Obwohl ich ganz klar auch HIP bevorzuge, stehe ich zu diesem Thema doch anders.
Ein sehr großer Teil der Klassikhörer, oder auch Gelegenheitsklassikhörer ist der Klang der alten Instrumente zu fremd. Das liegt natürlich daran, dass man in Film, Werbung und auch Radio meist konventionelle Interpretationen zu hören bekommt und damit gewissermaßen eine bestimmte Erwartungshaltung antrainiert bekommt. Wir haben hier sowieso eine Hörkultur entwickelt, die den meisten Menschen in dieser Tiefe völlig fremd ist.
Alte Instrumente sind auch weniger bei Barockmusik und noch früherer Musik das Problem, erst wenn es ins klassische Repertoire geht, dann fangen die Diskussionen an.
Bei den 0815 Klassikhörerschaft (das soll keine Wertung sein) gibt es oft nur Bach als einzigen Barockkomponisten.
Und da hätte man es eben auch gerne, wenn da der Karajan-Sound zu hören ist.
Ich hab schon Äußerungen gehört, die einfach nur seltsam und für meine Begrifflichkeit auch dumm sind: Wie z.B. Luciano Berio, der sagte, für ihn sei Bach kein Barockkomponist, deswegen sollte man ihn auch nicht historisch informiert spielen.
Viele zeitgenössische Komponisten hassen die HIP Bewegung sowieso, weil das ihnen schlicht das Publikum stielt – in dieser Richtung hat sich z.B. auch Pascal Dusapin, sich ärgerlich darüber äußerte, dass diese Musik soviel Zuspruch bekommt und soviel Energie und Geld investiert wird um diese Werke aufzuführen… ich hätte ja eine Antwort für ihn, lasse das aber lieber mal
Ähnlich war auch die Meinung meines seligen Großvaters: Die ganze Musik des 17. und 18. Jahrhunderts klinge gleich, wirkliche Musik fange erst mit Beethoven an.
Adorno stößt ja auch ins gleiche Horn, er spricht der Musik des Absolutismus ja ebenfalls jedwede Qualität ab, sie sei nur höfisches Divertissement.
Diese Grundhaltung ist nach wie vor vorhanden.
Und viele haben einfach nichts übrig für ein musikalisches Reenactment wenn diese Musik auch noch so klingt wie vor 300 Jahren.
Die derzeitige Kulturszene sieht als Weg diese Werke dem heutigen Publikum näher zu bringen nur in der Option, sie in einen zeitgenössischen Kontext zu zeigen.
Man will kein Museum, sondern lebendige Kunst – dies ist ja auch der Ansatz der meisten Operninszenierungen – und oft ist das ja auch richtig.
Ich mit meiner gelebten Geschichte gehe da den entgegengesetzten Weg, weil ich denke, dass die Menschen damals eben gar nicht so anders waren.
Ich finde auch die Frage nach den Instrumenten eher zweitrangig, ich glaube, dass die Musik Bilder braucht und man sie in den historischen Kontext setzen sollte, also ihre alte Funktion inszenieren. Tafelmusik als bedächtiges Klassikkonzert zu inszenieren ist für mich eine größere Verfälschung als die Verwendung moderner Instrumente.
Was die musikalische Umsetzung anbelangt, so stehe ich da zwischen den Stühlen.
Auf der einen Seite liebe ich den Klang historischer Klangkörper und Instrumente, auf der anderen Seite mag ich aber auch unbefangene Interpretationen mit modernen Instrumenten, ich sammle ja Platten aus den 50er bis 70er Jahren mit Barockmusik.
Gerade wenn unbekannte Musik wieder salonfähig gemacht werden soll, muss man sich überlegen, mit was ich mehr Menschen erreiche.
Vielen Leuten sind gerade Cembali und Fortepianos ein Graus. Und wenn ich an die Clavierconcerte von CPE Bach denke, so glaube ich nicht, dass diese auf historisches Instrumentarium angewiesen sind. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass diese Konzerte auf einem modernen Flügel durchaus modern und ansprechend klingen – sogar stark in die Nähe von Mozart rücken.
Ich habe derzeit nur die HIP Aufnahmen mit Spanyi, eine moderne Alternative würde ich mir durchaus zulegen.
Generell muss man auch gucken was funktioniert: Bei Bachs Kompositionen ist schon von vorne weg daran gedacht, dass die mal auf allen Tasteninstrumenten funktionieren sollen.
Andere Komponisten wie F.Couperin oder Rameau haben ihr Zeugs explizit fürs Cembalo geschrieben – das funktioniert auch nur bedingt auf dem Flügel (nicht mal auf der Barockorgel) – die Strukturen gehen einfach flöten und die Feinheiten werden zugedeckt.
Um das letztlich abzukürzen:
Letztlich bleibt es eine reine Geschmacksfrage.
Es ist mir eigentlich völlig egal, ob OPI oder OMI, in erster Linie zählt für mich nur das musikalische Ergebnis: es muss fesseln, es muss packen und begeistern.
Ich denke nach all den Jahren immer noch an ein Zitat von Rene Jacobs, dem ich mich nach wie vor im vollem Umfang anschließen kann:
„Ich bevorzuge die historischen Instrumente nicht um ihrer Selbstwillen, sondern wegen den Musikern die sie spielen, denn diese Musiker lieben die Alte Musik einfach mehr“
Aber auch das kann natürlich widerlegt werden:
z.B. hab ich durch Zufall diese CD gekauft, Rameaus Cembalowerke und Orchesterstücke aus diversen Opern und Balletten interpretiert mit einem modernen Bläserquintett – Besetzung:
moderne Oboe, Klarinette, Saxophon, Bassklarinette und Fagott.
Die CD ist einfach nur endgeil - wenn diese Musiker die Musik nicht lieben, die sie spielen, dann weiß ich auch nicht: