Der ultimative EROICA-SmallTalk-endlos-Faden

  • Bei mir liegt das B auch deutlich vorne, als bekannte Namen wären noch

    Buxtehude und
    Bartok

    nachzutragen, wie ich finde.

    Bei mir findet sich dann aber auch noch Gemüse wie

    Bouzignac
    Bertali
    Bembo
    usw.

    Mit Blick auf mein "Alte Musik"-Segment im Regal (ich habe alles, was vor der Wiener Klassik einzuordnen ist ,extra stehen), kommt der Buchstabe C allerdings auch nicht schlecht weg:

    Caccini
    Caldara
    Caresana
    Campra
    Carissimi
    Cavalieri
    Cavalli
    Cesti
    Charpentier
    Clerambault
    Corelli
    Couperin

    Interessant. :D

    • Offizieller Beitrag

    Buxtehude und
    Bartok


    Auf jeden Fall!

    Mit Blick auf mein "Alte Musik"-Segment im Regal (ich habe alles, was vor der Wiener Klassik einzuordnen ist ,extra stehen), kommt der Buchstabe C allerdings auch nicht schlecht weg:


    Schon, wobei ich meinen Focus definitiv auf "berühmte" Komponisten gesetzt habe... von den von Dir aufgezählten sind in meiner Sammlung auch fast alle vertreten, was ja aber nicht unbedingt heißt, daß sie heutzutage jeder (zumindest dem Namen nach) kennt.

    Vielleicht sollten wir eine alphabetische Liste der Berühmtheiten (in dubio diskutabel) machen, und schauen, ob das mit dem B noch immer stimmt...

    :beatnik:

  • Mir war schon klar, dass die nicht berühmt sind und Du Dich auf Berühmtheiten bezogen hast. Aber wenn Du schon mal mit solchen Spielchen angefangen hast, kann ich nicht widerstehen, das auf der unberühmten Ebene meiner Sammlung weiterzutreiben.

    Übrigens stelle ich solche Alphabets-Überlegungen auch in Läden an, vor allem in der Klassik-Abteilung im Dussmann: wie viele Regalmeter mal bei den Opern abschreiten muss, bis man V und W endlich mal bewältigt hat. Auch bei M und P gibt es große Ballungen, während L und F recht schmale Buchstaben sind.

  • Noch ein anderes Thema, von dem ich nicht weiß, ob es einen eigenen Thread wert ist:

    In dieser Spielzeit habe ich gleich zweimal Purcells Dido & Aeneas gehört. Einmal konzertant mit Currentzis, Prohaska und Rial, sehr schön, wenn auch für meinen Geschmack etwaszu effekthascherisch. Und letzten Samstag mit Akamus in der szenischen Zerfleddeung von Sasha Waltz.

    Beide Male ist mir aufgefallen, wie kümmerlich das Drama dieses Stückes ist. Nur drei Aspekte sind für mich ausschlaggebend, dass das übehaupt funktioniert: Zum einen, weil das Stück so kurz ist. Dann: Weil der zentrale Konflikt sehr stark ist und mitreißt, auch wenn er nur dürftig ausgebreitet wird. Und schließlich, dass Purcells Musik die Figuren dramatischer macht, als das Stück es eigentlich hergibt.

    Das Rezept der Oper ist ja mehr oder weniger das Französische: Rezitative für die Handlung, schlichte ariose Einlagen fürs Gefühl, Chöre und Ballette zum Divertissement. Doch was Dramaturgie und Spannung angeht, kann es Dido in meinen Augen nicht mit Quinaults Stücken für Lully aufnehmen. Dido wirkt auf mich zusammengeschustert, was dem Genuss aus den drei oben genannten Gründen keinen Abbruch tut.

    Und dennoch: Purcells Dido begegnet mir seit Jahren. Im Studium wurde sie in regelmäßigen Abständen (so hatte ich den Eindruck). In Konzerten und Opernspielplänen findet sie sich nicht selten, auf jeden Fall aber auf Tonträger. Wieso genau ist ausgerechnet diese halbgare Oper so beliebt und berühmt, während es ihre Zeitgenossen so unglaublich schwer haben? Was ist denn an Dido jetzt so besonders? Je mehr ich dieses Stück kennenlerne, desto weniger verstehe ich seine Popularität.

    • Offizieller Beitrag

    Wieso genau ist ausgerechnet diese halbgare Oper so beliebt und berühmt, während es ihre Zeitgenossen so unglaublich schwer haben? Was ist denn an Dido jetzt so besonders? Je mehr ich dieses Stück kennenlerne, desto weniger verstehe ich seine Popularität.


    Tante Wiki weiß dazu etwas (Hervorhebungen durch mich):

    Zitat von Vicky P. Dia

    Sie gehört zu den wichtigsten musikdramatischen Werken des Barock und wird von manchen als Purcells einzige richtige Oper angesehen. Das bekannteste Stück ist wahrscheinlich Didos Klage „When I am laid in earth“, eine Arie über einem Lamento-Basso ostinato.

    Die Oper ist musikalisch deswegen bemerkenswert, weil sie vom damals weit verbreiteten Schema der Opera seria abweicht, in dem es fast keine eigenständigen Arien gibt. Auch dem Chor kommt eine ungewöhnlich tragende Rolle zu.


    Ich habe mich allerdings selbst bislang wenig damit auseinandergesetzt, so daß ich die bedeutungsschweren Worte oben erst einmal nur so hinnehme... wenn der Komponist Burcell hieße, wüßte ich da nochwas :D

    *hä*

  • Also es ist in der Tat so, dass "Dido" Purcells einzige Oper ist. Alle anderen Werke, King Arthur, The Fairy Queen, The Indian Queen usw. sind Bühnenmusiken zu ziemlich umfangreichen Theaterstücken. Man nennt sie heute lieber "Semi Operas", weil Bühnenmusiken wohl zu abwertend klingt.
    Es ändert aber nichts daran, es sind Bühnenmusiken, so haben diese Musiknummern auch keinen nachvollziehbarer dramaturgischen Zusammenhang, wenn man nur die Musik hört - es fehlt ja eben der Text. Und das erschwert eben auch eine Aufführung, weil man heute der Meinung ist, dass die Theaterstücke niemand sehen will (ich sag jetzt dazu mal nichts).

    Die Berühmtheit scheint mir aber auch wohl ausschließlich von dem Lamento her zu rühren - man frage mal , was man sonst noch so aus dem Werk kennt: Fehlanzeige.
    Das ist genauso wie mit Händels Xerxes.

    Zitat

    Die Oper ist musikalisch deswegen bemerkenswert, weil sie vom damals weit verbreiteten Schema der Opera seria abweicht, in dem es fast keine eigenständigen Arien gibt. Auch dem Chor kommt eine ungewöhnlich tragende Rolle zu.


    Vollkommener Stuss, um 1680 gab es noch keine "Opera Seria" à la Händel und Vivaldi. In den 1680er Jahren setzt sich langsam der Wehcsel zwischen Rezitativ und Arie durch - aber in der Regel ohne da Capo und eher unregelmäßig. (Sartorio, Steffani, Legrenzi...)
    Die Opera Seria ist in ihrer typischen Form erst um 1700 entstanden. Zudem folgt Dido dem damals in England üblichen Form der Oper, die sich formell sehr stark an Frankreich (Lully) orientiert. Ab dem Regierungsantritt von Charles II. war die Bühnenmusik extrem französisch geprägt gewesen: Locke, Grabu, Humfrey (aber dazu müsste der Autor des Wiki-Artikel eben halt wissen, wovon er schreibt...)

    Zu Purcells Zeiten gab es noch keine Dacapo Arien, danach zu suchen ist ...äh ... irgendwie sinnlos, stattdessen versuchte Purcell, die typisch englische Liedtradition mit der Rezitativkultur aus Frankreich und Italien zu kombinieren.
    Und wäre es nicht in englisch gesungen, sondern in französisch, würde man die Nähe zu Lully vielleicht eher begreifen.

    Nur ist Dido bei Weitem nicht das singuläre Musikwerk, als das er hier hingestellt wird (in Purcells Schaffen jedoch schon).
    Zum Vergleich, es gibt ja auch noch andere Werke auf CD, wie z.B. Blows "Venus and Adonis" oder Lockes "Psyche" oder Eccles "The Judgement of Paris"

    :wink:

  • Ja, dieser Kommentar bezüglich der Opera Seria ist natürlich vollkommener Humbug.

    Im Schaffen Purcells ist mir die Einzigartigkeit schon auch klar. Aber die Popularität erklärt sich damit natürlich auch nicht, denn das würde ja bedeuten, dass es nur höchstens zwei Einspielungen der Oper gäbe, hätte Purcell nicht nur Dido, sondern noch 15 andere "richtige" Opern geschrieben.

    Klar, neben der Berühmtheit des Largos … äh, des Lamentos, spricht natürlich für das Werk auch, dass es so praktisch auf eine CD passt.

    Übrigens finde ich die Nähe zu Lully fast schon penetrant unüberhörbar. :) Lullys Opern sind natürlich vom Drama und von der Gesamtstruktur ganz andere Kaliber, auch wenn man sich schwer tut, daraus einzelne Hits wie Didos Lamento herauszustellen. Bezüglich der dramaturgischen Dürftigkeit und der Kürze Didos verfalle ich unweigerlich auf einen Vergleich zu Charpentiers Einakter und Miniopern, die von der Story teilweise auch nicht viel mehr zu bieten haben. Allerdings finde ich diese allein schon vom musikalischen Aufbau her raffinierter und abwechslungsreicher. Auch lieblicher und pastoraliger. Aber eben auch ohne Largos und Lamentos.

    Und bitte nicht falsch verstehen: Ich als Fan der Oper des 17. Jahrhunderts kann mich durchaus für Purcells Dido begeistern (und für den Blow, den Locke und Eccles habe ich leider noch nicht.). Mich wundert lediglich die für mein Empfinden ungerechte Verteilung der Aufmerksamkeit des Musikbetriebs (Bei Monteverdis Opern hingegen kann ich sehr wohl verstehen, weshalb diese populärer sind als die jeweilige Konkurrenz seiner Zeitgenossen).

  • Stimmt die "Petit Opera" gibts in Frankreich ja auch noch.

    Ich nehme wirklich an, dass die Bekanntheit, wie bei vielen anderen Werken auch (z.B. Charpentiers Te Deum) durch einzelne Versatzsstücke geprägt ist.

    Und "Hits" gäbe es bei Lully genug, nur ist dessen Musik praktisch noch nicht so bekannt:

    Cadmus et Hermione: die Chaconne, oder die Ceremonie de Mars
    Alceste, ou le Triompghe d'Alcide Der Sturm, le Combat, der Schlusschor
    Thésée "revenez amours" , Marche du Sacrifice
    Atys le sommeil
    Isis Prologue "c'est lui dont les dieux..." Air des Trembleurs
    Psyche Plainte italienne, Airs des Trompettes
    Bellerophon Gavotte (Fanfare)
    Proserpine Air "que notre vie..."
    Le Triomphe de l'amour Prelude de la Nuit, Entree d'Apollon
    Persée Air de Meduse, Passacaille
    Phaeton Chaconne
    Amadis "Esprits empresses" Scene du Combat, "bois epais" Chaconne
    Roland Gigue, la Logistile, "Ah j'attendrai longtemps"
    Armide "Enfin il est en ma puissance" "Plus j'observe ces lieux" Passacaille
    Acis et Galatée Chaconne

    nur mal so als Vorschlag, in den Opern gibts unzähle tolle Momente :D

  • Wow, ja, das ist eine schöne Liste!
    Und bei Spezialisten sind diese Hits vermutlich auch schon angekommen. Ich würde aber die kühne Behauptung aufstellen, dass man ein "When I am laid in earth" auch mit weniger Sachverstand als Hit identifizieren kann als zum Beispiel die Schlummerszene aus dem Atys. Oder auch die ganzen Chaconnen, deren Reiz ja darin besteht, den Einfallsreichtum und den dramaturgischen Aufbau bei der Variation des Immergleichen zu bewundern, dazu braucht es halt doch immer ein Quäntchen mehr Anstrengung/Aufmerksamkeit/Empfangsbereitschaft/Ahnung als bei dem Purcell-Hit, den man im Grunde fast wie eine Pop-Ballade mitsummen kann.

    Hach, ich muss mal wieder "revenez amours" anhören! *schmacht*

  • Die Berühmtheit scheint mir aber auch wohl ausschließlich von dem Lamento her zu rühren - man frage mal , was man sonst noch so aus dem Werk kennt: Fehlanzeige.

    Das finde ich aber übertrieben... gerade im gegenteil: es gibt in dieser Oper ganz-ganz viele Nummern, die eine gewisse "Bekanntheit" haben, oder "Publikumslieblinge" sind:

    neben dem Lamento auch die Aria "Ah! Belinda", dann die Hexen-Szene... zumindest die drei sind schon ziemlich bekannt.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

    • Offizieller Beitrag

    Wenn ich so die aktuellen Diskussionen in diversen Klassikforen verfolge, frage ich mich, wie man gleichzeitig in zwei Richtungen laufen kann? Das muss einen doch zwangsläufig zerreissen... Personen, die Regietheater ablehnen - also historische "Kostümierung" wünschen - und gleichzeitig HIP ablehnen: derlei Personen sind doch völlig unglaubwürdig!?

    Ja, WAS denn jetzt...?

    *beiss*

  • Personen, die Regietheater ablehnen - also historische "Kostümierung" wünschen - und gleichzeitig HIP ablehnen: derlei Personen sind doch völlig unglaubwürdig!?


    Ne, die wünschen sich nur die guten alten Dreißiger zurück...

    *hide*

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Ist ein schmaler Grat. Ohne Vibrato mag ich gar nicht. Die Schwelle von Geschmackvoll über gerade noch okay zu Aua wird auch je nach Stimme und sängerisch/darstellerischer Veranlagung der Sängerin/des Sängers an einem anderen Punkt überschritten, wie ich finde.

  • Aus dem "Jetzt im Ohr"-Thread zum Thema Schoonderwoerds Beethovenkonzerte:

    Zitat

    Bekommen wir einen neuen Besessenen?

    *flöt*

    Ich hatte Beethoven und Mozart aus Kinder- und Jugendzeiten ja vor allem omi im Ohr, seit einiger Zeit aber auch durchaus hip in teilweise mitreißenden Interpretationen. Und trotzdem haben mich diese hipen Mozarts und Beethovens nicht auf die Konzertaufnahmen Schoonderwoerds vorbereitet. Das ist von den ersten Tönen an eine totale Überraschung. Ich kann oft kaum glauben, dass es dieselben Stücke sind.

    Mein bisheriger Eindruck ist dieser: Schoonderwoerd tut im Gegensatz zu allen anderen alles, um einen geschlossenen, kompakten Orchesterklang zu vermeiden. Ich erschrecke manchmal geradezu, wenn da wieder eine Stimme in den Vordergrund rumpelt, nur um im nächsten Moment gegen das Scheppern eines zweiten Instruments zu konkurrieren und im Knirschen eines dritten unterzugehen. Und ich schreibe absichtlich Rumpeln, Scheppern und Knirschen, weil das überhaupt nichts mehr mit karajanschem Orchesterklang zu tun hat, sondern klangliche Rohkost ist, nichts Vorgekochtes oder Vorgekautes. Einfach nur die Noten, so wie sie aus den Instrumenten rauskommen, Punkt. Dadurch wird der Gesamteindruck unglaublich lebendig und mitreißend, gleichzeitig aber auch durchsichtig, und plötzlich fallen einem Details auf, die man in dieser Musik noch nie gekannt hat.

    Ich bin wirklich, wirklich baff!

    (P.S.: Stellenweise klingt das für mich auch irgendwie besoffen.)

  • (P.S.: Stellenweise klingt das für mich auch irgendwie besoffen.)

    Hat man nicht auch schon damals so die Musik von Beethoven charakterisiert? :D

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
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  • Gestern war ich in einer famosen konzertanten Aufführung von Massenets Werther in der Philharmonie. Es spielte das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Runnicles. Gesungen u.a. von Vittorio Grigolo und Ekaterina Gubanova.

    Nun ist aber der Mensch, vor allem, wenn es sich bei ihm um mich handelt, ein seltsam Ding. Denn ich besuche solche Aufführungen mit großer Neugierde und Freude, kann dabei staunen, die Masse an Wohlklang und Virtuosität bewundern, und dennoch bleibt immer ein Gefühl von "so what?" zurück. Und dann versuche ich immer herauszufinden, warum ich bei Vincis Artaserse abgehe wie eine Neutronenbombe und heute noch Tränen in die Augen kriege beim Gedanken daran, dass dieses Erlebnis leider irgendwann zu Ende gehen musste, mir ein Werther von Grigolo aber so viel weniger sagt, obwohl er seinen Job genauso gut abgeliefert hat wie Franco Fagioli den seinen im Artaserse. Das war gestern auf seine Weise echt der Hammer! Was für ein Tenor! Passte auch genial zu dem jungen, schwärmerischen, tragischen, feinsinnigen, aber irgendwie auch beknackten Werther.

    Da ich die Tendenz habe, so etwas immer zu zerdenken, gelange ich dann zu folgenden Thesen als Erklärung für den Befund:

    -- Hier wie dort geht es um den Ausdruck von Gefühlen und Leidenschaften. Bei Massenet werden diese möglichst natürlich oder unmittelbar dargestellt. Das Orchester brandet und wogt, wallt und bebt, gewinnt Dramaturgie und Spannung dadurch, dass es Gefühlsregungen nachzuzeichnen versucht, nicht dadurch, unterschiedliches motivisches Material wie ein Wargamer gegeneinander in eine heiße Durchführungsschlacht zu schicken. Auf diesem Teppich entfalten sich die Gesangsstimmen meist "sanglich" in schönen Linien. Was an stimmlicher Virtuosität geboten wird, orientiert sich meist an natürlichen emotionalen Äußerungen. Ausbrüche in schwindelnde Höhen, gehauchte Pianissimos und donnernde Fortes lassen sich mehr oder weniger direkt als Schreien, Wimmern, Schluchzen, Aufheulen, Säuseln etc. übersetzen. Deshalb verstehe ich, warum diese Musik so mitreißend ist, auch wenn sie mich selbst nicht in diesem Maße mitreißt.

    Im Barock (und mit Abstrichen auch noch in der Klassik) tauchen Leidenschaften dagegen als Affekte codiert und in ein rhetorisches System übersetzt auf. Das Ergebnis ist dann -- auch wenn der ein oder andere Heuler auf den ersten Blick ähnlich sanglich und direkt-emotional erscheinen mag wie ein Werther-Monolog -- eine "unnatürliche",nämlich artifizielle Ausdrucksweise. Oft ergehen sich die Sänger im Barock nicht in natürlichen Gefühlsäußerungen, sondern in Vergleichen, Metaphern, Sinnsprüchen. Einzelne Sätze daraus werden "künstlich" wiederholt und bei jeder Wiederholung neu ausgeschmückt. Es geht weniger sanglich zu, stattdessen kommen virtuose Intervallsprünge, Koloraturen, Triller und gehaltene Töne zum Einsatz, die schließlich in eine kunstvolle Kadenz münden. Freilich gehorchen diese Mittel einer Affekte-Rhetorik, drücken also auch irgendwie Leidenschaften aus, aber sie lassen sich nicht ohne weiteres so wörtlich in "natürliche" Gefühlsäußerungen übersetzen. Wenn bei einer Da-Capo-Arie schließlich der A-Teil noch einmal mit zusätzlichen Verzierungen wiederholt wird, bewegen wir uns vollends außerhalb natürlicher Gefühlsäußerungen. Ich bin da wieder bei dem Begriff Contenance (ein Konzept, das sich beim Werther schon aufgrund der Romanvorlage verbietet!).

    Nun habe ich die Vermutung, dass mir der Massenet (und Artverwandtes) zu eindeutig ist in dem Sinne, dass das, was man in die Ohren bekommt, weitgehend auch das ist, was einem erzählt werden soll. So unmittelbar funktioniert das im Barock nicht, denn da muss ich den rhetorischen Text lesen, interpretieren. Ich muss deuten, was ich in die Ohren bekomme. Und anscheinend komme ich damit besser zurecht. Vielleicht, weil ich mir ungern Interpretationen aufdrücken lasse, sondern lieber selbst zu ihnen gelange? Oder weil ich mich bei Massenet zu sehr emotional manipuliert fühle ...?

    -- Der andere Punkt hat für mich etwas mit den Stimmfächern zu tun. Für dieses Thema hat mich die Lektüre eines Interviews mit Rene Jacobs sensibilisiert. Ein Werther ist ein männlicher kleiner (oder großer?) Held. Diese romantische Art, heldenhaft oder italienischen Hauptrollentenor zu singen, lebt in meinen Ohren von einem Klang und einer Art der Melodieführung, der man die Eier in der Hose anhört. Das ist unverwechselbar männlich. Manch wohl timbrierter Spitzenton feiert den kraftmeiernden Kerl ab. Teilweise ist ein bestimmter Rollentyp mit diesem Klang fest verbunden. Hier manifestiert sich klanglich, dass die romantische Oper über weite Strecken eine Welt der Männer ist.

    Der Barockoper geht es in der Tendenz dagegen mehr um Figuren und deren Gefühle, und da spielt es oft gar keine Rolle, welches Geschlecht eine Figur hat. Männliche "Helden" bekommen nicht selten Frauenstimmen verpasst (Kastraten) oder wurden gar mit Frauen besetz. Und eine Bassarie muss sich von ihrem Gestus her nicht unbedingt von einer Tenor- oder Sopranarie unterscheiden.

    Womöglich ist auch das ein Punkt, weshalb solche Sachen wie der Massent, auch wenn ich ihren Reiz verstehe und sie genieße, nicht so zu mir durchdringen wie die gepuderten Barockpretiosen.

    All das hier Geschriebene ist ganz, ganz furchtbar subjektiv! Ich bitte euch, das zu bedenken, wenn ihr manch eine Aussage etwas hart findet.
    Und natürlich interessiert mich, wie es anderen mit solchen und ähnlichen Gedanken geht.