Tage ALTER MUSIK in Herne

  • GAETANO PUGNANI (1731-1798)
    "WERTHER - ein Roman in Musik gesetzt"
    Melodram in zwei Teilen für Schauspieler + Orchester
    über Johann Wolfgang von Goethes "Die Leiden des jungen Werther"


    Zum 41. Mal findet in diesen Tagen dieses feine, kleine auf einige Tage beschränkte Festival in Herne statt... und seit 36 Jahren findet es in Koopereation mit dem WDR Köln statt. Die Konzerte werden LIVE, oder zeitversetzt in WDR 3 übertragen. Der WERTHER wurde am 11.11. LIVE gesendet. Auf Nachfrage wurde mir mitgeteilt, daß die Produktion ca. 1 Monat lang zum Nachhören (auch Herunterladen möglich) auf WDR 3 Konzertplayer möglich sei.

    Ich war in Herne und habe am 11.11.16 im dortigen Kulturzentrum die Deutsche Erstaufführung (vor 4 Jahren war die Wiederentdeckung + 1. Aufführung seit 1796 in Wien, wo 1796 auch die Premiere war) gehört.

    Ausführende waren das MAIN-BAROCKORCHESTER FRANKFURT unter Michael Hofstetter, Regie Uwe Schareck (eher semistage), "Werther": Nils Beckmann.

    Zu erleben gab es eine Rarität (heutzutage), ein Melodram, in dem versucht wurde die Essenz des Stückes, nämlich die Triebfeder von "Werthers" romantischem Liebeswahn /seiner radikalen Philosophie rüberzubringen.

    Es war eine homogene Aufführung von großer Überzeugungskraft und Intensität... ebenso ein heterogenes Kulturprojekt, da es dem heutigen Zeitgeist eher ungewohnt und teils fremd anmutet.
    In dieser irritierenden, wie faszinierenden Spannungskomplexität ergriff mich das Stück.

    Goethes "Werther" vor ein paar Jahrzehnten verschlungen, war diese >Werther-Welt< fast augenblicklich nicht mehr Vergangenheit sondern im Hier und Jetzt. Ganz vorne sitzend, versprühte die musikalisch-dramaturgische Übermittlung dieser radikalen Sicht auf das (Ver)Brennen in und für die Liebe, einen Lockruf und einen Sog für die Trunkenheit der ver-rückten Seele.

    Die Kunst des Vermittelns dieser Innenwelten lag bei Nils Beckmann. Vielleicht war er so großartig übrrzeugend, da er mehr ein Stimmdarsteller in Radio und Synchronisation ist, als ein Darsteller auf der Bühne.

    Erst MELO. dann DRAM... in dieser Reihenfolge ging die doppelte Faszination aus, die zu einer beglückende Synthese förmlich aufblühte. Das fein-differenziert spielende Orchester brauchte zwar ab und zu den Tritt des des Dirigenten Hofstetter, um sich von der Idylle in die Ekstase aufzuschwingen,... erstmal musikalisch in den Gefühlswogen Werthers in Wallung geraten, hörte und sah man ihre künstlerische Inbrunst.

    Michael Hofstetter hatte bereits die Wiederentdeckungs-Aufführung vor vier Jahren in Wien geleitet. Die atmosphärisch fast bipolar anmutenden Gefühlswelten dieser Musik, scheinen Hofstetter derart zu beflügeln, daß die Extreme dieser Komposition, zwischen Depression, wie auch lieblicher Idylle einerseits und Extase und Grenzenlosigkeit andererseits, zwei Stunden sublimster wie fast berstender Hörwelten produzierte... oder muß ich dankbar sagen >zauberte< ?


    Arnulfus

  • GAETANO PUGNANI (1731-1798)
    "WERTHER - ein Roman in Musik gesetzt"
    Melodram in zwei Teilen für Schauspieler + Orchester
    über Johann Wolfgang von Goethes "Die Leiden des jungen Werther"

    Michael Hofstetter hatte bereits die Wiederentdeckungs-Aufführung vor vier Jahren in Wien geleitet. Die atmosphärisch fast bipolar anmutenden Gefühlswelten dieser Musik, scheinen Hofstetter derart zu beflügeln, daß die Extreme dieser Komposition, zwischen Depression, wie auch lieblicher Idylle einerseits und Extase und Grenzenlosigkeit andererseits, zwei Stunden sublimster wie fast berstender Hörwelten produzierte... oder muß ich dankbar sagen >zauberte< ?


    Ich will versuchen, die Musik dieses >Melodrams< etwas zu charakterisieren.

    Über die erste musikalische "WERTHER"-HOMMAGE hatte ich gestern von >Extreme dieser Komposition zwischen Depression und Extase< geschrieben.

    Programmmusik oder Melodram ?
    Der Komponist und in ganz Europa berühmte Geiger Pugnani, war wie weite Teile des aufgeklärten Bürgertums in Italien von dem 1777 geschriebenen "WERTHER" berauscht. Die musikalische Übersetzung des Romans ging auf Anregung des Freundes von Pugnani, dem Theologen und Philosophen Concones zurück, der mit Vorträgen über Goethes >Roman-Droge< durch die Italienischen Lande zog und viel Ausehen erregte.

    Gattungsbegriff hin oder her. Es ist ein rein instrumentales Werk von ca. 90 min Dauer, das mit einer Sinfonia beginnt, der 21 mehr oder weniger kurze Sätze folgen, die teilweise in ein- oder zweitaktige Abschnitte zefallen. Diese musikalischen POESIE-Romanzen hat Pugnani in musiktheatralischer Form in Textpassagen (für einen Schauspieler) verwoben. Der atmet die Musik in seinen gesprochenen Passagen hinein... manchmal scheint es, als ob eine rein instrumentale Passage die Gefühlswelt Werthers weiterspinnt.

    Pugnani war ein großer Geiger und es kommen folglich der 1. Geige viele Solopassagen zu. Von zarter und säuselnder Liebesinbrunst via Violine geht in meist frühklassizistischer Tonmalerei über in narrative und dramatische musikalische Tonsprache (ich assoziiere Werner/Dittersdorf/viel Mozart, sogar das Gewitter der Pastorale). Die Musik ist poetisch-verträumt, sie ist aufwühlend, vor allem
    hat sie eine ganz eigene Atmosphäre, auch durch das Verwobensein mit der jugendlich-brennenden Stimme des Till Beckmann.

    Sturm- und -Drang verkörpert wie verströmt diese Musik. Ich hoffe, ich konnte eine vage Vorstellung von Art und Wesen dieser Komposition von 1796 rüberbringen.

    Arnulfus

    • Offizieller Beitrag

    ch hoffe, ich konnte eine vage Vorstellung von Art und Wesen dieser Komposition von 1796 rüberbringen.


    1992 wurde bei den Tagen alter Musik in Herne Bendas Ariadne auf Naxos, ebenfalls ein Melodram, produziert.

    Diese Kombination von Musik und Sprache - ohne Gesang! - ist unglaublich vereinnahmend. Das ging mir zum Teil zu weit, weil derart viel Musik mir „verschwendet“ vorkam (im positiven Sinne), weil sie einfach zu kurz, einmalig, ohne Wiederholung erklang und für immer versiegte. Zum Glück lässt sich das ja dank der Aufnahmen nachhören und immer wieder erleben.
    :wink:

    Bach wasn't Abel. *rain*