Zwey obligate Augengläser: neulich in der Oper...

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    Hallo,

    dieser Thread soll fungieren als Anlauf- und Sammelstelle für diverse Opern-Berichte in loser Form, die nicht anderen Threads zugehörig sind oder schlichtweg keinen eigenen Thread erforderlich machen.

    *sante*

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    Badisches Staatstheater, Großes Haus: Hector Berlioz (1803-1869) - Les Troyens I und II, Grand opéra in 5 Akten

    Der Stoff, der dem Berliozschen Wunderwerk zu Grunde liegt, ist mir von Primanerbeinen an sehr vertraut: hatte doch mein damaliger (und bis heute) hoch verehrter Deutschlehrer die Iliade und Äneis mit Löffeln gegessen und uns Spatzen wie eine Vogelmutter ihren Frischgeschlüpften den Wurm eingeschnabelt, wozu er keine Gelegenheit ausließ. Zudem erwähnte er seine Gattin stets unter dem Pseudonym Hera, womit er sich selbst mittelbar zum Göttervater, der er tatsächlich auch war, erhob - was uns damals allerdings nicht so bewußt war.

    Insofern besuchte ich die Opernvorstellung selbstsicher und völlig unvorbereitet und vertraute auf mein mir eingetrichtertes humanistisches Grundwissen und ließ mich von der göttlichen Musik überraschen und einlullen. Das Werk wird in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln vorgelegt. Das Badische Staatstheater bot (und bietet) die Oper in zwei Versionen an: Teil I und Teil II an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (getrennt) oder en bloc, was etwa 5 Stunden Aufnahmefähigkeit erfordert: ich entschied mich für die volle Ladung und das war auch gut so. Eine etwa fünfzigminütige Pause nach Teil I (Act 1 und 2) und eine zwanzigminütige Pause im Teil II (nach Act 4) waren zum Beinevertreten sehr erforderlich; die gesamte Darbietung war indes sehr spannend und kurzweilig und die Pausen eher störend, rissen sie mich doch aus dem angenehmen Wohlfühl- und Mitleidensgefühl. Ich muß sagen, daß ich mich noch nie im Badischen Staatstheater dermaßen wohl gefühlt habe.

    Sebastian Kohlhepp war erkrankt und seine Rolle als Hylas wurde perfekt von Yosep Kang, der die Rolle durch seine Arbeit an der Deutschen Oper Berlin parat hatte, ersetzt. Mir fehlt natürlich jeglicher Vergleich zum vorgesehenen Kohlhepp, aber davon abgesehen fand ich die Rolle stimmlich mit Yosep Kang fantastisch besetzt: ein Highlight des Abends. Besonders hervorzuheben ist allerdings Didone, die von der Amerikanerin Heidi Melton verkörpert wurde. Die Rolle war für ihre Stimme und Statur wie gemacht, ihre Stimme ist vom ersten Ton an fesselnd, überzeugend und einfach nur traumhaft. Wir dürfen uns glücklich und sehr geehrt schätzen, daß uns Frau Melton durch diese Opernsaison in Karlsruhe begleiten wird. Énée (John Treleaven) trat trotz kurzfristiger Unpässlichkeit an diesem Abend auf, zeigte sich sicher aber nicht wirklich solide und auch wenig überzeugend. Für ein Unterfangen dieser Größenordnung mit 30 Solisten waren die Ausfälle resp. Ersatzbesetzungen doch erstaunlich übersichtlich...

    Einen sehr plastischen Eindruck von der Uraufführungssituation der Trojaner als Gesamtwerk (die Teile I und II wurden bereits zuvor häufiger getrennt aufgeführt) in Karlsruhe (1890 durch Felix Mottl, der auch für die Uraufführung von Schuberts Fierrabras 1897 verantwortlich zeichnete) vermittelte der häufig im gesamten Theater verteilte Chor, so daß man sich oftmals mittem im Geschehen zu sein glaubte. Die Uraufführungsberichte erzählen von bis zu 500 Acteuren auf der Bühne... ganz so groß war das Ensemble am Abend des 29.X.2011 allerdings nicht, doch mit Sicherheit - für hiesige Verhältnisse - einfach nur unglaublich gigantisch. Die Inszenierung war nicht der große Reisser, aber doch ordentlich durchdacht und auch nicht langweilig, dazu plastisch und (be)greifbar; das obligatorische trojanische Pferd, welches als Wahrzeichen des Badischen Staatstheaters seit eh und je den Zugang "ziert", war in schwarzes Plastik verpackt und somit zugleich Assoziation zur gasgefüllten und pechschwarzen Riesenmade, die quer durch das Auditorium zur Bühne schwebte, um dort als Synonym für das trojanische Pferd ihren Dienst zu tun. Der Sinn diverser beweglicher weißer Würfel hat sich mir allerdings nicht so recht erschlossen. Auch wurde leider die vorhandene hervorragende Bühnenmechanik imo zu wenig ausgekostet, aber letztlich war dies wegen der Vielzahl an menschlichen Bewegungen auf der Bühne auch gar nicht notwendig. Besonders gefallen hat mir die großformatige Videoprojektion der zu Beginn des dritten Aktes von einem rückwärtigen Balkon aus singenden Didone nebst Gefolge auf die Bühne - ein grandioser Effekt, der mich an so manch ältere Staatsbesuchsberichte aus der Frühzeit des Fernsehens erinnerte. Währenddessen war der Chor vor dem Orchester aufgereiht, so daß diese Massenscene eine überwältigende und wirklichkeitsnahe Wirkung entfaltete.

    Die Badische Staatskapelle präsentierte sich in gesundem Allgemeinzustand - anfänglich haperte es (wie meistens) beim akkuraten Zusammenspiel, es wirkte etwas unkonzentriert, oftmals wurden schöne Stimmen der Solisten und Solistinnen, die ich nicht gerade als schwach bezeichnen würde (e.g. Karine Ohanyan als Anna), einfach zugedeckt.

    In jedem Falle kann ich abschließend sagen, daß mich diese Darbietung sehr begeistert und mir Berlioz Werk doch ziemlich ans Herz gelegt hat. Ich kann den Abend für mich mit folgender Feststellung beschließen:

    Ick bin ein Trojaner ^^

    :wink:

  • Von Zeit zu Zeit gibt es mal schöne Neuerungen: Dass alle Mainzer Studenten seit diesem Semester alle Vorstellungen des Mainzer Staatstheaters (mit Ausnahme von Premieren) kostenlos besuchen können gehört jedenfalls dazu.

    Von dieser Gelegenheit habe ich heute Abend gebrauch gemacht: Nicht nur, um mir Mozarts Oper Idomeneo, ré di Creta das erste Mal live anzuhören, sondern um sie überhaupt das erste Mal in Gänze zu hören. Dies wollte ich spätestens seit ich Ullis Bemerkung "ich halte Idomeneo für eine von Mozarts besten Opern" im Sinn hatte; was nun schon etwa zwei Jahre der Fall ist.

    Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen und Angeregtheit. Beides wurde aber nicht in dem Maße erfüllt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Natürlich: Dies ist Kritik auf sehr hohem Niveau, aber auf dieser hohen, generellen Wertschätzungsebene gilt: Dass die Gattung der "Opera seria" bei mir einen eher schweren Stand hat, war mir klar. Aber, dass auch Mozart mit seiner wunderbaren Musik daran scheinbar nichts zu ändern vermag hat mich doch etwas enttäuscht (wieweit Ideomeneo eine echte Opera seria ist kann hier dahingestellt bleiben). Dabei kann ich nach nur einer live-Aufführung natürlich nicht restlos beurteilen, in welchen Teilen mein Eindruck von der Oper selbst und zu welchem Anteil er aus der Inszenierung herrührt.

    Sicherlich: Die Inszenierung war modern, eher verwirrend und inkonsistent und auch eine dauerhafte, leichte Verstimmtheit im Orchester (kein unsauberes Spiel, sondern unterschiedlich gestimmte Instrumente) hat dem ganzen etwas Abbruch getan - aber auch das ist eher Kritik auf hohem Niveau: Allgemein war spielerisch, sängerisch und technisch nichts übermäßiges zu beanstanden (aber eben auch nicht hervorzuheben - außer der Tatsache, dass ein echtes Hammerklavier in den Rezitativen zum EInsatz kam und auch die Pauken sehr HIP klangen). Leider war von der Balettmusik, wie heute fast schon üblich, nichts zu sehen, respektive zu hören.

    Aber dieses gehobene Mittelmaß empfand ich eben auch in Bezug auf Mozarts Musik: Anrührend schön bis heftig, aber kaum je wirklich ergreifend. Hier bilden einige kurze Stellen die Ausnahme. Vielleicht komme ich zu diesem Eindruck, weil ich die Musik zu abgelöst von Handlung und Schauspiel betrachtet habe, aber auch mit diesen beiden Faktoren zusammen entsteht eine Einheit, die nichts bildet wobei mir wirklich warm ums Herz wird: Griechise Sagenwelt? Wunderbar, aber der kurze Ausschnitt, den so eine Oper wiedergibt wirkt dann doch eher überkommen und steif. Dazu passend der Opera seria Stil? Vielleicht genial auskomponiert und erweitert, aber dennoch Opera seria: Eine Handlungsfolge und Musikfolge, die ein bischen nach willkürlicher, "zufälliger" Aneinanderreihung verschiedenster Ideen wirkt (nun, welche Komposition wäre dieses nicht? - aber ich nehme an es ist verständlich, was ich hier meine). Im Ürigen hab ich an diversen Stellen auffallend viele Motive aus anderern Werken Mozarst wiedererkannt.

    Nun: Vielleicht kritisiere ich hier mehr die Opera seria, als Mozarts konkrete Arbeit mit "Idomeneo" - aber vielleicht frage ich mich dann, warum Mozart diese Form (zumindest 1780) noch gewählt hat.

    Vielleicht kritisiere ich auch zu sehr nach dem mäßigen Eindruck einer durchschnittlichen Aufführung. Aber dennoch: Rein musikalisch gesehen kann Idomeneo den drei "da Ponte" Opern nicht das Wasser reichen. Und für mich ist trotz allem das Musikalische das Wichtigste in einer Oper (auch wenn ich nicht verkennen möchte, dass man eine konkrete Oper vielleicht sehr anders empfinden und sehen kann, wenn man sie stärker als Gesamtwerk ansieht). Es bekräftigt sich also einmal mehr: Musikalisch gesehen ist und bleibt Le nozze di Figaro Mozarts schönste Oper...

    :wink:

    "erhaben, schön, alles was sie wollen – allein – zu übertrieben schwülstig für meine feinen ohren"
    W. A. Mozart (28.12.1782)

  • Gerade zurück aus dem Tancredi an der DOB in der Regie von Pier Luigi Pizzi und unter der musikalischen Leitung von Alberto Zedda...

    Genauer Bericht folgt morgen, hier die spontane Reaktion: *hmmm* :wacko:

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."
    Max Bruch (1838-1920)

  • So, also hier ein bisschen ausführlicher - Dank an Ulli für's Verschieben!

    Ich bin ein großer Rossini- und Alberto Zedda-Fan, deshalb war der Besuch einer dieser Aufführungen für mich quasi Pflicht. Wir Berliner haben halt das große Glück, dass Zedda hier eine Art Säulenheiliger ist und vom Publikum und auch von den Orchestermusikern merklich verehrt wird. Der Herr ist mittlerweile 82 Jahre alt, aber ungebrochen energetisch, beim Dirigieren eine absolut großartige Mischung aus Inspiration und großer Ruhe, und stachelt das Orchester zu rein klanglichen und emotionalen Höchstleistungen an. Auch eine - selbst für einen kompromisslosen Rossini-Fan wie mich - dramaturgisch und musikalisch nicht 100%ig überzeugende Partitur wie der Tancredi wird in seinen Händen quasi zu einem großen Ereignis. Leider war Zedda der einzige, der die hohen Erwartungen erfüllte bzw. übertraf.
    Die Inszenierung - hmmmmmm... Ich weiß dass Pier Luigi Pizzi ein viel gefragter und wirklich berühmter Mann ist, aber ich konnte mit der Inszenierung nichts anfangen. Das liegt nicht daran, dass ich etwas gegen traditionelle Inszenierungen hätte - im Gegenteil - nur leider verkam das ganze in absolut theatralischen und mitunter unfreiwillig komischen Pauschal-Gesten, die einem schließlich irgendwann auf die Nerven gingen. Es gab leider überhaupt keinen Spannungsbogen und das ständige Schwerter-Präsentieren, sich-erschreckt-an-den-Kopf-fassen und die-Hände-zum-Himmel-erheben hat leider hauptsächlich für Heiterkeit gesorgt. :wacko: Dasselbe gilt leider für das Bühnenbild - schöne Säulen, nur leider immer wieder die gleichen, mal links, dann rechts, Amenaides Gefängnis im zweiten Akt waren Baukasten-Stäbe, die um ihr Sofa rum positioniert wurden... also ehrlich, Ikea lässt grüßen... Das hat Rossini wahrlich nicht verdient!!
    Sängerisch war es, leider, auch nur bedingt besser. Tancredi, Hadar Hálevy, die ich nach ihren letzten Auftritten an der DOB vor ein paar Jahren als eine der derzeit besten Contralti empfunden habe, hat leider einen derartigen Wobble entwickelt, dass von musikalischen Linien und schönen Cantilenen immer nur etwas zu erahnen ist - das großartige dunkle Material mit der profunden Tiefe und der großen Höhe ist leider fast vollkommen unkenntlich geworden, als Darstellerin hat sie das Nötigste getan (was in dieser Inszenierung nicht viel ist), und berührt hat sie mich genau ein Mal: in der Sterbeszene, die sie völlig zurückgenommen und mezza voce sang und dabei wirklich das erste Mal expressiven Gesang zeigte. Patrizia Ciofi ist eine sympathische und höchst attraktive Bühnenerscheinung und eine überzeugende Schauspielerin, die mit ihrer zierlichen Gestalt und ihrem mädchenhaften Auftreten eine glaubhafte Amenaide abgab, wirkte stimmlich müde und angestrengt, sang aber dennoch sauber und klar, was das Publikum zu Beifallsstürmen hinriss. Leider habe ich auch sie ganz anders erlebt und war besorgt und erschüttert über die Abnutzungserscheinungen, die ihre Stimme zeigt - hoffen wir, dass es eine vorürbergehende Indisposition war!!!!!!!!
    Alexey Dolgov sang mit schönem Tenor einen überzeugenden Argirio, der musikalische Linien zu formen verstand und den zwischen Tochterliebe und Staatspflicht hin- und hergerissenen Vater glaubhaft machen konnte. Leider wurde, unverständlicherweise, seine große Arie im zweiten Akt gestrichen, was wohl aus Zeitgründen geschah, aber dennoch bedauerlich war. Krzysztof Szumanski machte das Beste aus der wirklich undakbaren Partie des Orbazzano. Heidi Stober überzeugte mit hellem Sopran und natürlicher Bühnenpräsenz als Tancredis Freund Ruggiero und reüssierte in ihrer Mini-Arie beträchtlich.
    Die Entdeckung des Abends, und vom Publikum gleichwertig mit Ciofi und mehr als Hálevy gefeiert, war Clémentine Margaine in der Rolle der Isaura, Amenaides Freundin. Mit ihrer dunklen, edel gefärbten Stimme, ihrer soliden Technik und ihrem Sinn für Dramatik war sie eigentlich in dieser Partie überbesetzt, zum Glück hat Rossini Isaura mit einer zweiteiligen Arie bedacht, die von Margaine überragend interpretiert wurde und mit einem der herzlichsten Szenenapplause des Abends bedacht wurde. Sie gehört zum Glück aller Berliner zum Ensemble der DOB und wird sicherlich noch für einiges Aufsehen sorgen, hoffentlich auch bald in größeren Partien!!
    Alles in allem also ein leider etwas enttäuschender Opernabend, mit vereinzelten Sternstunden, vor allem von Zedda und Clémentine Margaine.

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."
    Max Bruch (1838-1920)

  • Am 4.3.2012 besuchte ich in Erfurt eine Vorstellung des Freischütz, inszeniert durch den bekannten Schauspieler und Sänger Dominique Horwitz, der gerade erst in der Musical-Version "The Black Rider" mitwirkte. Genaugenommen hätte man in den Spielplan schreiben müssen "Freischütz, frei nach Weber", denn die Oper wird nicht nur auf gut 1 1/2 Stunden gekürzt, sondern es werden die Musikstücke verhackstückt und kreuz und quer umgestellt. Die Wolfsschlucht-Szene wird gar mit einem Samba-Rythmus unterlegt. Die Oper beginnt z.B. mit einem Potpourri der bekanntesten "Hits", die Ouvertüre kommt gekürzt danach. Die zugrunde liegende Inszenierungsidee ist, die Oper aus dämonischer Sicht, also quasi der von Samiel und seinen Gesellen, zu erzählen. Dabei wird die Bühne abstrakt mit sich auftürmenden grau-schwarzen Stufenelementen versehen und die Figuren in dunkler Kleidung mit aufgepflanzten geschwulstartiken Pappmaché oder Kunststoffschaum-Wulsten gezeichnet. Einzig Max und Agathe sind in ihrer Originalkleidung. Ein lebender Geier, der während der ganzen Vorstellung oben auf der Bühne sitzt, sorgt mit dem ein oder anderen Kacker für Kichern im Publikum. Die Oper hat auch kein Happy-End (aus Sicht Samiels schon...), Max und Agathe werden selbst zu Dämonen, sprich: sie bekommen ebenfalls das merkwürdige Outfit der Dämonen verpasst, nachdem die Teufelskugel hier doch ihr vorgesehenes Ziel trifft.
    Zuerst dachte ich, das könnte ein interessantes Regiekonzept sein, aber dann war ich doch zunehmens genervt. Dabei war die musikalische Qualität, trotz der erlebten B-Besetzung recht gut. Wenn es ein "normaler" Freischütz gewesen wäre, wäre ich sicher sehr zufrieden gewesen.
    Ich hoffe, dass diese Zerstörung und Umstrukturierung einer Oper eine Ausnahme ist und sich das nicht -wie es ja im Schauspiel längst der Fall ist- auch hier einbürgert. Frank Castorf musste sich vertraglich binden, dass er nächstes Jahr in Bayreuth den Ring an Länge und Struktur nicht antastet.

    • Offizieller Beitrag

    sondern es werden die Musikstücke verhackstückt und kreuz und quer umgestellt.


    Naja, dies hat bereits Ingmar Bergman mit Mozarts Zauberflöte gemacht - allerdings nicht so krass, aber immerhin. Die Idee ist somit nicht neu.

    Genaugenommen hätte man in den Spielplan schreiben müssen "Freischütz, frei nach Weber",


    Das trifft ja nun auf viele "Konzepte" zu; einige davon mögen gelungen sein, die Vielzahl eher nicht. Es wäre aber vermutlich heute einfacher und kostensparender, nur die "historisch korrekt" inszenierten und gespielten Opern zu kennzeichnen (so hätte man auch als potentieller Opernkunde schneller den Überblick).

    Die Wolfsschlucht-Szene wird gar mit einem Samba-Rythmus unterlegt.


    Sowas geht ja mal garnicht. Crossover mag ich zwar durchaus, aber bei einem Opernabend muß das nicht unbedingt sein, schon gar nicht bei der Hauptszene... kann aber durchaus auch mal gutgehen.

    :wink:

  • Am 10.3.2012 war die Premiere von "Parsifal" in dem kleinen aber feinen Landestheater (650 Plätze)in Detmold. Da ich schon den Ring sehr beachtlich fand (im Mai-Zyklus gibt es sogar noch viele nicht verkaufte Plätze!!!), fuhr ich hin und habe es nicht bereut. Der GMD Erich Wächter war leider erkrankt und wurde von Uwe Sandner, GMD im Pfalztheater Kaiserslautern mehr als nur vertreten. Ich hatte ihn als hervorragenden Wagner-Dirigenten vor zehn Jahren in Karlsruhe erlebt. Hier hat er ein tolles spannungsreiches aber auch würdevolles Dirigat geliefert, so dass man gerne über die Schwächen bei den Streichern hinweggehört hat. Die Sänger waren fast alle aus dem eigenen Ensemble. Der echte Heldentenor Johannes Harten und die Wagner-erprobte Sopranistin Brigitte Bauma waren schon als Siegmund und Sieglinde wunderbar, hier haben sie an den Erfolg anknüpfen können. Auch Christoph Stephinger als Gurnemanz, James Tolksdorf als Klingsor und Andreas Jören als Amfortas überzeugten absolut. Die Inszenierung von Kai Metzger kommt allerdings nicht ganz an den tollen Ring heran. Zwar ist die Idee, die Gralsgemeinschaft als Ordensgemeinschaft katholischer Priester zu zeigen, eine klare und nicht schlechte Lösung (die besonders meiner Tochter, die das Werk nicht kannte, zugute kam), aber letztendlich zu einfach. Im weißen Einheitsbühnenbild von Petra Mollerus wird zunächst die bekannte Handlung sehr werksnah erzählt. Während der Verwandlungsmusik ändert sich nichts, im oberen rechten Eck der Bühne sieht man Szenen von Adam und Eva, Jesus am Kreuz u. a. vorbeiziehen. Während der Gralszeromonie trinken die Priester Blut aus dem Gral und malen sich mit diesem ein Kreuz auf die Brust, gewappnet für die Glaubenskriege... Der zweite Akt, immer noch im selben Bühnenraum hat nun eine weiße Palme in der Mitte stehen und ein paar dünne bunte Tücher vor den Ausgängen hängen. Die Blumenmädchen ganz in schwarzer Reizwäsche werden vom abtrünnigen Priester Klingsor, der seine Robe lüftet, um sein fehlendes Geschlechtsteil zu präsentieren, für ihre Aufgabe mit dem Speer geweiht. Am Ende kippt die Palme und die Tücher verschwinden. Dieser eher provinziell anmutende zweite Akt wird durch die inbrünstigen und atemberaubenden Sänger gerettet. Gänsehaut! Im dritten Akt zelebrieren die Priester ein ordentliches Abendmal, wobei die inzwischen getauften Blumenmädchen mit teilnehmen dürfen. Insgesamt war ich doch sehr angetan, denn das engagierte Spiel und das passionierte Singen, überwiegt alle kleineren Schwächen, auch in der Inszenierung. Man darf nicht vergessen, man ist in der Provinz. Mich begeistern solche Vorstellungen oftmals mehr als spektakulär besetzte und routinierte Vorstellungen an großen Häusern.

  • Zuhause höre ich zur Zeit fast nur noch Pop-Musik, muss ich gestehen... Aber dafür sehe ich oft Opern "live", wovon ich hier und da gerne berichte, als reiner Laie natürlich.
    Dieses Jahr wird für mich ein richtiges "Parsifal -Jahr". Nach Detmold sah ich am Samstag wieder das "Bühnenweihfestspiel", und zwar diesmal in Leipzig. Es handelte sich um eine Repertoire-Vorstellung einer Produktion aus dem Jahre 2006 von Roland Aeschlimann inszeniert und -was sein eigentliches Metier ist- auch ausgestattet. Dem entsprechend bzw. unangemessen war die Vorstellung nicht gut besucht (was aber zur Zeit ein allgemeines Problem in diesem Opernhaus sein soll). Denn die musikalische Qualität und auch die Inszenierung (Co-Produktion mit Nizza und Genf) war richtig gut. Im ersten Akt ist die Personenführung in dem abstrakten Bühnenraum noch sehr statisch und das Dirigat von Ulf Schirmer sehr gedehnt, so dass der Funke bei mir nicht recht überspringen wollte (da war es in Detmold anders...). Es stimmte auch nicht immer die Intonation und es gab Schwächen beim Blech, aber das konnte man auf die offenbar wenigeren Proben der Wiederaufnahme zurückführen (bei der letzten Vorstellung des Rosenkavalier kurz zuvor war davon keine Spur). Eine blau angestrahlte durchsichtige Gaze-Wand schafft zudem eine Distanz zwischen Bühnengeschehen und Zuschauer. Aber schon jetzt überzeugten die Sänger, allen voran Tuomas Pursio mit makellosen ausdrucksstarken Bariton -selten so gut gehört. Auch Gurnemanz immerhin die längste Rolle des Werkes, ist mit James Moellenhoff luxuriös besetzt. Im zweiten Akt dominiert ein großer bunter Kaleidoskop-artiger Kreis den Bereich oberhalb der Bühne. Die nun aufspielenden Blumenmädchen habe ich nie zuvor so klar und schön singen gehört. Nun gefiel mir auch das Dirigat besser, weil nun auch die Spannung stimmte. Dazu kommt, dass der Klang in der 11. Reihe Mitte einfach besser und ausgewogener ist, als in der 5. Reihe am Rand, wo ich zuerst saß. Kundry Lioba Braun und Parsifal Stefan Vinke boten makellosen Gesang in einer perfekten und professionellen Leistung. Klingsor Jürgen Kurth war sehr passabel, aber nicht mehr. Im dritten Akt schaut man auf eine große Anzahl von Figuren, die von Laken verhüllt sind. Gralsritter?, fragte man sich. Die Aufklärung kommt während des Karfreitagszaubers: es handelt sich um ca. 30 Buddha-Statuen. Zum Schluß findet die Versöhnung von Amfortas und Kundry statt. Während der Schlußklänge sind nur noch die beiden in der Mitte der Bühne zu sehen.
    Ich fand, dass die musikalische Qualität, die der momentanen Bayreuther Aufführung (zumindest der letzten Jahre) übertrifft. Mitreißender war jedoch letztendlich die Detmolder Aufführung, was natürlich an der Spannung des Premierenabends lag. Ich will beide Aufführungen nicht missen. Wenn ich mich für eine der beiden Aufführungen am 6.4. entscheiden müßte, würde ich aber wohl doch die in Leipzig wählen.
    Als nächstes kommt in Kassel der Parsifal. Ich bin gespannt, was die Regisseurin Helen Malkowsky daraus macht.

  • Ich fand, dass die musikalische Qualität, die der momentanen Bayreuther Aufführung (zumindest der letzten Jahre) übertrifft. Mitreißender war jedoch letztendlich die Detmolder Aufführung, was natürlich an der Spannung des Premierenabends lag. Ich will beide Aufführungen nicht missen. Wenn ich mich für eine der beiden Aufführungen am 6.4. entscheiden müßte, würde ich aber wohl doch die in Leipzig wählen.
    Als nächstes kommt in Kassel der Parsifal. Ich bin gespannt, was die Regisseurin Helen Malkowsky daraus macht.


    Mein lieber "Siegmund",

    Danke für Deine beiden PARSIFAL-Berichte aus Detmold und Leipzig.
    Ich hoffe, ich schaffe es zu Dir nach Kassel, zum PARSIFAL.
    In jdem Fall werde ich dieses Jahr die Bayreuther Aufführung des Norwegischen Regisseurs sehen (Name vergessen).
    Siehst Du den PARSIFAL mit Deiner Tochter am selben Datum wie ich....oder sehen wir nur den LOHENGRIN zusammen ?

    Es grüßt..........Arnulfus

  • Lieber "Arnulfus",

    ich würde mich freuen, wenn Du es nach Kassel schaffen würdest. Mal abgesehen von der problematischen Besetzung des Gurnemanz mit Mario Klein, der offensichtlich eine Stimmkrise hat, verspricht es musikalisch schon mal sehr gut zu werden. Und Helen Malkowsky wird in Bielefeld für ihre Inszenierungen (zuletzt Peter Grimes) sehr gelobt. Fioroni wird erst wieder nächstes Jahr den Tannhäuser inszenieren.
    In Bayreuth sehen wir am selben Tag den Parsifal (am 11.8.) von Stefan Herheim. Die Inszenierung ist (wie) ein Traum! Zu empfehlen ist das Büchlein zur Inszenierung von Susanne Vill (http://www.susanne-vill.de/parsifal-herhe…ngsanalyse.html), das die vielen Schichten und die Bilderflut verständlich macht. Man hat dann mehr von der Aufführung, finde ich. Den Lohengrin sehe ich dieses Jahr nicht mit Euch. Eure weiteren Termine sind dann nämlich schon wieder zur Schulzeit. Wenn ich nochwas sehen werde, dann vorher.
    Es grüßt "Siegmund"

  • Nach den letzten großartigen Wagner-Aufführungen, die ich bisher in Kassel erleben durfte, ging ich voll großer Erwartungen in die Kasseler Parsifal-Produktion von Helen Malkowsky, die ich bislang nicht kannte. Schon im Vorspiel überzeugte das Kasseler Orchester mit einem perfekten Mischklang. Dazu sieht man auf einer Leinwand den Schnitt einer Messerspitze und anschließendes Bluten einer Wunde. Wenn sich der Vorhang öffnet, wischen die Knappen den Boden eines mit Spuren von Blut besudelten Marmorsaals (Bühne:Harald B. Thor). Gurnemanz' Kleidung sowie die der anderen lässt auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schließen (Kostüme: Tanja Hofmann). Er trägt eine Kette mit dem Symbol des Sonnenrades, welches sich auch auf dem Boden des „Obergruppenführersaals“ in der während der Nazizeit von der SS vereinnahmten Wewelsburg befindet. Dieses Symbol wird auch später die Rückwand des Saales zieren, hier also ein mehrdeutiges Zeichen des Gralsordens. Amfortas ist mit außergewöhnlich stark blutender Wunde eindrucksvoll leidend dargestellt. Kundry wechselt kurzzeitig mit einem Knappen während ihres ersten Auftritts die Gestalt und Parsifal wird quasi aus den Reihen der Theaterzuschauer herbeigeholt (im Hintergrund der Bühne wird per Video der Zuschauerraum gespiegelt). Es gibt auch keinen abgeschossenen Schwan sondern nur Federn. Die Gralszeremonie wird hier nicht von Amfortas (der in Folge reglos am Boden liegt) sondern -gleichsam als eine Art Rückblick- von Titurel durchgeführt. Eine große Weltkarte erscheint auf der Leinwand, deren Länder und Erdteile sich von Europa ausgehend mit Blut füllen. Dazwischen werden junge Männer aus weinenden Familien rekrutiert. Verschiedene Menschenansammlungen religiöser wie kriegerischer Art erscheinen nun auf einer Videoleinwand hinter den Gralsleuten. Im Zeichen des Ordens dient auch die Wissenschaft dem kriegerischen Zwecke. Bis jetzt empfinde ich die Inszenierung als spannend und eindrucksvoll. Ich fühle mich ein wenig an die Vielschichtigkeit der aktuellen Bayreuther Produktion erinnert. Es ist wie ein Deja-vu, als ich im zweiten Akt Klingsor und später Parsifal im Matrosenanzug sehe. Es hält leider der Rest der Aufführung nicht, was der erste Akt verspricht, wie ich finde. Die Blumenmädchen entschlüpfen einem überdimensionalen Gouvernanten-Kleid, das selbe, das Kundry anschließend trägt. Es ist übrigens nicht sie, sondern Parsifal, der den Kuß am anderen vollzieht. Im folgenden sieht man (in Erinnerung) Kundry durch einen Gazevorhang getrennt, bei Amfortas liegen. Klingsor ist ständig um beide herum und scheint die Kontrolle über sie zu haben. Am Schluss zieht er sieben (!) Speere aus der Kiste, wohl um Parsifal zu verwirren (welches ist nun der echte?). Im dritten Akt ist der marmorne Einheitsbühnenraum ringsherum mit einem in Schulterhöhe verlaufenden Blutstreifen versehen. Parsifal schleppt sich an einem riesigen vergrößerten Speer ab, mit dem sich Amfortas später erstechen möchte. Aber zuvor wird noch Kundry (per Videodoppelung) während der Verwandlungsmusik verbrannt. Wenn Parsifal mit der Gralsritterschaft von dannen zieht, um den Gral zu enthüllen, bleibt Amfortas mit der Asche Kundrys allein zurück, die er in das Glaskästchen füllt, in der sich der verhüllte Gral befunden hat.


    Die Inszenierung von Helen Malkowsky, Oberspielleiterin am Bielefelder Theater, hat mich nach den hervorragenden Arbeiten von Lorenzo Fioroni (Holländer, Meistersinger und Lohengrin) enttäuscht. Das Regie-Konzept, den Einfluss unserer (christlichen) Religion auf die Kriege und Ausbeutung der Welt mit der (Liebes-)Geschichte Amfortas und Kundry zu verbinden, ging nicht auf. Die Auswahl der Sänger/Darsteller war zudem nicht immer glücklich, angefangen mit der Titelrolle, die zumindest optisch eine glatte Fehlbesetzung ist. Gesanglich dagegen ließ Christian Elsner mit seinem eher lyrischen Tenor als Parsifal nichts zu wünschen übrig. Auch der Klingsor Marc Olivier-Oetterli schien mir nicht ideal. Trotz klarer Diktion fehlte ihm das Dämonische dieser Rolle und außerdem wirkte er auch von der Bühnenausstrahlung her für einen Klingsor zu brav. Wirklich Rollen-adäquat besetzt war dagegen Amfortas mit Espen Fegran, dessen Darstellung stimmlich wie auch gestisch absolut unter die Haut ging. Mario Klein als Gurnemanz hat hier absolut (innerhalb seiner stimmlichen Grenzen) überzeugt.Über ihn habe ich mich am meisten gefreut. Die Kundry von Ursula Füri-Bernhard ist für Sylvia Hablowitz als Kundry in diese Produktion gekommen und hat sich voll hineingegeben. Sie hat mich mit ihrem kraftvollen, aber in den Sprechgesang abgleitenden Gesang streckenweise an Hildegard Behrens erinnert, die ich seinerzeit in Düsseldorf in dieser Rolle erlebt habe. Lobend kann ich auch die Blumenmädchen erwähnen, die von den Damen unseres Hauses abgedeckt wurden. Das Orchester unter Patrik Ringborg hat sich sängerfreundlich (zu) sehr zurückgenommen, so dass doch hier und da die Spannung fehlte. Ich bin davon überzeugt, dass noch Luft nach oben ist, die sicherlich in den nächsten Vorstellungen zum Tragen kommt. Man darf nicht vergessen: die zweite Vorstellung nach der Premiere (und den vielen Proben) ist naturgemäß häufig erst einmal etwas schwächer. Fazit: Szenisch ist dieser Parsifal etwas danebengegangen, musikalisch aber letztendlich durchaus zufriedenstellend ausgefallen.
    Eine Kuriosität noch: Im Programmheft wird sich ausdrücklich der Applaus nach dem 1. Akt verbeten! Dabei ist inzwischen bekannt, dass das eine irrige Annahme ist, denn das war von Wagner selbst nicht mal vorgesehen. Ich finde es jedenfalls albern, diesen Blödsinn in Kassel zu reanimieren.

  • DANKE, lieber Siegmund,

    für diese eindrucksvolle Beschreibung Deines Eindrucks von der Premiere des PARSIFAL aus Kassel. Hätte vielleicht doch lieber Fiorini inszenieren sollen....(?) vielleicht ist er schon in Heidelberg, wo ich seine ARIADNE (Premiere) am 19.5. sehe. Wenn doch nur nicht der ELSNER singen würde... er ist ein Sänger (den ich gestern abend in der 9. Beethoven gehört habe), den ich persönlich als PARSIFAL für ungeeignet halte. Aber es geht ja nicht nur um eine Figur... ich sehe immer noch die geniale Produktion des Sebastian Baumgarten vor mir (vor ca 10 Jahren in Kassel ???) Auch bei dieser Produktion war wohl letzlich der ERSTE Aufzug entscheidend....aber meines Erachtens BEWEIS für eine insgesamt große Produktion.

    Animiere EUREN großartigen Schwedischen GMD Ringborg mal ein bißchen...schließlich ist der PARSIFAL eine Art "Prototyp einer Sinfonie mit Gesang".


    Es grüßt............Arnulfus

  • Ja, wir haben hier auch wehmütig an den Parsifal von Baumgarten vor 10 Jahren zurückdenken müssen. Nicht nur der erste, besonders auch der zweite Akt mit den blondbezopften Blumenmädchen war damals grandios.
    Natürlich gehe ich trotzdem noch zweimal in den aktuellen Kasseler Parsifal. Vielleicht springt ja noch bei besserer Leistung der ein oder andere Funke über...

  • So sehr ich die Liebe etklicher EROICAeaner/innen ür Komponisten des 16. + 17. Jahrhunderts bewundere, so relativ wenig kann ich doch insgesamt mit dieser Musik anfangen. Ähnliche Interessenslücken bestanden bis jtzt bei mir für die Hauptepoche des BELCANTO zwischen 1810 und 1850. Natürlich habe ich ab und zu mal eine Phase, "etwas Ohr" für diesen Stil des >Schönen Gesangs< gehabt... aber ehrlich gesagt hatte dies,wie bei der >sehr alten Musik< bis jetzt, fast keinen Stellenwert für mich.

    Angeregt durch hervorragende Kritiken über die neue Produktion des Stadttheaters Giessen, das nur 25 km von meinem Wohnort entfernt ist, und durch Besuch aus den USA, der gerne das kleinste Opernhaus Germanys sehen und erleben wollte, sah ich also gestern abend eine Oper von der ich nie zu vor gehört hatte, von einem Komponisten namens Giovanni Pacini, von dem ich wissentlich noch nie Musik gehört hatte, auch wenn mir sein Name schon mal untergekommen war.

    Da zelebrierte ein junger Uruguayer, namens Leonardo Ferrando (Tenor) die hohe Kunst/Technik des >Messa di voce<, dass sogar mir der Mund vor Staunen offen blieb... uind das eher "gemächliche" Giessener Publikum fast Glücksschreie, ala "Brava", freudig erregt, ausstieß. Das war ein schon sehr bemerkenswerter Opernabend in der >Provinz>: In Mittelhessen gab's die hohe Schule des BELCANTO zu hören. Mich hat das Süffisante und Kultivierte dieser Gefühlsmusik sehr positiv überrascht. Ich war je nicht wirklich in froher Erwartungshaltung hingegangen. Erst während der Vorstellung fing ich langsam aber zunehmend Feuer. Das muß auch an der Qualität der Komposition von Pacini liegen, da nicht in erster Linie nur die Tränendrüsen und Schmachtbedürfnisse bedient wurden. Ich sprach bereits von "kultiviert" bezüglich der Musik. Es muß auch an der Proportionalität, an Ausgewogenheit und Augenmaß, sprich Qualtät dieser >Belcanto - Oper< gelegen haben. Es war keine Nummern-Oper, mit entsprechenden "Höhepunkten" zum Arienschluß.

    Dieses Werk hatte nicht Vordergründiges, Effekthascherei hatte fast keinen Stellenwert. Ich habe zunehmend große Freude gehabt, über 150 Minuten >kultivierten Ohrenschmauß< genießen zu können. Neben der offensichtlich mich ansprechenden Komposition, war es vorallem die Musikalische Qualität die mir ein tolles Opernerlebnis gebracht hat. Die Inszenierung war etwas ironisierend, insgesamt aber eher unauffällig angelegt, auffällig waren rasante Drehbühneneffekte, die die nicht gerade umwerfende >Story< in Schwung hielten. Außer Der Hauptdarstellerin Giuseppina Piunti, dürfte keiner der anderen Sänger, die nicht minder großartig waren, bekannt sein.

    Es grüßt "Belcanto"-Arnulfus *hüpf**hüpf**hüpf*

  • Heute (gestern 19.5) hat sich ein junger Dirigenten-Meister, nämlich Cornelius Meister mit der Premiere der ARIADNE von Richard Strauss nach 7 Jahren GMD-Wirken am Stadttheater Heidelberg verabschiedet. Sein Abschiedskonzert wird in den nächsten Tagen BRUCKNER Nr VIII sein. Leider habe ich es nicht geschafft seinen viel gelobten und bewunderten Zyklus der Mozart'schen Da-Ponte-Opern zu sehen. Nun ist die ARIADNE einer meiner >Leib-und-Magen-Opern<, so daß meine Erwartungen sehr hoch waren, zumal ich C. Meister zum 1. Mal LIVE gehört habe. Wie auch auf 3 SAT vor einigen Tagen(, bei einem Solisten Wettbewerb, den C. Meister mit dem ORTF-Orch. leitete, erlebte ich auch gestern abend (ohne TV-Kamera) einen äußerst agilen, mitatmenden Dirigenten, der stets mit Freude und temperamentvollem aber ebenso relaxten Augenmaß zu Werke ging...

    Strahlemann mit fliegender Mähne und energiebündel zugleich... mit überzeugender Kompetenz. Die Fiorini-Produktion (Regie) wurde sehr freundlich vom Premieren puplikum aufgenommen. Zugegeben, das "Vorspiel" war lustig, ja sehr unterhaltsam... aber an der Grenze zum Klamauk. Der 1. Aufzug scheint zunächst etwas beliebig zu sein... doch bekommtder Regisseur eine neue Sichtweise auf die Situation der ARIDNE hin, die Sinn macht. Sänger SUPER, alle DREI (Ariadne/Bachus und Zerbinetta). Der Heidelberg verlassende >junge MEISTER< scheint everybodys Darling zu sein, er bekam frenetischen Applaus. Ich kann dem nur zustimmen, auch wenn er bei kleinem Orchesterbesetzung dem spätromantisch-spannungsreichen, facettenreichen Spiel den Vorrang gibt vor einer schlankeren Sichtweise.

    Eine herausragende Premiere mit 15 min Getrampel und Geklatsche eines begeisternden Publikums.

    Arnulfus

    • Offizieller Beitrag

    Kurzentschlossen besuchte ich am 23.12.2012 eine Vorstellung der Märchenoper "Hänsel & Gretel" von Engelbert Humperdinck im Badischen Staatstheater Karlsruhe. Zwar kannte ich diese Inszenierung bereits, aber ich fand es angemessen, am Tag der 119ten Uraufführung diese Oper zu Besuchen. Es gab noch günstige Karten... warum also nicht? Vorher checkte ich ab, daß es auch ja am Nachmittag eine separate Kindervorstellung gab. Gab es. Denn ich hatte bereits vor einigen Jahren in der selben Inszenierung eine sehr kinderreiche Vorstellung "genießen" dürfen... Ich bin also einigermaßen frohen Mutes ins Theater gegangen, die Plätze neben mir waren zunächst frei, in der Bank vor mir nahm ein Kindergarten Platz. Zu meinem Erstaunen blieb die Reihe vor mir mucksmäuschen Still. Leider jedoch nahm links neben mir eine Mutter mit ihrer Drecksgöre Platz. "Wann geht der Vorhang auf?" - "Das dauert noch eine Weile...". "Mama, wie lange noch?" - "Der Vorhang geht gleich auf...". "Wann kommt die Hexe?" - "Nach der Pause...". *wait*

    Auch auf mehrere dezente Hinweise meinerseits, von "Gehts noch...?" über "Wir sind hier nicht in einer Talkshow" bis hin zu einem "SCHNAUTZE JETZT!" gab es keine Reaktion seitens der Mutter... die Drecksgöre plapperte munter weiter und spazierte fröhlich durch die Reihen - bis ich meine Knie an die vodere Bank genietet hatte. Auch nach der Pause keine Änderung: "Wie heißt der...?" - dabei stand groß und deutlich im Übertitel "Ich bin das Taumännchen...". Die etwa 10- oder 11jährige Ausgeburt von Ungezogenheit schlürfte locker-flockig an einem Getränk mit Strohhalm, dessen Inhalt sich dem Ende zuneigte und für eine entsprechende Geräuschkulisse sorgte. Es könnte ja sein, daß trotz der womöglich irrtümlich auftretenden Geräusche sich doch noch irgendwo ein Schluck kühles Nass verborgen hielt... jedenfalls verschluckte sich das Kind endlich, so daß ich mit "VERRECKE!" nun endlich für Totenstille sorgen konnte.

    Die Vorstellung war also wegen des Beiwerks ungenießbar, Orchester und Solisten im üblichen Usus - für ein A-Haus meines Erachtens etwas mau.

    :umfall::umfall::umfall:

  • Komische Oper Berlin, Zauberflöte, Inszenierung: Suzanne Andrade und Barrie Kosky nach einem Konzept von "1927" und Barrie Kosky

    Gestern.

    So, die Komische Oper bemüht sich weiterhin, die Lieblingsoper all derer zu sein, die sich so ganz heutig fühlen. Das ist bei mir ja ein wenig anders. Wenn ich mich heutig fühlen will, suche ich mir eine Band, die gerade ihre erste Platte rausgebracht hat, und gehe zu einem ihrer Konzerte. Wenn ich in eine Oper aus dem 18. Jahrhundert gehe, erwarte ich jetzt nicht unbedingt, am Puls der Zeit zu sein.

    In Koskys Zauberflöte sitzt man vor einer Leinwand. Die Sänger können vor der Leinwand hin und hergehen oder durch eine Drehtür in der Mitte verschwinden bzw. erscheinen. Solche Drehtüren gibt es auch in der oberen Hälfte der Leinwand. Drei Stück. Sänger, die hier hereingedreht werden, können sich natürlich nicht bewegen, sondern sind allein schon aus Sicherheitsgründen festgeschnallt.

    Was sich bewegt, sind die Bilder auf der Leinwand, die zuweilen recht nett und lustig anzuschauen sind. Man sieht im Grunde einen Film, in den mehr oder weniger bewegte Sänger hineinmontiert sind. Der Film ist nicht realistisch, sondern eher zeichentrickhaft mit vielen grotesken Einfällen. Das Ganze ist aber auch eine Hommage an die Stummfilmzeit, was man auch den Kostümen ansieht. Die Dialoge werden nicht gesprochen, sondern -- eben wie im Stummfilm -- auf fantasievolle und lustige Weise als Text auf die Leinwand projeziert.

    Jaja, die Zauberflöte sei eine Oper der Bilder, behauptet das Programmheft, und Barry Kosky kann Bilder, das hat man auch bei seiner Monteverdi-Trilogie gesehen. Allerdings bleibt es halt bei den Bildern. Ich empfand das gestern als eine Aneinanderreihung von pittoresken Ideen. Eine Geschichte wird nicht erzählt, ein dramatischer Verlauf (zugegebenermaßen nicht ganz einfach bie der Zauberflöte) wird einem nicht vorgeführt, der Rhythmus der Oper wird nicht kenntlich gemacht. Und das größte Manko: Keine Figuren. Dadurch, dass die Sänger nicht wirklich agieren können, haben ihre Figuren auch keinerlei Möglichkeiten der Entwicklung oder des differenzierten Ausdrucks -- abgesehen vom Gesang.

    Es war kein vergeudeter Abend, weil alles sehr nett anzusehen ist und weil das Konzept immerhin interessant ist. Als Inszenierung fällt das Teil bei mir allerdings dennoch komplett durch. Da die Bühne keinerlei Tiefe hatte und da sich die Figuren größtenteils nicht bewegen konnten, fand ich manche Szenen trotz der vielen bunten und einfallsreichen Bilder extrem langweilig, fast schon auf eine unverschämte Weise langweilig. Ich habe bei all den Symbolen auch einen roten Faden, eine in sich schlüssige Botschaft oder Stellungsnahme vermisst. Mein Verdacht ist, dass auch diese vor allem ihres Bildwerts wegen ausgesucht wurden. Schließlich geht es in der Zauberflöte ja um die Bilder, nicht wahr?

    Der Hauptgrund, weshalb der Gesamteindruck trotz der mangelhaften Inszenierung nicht ärgerlich ausfiel, waren das Orchester und die musikalische Leitung (Henrik Nanasi). Wow, allein schon die Ouverture hat mich schier aus dem Sitz geholt. Die Tempi waren tendenziell eher rasch, aber nicht gehetzt, insgesamt sehr frisch, vor allem auch vom Klang her. Der Chor der Komischen Oper ist exzellent, und die Sänger waren wie so oft gemischt. Pamina (Maureen McKay), Papageno (Dominik Köninger) und Monostatos (Stephan Boving) haben mich überzeugt, der Tamino (Adrian Strooper) war zufriedenstellend, aber seine Stimme ist nicht mein Ding. Die Königin der Nacht (Julia Novikova) sang eine anrührende, virtuose und mitreißende erste Arie und eine müde, mit Intonation, Ausdruck und Höhe kämpfende zweite Arie, der Sarastro (Alexey Antonov) klang sehr schön und auch etwas langweilig.

    Wie so oft geht das Konzept der Komsichen Oper auf, denn die verbleibenden Zauberflöten-Vorstellungen dieser spielzeit sind wohl so gut wie ausverkauft. Musikalisch ist das in meinen Ohren sicher gerechtfertigt, was die Inszenierung angeht, halte ich das allerdings vor allem für Augenwischerei. Ich hätte mir in vielerlei Hinsicht mehr Tiefgang gewünscht.

  • Parsifal in der Deutschen Oper Berlin

    Zu Beginn wirkte das Orchester auf mich manchmal etwas unentschlossen, aber dann hat sich irgendwann mal die übliche Rausch eingestellt. Ich hatte den Eindruck, dass sehr fein musiziert wurde. Der Parsifal, Clemens Bieber, hat mir nicht so gefallen, hatte Ende des zweiten Aktes auch ein bisschen Probleme, die sich im dritten wieder legten. Die anderen Sänger waren gut bis hinreißend, vor allem die Kundry (Evelyn Herlitzius) und Amfortas (Thomas Johannes Meyer).

    Die Inszenierung von Philipp Stölzl verlegte sich sehr auf Sünde, Glaube und Erlösung, und zwar in sehr ästhetischen, aber auch harten Bildern. Erinnerte mich manches mal an Gemälde von Carpaccio. Raue Felslandschaften mit sich kasteienden Flagellanten, Gekreuzigten, anmutigen Engelerscheinungen. Alles sehr malerisch und auf Tableaux ausgerichtet, was zu der Statik später Wagner-Opern eigentlich auch sehr gut passt. Religiöse Verzückung und die Sehnsucht nach Erlösung durch Leiden, Tod und Blutergießen kamen bestens rüber. Von daher fand ich es eine sehr adäquate und spannende Inszenierung. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie ziemlich nahe an dem war, was Wagner in diesem kruden Passions- und Erlösungsmärchen verzapfen will. Sehr treffend, aber nicht kitschig, sondern herb und ehrlich.

    Darstellerisch getragen wurde das vor allem von Kundry, Amfortas und den Statisten. Insgesamt ein sehr angenehmes Wagner-Erlebnis, und ich war mal wieder aufs Neue erstaunt, wie schnell und ohne einen Moment der Langeweile fünfeinhalb Stunden rumgehen können.

    David & Jonathas von Charpentier in der Opera Comique, Paris

    Schon allein das Opernhaus mit seinen vier Rängen, den Logen, den antiquarischen Sitzen und all dem ist ein Erlebnis. Eigentlich ist dieses Stück gar keine richtige Oper, aber mit ein bisschen gutem Willen lässt es sich so sehen. Clever war die Entscheidung, den Prolog, in dem Saul von der Wahrsagerin prophezeit bekommt, dass er sterben wird, nach dem dritten Akt zu spielen. Das hat die Dramatik erhöht, denn an dieser Stelle, kurz vor der tragischen Schlacht, ist der Konflikt vollkommen aufgebaut.

    William Christie und Les Arts Florrissants waren hinreißend. Ich schätze diese Combo ja aufgrund der vielen Einspielungen, und nun habe ich sie zum ersten Mal live erlebt, das war schon noch mal eine ganz andere Glücksdroge. Sängerisch stach eigentlich nur ein extrem dramatischer und gut verständlicher Saul hervor, der Rest war solide bis sehr gut*. Nur die Sängerin, die den Jonathas gegeben hat, vermochte mir etwas zu missfallen. Sorry, dass ich mir den Namen nicht gemerkt habe, aber da wurde zu viel Emotion reingelegt, zu viel gespielt, sich gewunden und gelitten, sodass das nicht nur von Ausdruck, sondern sogar auch von der Technik die Form verlor. Will heißen, manche Vokale waren etwas "verzogen", und intonationsmäßig lag das immer am "unteren Rand" der eigentlichen Töne. Fand ich zumindest. Allerdings kam es bei den Leuten gut an, dass die Sängerin sich so sehr in das Drama gestürzt hat, denn sie bekam den dollsten Applaus.

    Die Inszenierung war in meinen Augen Kindergarten. Helle Holzböden und Wände, die verschiebbar waren, bildeten mit Tischen und Stühlen die Kulisse, was sehr nüchtern aussah, aber okay war. Darin agierten die Leute in Kostümen, die es zuweilen schwer machten, die einzelnen Rollen zu unterscheiden. Was freilich dadurch unterstützt wurde, dass ich von meinem Platz aus die Übertitel nicht lesen konnte. Einige gute Einfälle der Inszenierung (pantomimische Darstellung von Kindheitsszenen der Protagonisten, Räume, die die Figuren mit sich aufeinander zubewegenden Wänden bedrängten) konnten dann aber nicht darüber weghelfen, dass sich die Figuren mal wieder vor allem auf Stühle oder auf den Boden warfen oder Tische und/oder Stühle umwarfen. Klar, Saul kriegt natürlich irgendwann den Koller, und da muss man dann schon mal fünf Minuten lang sinnlos über die Bühne zucken und zischen, genauso wie ein sterbender Jonathan sich noch ganz viel winden muss. Das zog sich auch bis in Kleinigkeiten. Zum Beispiel der schöne Einfall, dass eine Trillerverzierung am Ende einer Phrase, die der sterbende Jonathas singt, damit zusammenhängen könnte, dass ihn seine tödliche Wunde plagt, sodass er vor Schmerz danach greift. Schön und gut, aber haben wir nicht einmal gelernt, dass die Aktion auf der Bühne die Musik quasi auslösen soll? Müsste also nicht das schmerzhafte Zucken der Figur den Triller zur Folge haben? Nein, erst nachdem der Triller so gut wie vorbei ist, kommt Bewegung in die Figur, und sorry, aber das sieht aus wie Schultheater. Ähnliche gestische Einfälle zu Verzierungen hat auch Stefan Herheim im Xerxes an der Komischen Oper Berlin eingesetzt, aber da waren die Sachen eben auf die Musik und haben richtig gerockt.

    Langer Rede kurzer Sinn: Irgendwie hat mir da die Form gefehlt. Aber dank der tollen Musik, des Orchesters und des Chors war es dennoch ein ganz großes plaisir!!

    *Ha, hier habe ich ja den Dominique Visse unterschlagen, der die Wahrsagerin sang und das Publikum mal wieder voll und ganz gefangen nahm! Der ist wirklich eine Nummer für sich. Mordsbühnenpräsenz, Wahnsinnsmusikalität und immer Mut zum geschmackvollen Bruch.