf, was Fey 2012 präsentieren wird; vielleicht ergibt sich da mal was Gemeinsames...

    :wink:

    PS: Düsseldorf liegt leider zu dezentral... ;)

    Es grüßt Golaud

    ---
    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

    • Offizieller Beitrag

    Der neue Chefdirigent des SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg stellte sich vor:

    Sonntag, 30. Oktober 2011
    Mannheim, Rosengarten (Mozartsaal)


    Einen Mitschnitt des Programmes gleichen Inhaltes vom Tag zuvor aus Freiburg sendet SWR2 am 23. Dezember:

    Dolby Digital 5.1
    20:03
    SWR2 Abendkonzert
    Auftakt
    SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
    Leitung: François-Xavier Roth
    Anton Webern:
    "Im Sommerwind", Idylle für großes Orchester
    Pierre Boulez:
    Notation I-IV und VII
    Gustav Mahler:
    Sinfonie Nr. 1 D-Dur
    (Konzert vom 29. Oktober im Konzerthaus Freiburg)

    :wink:

  • Vorgestern im Großen Saal der Alten Oper, Frankfurt:

    Richard Strauss: Till Eulenspiegels lustige Streiche
    Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert e-Moll
    Carl Nielsen: 6. Sinfonie (»Sinfonia semplice«)

    Hilary Hahn, Violine; HR-Sinfonieorchester; Ltg.: Paavo Järvi

    Mit Paavo Järvi bin ich schon vertraut, habe ihn an verschiedenen Orten mit verschiedenen Orchestern bereits erlebt und war noch nie enttäuscht. Auch diesmal wieder: ein beherzter, engagierter Auftritt mit einem Orchester, das die Intentionen großartig umsetzte und gestaltete: In Strauss' sinfonischer Dichtung ("Nach alter Schelmenweise in Rondeauform für großes Orchester gesetzt") betonte man, wie mir schien, die modernistischen Tendenzen, das Schroffe, Dissonante mehr als das Heiter-Schelmenhafte. Meine Wertschätzung für dieses Werk bekam hier weiteren Auftrieb.

    Die gefeierte Geigerin Hilary Hahn erlebte ich zum ersten Mal: Glasklar phrasiertes Spiel mit geradezu "engelhaftem" Klang, wunderbar mit dem Orchester ausbalanciert, als Zugabe (wenig überraschend) etwas von Bach, auch hier: perfekt, wunderschön - und da beginnt auch meine leise Kritik: Mir war das etwas zu perfekt, mir fehlte da etwas, das ich schwer benennen kann: "persönlicher Ausdruck"? Jedenfalls erschien mir das zu geläufig, zu mühelos, zu gekonnt. Mein Herz hat es nicht erreicht. Vielleicht lag es auch ein wenig an der nicht eben berauschenden Akustik in der Alten Oper: Ich saß etwas weit hinten im Rang (nicht im berüchtigten "Olymp").

    Höhepunkt war für mich Nielsens "Sinfonia semplice", die nach Intention des Komponisten leicht, einfach, heiter ankommen soll. Das war auch hörbar: viel Spielerei mit den unterschiedlichen Orchesterstimmen, viele Kontraste, Walzerklänge, Tänzerisches, aber mit der Nielsen eigenen Sprödheit, die das Heitere fast wie bei Schostakowitsch relativiert, ohne ins Bittere zu fallen. Järvi und das HR-Sinfonieorchester fanden da genau den richtigen Ton, eine Art von Humor, der nicht zum Lachen einlädt, skurril, exzentrisch, doch eher introvertiert.

    Ein insgesamt beeindruckendes Konzert!

    :wink:

    Es grüßt Golaud

    ---
    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

    • Offizieller Beitrag
    • Mozart: Klavierkonzert d-moll, KV 466
    • Haydn: Klavierkonzert D-dur, Hob.XVIII:11
    • Beethoven: Chorfantasie op.80


    Chor des Musikvereins zu Düsseldorf, Düsseldorfer Symphoniker, Rudolf Buchbinder (Leitung und Klavier)
    Tonhalle Düsseldorf, 9., 11. und 12.12.2011

    Die Wiener Klassik ist zu Besuch in Düsseldorf. Ein Programm hat sich Rudolf Buchbinder da zusammengestellt, das auf den ersten Blick durch seine Konventionalität auffällt: die Drei Großen, Haydn, Mozart und Beethoven, vereint in einem Konzert. Entsprechend waren dann die Konzerte am Freitag und heute erwartungsgemäß ausverkauft: damit kann man Publikum anlocken.

    Ich bin auch hingegangen, weil meine Frau bei der Chorfantasie mitwirkt, und ich außerdem das Konzert KV 466 unter meine absoluten Lieblingswerke einordne. In meiner Musikschulzeit habe ich mal 2.Fagott im Konzert gespielt...

    Ich muss zugeben: ich war vorberieitet, habe ich doch in den letzten Wochen die Mozart-Konzerte mit Buchbinder durchgehört. Was ich dann Freitag zu hören bekam, hat mich deshalb nicht wirklich überrascht: Buchbinder musiziert mit modernem Instrumentarium, aber mit einem schlanken Klangkörper, ausgewogenen Tempi und einer inspirierten Souveränität. Zu jedem Zeitpunkt des Konzerts hatte ich den Eindruck, Buchbinder weiß was er tut und warum er das so macht. Dennoch erlebte ich keine verkopfte, intellektuell überfrachtete Aufführung, sondern es wurde im besten Sinne musiziert.
    Die Bläser sind in Düsseldorf meines Erachtens der stärkste Orchesterteil, und das orchestrale Wechselspiel vor allem zwischen Bläsern und Klavier im KV 466 kam daher voll zur Geltung.

    Nach der Pause dann Haydns Hob.XVIII:11. Eine klanglich viel leichtere Kost als der Mozart, aber dennoch niemals oberflächlich dahinmusiziert, sondern auch hier eine durchdachte Darbietung. Nach dem tieten, teilweise opernhaften KV 466 ein ebenmäßiges, klassisches Spielkonzert mit einem sehr kleinen Bläserapperat (nur Oboen und Hörner), das fast kammermusikalische Phasen hat.

    Und dann der Rausschmeißer: Beethovens Chorfantasie op.80. Alle Instrumentengruppen kommen zu ihrem Einsatz, und alle meistern ihre Aufgaben. Die Solisten kommen aus den Reihen des Chores, singen mitreißend und bewegend, der Chor lieferte eine erstklassige Leistung ab. Als Zugabe gab es dann den Chorteil von op.80 gleich noch einmal.

    Und alles leitete Buchbinder mit seinem Wiener Charm, der immer wieder aufblitzt im Umgang mit Orchester und Chor, souverän und präzise. Wenn er die Hände gerade nicht frei hat, arbeitet er mit Mimik, Kopfbewegungen und Körpersprache und beweist, dass man zumindest bei der Wiener Klassik auf einen Dirigenten verzichten kann, wenn man als Pianist eine gewisse Erfahrung und Routine (positiv gemeint) mitbringt.

    Ich war von dem Konzert angenehm überrascht: trotz des konventionell anmutenden Programms eine spannende, niemals langweilige Aufführung.

    Was ich bisher in der Tonhalle selten erlebt habe, illustriert das vielleicht: in der Pause und auch nach dem Konzert hörte ich an vielen Orten Menschen die Musik weiter- und nachsingen! Das geht nicht nur bei Popkonzerten oder verpoppter Klassik, das geht auch bei vollständigen Werken des klassischen Œvres.

    Für morgen, Montag 12.12.2011, gibt es noch einzelne Karten. Kommt nach Düsseldorf, es lohnt sich! Ich bin auch noch einmal da...

  • Gestern im Konzert:

    Freitag, 20.01.2012, 20:00 Uhr
    Heidelberg, Kongreßhaus Stadthalle

    Wolfgang Amadeus Mozart: Streichquartett Nr. 15 d-moll KV 421
    Claude Debussy: Streichquartett g-moll op. 10
    César Franck: Klavierquintett f-moll

    Mitsuko Uchida, Klavier; Quatuor Ebène

    Es war das Eröffnungskonzert des "Streichquartettfests", einer Konzertreihe im Rahmen des diesjährigen "Heidelberger Frühling".

    Bereits die ersten Takte des Mozart-Quartetts waren ein Ereignis: Ganz leise, sehr verhalten begannen die vier jungen Herren; die Musik schien zunächst nicht so recht in den Saal zu trauen, zögerlich, schüchtern wurde das Hauptthema präsentiert: Geheimnisvoll wirkte das und so war es von Anfang an spannend, das blieb es den ganzen Abend hindurch. Das Quartett bot einen insgesamt eher introvertierten Mozart, mit einer ersten Violine, die sehr schön in den Gesamtklang integriert war, niemals herausstach; Menuett und der Variationensatz wurden zügig, doch nicht gehetzt gespielt. Eine recht eigene Interpretation, vielleicht ein kleines bißchen zu homogen, zu romantisch? Jedenfalls - wie auch im Folgenden - stets durchdachtes, fein kalkuliertes Spiel, mit emotionaler Wärme.

    Dann Debussys Werk, sein einziger Beitrag zur Gattung Streichquartett: Hier bestätigte sich für mich, was ich bereits von der CD her kannte (das Quatuor Ebène hat kürzlich eine phantastische Einspielung des Quartetts, gekoppelt mit den Quartetten Ravels und Faurés, herausgebracht): die Homogenität im Klang, die die Vier pflegen, kam hier noch glücklicher heraus: das gleiche motivische Material, das die vier Sätze durchzieht, entfaltet sich hier ja weniger prozeßhaft im Sinne klassischer Entwicklung, sondern erscheint im Wechsel harmonischer, rhythmischer und klangfarblicher Kontraste, was ich hier wunderbar gestaltet fand, mit einem warmen Ton, mit intensiv gesteigerten Höhepunkten und, wie schon bei Mozart, mit einem feinen Gespür für die leisen Töne - sehr beeindruckend!

    Eine Meisterin der leisen Töne ist auch Mitsuko Uchida, die nach der Pause das episch ausladende Franck-Quintett mit den Ebènes in einer Weise darbot, die bei mir den Eindruck erweckte, als handle es sich um die Transkription eines Orgelwerks. Große Homogenität des Spiels auch hier, zumal die Pianistin mit überraschend weichem, warmem Anschlag (höre ich bei Steinway-Flügeln eher selten) aufs beste mit den vier Musikern harmonierte. Im Werk wurden breite Ströme mit langen Bögen herausgearbeitet, Einzelheiten wurden eher in einen klanglichen Zusammenhang gestellt, wobei das nie schwammig oder unklar wurde. Auch spieltechnisch war das höchstes Niveau.

    Als Zugabe spielte Frau Uchida noch ein ganz schlichtes Stück, Chopin (?), jedenfalls ebenfalls wie das Quintett in f-moll.

    Ein großer Abend!

    :wink:

    Es grüßt Golaud

    ---
    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

  • In Aue spielt nicht nur der FC Erzgebirge, sondern auch die Erzgebirgische Philharmonie Aue. So auch am Sonnabend. Sie musizierte wieder unter der Leitung ihres GMD Naoshi Takahashi, Solist war Peter Rösel.

    Den Beginn bildete die Ouvertüre zu Rosamunde (ursprünglich zu "Alfonso und Estrella"), eine nette Musik, aber nicht weltbewegend.

    Es folgte das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 von Beethoven. Hier konnte Peter Rösel mit seinem überragenden Können und mitreißender Musikalität das Publikum verzaubern. Danach stellte sich nur noch die Frage: Kann man noch solch einem Werk in dieser Interpretation überhaupt noch etwas spielen? Man konnte. Und nicht nur das Niveau halten, sondern sogar deutlich steigern.

    Es erklang die Schubertsche Große Fantasie "Wanderer" in der Bearbeitung für Klavier und Orchester von Franz Liszt. Ob man ein so vollendetes Werk wie die Wanderer-Fantasie bearbeiten darf, wäre sicher eine berechtigte Frage. Aber wer diese Bearbeitung und in dieser Interpretation gehört hat, stellt sie nicht mehr. Liszt entwickelt die Fantasie durch die Einbeziehung des Orchesters zu einem vollwertigen Klavierkonzert (und damit wohl zum einzigen "Klavierkonzert" Schuberts). Schade, dass man es so selten hört. Für mich war dieses Werk der absolute Höhepunkt des Konzerts. Der Beethoven-Satz als Zugabe wirkte danach fast brav und bieder.

    • Offizieller Beitrag

    Den Beginn bildete die Ouvertüre zu Rosamunde (ursprünglich zu "Alfonso und Estrella"), eine nette Musik, aber nicht weltbewegend.


    Hier ist mir nicht ganz klar, welche Ofentüre nun gemeint ist: die zu D644 (Die Zauberharfe - lgs. Einleitung in c-moll | Allegro C-Dur)? Diese Ouvertüre ist nach O. E. Deutsch später als ebensolche für Rosamunde D797 verwendet und auch als solche bekannt geworden. Für mich gehört dieses Werk zu den beeindruckendsten sinfonischen Werken Schuberts (als Ergänzung zu den Sinfonen). Oder die Ouvertüre d-moll/D-Dur zu D732 (A&E), die ebenfalls zeitweise als Ouvertüre zu D797 diente (Dezember 1823), aber eben weiterhin zu A&E gehört, oder eben D797 (Rosamunde) selbst (h-moll)?

    Es folgte das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 von Beethoven. Hier konnte Peter Rösel mit seinem überragenden Können und mitreißender Musikalität das Publikum verzaubern.


    Bekannter Weise mag ich Peter Rösel - ich wäre gerne dabei gewesen.

    (und damit wohl zum einzigen "Klavierkonzert" Schuberts).


    Hm. Nicht ganz. Das Clavierquartett D487 gilt in engsten Kreisen als Schuberts "Clavierkonzert"...

    :wink:

  • Hier ist mir nicht ganz klar, welche Ofentüre nun gemeint ist: die zu D644 (Die Zauberharfe - lgs. Einleitung in c-moll | Allegro C-Dur)? Diese Ouvertüre ist nach O. E. Deutsch später als ebensolche für Rosamunde D797 verwendet und auch als solche bekannt geworden.

    Es handelte sich nicht um die allseits bekannte und geschätzte Zauberharfen-Rosamunde-Ofentüre, sondern die weit weniger bekannte, ursprüngliche Alfonso-und-Estrella-Rosamunde-Ofentüre D792. Ich will sie auch keinesfalls kleinreden - zumal Schubert einer meiner Lieblingskomponisten ist. Meine Wertung kann nur im Vergleich zu den beiden nachfolgenden Schwergewichten gesehen werden. Da fühlte ich mich zeitweise fast entrückt, zeitweise hatte ich Mühe, bei den mitreißenden Klängen still auf meinem Platz sitzen zu bleiben. Das war bei der Ouvertüre nicht der Fall.

  • Vorgestern im Konzert:

    Freitag, 22.02.2012, 20:00 Uhr
    Heidelberg, Kongreßhaus Stadthalle
    5. Philharmonisches Konzert

    Leoš Janáček (1854-1928): Suite aus Das schlaue Füchslein
    Sergei Koussevitzky (1874-1951): Konzert für Kontrabaß und Orchester fis-Moll op. 3
    Bohuslav Martinů (1890-1959): Symphonie Nr. 4 H 305

    Nabil Shehata, Kontrabaß; Philharmonisches Orchester Heidelberg; Ltg.: Cornelius Meister

    Von einem lieben Kollegen freundlicherweise daran erinnert, hatte ich mich kurzfristig entschlossen hinzugehen. Ein nicht alltägliches Programm, die drei Werke klug ausgewählt, denn es ergab sich ein durchaus sinnfälliger Zusammenhang. Zum einen zwei Werke zweier großer Tschechen, die beide, wie ich finde, aufregende Wege gefunden haben, sich aus der romantischen Tradition zu lösen: Janáček stört den Fluß der motivischen Entfaltung, indem er ihn, orientiert an Sprache und, im vorliegenden Fall, auch an Tierlauten, die ein musikalisches Eigenleben führen, in Einzelteile aufspaltet: Das wurde auch in der Suite, Ende der 1930er eingerichtet von Václav Tálich, revidiert von Václav Smetáček, deutlich, obwohl ich hier den Eindruck hatte, daß die beiden Bearbeiter in der Instrumentierung einiges geglättet hatten, so daß sich, von den Heidelbergern unter Cornelius Meister wunderbar differenziert gestaltet, doch ein organisches Ganzes ergab, dessen Destruktion, mit dem Ergebnis harter Kontraste, ich bei Janáček eigentlich mehr bewundere.

    Möglicherweise lag es auch an der Interpretation: Meister ließ das Orchester ruhig und klar aufspielen, viele Details, die der Thematik gemäß dem Tierleben zuzuordnen sind, wurden liebevoll ausmusiziert, ohne daß es kitschig wurde. Die Gruppen (Holz, Blech, Streicher und Perkussionisten) waren präzise ausbalanciert; das hörte sich sorgfältig einstudiert an; auch die ansonsten heiklen Blechbläserstellen gelangen tadellos.

    Gleiches kann man auch von der Martinů-Symphonie sagen. Das Werk entstand im Frühjahr 1945, der Komponisten war im Exil in den USA und hoffte nach dem Ende des Krieges auf eine baldige Rückkehr in seine tschechische Heimat, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen sollte. Die Musik ist voller Aufbruchsstimmung, freudiger Erwartung und endet in triumphalem Dur-Optimismus. Auch wenn ich es schwer beschreiben kann: Das tschechische Idiom (und damit auch die Nähe zu Janáček, gelegentlich sogar zu Dvořák meine ich da herauszuhören. Das Programmheft führt eine Äußerung des Komponisten an: "I don't use themes in my music.." Das zeigt sich darin, daß die Symphonie sich zwar aus einer motivischen Keimzelle (einem immer wieder auftauchenden Terz-Motiv F - D - F) zu entwickeln scheint, ohne daß daraus charakteristische Themen zu entstehen scheinen. Stattdessen komplexe, vorantreibende Rhythmen und ein unglaublicher Reichtum an kontrastierenden Klangfarben, und ich war überwältigt, wie diffenziert und transparent die Heidelberger das "meisterten".

    Vor zwei Jahren habe ich am selben Ort dasselbe Orchester ebenfalls unter Meisters Leitung mit Martinůs 1. Symphonie erlebt: Die Aufführung damals fand ich weniger beeindruckend, weil die lauten Stellen da eher zu harten Klangmassen gerieten, aber das war letzlich nur laut (so mein Eindruck auch im Vergleich zu meiner einzigen Einspielung der Symphonien, mit Neeme Järvi und den Bamberger Symphonikern, die ich damals deutlich vorn sah, aktuell aber hat mich Meister mit den Heidelbergern weitaus mehr überzeugt, vor allen wegen der gelungeneren Balance).

    Zum Abschluß noch ein paar Worte zu der absoluten Rarität des Abends, dem 1902 entstandenen Kontrabaßkonzert eines Komponisten, der eigentlich als Dirigent und tatkräftiger Förderer komponierender Kollegen berühmt wurde, u. a. Skrjabin, Prokofjew, Strawinski, Ravel und eben auch Martinů (dessen 4. Symphonie im Auftag Koussevitzkys entstand). Selbst hat er nur wenig komponiert; außer dem Konzert gibt es noch mir unbekannte Stücke für Kontrabaß und Klavier. Auch das Kontrabaßkonzert (das Koussevitzky für sich selbst komponierte, da er dieses Instrument virtuos beherrschte) habe ich gestern zum ersten Mal gehört. Es beginnt zunächst ein wenig à la Tschaikowski und entfaltet sich romantisch, elegisch, dramatisch, mit vielen Kantilenen, durchsetzt von virtuosen Passagen: Das Werk dauert knapp 20 Minuten und ist dreisätzig (Allegro - Andante - Allegro), allerdings ohne Pausen. Überraschend wird im Schlußsatz kein neues Thema eingeführt, sondern es erklingt das Eingangsthema, so daß insgesamt der Eindruck eines großen Sonatenhauptsatzes entstehen könnte; allerdings fehlt jede Dialektik: Eine Auslegung der drei Sätze als Exposition - Durchführung - Reprise würde einer musikalischen Analyse vielleicht nicht standhalten; es ist wohl eher eine große Phantasie mit der Gliederung A - B - A'. Stilistisch und im Ausdruck erinnert mich das Werk etwas an Skrjabins Klavierkonzert.

    Der Solist Nabil Shehata ist Sohn deutsch-ägyptischer Eltern, wurde 1980 in Kuweit geboren und wuchs in Deutschland auf. Er war mehrere Jahre 1. Solo-Kontrabassist an der Staatsoper Unter den Linden Berlin und der Berliner Philhamoniker. Mangels Vergleich kann ich nur sagen, daß ich ihn gestern beeindruckend und sympathisch fand. Er brachte, wie man so sagt, sein Instrument "zum Singen" und bewies auch in der Zugabe (Bearbeitung eines Satzes aus Bachs Cello-Suiten?) seine virtuosen Fähigkeiten: schon staunenswert, welche Beweglichkeit und welch schnelle, geradezu leichte Läufe auf diesem Koloß möglich sind!

    GMD Cornelius Cornelius Meister wird die Heidelberger Philhamoniker im Sommer nach sieben Jahren erfolgreicher Arbeit verlassen, leider. Immerhin war auch gestern zu hören, daß er hier einen Klangkörper geformt hat, der auch unter neuer Leitung (Yordan Kamdzhalov) das Niveau halten wird, hoffentlich auch weiterhin mit Konzertprogrammen abseits der ausgetretenen Hauptwege...

    :wink:

    Es grüßt Golaud

    ---
    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

  • Gestern im Konzert:

    Freitag, 09.03.2012, 19:30 Uhr
    Budapest, Palace of Arts (auf ungarisch: Művészetek Palotája, kurz: Müpa)
    2. Orgelkonzert

    J.S. Bach: Toccata, Adagio und Fuge in C-Dur, BWV 564
    J.S. Bach: Chaconne aus der Partita in d-Moll für Solovioline, BWV 1004
    J.S. Bach: Sonata in G-Dur für Violine und Cembalo, BWV 1019

    -Pause-

    J.S. Bach: Fuge in c-Moll, BWV 575
    H.I.F. Biber: Violinsonate in F-Dur C 140 (Sonatae Violino Solo 1681; Nr. 3)
    J.S. Bach: Triosonate für Orgel in G-Dur, BWV 530
    J.S. Bach: Sonate für Violine und Cembalo in A-Dur, BWV 1015 (mit Violine und Orgel)

    Gunar Letzbor, Barockvioline
    Wolfgang Zerer, Orgel und Cembalo

    Ich bin mit großen Erwartungen auf dieses Konzert gegangen - und wurde nicht enttäuscht. So könnte ich in einem Satz den gestrigen Abend beschreiben.
    Natürlch war ich vor allem auf die Biber-Sonate gespannt - ich muss dazu sagen: dass war das allererste Mal, dass ich ein Wek Bibers Lie im Konzert erlebt habe - leider magelt es in Ungarn an Konzerten mit seiner Musik. Das dieses erste Mal für mich dann von Gunar Letzor zelebriert wurde (zelebriert, ja, da es für mich ein Biber-Feier ohnegleichen wurde, dazu später mehr), ist ein Sahnehäubchen in den Ausmaßen eines Berges, da ich diesen Künstler seit ich seine Einspielungen kenne, sehr hoch schätze. Angs hatte ich nur von der Akustik der übergroßen Konzertsaals in der "Müpa", ob der intime Klang der Barockvioline und des Cembalos da nicht verloren werden. So kaufte ich Tickets für Plätze ganz nah am Podium - wie es sich später ausgestellt hat, war das eine gute Entscheidung.
    Wolfgang Zerer bespielte für die Soloorgelwerke die große Konzertorgel der "Müpa", dessen Klang, wegen der völlig anderen Akustik zwar die Wucht einer Kirchenorgel vermisst, dazu aber einen sehr klaren, trockenen, vielleicht etwas auch matten Klang hat. Bereits dieser Umstand führte dazu, das die orgelwerke von Bach sehr abgeklärt aber auch "demystifiziert" erklangen. Mir hat diese nüchterne Darstellung des großen Thomaskantors sehr bekommen.
    Die Interpretation der berühmten Chaconne hat diese Art der Annäherung für mich bestätigt: Letzbor spielte mit souveräner Virtuosität, die aber nie vordergründig gewirkt hat - ganz im Gegenteil: das Werk (vor allem die erste Hälfte) fließ von seiner Violine mit einer Natürlichkeit, die fast spüren ließ, es handele sich um ein ganz leichtes Stück. Wie ich das verstehe, gehört dazu größter Kunstfertigkeit: meine Mutter erzählt immer von ihrer Gesangslehrerin, die ihr vermittelt haben soll: die größte Kunst bestehe darin, die schwierigsten Passagen mit der Natürlichkeit eines Volksliedes zu singen. Genau das hat für mich Gunar Letzbor an diesem Freitag Abend in der d-Moll Chaconne verwirklicht.
    Bei BWV 1019 traf eine meiner Befürchtungen zu: der Klang des Cembalos verlor sich im übergroßen Raum, vor allem aus den Reihen hinter mir (wo Bekannte von mir saßen) hat man später bemängelt, dass man vom tasteninstrument fast garnicht gehört hätte. Die Interpretation war auch hier sehr schön: intim und mit viel Leichtigkeit.

    Nach der Pause wurde das Konzert mit der Bachschen Fuge eingeleitet, der bereits beschriebene, trockene Klang der Orgel machte hier die Verfolgung der polyphonen Linien sehr gut möglich, ich muss aber auch sagen, dass ich hier schon so aufgeregt in der Erwartung der Biberschen Sonate war, dass ich nicht so aufmerksam zugehört habe, wie sonst.
    Nun erfolgte das Schlüsselerlebnis des gestrigen Abends. Nach dem frenetischen Beifall zu beurteilen, der dann nach Bibers Werk aufbrach und kaum zu stillen war, zu urteilen, war das nicht nur für mich so. Ich möchte erwähnen, dass mich dieses große Erfolg der Violinsonate Bibers doch sehr überrascht hat, wissend dass den Namen des Komponisten wohl mehr als 90% des Publikums noch nie gehört haben (die Halle war ziemlich voll), und die Zahl der Zuhörer, die diese Sonate bereits gehört haben, war sicherlich nicht viel mehr als 6 (die Aufführenden eingerechnet :D ) - wenn man noch dazugibt, dass das ungarische Publikum meistens sehr unaufgeschlossen für neue, ihm unbekannte Werke ist, bekommt man schon einen ungefähren Bild von der Kraft dieser Interpretation.
    Es war elektrisierend. Ich kenne ja diese Sonate fast in- und auswendig (ich meine natürlich nur nach Hören), und wie Letzbor und Zerer (der die Violine auf dem Cembalo begleitete, das zum Glück während der Pause nun besser verstärkt wurde) mit den Hörerwartungn gespielt haben, war phantastisch! Es vering keine Note ohne Überraschung, ohne einer Fülle von Gedanken, Gefühlen - Humor, Ausgelassenheit, Leidenschaft bis hin zur Tragik und wieder ein spöttisches Augenzwinkern waren in so genialer Weise vereint, wie das nur bei Biber möglich, und Letzbor verstand das bis zu dem letzten Notenkopf auszukosten und zu zelebrieren. Die Musiker ließen es sich nicht nehmen das Werk selbst mit überschäumenden Humor zu spielen: als bei einer Adagio-Stlle sie plötzlich das Tempo noch mehr zurückgenommen haben, fast bis zur Stillstand, war bereits ein so großes Grinsen auf meiner Fresse vor Verwunderung und Genießen, dass man mich sicherlich für bekloppt gehalten hätte - hätte mich jemand vom Zuschauerschar gesehen und nicht wie unter Schock gebannt nur auf das Podium geschaut.
    Ich kann den Satz mir nicht verkneifen - und möchte damit Bach-Liebhabern sicherlich nicht zu Nahe treten - : kein Werk an diesem Abend hat auf mich (und aus den Reaktionen lesend auch auf das Publikum) einen ähnlich großen Eindruck gemacht. Der Höhepunkt wurde - für mich - hier erreicht: was danach kam, war nun mehr das feinste Dessert, die eben aufgewühlte Seele labend. Nach der fulminanten Biber-Sonate folgte de sehr schöne Orgeltriosonate BWV 530, intim und lieblich interpretiert von Wolfgang Zerer. Zum Schluss erklang die wunderschöne Violinsonate BWV 1015, diesmal mit Violine und Orgel, und bildete einen überzeugenden Schluss des Abends.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Im Rahmen des "Heidelberger Frühlings" fand vorgestern dieses Konzert statt:

    Sonntag, 25.03.2012, 11:00 Uhr
    Heidelberg, Alte Aula der Universität

    Robert Schumann (1810-1856)
    Fantasiestücke op. 12
    - Nr. 1: Des Abends. Sehr innig zu spielen (Klv)
    Sechs Stücke in kanonischer Form op. 56 (arrangiert von Theodor Kirchner)
    - Nicht zu schnell (Klr, Vc, Klv)
    - Mit innigem Ausdruck (Vl, Vc, Klv)
    - Andantino (Vl, Vc, Klv)
    - Innig (Klr, Vc, Klv)
    - Nicht zu schnell (Vl, Klr, Vc, Klv)
    - Adagio (Vl, Klr, Vc, Klv)
    Fantasiestücke op. 12
    - Nr. 2: Aufschwung. Sehr rasch (Klv)
    - Nr. 3: Warum? Langsam (Klv)
    Fantasiestücke op. 73
    - Zart im Ausdruck (Klr, Klv)
    - Lebhaft, leicht (Vl, Klv)
    - Rasch, mit Feuer (Vc, Klv)

    Olivier Messiaen (1908-1992)
    Quatuor pour la fin du temps
    - I. Liturgie de cristal (Vl, Klr, Vc, Klv)
    - II. Vocalise, pour l'ange qui annonce la fin du temps (Vl, Klr, Vc, Klv)
    - III. Abîme des oiseaux (Klr)
    - IV. Intermède (Vl, Klr, Vc)
    - V. Louange à l'éternité de Jésus (Vc, Klv)
    - VI. Danse de la fureur, pour les sept trompettes (Vl, Klr, Vc, Klv)
    - VII. Fouillis d'arcs-en-ciel, pour l'ange qui annonce la fin du temps (Vl, Klr, Vc, Klv)
    - VIII. Louange à l'immortalité de Jésus (Vl, Klv)

    Sebastian Manz, Klarinette
    Franziska Hölscher, Violine
    Christian Poltéra, Violoncello
    Herbert Schuch, Klavier

    Der Reiz dieses Konzerts hatte für mich zunächst darin bestanden, das umfangreiche Kammermusikwerk Messiaens nach langer Zeit wieder einmal hören zu können. Im ersten Teil gab es, wie ich meinte, ausschließlich Klaviermusik von Schumann, was ich auch nicht so schlecht fand. Allerdings wurden meine Erwartungen dann in höchst angenehmer Weise enttäuscht: Zwar waren drei Klavierstücke (aus op. 12) dabei, sie waren allerdings eingebettet in einen Zyklus, den die Interpreten als "Neuschöpfung" wie ein eigenes Werk präsentierten: Es wurde in einem durchgespielt und das Heidelberger Publikum spielte mit, indem es die kurzen Pausen nicht wie sonst üblich mit dem üblichen Räuspern und Husten unterbrach.

    Die "Sechs Stücke in kanonischer Form", Zeugnis von Schumanns Beschäftigung mit J. S. Bach, sind eigentlich für ein Instrument namens "Pedalflügel" komponiert, der aus zwei Flügeln besteht, die ineinander geschoben werden. Anscheinend lassen sich die Stücke nicht auf normalem Klavier realisieren, und es gibt Bearbeitungen von Claude Debussy (für zwei Klaviere) und dem Schumann-Schüler Theodor Kirchner (1823-1903) für Klaviertrio. Auf letztere Bearbeitung wurde hier zurückgegriffen, mit der Klarinette als Ergänzung (vermutlich teilte sie sich mit der Violine die Stimme). Auch wenn ich Kirchners Trio-Bearbeitung nicht kenne: Das war eine kontrastreiche, feine Instrumentierung, die auch so etwas wie den ursprünglichen Harmoniumklang noch ahnen ließ.

    Auch die Fantasiestücke op. 73 wurden auf Klarinette, Violine und Violoncello verteilt.

    Das Arrangement der einzelnen Werke zu einem großformatigem Kammermusikwerk mit ca. 45 Minuten Dauer fand ich sehr überzeugend: Die Musiker trafen genau das, was ich bei Schumann oft schätze, den erzählerischen Duktus (quasi: "Der Dichter spricht") mit all den Schattierungen und Stimmungen, vom geheimnisvoll-bedeutungsvollen bis zum leidenschaftlich aufschwingenden Gestus, alles in einem natürlichen Fluß, mit feiner Agogik, die sich ganz der Musik ergab, ohne - wie mir schien - etwas daraus "machen " zu wollen - auch technisch auf höchstem Niveau. Das berührte mich sehr.

    Nach der Pause dann das "Quartett für das Ende der Zeiten", in dem der Komponist selbst die acht Sätze unterschiedlich besetzte. Zunächst einmal: Auch dies wurde technisch höchst präzise dargeboten (die vermutlich sauschweren Unisonoläufe im "Tanz des Zorns" (VI.), das wundersame Klarinettensolo im "Abgrund der Vögel" (III.), mit den mehrfach aus dem Nichts wachsenden langen Tönen, und die beiden tiefmeditativen Sätze, den Lobpreisungen der Ewigkeit bzw. der Unsterblichkeit Jesu, Klavier mit Cello bzw. Violine (V. und VIII.), mit den leisen Ausklängen in der Höhe, auch das wohl höchst schwierig für die Streicher), fein ausbalanciert und mit großer emotionaler Kraft.

    Das Spirituelle, Tiefreligiöse des Werks wurde deutlich, auch hier unterstützt vom Publikum, das sich etwa nach dem leisen Verklingen (Klavier und Cello bzw. Violine absolut synchron!) der beiden "Lobgesänge" mucksmäuschenstill verhielt.

    Ich war tief beeindruckt - ein großes Konzert!

    Das Konzert wurde übrigens vom SWR2 mitgeschnitten und wird am 23.04.2012 in der Zeit von 20:03 bis 22:00 Uhr gesendet.

    :wink:

    Es grüßt Golaud

    ---
    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

    • Offizieller Beitrag

    Freitag, 25. Mai 2012, 20°° Uhr
    Gedächtniskirche am Bartholomäus-Weltz-Platz, Speyer

    Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791)
    R E Q U I E M

    Andrea-Lauren Brown, Marianne Beate Kielland
    Markus Schäfer, Harry van der Kamp
    Collegium Vocale Gent
    Anima Eterna Brugge
    Jos van Immerseel

    Vor dem Requiem wurde noch die viel zu unbekannte Grabmusik KV 42 präsentiert. Hier überzeugte die Solistin Andrea-Lauren Brown mit einer wunderbar timbrierten Stimme. Leider wäre aber auch sie durch mein te-decet-Casting durchgefallen... wieso kann das niemand singen? Die Solisten waren insgesamt alle sehr gut - mit Ausnahme von Thomas Bauer, der als Bariton bei der Grabmusik mitwirkte. Hierüber schweige ich lieber...

    Das Konzert war einmal mehr ein Beweis, daß Kirchen für Kirchenmusik der denkbar ungeeignetste Aufführungsort sind... der extreme Hall dieses Gotteshauses (mehr als 4 Sekunden Echo) hat die Musik teilweise bis hin zum Ungenießbaren entstellt, so daß ein Gesamturteil über die (vermutlich sehr gute) Aufführung von meiner Seite aus gar nicht gefällt werden kann. M. E. war der 16köpfige Kammerchor, der hinter dem Orchester aufgestellt war, falsch platziert: Soloensembles waren durchaus noch im Bereich des erträglichen, sobald aber der Chor sang, wucherte alles zu einem undurchsichtigen Klangbrei aus: das Kyrie nahm Immerseel (wohl bewußt?) etwas zahmer als gewohnt, beim rasanten "Dies irae" hingegen hatte ich den Eindruck, daß überhaupt nichts zusammen war und sich die Musizierenden erst im Schlußton wiederfanden. Unter diesem Gesichtspunkt war das Konzert eher enttäuschend, die zugewiesenen Pläze waren auch sub omniam sui (Seitenschiff links), konnten aber glücklicher Weise kurz vor Beginn getauscht werden (Mittelschiff, zentral :P ), da die beim Vorverkauf bereits verggeixten Plätze dann komischer Weise doch frei waren...

    Gespielt wurde übrigens angeblich die Dolcevillico-Fassung: Beim "Rex tremendae" wurde allerdings auf den punktierten Achteln getrillert (diese Barockisierung gefällt mir durchaus), im "Confutatis" spielten im Takt vor dem "Voca me" erstaunlicher Weise keine Violinen und Bratschen, sondern nur der von Mozart notierte Baß war zu hören. Ein Grund dafür entzieht sich erfolgreich meiner Kenntnis... Immerhin habe ich erneut festgestellt, daß das "Agnus Dei", sollte es denn tatsächlich alleinig aus Süßmayrs Feder stammen (was ich nicht ganz glauben werde...), ein ganz großes und tolles Stück Musik ist.

    Unbefriedigend.

    :beatnik:

    P.S. Das Konzert wurde m. W. aufgezeichnet (SWR2) - vielleicht kann man da mehr hören...?
    P.P.S. Am Ausgang fand keine Collecte statt, dafür gabs sozusagen eine Dividende: verschieden gefärbte ANIMA-ETERNA-Bleistifte, made from UK recycled CD cases *yepp*

  • Unser Urlaub in Schleswig-Holstein führte uns auch in das herrliche Städtchen Plöhn. In der dortigen Kirche wird in diesem Jahr jeden Sonntag eine Bachkantate aufgeführt. Leider konnten wir nur eine davon erleben, aber das war eine eindrucksvolle Aufführung. Der norddeutsche Kammerchor sang mit Solisten und (jeweils einfach besetztem) Kammerorchester die Kantate "Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ".

    Besonders beeindruckt hat mich die Durchsichtigkeit und der weiche, aber trotzdem sehr intensive Chorklang. Wenn man sich im eigenen Chor mit den hohen Tönen herumplagen muss und dann die Leichtigkeit und Ausgewogenheit eines solchen Chores (15 Sänger) erlebt, könnte man wohl recht unzufrieden werden...

    Die Bach-Arien sind allerdings - trotz beispielhafter Aufführung - für viele "normale Gottesdienstbesucher" sehr (zu?) anspruchsvoll.

    Wer demnächst sich in der Nähe Plöhns aufhält, sollte die Sonntagskantate nicht versäumen. Die Kirche ist übrigens sehr gut für solche Aufführungen geeignet: gute Akustik, Ausführende sichtbar... Allerdings könnte sie mehr Zuhörer durchaus vertragen.

    • Offizieller Beitrag

    Im Rahmen der Schloßkonzerte Bad Krozingen besuchte ich dieses Wochenende das zweiteilige Konzert mit Beethovens Cellosonaten. Es musizierten: Juris Teichmanis (Violoncello), Tobias Koch (Fortepianos).

    Teil I, Samstag, 2. März 2013, 19.30 Uhr

    (Vortrag Frau Dr. Lotte Thaler)
    Sonate F-Dur op. 5 Nr. 1
    Zwölf Variationen G-Dur WoO 45 über ein Thema aus Händels "Judas Maccabäus"

    Pause

    Zwölf Variationen F-Dur op. 66 über "Ein Mädchen oder Weibchen" (W. A. Mozart)
    Sonate g-moll op. 5 Nr. 2

    Der "weibliche" Teil des Konzertes: zum einen, da die Werke allesamt noch aus dem 18. Jahrhundert stammen und trotz stark spürbarer Beethovenscher Eigenwilligkeit noch ihre Herkunft nicht ganz verschleiern. Der Cellist, der an diesem Abend Geburtstag hatte, hatte leider leichte Intonationsprobleme (besonders in den Höhenlagen), was aber dem Genuß des Konzertes eigentlich keinen Abbruch tat. "Weiblich" auch deswegen, weil ein Hammerflügel von Nannette Streicher aus dem Jahre 1816 bespielt wurde. Das Instrument war für die Cellosonaten m. E. ein wenig Schwach auf der Brust, dennoch sehr klangschön und im Finale der F-Dur-Sonate kam sogar der Fagottzug zum Einsatz. Lustig für mich war es zu sehen, wie dem Cellisten an heikler Stelle im Finalsatz die Noten zwischen der Hand am Steg wie Staub zerfielen... sein überraschter und zugleich gleichgültiger Blick rundeten das Geschehen ab.

    Teil II, Sonntag, 3. März 2013, 16.00 Uhr

    (Vortrag Frau Dr. Lotte Thaler)
    Sonate A-Dur op. 69

    Pause

    Sieben Variationen Es-Dur WoO 46 über "Bei Männern, welche Liebe fühlen" (W. A. Mozart)
    Sonate C-Dur op. 102 Nr. 1
    Sonate D-Dur op. 102 Nr. 2

    Im "männlichen" Teil des Mammutkonzerts kam ein Flügel von Conrad Graf (1824) zum Einsatz, ein Instrument, das Beethoven nie gehört hat (im doppelten Wortsinn). Hier war das Lautstärkeverhältnis zwischen Streich- und Tasteninstrument deutlich ausgewogener. Beide Solisten waren heute ziemlich stark und sicher und meisterten den Notenberg beflügelt und becellt. Meine Lieblingssonate (A-Dur) hat mich wie immer sehr mitgenommen ins Reich der bedingungslosen Liebe. Sehr erfüllend auch auch meine Lieblings-Neben-Sonate op. 102 Nr. 1 und verblüffend die Schlußfuge der D-Dur-Sonate, die neben der Streichquintettfuge als eine Vorstufe zur "Großen Fuge" gelten kann. Wirklich krasse Mukke...

    Die Akustik des Saales war wie immer sehr direkt und trocken, was ich für Kammermusik äußerst angenehm finde: das Streichen des Bogens auf den Saiten war von den manchmal scharfen Atemzügen der Solisten kaum zu unterscheiden.

    Vor den Konzerten resp. in den Pausen genoss ich es, durch die Tasteninstrumentesammlung des Schlosses zu flanieren und "meinen" Michael Rosenberger zu streicheln :)

    Während sich am Samstag im Publikum (aus Versehen?) noch einige Teens und Twens trollten, bereitete die heutige Publikumszusammensetzung einen Gechmack auf die Vorhölle... ABER: das Publikum war versiert, aufnahmefreudig und sehr dankbar.

    Es war ein wunderbares Wochenende, das sogar endlich den Frühling vor die Tür gelockt hat!

    :jubel::jubel::jubel: