Zwey obligate Augengläser: neulich in der Oper...

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    Schön und gut, aber haben wir nicht einmal gelernt, dass die Aktion auf der Bühne die Musik quasi auslösen soll? Müsste also nicht das schmerzhafte Zucken der Figur den Triller zur Folge haben? Nein, erst nachdem der Triller so gut wie vorbei ist, kommt Bewegung in die Figur, und sorry, aber das sieht aus wie Schultheater. Ähnliche gestische Einfälle zu Verzierungen hat auch Stefan Herheim im Xerxes an der Komischen Oper Berlin eingesetzt, aber da waren die Sachen eben auf die Musik und haben richtig gerockt.


    Wer war denn da für die barocke Gestik zuständig? Empfehlen kann ich letztlich nur Arbeiten der Spezialistin Sigrid t'Hooft, die vor wenigen Jahren in Karlsruhe Händels Radamisto mit ihren Kenntnissen beglückt hat. Meines Wissens ist sie derzeit am Drottningholmer Theater aktiv (jedenfalls in der vergangenen Saison tätig gewesen).

    :wink:


  • Wer war denn da für die barocke Gestik zuständig? Empfehlen kann ich letztlich nur Arbeiten der Spezialistin Sigrid t'Hooft, die vor wenigen Jahren in Karlsruhe Händels Radamisto mit ihren Kenntnissen beglückt hat. Meines Wissens ist sie derzeit am Drottningholmer Theater aktiv (jedenfalls in der vergangenen Saison tätig gewesen).

    :wink:


    Ich weiß jetzt nicht recht, was Du meinst. Die Inszenierung des Charpentier in Paris hatte gar nichts mit Barock zu tun. Sie war von Andreas Homoki. Auf der Webseite der Opera Comique kann man sich Bilder und sogar ein Video anschauen.

    http://www.opera-comique.com/spectacle/david-et-jonathas/

    Auf dem Video kann man vielleicht erahnen, was ich meine. Es besteht eben oft überhaupt kein zwingender Zusammenhang zwischen der Musik und der Gestik auf der Bühne. Und dabei geht es mir nicht um barocke Gestik. Sondern enfach darum, dass man nicht immer das Gefühl hat, als würde die Aktion und Emotion auf der Bühne zwingend das auslösen, was in der Musik passiert.

    Eine ähnliche Kritik hatte ich ja auch weiter oben beuüglich Koskys Zauberflöte. Da setzt halt auch irgendwann das Orchester ein, ohne dass es eine Handlung auf der Bühne gäbe, die das auslösen würde.

    Ganz anders der Xerxes von Herheim, das hat zwar auch nichts oder nur sehr wenig mit barocker Gestik zu tun, aber da werden zwingende Zusammenhänge zwischen dem Bühnengeschehen und der Musik geschaffen, da werden sogar noch die Macken von Dacapo-Arien, Wiederholungen und Verzierungen auf teils enorm gewitzte und witzige Art "erzwungen". Ich habe den Xerxes letztes Jahr zweimal gesehen vor lauter Begeisterung, und sollte er wieder in den Spielplan aufgenommen werden, dann werde ich ihn mir noch mal anschauen. Zur Zeit läuft dieselbe Inszenierung übrigens in Düsseldorf .

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    Samstag, 09. Februar 2013 - Karlsruhe, Badisches Staatstheater, Kleines Haus

    Mozarts Don Giovanni in Minimalbesetzung: ein Pianist, eine weibliche Singstimme, eine männliche Singstimme. Michael Quasts Don Giovanni à trois kenne ich aus dem TV seit 2007. Diese Bearbeitung war ein Auftragswerk zum Mozartjahr 2006 und hat sich bis heute gehalten; und das ganz zu Recht. Auf geniale Weise wird der Opernstoff inkl. der musikalischen Nummern umgesetzt und in eine heutige "Sprache" übertragen. Auch das Sextett macht den beiden Sängern keinerlei Probleme - wenn man nicht hinschaut, bemerkt man nicht, daß anstelle von sechs Interpreten lediglich zwei da sind, die live alle Stimmen singen... inkl. der dazugehörenden Akzente und personellen Charakteristika.

    Wer es nicht glaubt, hat hier Gelegenheit, einen kurzen Ausschnitt zu sehen:

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    Live war das wirklich nochmals ein zusätzlicher Pluspunkt - einige Gags wurden seit der TV-Übertragung von damals erneuert (sonst wirds ja auch langweilig), aber insgesamt ist das Konzept einfach nur wunderbar, stimmig und logisch...

    Es macht wirklich Spaß, zu erleben, wie flink die Interpreten (Michael Quast und Sabine Fischmann) die Charaktere wechseln können, manchmal sogar mitten im Wort. Schnell wird auch die Leistung von Theodore Ganger unterschätzt, der gute zweieinhalb Stunden großartig den Flügel bedient. Neu und erstaunlich war u.a., daß der Canon im Finale mit vertauschten Stimmen gesungen wurde (Quast als Countertenor und Fischmann als Tenöse). Wunderbar ist außerdem, daß diese Vorstellung nicht so künstlich und gestelzt daher kommt, wie herkömmliche Bühnenpräsentationen: mir kommt es so vor, daß Quast und sein Team genau das an das Publikum transportieren, was auch 1789 herüberkam.

    :love::umfall::jubel::jubel::jubel::umfall::love:

  • Viel zu lange her ist er, der letzte Opernbesuch. Im Februar sahen wir den Rosenkavalier in der Komischen Oper Berlin. Eine geschmackvolle Inszenierung, die ich im positiven Sinne als solide bezeichnen würde. Wie schon bei der Zauberflöte an Weihnachten ist mir vor allem das Dirigat Nanasis aufgefallen. Ich bin absolut kein Strauß-Kenner, aber ich fand erstaunlich, wie klar und durchsichtig, fast schon "hip" das klang. Ich werde allmählich zum Fan, befürchte ich.

  • Gestern Händels Agrippina in der Berliner Staatsoper mit der Akademie für Alte Musik und Rene Jacobs.

    Das Schillertheater, in dem die Staatsoper derzeit weilt, ist kein besonders geeigneter Ort für Oper. Man sitzt nicht sher bequem, die Optik ist zweifelhaft, und der Klang ist auch nur solala. Jacobs hat die Agrippina mit allen Rezitativen ohne Striche auf die Bühne gebracht, weshalb man satte vier Stunden da saß. Bei einer anderen Inszenierung wäre diese Entscheidung auch nicht verkehrt gewesen, doch leider ging in Vincent Boussards szenischer Interpretation des Stücks Style vor Gehalt, wie mir schien. Wie nicht anders zu erwarten, mussten sich die Darsteller mal wieder ohne sonderlich ersichtlichen Grund auf den Boden werfen, sich dort räkeln, zucken, sich Kleidungsstücke halb aus und anziehen (was es zu bedeuten haben soll, wenn eine Figur kurz vor dem rauschenden Abgang sich den Mantel so kurz unter die Schulter schiebt und dabei furios ins Publikum blickt, habe ich immer noch nicht verstanden), sich gegen die Seitenwände werfen, daran entlangschmachten und sinnlos von einer Bühnenseite auf die andere rennen. Hauptsache, es sieht irgendwie gut -- im Sinne von stylisch - aus und wirkt tiefgründig. Deshalb sah man auch fast nie normale Aktionen, sondern die Figuren agierten größtenteils "symbolisch".

    Das haben die Darsteller aber fast durchgehend gut gemacht, muss man sagen.

    Leider habe ich mich mal wieder viel zu häufig gefragt, was die Aktion auf der Bühne mit der Musik zu tun hat. Im Orchesterzwischenspiel einer Arie dreht die Figur eine kleine Runde über die Bühne und fast sich dabei an den Kopf oder so was, aber das wirkt eher so: Irgendwas muss ich ja machen, was nach Emotion aussieht. Dabei sind die Handlungen auf der Bühne in vielen Fällen mal wieder eher Reaktionen auf die Musik (Orchester setzt zum Vorspiel einer Arie ein, dann erst nimmt die Figur die entsprechende Pose ein). Aber man hat leider nicht oft den Eindruck, dass das Bühnengeschehen die Musik erzwingen würde (die Handlung der Figur löst den Einsatz des Orchestervorspiels aus).

    Alles in allem ziemlich schwach, aber total schick, was die Inszenierung angeht. Man spürte, dass das Politische und Aktuelle der Agrippina auf die Bühne gebracht werden sollte, aber wirklich gefunzt hat das nicht (oder besser: Das kam schon rüber, aber die Inszenierung hat da nicht viel dazu beigetragen).

    Ich hatte mit Anna Prohaska als Poppea gerechnet, wurde aber von Sunhae Im überrascht, die ebenso stark gespielt wie gesungen hat. Zusammen mit Bejun Mehta das absolute Highlight in meinen Ohren. Bei letzterem war ich ja enorm voreingenommen, da mich Aufnahmen bisher nicht sonderlich überzeugt haben. Live war das aber unheimlich anrührend, lebendig, technisch udn musikalisch ausgefeilt, was der gemacht hat. Hat mich vollkommen bekehrt.

    Dominique Visse bekam in seiner Rolle als Narciso leider nicht genug Raum, um voll zur Geltung zu kommen. Dieses Bühnentier.

    Die Akademie blieb für meinen Geschmack unter ihrem Wert, auch wenn der Händel trotzdem ziemlich gerockt hat. Aber ich merke einfach, dass ich mit Rene Jacobs immer weniger anfangen kann. Nicht, dass mir seine Herangehensweise missfallen würde, aber sie reißt mich einfach selten mit. Das hat etwas Zaghaftes, wenig Zupackendes, ohne dabei die Galanterie eines Christie zu entwickeln.

    Alles in allem aber ein schönes Opernerlebnis, dank Händel!

  • Gestern haben wir uns in Nürnberg Platée von Rameau angeschaut.

    Die Inszenierung stammt aus Straßburg, wo Herve Niquet die Oper unters Volk gebracht hat. In Nürnberg wurde aber nur die Inszenierung übernommen, die Musik hat das angestammte Ensemble bestritten. Das hat sich tapfer geschlagen, aber man merkte schon sehr deutlich, dass sich Orchester und Chor im 19. Jahrhundert wohler fühlen. Die Raffinesse der Rameauschen Orchestrierung und Rhythmik hat sich mir jedenfalls nicht so vermittelt. Konnte aber der Akustik geschuldet sein, da die Sänger leicht einmal die Klänge aus dem Graben überdeckt haben.

    Die Titelrolle wurde von Tilman Lichdi toll gesungen, auch Leah Gordon als La Folie hat stimmlich überzeugt (da fehlte nur noch etwas mehr Närrischkeit seitens des Dirigats von Gabor Kali). Die restlichen Sänger waren ordentlich bis auf den Bariton, der in der Tiefe nicht zu hören war und die Höhe intonatorisch fragwürdig gestemmt hat, dabei selten einmal den rechten Stil traf.

    Auch wenn die Vorstellung musikalisch nicht brillant war, so doch einigermaßen frisch und vertretbar, ich hatte meinen Spaß.

    Die Inszenierung von Marianne Clement, die die absurde Handlung mithilfe der Austatterin Julia Hansen virtuos in eine 50er-Jahreoptik getaucht hat, war beispielhaft. Das Bühnenbild wartete mit unzähligen Verwandlungen und Details auf, die das "Wundervolle" der Barockoper trotz modernem Look vortrefflich illustrierten. Mit viel Witz und auch Albernheit ging die Regie an die Geschichte heran, ohne sie zu verulken. Auch wurde dabei der Anspruch einer solchen Oper mit ihren Divertissements ernst genommen. Ohne in stumpfe Revueplattitüden zu verfallen, kommentierte die Choreografie von Joshua Monten das Geschehen mit Witz und Anmut. Insgesamt wurde die Oper mit sehr viel Freiheit und gleichzeitig Respekt umgesetzt und mit zeitgenössischen Mitteln und Bildern gezeigt, was die barocke Farce wollte. So wünsche ich mir das.

    • Offizieller Beitrag

    Selten habe ich eine Opernaufführung besucht, deren Anteil an jungem Gemüse augenscheinlich derart groß war, daß die Vermutung nahe liegt, daß es sich um Groupies und insonderheit* Homies der Protagonisten (Miles and more Flora) von

    The Turn of The Screw

    handelte, deren Antlitze sich im luziden Schein der iPhone-Displaybeleuchtungen geisterhaft und auf mysteriöse Weise interessiert gaben; der Kontakt zur realen Außenwelt durfte natürlich nicht durch einen knapp zweistündigen Ausflug in die Welt der höchsten Kunst unterbrochen werden. Dabei waren die Hs und Gs [Anspielung auf Hänsels und Gretels] bis ins Detail perfekt durchgestyled, so daß übrige Opernbesucher in ihrem Look auffallend verblassten und den Sinn ihres Daseins in Frage stellten.

    Brittens Oper, die auf der Novelle von Henry James basiert, fand 1954 im Teatro La Fenice ihre Uraufführung. Mein Interesse an diesem Werk wuchs aus einer Diskussion heraus, in der es um die sängerischen Fähigkeiten von Kindern im Zusammenhang mit den Rollen aus Humperdincks Hänsel und Gretel ging. Ich stieß bei meinen Recherchen auf diese Oper Brittens und wollte mir im Anschluss an die Lektüre von James' Novelle die griechische Produktion aus der Athens Concert Hall aus dem Jahre 2002 via Youtube zu Gemüte führen. Glücklicher Weise erhielt ich von unserem Mitglied Arnulfus den Hinweis, daß das wegen der exklusiven Besetzung offenbar selten gespielte Werk eben gerade gestern (24. Januar 2014) im Mannheimer Nationaltheater als Ausläufer des Brittenjahrs 2013 zum letzten Mal gegeben wurde. In sehr netter und nicht weniger begeisterungsfähiger Begleitung genoss ich also gestern diese Interpretation:

    www.youtube.com/watch?v=yZkyw0A4-8A&hl=de&fs=1&rel=0&autoplay=1
    Werbetrailer der NTM

    Besetzung und Pressestimmen: Link

    Die Inszenierung war hervorragend gemacht und man konnte dem Faden m. E. auch folgen, wenn man den Stoff nicht kannte; der psychologische Output hingegen offenbarte sich einem erst, wenn man mit den Sujet einigermaßen vertraut war [was bei mir durch die vorherige Lektüre von Henry James' Geistergeschichte der Fall war]. Das Bühnenprospekt war in vier „Windows“ aufgeteilt (vgl. obiger Trailer), in denen z.T. parallel die verschiedenen Sichtweisen der Beteiligten Personen durch Stuntmen und -women dargestellt wurden; dabei wurde die Perspektive gedreht, so daß der Zuschauer die Scenerie gleichzeitig von hinten sah. Hierbei gab es allerdings ein paar kleine Koordinationsproblemchen (nicht weiter der Rede wert) und Fehler im Detail: die Türen gehen alle in die gleiche Richtung auf, was bei einer rückwärtigen Ansicht perspektivisch falsch ist [vermutlich aber war dies technisch nicht anders umsetzbar und die Intention war auch so deutlich erkennbar und in der Kunst geht es grundsätzlich um das Erkennen und nicht um korrekte Darstellung].

    Musikalisch gab es einen Zauber aus abwechslungsreichen Harmonien und Strukturen sowie sehr gute Darsteller, die es verstanden, den Zuschauer sogleich fest und unumkehrbar in ihren Bann zu ziehen. Sehr gelungen ist der Übergang von der scheinbar harmlosen Welt, in der die Gouvernante hoffnungsfroh ihre „neue Welt“ betritt, zu der ausnahmslos bitteren Erfahrung, die sie sogleich machen musste: man befand sich als Zuschauer plötzlich - und ohne dies wirklich zu registrieren - mitten in der Faszination des geisterhaften Geschehens, das mit einfacher, aber brillanter, Technik umgesetzt wurde.

    Ein insgesamt sehr erfreuliches Erlebnis, das dann noch bis nach Mitternacht in einer Bar begossen wurde.

    :jubel::jubel::jubel:


    *dieses Wort habe ich aus der wilden Autobiografie Carl Ditters von Dittersdorfs Lebensbeschreibung – seinem Sohne in die Feder diktiert in meinen Thesaurus übernommen. Es bedeutet etwa „insbesondere“.

  • Andreas Schager heißt DER "Tristan" in Darmstadt. 4 Stunden nach der Aufführung bin ich immer noch am Staunen und voller Begeisterung.
    Wie oft ich TRISTAN & ISOLDE gesehen habe kann ich nicht genau sagen. Das erste Mal war es Hans Hopf oder Hans Beirer, ca 1966 in Hamburg, die den Tristan sangen.
    Noch nie habe ich einen jugendlichen TRISTAN im "Fieberwahn "des 3. Aufzuges ähnlich überzeugend erlebt. VORALLEM STIMMLICH, aber auch darstellerisch.
    Die Stimme ist groß, frisch, von großer Farbigkeit, allerdings ausbauungsfähig im Piano, und (vorallem) von verblüffender Strahlkraft.
    Das entsprechend elektrisierende Dirigat des jungen Darmstädter GMD Martin Lukas Meister war Voraussetzung für diesen Eindruck.
    Ein gut abgestimmtes Paar waren die Isolde der Ruth-Maria Nicolay (Rollendebut) und des Andreas Schager.
    John DEWs Inszenierung ist ansprechend, wenig Utensilien, sehr wirkungsvolle Licht- und Nebel-Effekte.
    An seine Dortmunder TRISTAN-Inszenierung (1998 ?), die in mehrfacher Hinsicht Tiefe und Symbolcharakter der TRISTAN - Parabel exemplarisch verkörperte,
    kam die Darmstädter Inszenierung - des nicht mehr so radikalen Regisseurs - NICHT heran.
    Stimmlich ist dieser DARMSTÄDTER TRISTAN jedoch dem Dortmunder überlegen (Casselman/John Pierce)....
    Es dürfte z.Zt kaum ein großes Haus geben, daß dieser erstklassigen Aufführung des "mittelgroßen" Hauses Darmstadt das Wasser reichen kann.

    In der 2. Pause bekam ich ein paar Fetzen eines Gesprächs von einigen Jugendlichen mit: Einer sagte: "WIE KANN DAS SEIN, DASS OPER SO GEIL IST ?"

    Der TRISTAN-Sog ist der TRSTAN-Sog und einmalig in seiner Art. Leute, Freunde des EROICA-Forums, guckt Euch TRISTAN & ISOLDE in Darmstadt an !!!


    Tristan und Isolde in Darmstadt

    26. Januar | 01. Februar | 28. Februar | 09. März | 29. März | 11. Mai | 08. Juni


    Arnulfus


  • Das war, nach dem TRISTAN des Vortages (1. Febr) erneut ein besonderes Opern-Erlebnis:
    Erstens: MOZART, zweitens: der bisher von mir so unterschätzte IDOMENEO, drittens: Dirigent Michael Hofstetter, viertens: Idamante gesungen vom jungen Countertenor Kangmin Justin KIM

    aber auch die Inszenierung von Nigel Lowery, der die Mystic / das Mysterium der OPFERGABE besonders im Visier hatte....war bemerkenswert
    GIESSEN, ne Stadt von 50.000, 3Sparten-Theater: eine Aufführung von hoher Qualität, OPI-haft musiziert von einem normalen Stadtorchester..
    allerdings unter der Leitung des Enthisiasten und Spezialisten für all den "Alten Kram": Michael Hofstetter.

    Ich bin bisher bei den MOZART-OPERN relativ einseitig auf die 3 da Ponte-Opern fixiert gewesen...
    "Opera Seria" ist eigentlich nicht so meine Kragenweite.....ich habe heute allerdings die Erfahrung gemacht,
    WELCHE Eigenart im Sinne von einer >neuen Qualität< die Besetzung des Idamante durch einen Mann (Countertenor) hat...
    und zwar insbesondere in der ganz eigenen (und anderen) Klangkultur im Zusammenwirken mit der Sopranstimme der "Ilia" (seiner Flamme)
    ILIA war eine herausragende Sopranistion namens Narora Intxausti.

    Wohl in keiner anderen MOZART-OPER haben die Chöre eine ähnlich dominante und wichtige Funktion wie im IDOMENEO.

    Ein toller Abend, ......und nur 25 km von meinen vier Wänden bis zum Stadttheater Giessen


    Arnulfus.

  • Am Samstag zum dritten Mal in Händels Xerxes in der Komischen Oper Berlin.

    Wieder hat die Inszenierung von Stefan Herheim begeistert.
    Allerdings war es die Wiederaufnahme nach einem knappen Jahr, und die Musiker haben unter Konrad Junghänel noch nicht wieder so recht zusammengefunden. Auch die Rezitative gingen nicht so locker dahin, es zog sich manchmal ein bisschen.
    Trotzdem ein großer Spaß, und das zum Platzen volle Haus applaudierte fleißig.

    • Offizieller Beitrag

    Lieber Lieber,

    "Opera Seria" ist eigentlich nicht so meine Kragenweite.....ich habe heute allerdings die Erfahrung gemacht,
    WELCHE Eigenart im Sinne von einer >neuen Qualität< die Besetzung des Idamante durch einen Mann (Countertenor) hat...


    Idamantes ist eigentlich immer mit einem Manne besetzt: in der Münchner (Ur-) Fassung eben mit einem Castraten (heute: Counter), in der späteren Wiener Überarbeitung Tenor. Mir hat schon immer die Urversion besser gefallen, weil sie noch eher den barocken Vorbildern und "Gesetzen" der Opera Seria folgt.

    Wohl in keiner anderen MOZART-OPER haben die Chöre eine ähnlich dominante und wichtige Funktion wie im IDOMENEO.


    Das stimmt, da der Idomeneo noch sehr an Gluck orientiert ist. Als nächstes käme dann allenfalls noch "La Clemenza di Tito" in Frage, die zwar nicht dermaßen chorlastig ist, aber eben auch im Vergleich zu den da-Ponte-Opern mit einigen sehr hörens- und liebenswerten Chören aufwartet.

    :wink:

  • Nachdem meine Frau und ich im Januar 2013 auf einen Kurztripp nach Paris geflogen sind, um in der Opera Comique Charpentiers David & Jonathas mit Les Arts Florissants und William Christie zu sehen, wollten wir uns auch Rameaus Platée am selben Ort im März 2014 nicht entgehen lassen. Und da die Opera Comique noch weitere Veranstaltungen rund um Rameau anbot, haben wir noch drei weitere Termine dazu gebucht: Eine konzertante Aufführung des Castor & Pollux, eine Mittagskonzert mit Kantaten von Campra und Monteclair und eine Version von Hipplyte & Aricie für Marionettentheater. Das Ganze über zehn Tage verteilt, woraus wir dann auch gleich einen Paris-Urlaub gemacht haben.

    Los ging es mit Castor & Pollux. Die Sängernamen sag(t)en mir nichts (Bernard Richter, Florian Sempey, Judith van Wanroij, Michele Losier u.a.) Bis auf den Sempey in der Rolle des Pollux fand ich auch keinen so richtig bemerkenswert, auch wenn sie - bis auf eine Ausnahme - ganz vorzüglich die französische Art, Oper dieser Zeit zu singen, beherrschten. Es war eine wahre Freude, wenn auch kein Rausch. Chor und Orchester des Ensemble Pygmalion begleiteten, und Raphael Pichon dirigierte. Man wünscht sich, Rameau öfter in dieser Spezialistenqualität zu hören. Wir sind sehr gespannt, wie die Komische Oper in Berlin, die gerade ebenfalls einen Castor & Pollux rausbringt, das Stück musikalisch bewerkstelligen will.

    Leider hatte ich in der ersten Hälfte mit Höhenangst zu kämpfen, da wir im dritten Rang in der ersten Reihe saßen, das Theater sehr eng und hoch ist und die Geländerbrüstung für meinen Geschmack viel zu schmal und niedrig. Uff, was habe ich geschwitzt. In der Pause konnte ich mich beruhigen, dann ging es.

    Der nächste Opernbesuch war dann allerdings nicht in der Opera Comique, sondern in Versailles. Nachdem wir Paris ohnehin schon gebucht hatten, sich der Termin also anbot und ein Freund uns Mut gemacht hat, haben wir die teuersten Tickets unseres Lebens gekauft und Vinicis Artaserse in der Versailler Opera Royal gebucht. Es handelte sich um ebenjene Produktion, die auf CD und DVD nachzuhören, bzw. zu -sehen ist:

    Da für Rom - auf ein Libretto von Metastasio - komponiert, waren in der Besetzung keine Frauen vorgesehen, und die Produktion folgt dieser Vorgabe, es singen ein Tenor und fünf "Counter". Allerdings wurde Jaroussky für die Versailler Wiederaufnahme in der Rolle des Artaserse durch Vince Yi ersetzt, der eine, wenn auch leise, aber durch und durch hinreißende Stimme hat. In den Rezitativen kommt er musikalisch nicht an Jaroussky heran, in den Arien bewies er aber mit seiner seidig hellen Stimme ganz eigene Stärken.

    Der Tenor Juan Sancho, der den "Bösewicht" Artabano sang, ist klanglich überhaupt nicht mein Fall, hat seine Sache aber tapfer und stilecht gemacht. Dazu gab er schauspielerisch eine gute Figur ab. Die eigentliche Hauptrolle des Stücks ist der Part des Arbace, und in dieser Rolle hat Franco Fagioli komplett abgeräumt. Mit einer sängerischen Virtuosität, deren Selbstverständlichkeit ihm erlaubte, auch darstellerisch auf der Szene zu glänzen, haute er eine Arie nach der anderen heraus, eine mitreißender, ergreifender als die andere. Am Schluss der letzten Arie des ersten Akts ging das Orchesternachspiel vollkommen im Toben eines ausgeflippten Publikums - das ansonsten sehr diszipliniert war - unter. Ein Tumult der Begeisterung, wie ich ihn so noch nie erlebt habe, und zu recht. Da das Gebrüll nicht enden wollte, wurde das Da Capo noch einmal gegeben, und Fagioli ließ sich nicht lumpen und hat einfach noch mal andere Verzierungen als beim ersten Da Capo gesungen. Das hat die Gemüter im Publikum kaum beruhigt, sondern nur noch mal in Begeisterungsstürme versetzt.

    Yuri Mynenko hatte mit Megabise - diese Namen! - zwar nur eine kleine Rolle, fand sängerisch aber dennoch mühelos den Anschluss an das Niveau des Rests der Sänger, als da wären Cencic und Barna-Sabadus, die beide Frauenrollen verkörperten und vor allem in den lyrischen, innigen Arien glänzten. Seltsamerweise hat mich ausgerechnet Cencic nicht so weggeblasen, wie ich gedacht/erhofft hatte.

    Jedenfalls habe ich noch nie in diesem Maße eine Opera Seria erlebt, die im Grunde nur aus sängerischen Höhepunkten besteht. Aber diese geballte Stimmschönheit, diese geballte Musikalität, das war schlicht umwerfend. Dazu das mitreißende Dirigat von Diego Fasolis und der - gegenüber der Studioaufnahme - warme und doch zupackende, groovende Klang von Concerto Kölln!

    Auch die Inszenierung mit ihren sagenhaften Kostümen wusste zu begeistern, und irgendwann waren wir von all dem akustischen Glanz vollkommen berauscht. Hier ist mir auch noch mal ganz deutlich geworden, was ich hier schon einmal anklingen ließ: Die Verunklarung der Geschlechter durch Kostümierung und Stimmfach empfinde ich fast schon erlösend, es spielt in dieser Oper einfach mal fast gar keine Rolle mehr, wer Mann und wer Frau ist, was männlich, was weiblich ist. Es entsteht ein beinahe geschlechtsloser Freiraum, in dem sich Leidenschaften und Schönheit quasi rollenunabhängig entfalten können. Das wirkt auf mich unheimlich sexy, beglückend.

    Leute, Leute, die Vorstellung dauerte mit zwei Pausen von drei Uhr nachmittags bis ca halb acht, was auch dem vielen Applaus geschuldet war, aber wir kamen uns in dieser Zeit wie entrückt vor. Die teuren Tickets haben sich mehr als gelohnt. Das war ein ganz geballtes, barockes Erlebnis, glanzvoll, mitreißend, innig und unendlich geschmackvoll.

    Demnächst folgt dann noch der Bericht zu Platée!

  • Leider habe ich es nicht geschafft, meine Eindrücke zu Platée unters Volk zu bringen. Noch schnell die Kurzfassung:

    Dirigent: Statt, wie angekündigt, William Christie, hat Paul Agnew dirigiert. Dazu gab es keine Ansage, was ich befremdlich fand. Christie hat tags darauf auch beim Mittagskonzert im Foyer gespielt und war bester Gesundheit. Offenbar war es also geplant, dass Agnew dirigert. Warum sagt einem das keiner? *hä* Akustisch war das allerdings so überhaupt gar nicht zu hören. Ich habe live nie einen so zupackenden, frischen und präzisen Rameau gehört. Nach den ersten paar Nummern haben meine Frau und ich uns gefragt, ob das wirklich dasselbe Strück war, das wir auch in Nürnberg gesehen hatten, denn klanglich, musikalisch war es eine völlig andere und wunderbar berauschende Welt.

    Inszenierung: Robert Carsen hat insofern einen ähnlichen Ansatz wie die Nürnberger Inszenierung gewählt, als dass Schönheit als gesellschaftlicher Imperativ in der Gegenwart dargestellt wurde. Die Bühne war die schicke, silbern glänzende Welt der Clubs, in der Platee krampfhaft und mit allen Mitteln versucht, dem Schönheitsideal der Society zu entsprechen. Dabei wurde Platee gar nicht hässlicher dargestellt, als eben so viele Menschen, die keine Modelfigur haben. Das hat die Ganz Sache besonders anrührend und am Ende auch unglaublich bitter gemacht.

    Der Transfer ins Zeitgenössische gelang vollkommen unverkrampft, hatte Schwung und Witz. Carsen ist ein exzellenter Erzähler, die Tableaus und "Gänge" wirkten sehr organisch. Ich würde sagen: eine tadellose Inszenierung.

    Sänger: Keine Frage, dass da Spezialisten am Werk sind. Stilistisch ganz mühelos ins Schwarze getroffen! Marcel Beekman als die Platée extrem facettenreich und angenehm komödiantisch gesungen, hinreißemd. Technisch brillant natürlich Simone Kermes als La Follie, allerdings bestätigte sich mir auch in dieser Rolle mein bisheriger Eindruck: Mir ist das zu maniriert, zu gekünstelt, zu perfekt. Das betraf allerdings tatsächlich nur den rein gesanglichen Aspekt, in der spielerischen Darstellung war ich überrascht über den zur Schau gestellten Humor, der eigentlich nicht zu ihrem Gesang passt.

    So, nun habe ich den Platée-Bericht doch noch nachgeliefert und kann mich Aktuellerem zuwenden:

    Dido & Aeneas in der Staatsoper UDL im Schillertheater Berlin.

    Letzten Samstag haben wir uns also die gefeierte Inszenierung von Sasha Waltz angeschaut mitsamt Wasserbecken.
    Das heißt, im Grunde ist es keine Inszenierung, sondern eine Koreographie. Keine Szene, kein Ton, ohne dass dabei ausdrucksvoll gewedelt, geschlungen, gewälzt würde. Ja, punktuell ist es sogar mal witzig.

    Was aber nicht stattfindet: Die Geschichte wird nicht erzählt, die Figuren werden nicht dargestellt (sicher, das ständige Getanze ist ein Kommentar und soll die Emotionen der Figuren darstellen, aber abgesehen davon, dass sich das Gewedel, Geschlinge und Gewälze sehr schnell abnutzt, kann es eben auch keine Figurenzeichnung ersetzen). Und das halte ich bei Dido schon fast für eine Kunst, wenn man es schafft, diese straighte, kondensierte Handlung, die sich fast schon von alleine erzählt, nicht zu erzählen!

    Die Sänger waren durchwachsen bis ordentlich, Akamus haben einen sehr schönen Purcell gespielt und waren eindeutlig die Sieger des Abends. Trotzdem, da einen das Drama und das Leid der Figuren völlig kalt gelassen hat, da die Oper auf eine Stunde fünfundvierzig Minuten aufgebläht wurde und da man mit Wedeln, Schlingen und Wälzen nur schwer irgendwelche Überraschungseffekte erzeugen kann, erlebten wir ein gerüttelt Maß gepflegter Langeweile. Wer hätte das gedacht. Ein typischer Fall von style over substance, und dementsprechend hat das Publikum natürlich gejubelt. Who the fuck wants substance, solange alles so schick aussieht?

  • Am 24. Mai war ich erneut in der gemütlichen Oper von Versailles und habe den Persée von Lully gesehen. Es handelte sich um ein Gastspiel dieser Produktion:

    Leider ohne Prolog!!!!

    Es spielte das kanadische Tafelmusik Baroque Orchestra.
    Wir saßen in der ersten Reihe, also im Grunde fast mitten im Orchester, was akustisch nicht ganz so prickelnd war. Dazu kam, dass die Sänger zwar gut und mit der Deklamationsweise der französischen Barockoper bestens vertraut, aber selten wirklich hinreißend waren. Lawrence Wiliford als Merkur war der einzige Sänger, der mich durchgehend begeistert hat. Peggy Kriha Dye hätte das beinahe auch geschafft, doch bei ihrem letzten tragischen-ariosen Monolog ließ sie sich -- wahrscheinlich unbeabsichtigt -- zu einem kleinen Portamento hinreißen, das so sehr nach Puccini klang, dass es mich über Gebühr aus dem Lullygenuss herausgerissen und verärgert hat. An was man sich manchmal aufhängt ...

    Die Inszenierung war schön anzusehen, drohte aber, langweilig zu werden. Ein Glück, dass Lully -- auch wenn der Persée nicht seine gelungenste Oper ist -- dafür sorgt, dass auch eine träge inszenierte oder gar konzertante Aufführung zu einem spannenden Ereignis wird. Der dritte Akt, in dem Perseus gegen die Medusa kämpft, ist eigentlich ganz hübsch und humorvoll umgesetzt (vor allem, weil Medusa und ihre Schwestern von Männern dargestellt werden), allerdings wirkte das Ensemble hier ein bisschen angeschlagen, verhalten, sodass der Esprit nicht ganz auf den Zuschauerplätzen ankam.

    Es wurde brav und reichlich applaudiert, Begeisterungsstürme blieben aus. Trotz allem konnte ich mein Glück kaum fassen, eine (fast) komplette Lully-Oper live zu hören! Wann ich wohl mal wieder in den Genuss kommen werde?

  • Leute, Leute, Leute, die Saison ging mit einem gewaltigen Abwärtstrend zu Ende.

    Da war irgendwann im Mai oder Juni Dido & Aeneas in der Staatsoper in der auch auf DVD erfolgreich vermarkteten "Inszenierung" -- Choreographie sollte man sagen -- von Sascha Waltz, darüber habe ich ja schon gemeckert.

    Dann Il trionfo del tempo e del disinganno von Händel, sein frühes römisches Oratorium für die Opernbühne inszeniert (was man durchaus machen kann, aber nicht muss). Musikalisch ist das ja eines meiner Lieblingswerke. Es spielten die Musicien du Louvre, allerdings nicht wie angekündigt unter Marc Minkowsky, sondern unter einer Krankheitsvertretung.

    Darüber, dass die Sänger nicht ganz so geknallt haben, wie man sich das gewünscht hätte, hat das exzellente Orchester hinweggetröstet. Über weite Strecken vermochte es auch über die sinnentleerte Inszenierung hinwegtrösten.

    Die Inszenierung: Barock geht ja gar nicht, also muss man das Ganze -- notfalls mit Gewalt -- aktualisiseren. Deshalb spielt alles in einem schicken 60er-Jahre-Club, so cocktailbarmäßig, langer Tresen, Spiegel. Feine gelangweilte Pinkel gehen dort aus und ein. Während die allegorischen Figuren Schönheit, Vergnügen, Enttäuschung, Zeit etc. ihre notdürftig und sinnbefreit gestellten Rezitative und Arien singen, vollführt ein Heer von Statisten im Hintergrund irgendwelche rätselhaften Ersatzhandlungen und choreographierten Auf- und Abmärsche, die im Verlauf der Inszenierung teilweise auch "wörtlich" wiederholt werden. Wichtigste Regieanweisung an alle Beteiligten scheint gewesen zu sein: Möglichst gelangweilt und ohne Leidenschaft aufzutreten.

    Da das Vergnügen, das die Freuden des Lebens anpreist, genauso trist kostümiert ist und auftritt wie die Enttäuschung, ging das Bühnengeschehen in weitem Bogen um den Kern des Stückes herum und an eben jenem vorbei. Es war von vorn bis hinten eine extrem deprimierende, licht- und freudlose Angelegenheit, die mitnichten die Versuchungen des schönen Lebens illustrierte, sondern lediglich den Wunsch erweckte, dem Dumpfsinn zu entkommen.

    Als die Schönheit am Ende sich dann doch für Entsagung und das göttliche Heil entscheidet, da musste sich die arme Sängerin dann tatsächlich in ein Nonnenkostüm werfen - fast zwei Oratorienakte lang wurde alles getan, um jeglichen Inhalt tot zu aktualisiseren, und ausgerechnet an dieser Stelle wird man dann konkret? Ach, Leute! So zerfiel vollends, was die ganze Zeit schon keine Konsistenz hatte.

    Nun hatte ich mich an der Musik, vor allem am Orchester festgehalten und auf meinen Höhepunkt, die herrliche Schlussarie der Schönheit "Tu del ciel ministro eletto" gefreut. Doch hier entschied man sich mal wieder für die effektvolle Variante, indem man die Arie im Superpiano und in aller tempomäßigen Breite auszelebrierte, sodass ich mich auf meinem Sitz wand. So ging alles, was an dieser Arie schön ist, im Hollywood-Holy-Sound unter, und ich zog danach etwas beleidigt aus dem Saal.

  • Und gleich noch mal ich, denn damit war der Tiefpunkt nicht erreicht. Unser allerletzter Termin der Saison war Castor & Pollux, die herrliche Rameau-Oper, die wir in Paris bereits konzertant erlebt hatten. Jetzt in der Komischen Oper in Berlin in der Inszenierung von Barrie Kosky.

    Ihr kennt vielleicht die wachsende und sich stauende Aggression, wenn in eurer Nähe irgendwelche ungezogenen Opernbesucher sitzen, die die ganze Zeit labern, rascheln, Blödsinn machen und sich auch durch böse Blicke, Zeichen oder "Pssts" nicht davon abbringen lassen. Mich und meine Frau bringt so etwas jedenfalls enorm auf die Palme.

    Genau so ging es uns an diesem Abend. Allerdings waren es nicht die andere Opernbesucher, die uns nervten, sondern es war das Bühnengeschehen, das den Genuss der Oper penetrant störte.

    Erstaunt war ich vom Orchester, das unter Christian Curnyn mit großem Spaß den doch etwas ungewohnten Rameau anpackte und zum Glänzen brachte. Wenn ich an den unbeholfenen Platée denke, den das Orchester vom Nürnberger Staatstheater abgeliefert hat, war ich hier voll der Anerkennung.

    Leider konnten die Sänger nicht recht überzeugen. Die Frauen lieferten noch einen überzeugenderen, stellenweise auch ergreifenden Job ab, die Männer rumpelten sich aber größtenteils durch die Partitur. Der Chor hatte anfangs hörbar zu kämpfen, gegen später dann nur noch unhörbar, auch hier alle Achtung. Aus dem Ganzen hätte ein erquicklicher Opernabend werden können, wenn nicht Barrie Kosky.

    Das Stück spielte in einem großen Holzkasten - living in a box, wie tiefsinnig! Außer manchmal ein paar Erdhäufen war es das dann auch schon mit Bühnenbild. Im Programmheft äußert sich Barrie, als er im Interview auf die Opulenz französischer Barockopern angesprochen wird: "Wir sind ganz bewusst in die entgegengesetzte Richtung gegangen [...]. Auf diese Weise bekommt die einzigartige Zartheit von Rameaus Musik Raum zum Atmen. Das emotionale Drama gelangt in den Vordergrund, weil sich die Aufführung hinter nichts verstecken kann."

    Das sieht bei Kosky dann so aus: Nachdem Castor und Pollux als Sterne ans Firmament entrückt wurden, bleibt Telaire allein zurück, singt ein kurzes Preislied auf die beiden (aus der ersten Fassung übernommen). Die einzigartige Musik Rameaus schmettert hier mit Trompeten, die Sängerin auf der Bühne aber windet sich in übersteigerter Trauer und Verzweiflung. Klar, wie man das eben so macht, wenn man ein Preislied singt. Danach setzt das Schlussdivertissement mit einem wirklich zarten, leise reflektierenden Balletsatz ein. Ohne sich um irgendwelche musikalischen Impulse zu kümmern, rennt Telaire von einer Bühnenseite auf die andere und kracht jedesmal laut und schmerzhaft gegen die Holzwand. Dabei heult, keucht und schreit sie laut. Und ich sitze da und will die ganze Zeit "Schnauze da unten!" rufen.

    Dieses Prinzip hält Kosky mehr oder weniger explizit die ganze Oper durch. Die Bewegungen auf der Bühne laufen dem Gestus der Musik fast ständig entgegen. Wenn am Ende des ersten Aktes Lynceus (der in der Oper eigentlich gar nicht auftaucht) den Castor tötet, muss das minutenlang auf der Bühne dargestellt werden. Da raufen sich dann zwei Typen auf der Bühne wie Kinder auf dem Schulhof. Und immer möglichst laut. Keine Ahnung, was daran dramatisch sein soll. Für mich waren das Fremdschämmomente, weil das einfach nur nach Kindergarten aussieht. Und auch hier wie fast immer: Scheiß drauf, was in der Musik gerade passiert. Wenn es da sanft, aber heiter beschwingt zugeht, dann kann uns das doch nicht davon abhalten, uns zum Affen zu machen und uns auf der Bühne zu balgen. Und wieder möchte man einschreiten und rufen: "He, ihr Idioten, hört ihr denn nicht, dass hier gerade ein Orchester spielt?"

    Es war ein Trauerspiel, eine Hinrichtung der "einzigartigen Zartheit von Rameaus Musik". Und wie dumm! Diese blödsinnige Argumentation bringt mich auf die Palme, denn mit Perücken und barocker Gestik hätte man der Musik und dem Drama letztlich viel weniger Gewalt angetan*.

    *motz*

    Und dann: 30% der Ballettmusiken haben sie gestrichen. Die restlichen 70% haben sie zweimal dafür genutzt, um den Chor einen albernen Feitztanz vollführen zu lassen. Und ansonsten: Rumrennen, schreien, stöhnen, sich wälzen, immer und immer wieder. Das ist nicht nur schlecht und ärgerlich, sondern auch billig, und ich finde, wer keinen Bock auf Ballet hat oder es sich nicht leisten kann, der soll eben auch keine Opern machen, bei denen Ballet ein konstitutiver Bestandteil ist.

    Die ganze Inszenierung schrie vor Ignoranz und mangelnder Wertschätzung, und ich glaube, der Kunst wäre mehr gedient gewesen, wenn Kosky sich mit Rameaus einzigartig zarter Partitur den Hint... Ihr wisst schon. Und das in dem Haus, in dem Felsenstein sein Musiktheater etabliert hat! Das ist schon traurig.

    Zum ersten Mal hat mich ein Opernbesuch richtig erbost und noch tagelang in Wutwallungen versetzt. Und jetzt noch denke ich: Jemand muss dem die Oper wegnehmen, der darf die doch nicht behalten, das Sozialamt muss eingeschaltet werden!


    *Ich muss hierzu anmerken, dass ich kein Fanboy von historisch korrekten, d.h. rekonstruierten Inszenierungen bin. Von mir aus darf man so modern und aktuell inszenieren, wie man lustig ist. Die beiden Platées in Nürnberg und Paris waren sehr gelungene Aktualisierungen.

    • Offizieller Beitrag

    Und gleich noch mal ich, denn damit war der Tiefpunkt nicht erreicht.


    Tragisch. Ich denke aber, das werden die Carlsruher Händelfestspiele im nächsten Jahr zumindest zum Teil wieder wettmachen:

    Zitat

    Wer am historisierenden Radamisto seine Freude hatte, wird sich auf Riccardo Primo besonders freuen: In Frankreich hat der Regisseur Benjamin Lazar mit barocken Inszenierungen bei Kerzenlicht Aufsehen erregt – nun inszeniert er zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum. Er und sein Team werden eine sowohl des Bewunderns wie des Bedenkens werte Barockwelt erschaffen. Die Titelrolle gestaltet der Altist Franco Fagioli, der Lieblingscounter der Karlsruher Barockfans. Und mit Michael Hofstetter kommt der Dirigent der Deutschen Händel- Solisten ans Pult, ...

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    *hüpf*

    • Offizieller Beitrag

    Naja, Oper war es nicht gerade, aber ein separater Thread für Schauspiel würde sich wohl derzeit nicht gerade lohnen, daher:

    Am Samstag Abend war ich das erst Mal zu Gast bei den Nibelungenfestspielen in Worms, die mich schon reizen, seit mir davon der Wind unter der Nase wehte; die Nibelungensage haben wir damals dank unseres herausragenden Deutschlehrers atomisiert und bis ins letzte Detail durchkaut - und er hatte das faszinierend herübergebracht, Interesse geweckt und die Sage quasi ins Hirn der Schüler gebrannt.

    Das Wetter war optimal, die Vorstellung ist eine Freiluftaufführung, welche eine Dom-Seite als Kulisse verwendet, davor wird für die Zuschauermassen eine Tribüne aufgebaut. Sicht und Akustik waren hervorragend, ein Opernglas für Detailerkundung aber von Reihe 37 aus doch notwendig. In diesem Jahr spielte das Stück (als Fortsetzung vom letzten Jahr wohl) nach Siegfrieds Tod, der kurz retrospektiv nochmals gezeigt wurde. Zur Hilfe gelangte ein großer LCD-Schirm, der sich nach getaner Arbeit wieder chamöleonhaft an das Mauerwerk des Domes anpasste. Die eingeworfenen Video-Installationen fand ich recht gut gelungen, sie zeigten z.T. (vorher aufgezeichnete) Geschehnisse, die "hinter den Türen", durch welche die Schauspieler ab und an verschwanden, stattfanden, andererseits eben auch erklärende Szenen, die andernorts stattgefunden hatten.

    Der Plot von Dieter Wedel "Hebbels Nibelungen - born this way" war durchwachsen: zwischen poetischem Vortrag und befremdlichem Regietheaterzubehör war quasi alles vorhanden - insofern eine "gesunde Mischung". Die Schauspieler - mitunter Susanne Uhlen - boten ihre Rollen überzeugend und teils wirklich großartig dar. Störend empfand ich die Assoziationen mit dem 2. Weltkrieg; wirklich überflüssig, daß Panzergarden und Schießereien auf dem Videoportal eingespielt wurden, aber manche können's eben einfach nicht lassen. Daß der 2. WK furchtbar war und auch vergleichbare historische Pendants hatte... das weiß ich seit der 5. Klasse und es reicht mir allmählich...

    Die Organisation war allerdings leider stark verbesserungsfähig: die mit der Stoppuhr anberaumten 30 Minuten Aktpause gingen zu einem Drittel dafür drauf, die Tribüne verlassen zu können, ein weiteres Drittel, um an den (wohl sehr heimisch hergerichteten) Pinkelstellen anzustehen; für einen entspannten Zwischenaktdrink war dann weder Zeit noch Lust, denn nach der Entleerung mußte stante pede der Sitzplatz wieder angesteuert werden, was nochmals 10 Minuten Zeit kostete...

    Dafür konnten die verschiedenen im Park aufgebauten Angebote in Zelten mit Kronbeleuchterung nach der Vorstellung aufgesucht werden - die Preise waren okay, die Bedieungen sehr freundlich, das Angebot reichlich. Was allerdings so mancher Publikumsteil als "festliche Kleidung" (um die explizit gebeten wurde) verstanden, hat sich mir auch nicht erschlossen: zu welchem Fest zieht man ein rosa-hellblau-geringeltes Polo-Shirt an?

    Insgesamt eigentlich ein gelungener Abend, wenn auch die Story an manchen Stellen nicht so ganz durchschaubar gewesen ist. Die Hunnencombo redete übrigens passagenweise Ungarisch (ohne Unter- / Übertitel).

    Mit knapp 60 €iern ein recht kosteninstensives unterfangen - mal schauen, vielleicht war es nicht mein letzter Besuch dort; Worms selbst ist auf jedenfall immer einen Ausflug wert. :)

    More Information

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Theater Erfurt; 1.11. 2014: Die Entführung aus dem Serail

    http://www.theater-erfurt.de/frontend/index…l&pi=641&mid=22

    Gestern gleich noch ein zweites Mal! Die TLZ schrieb zur Premiere vor einer Woche:

    http://www.tlz.de/startseite/det…reit-1090208007

    Ich möchte beinahe alles unterschreiben! Insgesamt auf jeden Fall ein Mozart, der sich hören und sehen lassen kann; ich rege mich über Inszenierungsalbernheiten schon lange nicht mehr auf und freue mich blanker Busen wie nur je ein Mann. Wenn es mir zu viel würde, machte ich die Augen zu und genösse die Musik allein. Die neue junge Dirigentin Joana Mallwitz genießt schon jetzt die volle Gunst des Erfurter Publikums und bietet gut sichtbar durchaus eine One-Woman-Show im Orchestergraben. Ihre Gestik gemahnt an einen maskulinen Carlos Kleiber, nicht ganz so elegant, dafür energischer und irgendwie physischer. Ästhetik pur, gepaart mit angemessener dynamischer Mozartauffassung. Serail (trotz dramaturgischer Längen im 2. Akt) und Figaro sind schlicht die besten Opern Mozarts, dagegen stinken selbst Zauberflöte und erst recht Don Giovani ab. Nicht ein unschöner Ton, Millionen wunderschöne Töne unterhalb der Stimmen (auch vor und nach und zwischen ihnen); ein einziges Feuerwerk musikalischer Einfälle. Doch manchmal überrasche ich mich - ganz moderner Hörer - dass ich mich nach Dissonanzen sehne, dass nicht alles so schön sei, sondern ein Kontrast sich böte. Natürlich sehne mich während Salome und Elektra dann immer wieder nach Mozart ...