Musique à la carte: Konzert-Berichte

  • Haydn ist sicher allen ein Begriff, aber Peter Gast? Er war Freund Friedrich Nietzsches und wurde von diesem als "neuer Mozart" bezeichnet, der die "ganze Wagnerei" vom Tisch wischen sollte. Na, da hat er wohl leicht übertrieben, aber dem Werk hat es eher geschadet. Das Annaberger Theater grub nun seine Oper "Der Löwe von Venedig" wieder aus und brachte sie in einer ansprechenden Inszenierung heraus. Ich war sehr gespannt, was für Art Musik mich am Sonnabend erwartete, war aber sehr positiv überrascht. Sänger und Orchester wurden ihren sehr anspruchsvollen Parts gut gerecht, das Orchester hätte allerdings manchmal etwas gedämpft werden können. Aber immer wieder ist es erstaunlich, dass an dieser sehr kleinen, fast intimen Bühne Künstler auftreten, die man in dieser Qualität eher nicht an einem Provinztheater erwarten würde. Jeder, der mal das Erzgebirge besucht, sollte sich einen Besuch nicht entgehen lassen.

    Ein ganz anderes Erlebnis heute in der Dresdner Frauenkirche. Der Frauenkirchenchor mit dem Geraer Kammerorchester brachten die Schöpfungsmesse von J. Haydn - und das in diesem Bauwerk! Eine Kritik ist hier nicht möglich - es war nur ein Stück Himmel...

  • So, ich versuche mal in aller Kürze meine Eindrücke all der Konzerte zu skizzieren, die ich während meiner Sendepause hier im Forum besucht habe.

    13. Februar, Philharmonie Berlin
    Wagner-Gala
    Parsifal. 3. Aufzug
    Placido Domingo, Kwangchul Youn, Wolfgang Koch
    Chor und Orchester der Staatsoper, Daniel Barenboim

    Dadurch, dass das Orchester nicht im Graben saß und die Sänger dahinter positioniert waren, waren sie zuweilen schlecht zu hören. Wolfgang Koch konnte gegen den Amfortas, den wir erst einen Monat früher in der Deutschen Oper gehört hatten, nicht so recht anstinken. Der Gurnemanz hingegen war ein Genuss, und über Domingo muss ich zumindest keine Worte verlieren.

    Was den Abend aber eigentlich getragen hat, das war das Orchester. Dem Graben enthoben und nur mit einem Akt betraut, war es hochkonzentriert und in bester Spiellaune. Ich habe selten einen klanglich so vielschichtigen, bunten Parsifal gehört (nicht, dass ich hunderte gehört hätte :)). Keine Offenbarung war der Abend, aber eine reine Freude.

    28. Februar, Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin
    "West-östlicher Diwan"
    -- Mozart: Ouvertüre der Entführung
    -- Christian Cannabich (1731-1798): Suite aus dem Ballett "Les Fetes du Serail"
    -- Mozart: Violinkonzert A-Dur KV 219
    -- Nicolas-Marie Dalayrac (1753-1809): Ouvertüre zu "Azémia ou les Sauvages"
    -- Gluck: Ballett-Suite aus "L'Orfano della China"
    -- Franz Xavier Süßmayr (1766-1803): Sinfonia Turchesca
    Freiburger Barockorchester mit drei Schlagzeugern.

    An diesem Abend haben die Freiburger keine Zurückhaltung gekannt. Nach den ersten paar »ernst« gespielten Takten Mozart wurde das Orchester vom Grölen und Trommeln der Schlagzeuger erst einmal zum Schweigen gebracht. Nach ein paar Minuten arabeskem Schlagwerk-Tumult durfte das Orchester denn erneut einsetzen und die Serail-Ouvertüre zu Ende spielen. Natürlich wurde im Publikum auch gelacht, aber natürlich diente die Einlage nicht nur dem Ulk, sondern sie verdeutlichte, woher die Faszination der Zeit für das »alla turca« kam, nämlich von dem großen Eindruck, den die Trommeln und Becken osmanischer Hofmusiken auf die Abendländer gemacht haben.

    Dem konnte man in dem Konzert sehr gut nachspüren. Frisch, schmissig und heiter, so würde ich den Abend überschreiben, aber das gilt für viele Konzerte des FBO. Bei der Zugabe wären meine Frau und ich schier von unseren Plätzen gesprungen, denn da wurde der »Danse du grand calumet« aus Rameaus »Les Indes Galantes« gegeben. Was der mit »alla turca« zu tun haben soll, weiß zwar niemand, aber es war natürlich die reine
    Freude!

    1. März, Konzerthaus Berlin, Großer Saal
    – Buxtehude: Kantate »Gott, hilf mir«
    – Schmelzer: Lamento sopra la morte Ferdinando III
    – Buxtehude: Kantate »Herzlich lieb hab ich dich, o Herr«
    – Biber: Die Kreuzigung aus den Rosenkranzsonaten
    – Biber: Requiem f-moll
    RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Hans-Christoph Rademann

    Ein tolles Programm. Allerdings fehlte über weite Strecken die Verzauberung, die wir erwartet hatten. Das lag vor allem am Klang des RIAS Kammerchors, der uns zu sophisticated war. Wir hatten noch den lebhaften, strahlenden, zupackenden Klang von Les Arts Florissants von unserem Pariser Opernbesuch im Januar im Ohr, da fanden wir uns bei dem androgynen Klang beim Buxtehude nicht zurecht. Dazu kam, dass uns auch die Gesangssolisten mitunter schwer enttäuschten, weshalb ich mir ihre namentliche Nennung hier auch spare.

    Erste Highlights des Konzerts waren der instrumentale Schmelzer, intim in kleiner Besetzung musiziert. Hinreißend. Und dann Georg Kallweits Kreuzigung aus Bibers Sonatenzyklus. Sehr virtuos und sehr hip. Wow, da haben wir geschlackert! Beide Stücke litten nur daran, dass sie im Großen Saal nicht gut aufgehoben waren, sondern besser im Kleinen Saal gespielt worden wären.

    Als wäre der Chor durch die gegeigte Kreuzigung erlöst worden, ging er an das Biber-Requiem zupackender ran, sodass der Abschluss des Konzerts dann doch noch zum erhofften Rundumgenuss geführt hat. Über die Qualitäten der Stücke wird man wohl kaum ein Wort verlieren müssen, oder?

    8. März, Barbican Hall, London
    Lully: Phaeton
    Les Talens Lyriques, Namur Chamber Choir, Christophe Rousset

    Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Bei den gut aufgelegten Musikern? Man hat gemerkt, dass wohl eine aufwendige Produktion vorausging (so wirkte es wenigstens), und dass Sänger und Instrumentalisten, es genossen, konzertant richtig Gas zu geben. Auch hier wieder: Welch krasser Unterschied zwischen dem milchigweißen Klang des RIAS-Chors und dem federnden Sprühen und Glänzen des Namur Chamber Choirs!

    Das Genie Lullys und Quinaults wirklich sagenhaft, denn auch ohne Inszenierung (und dem bühnenmechanischen Spektakel, auf das der Phaeton ganz besonders ausgelegt war), war ich selten so mitgerissen und gebannt vom dramatischen Geschehen. Wieder habe ich den unendlichen Geschmack bewundert, der die ganzen Ballett-, Chor- und Arieneinlagen so natürlich und angemessen erscheinen lässt. Keine Minute Langeweile, nirgends ein Ungleichgewicht.

    Ich war restlos begeistert. Von der Art und Weise, wie Rousset vermarktet wird, hätte ich übrigens einen etwas eitlen Bühnenmenschen erwartet. Sein Dirigat jedoch war schon so fast kumpelhaft, und beim Applaus gewann man den Eindruck, als wolle er sich immer hinter seinen Muskikern verstecken. Das Londoner Publikum zeigte sich beim Applaus unterkühlter als das Berliner, was mich erstaunte.

    14. April, Konzerthaus, Großer Saal
    »Berlin 1800«
    – Johann Friedrich Reichardt (1752-1814): Sinfonia G-Dur
    – E. T. A. Hoffmann: Ballettmusik »Arlequin«
    – Johann Gottlieb Naumann (1741-1801): Klavierkonzert B-Dur
    – Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1772-1806): Rondeau für Klavier und Orchester B-Dur op. 9
    – Beethoven: 1. Sinfonie
    Akademie für Alte Musik Berlin, Marcus Creed, Christine Schornsheim – Hammerklavier

    Der Reichardt war nett und schmissig, mitreißend dargeboten, aber eben auch vorhersehbar und irgendwie belanglos. Hoffmanns Musik hat etwas Kauziges, genau wie seine Schreibe, man spürt, woher die Ideen kommen, welches seine Vorbilder waren, aber überzeugen kann er mich damit nicht so recht. Da aber alles toll gespielt war, hatte man dennoch viel Spaß.

    Dann kam der erste Höhepunkt, der aber zu einem großen Teil dem virtuosen Klavierspiel von Schornsheim geschuldet war, nicht unbedingt dem Stück. Wobei es da auch nichts zu meckern gab. Das Rondeau des preußischen Prinzen war eine echte Überraschung, einfallsreich, quirrlig.

    Und dann der Hammer des Abends. Ein echter Thriller, diese Beethoven-Sinfonie, vor allem in der atemlosen Interpretation von Creed und Akamus. Da ging der Punk ab. Vor allem die teils überraschende, konfliktreiche Rhythmik des Stücks wurde sagenhaft herausgearbeitet, und ich merkte mal wieder überdeutlich, weshalb ich motivisch-thematische Tonsatzarbeit so liebe, wenn da ein richtig Genialer am Werk ist. Und ich finde, dass das in dem recht schonungslosen hip-Klang alles noch viel besser zur Geltung kommt als bei den Aufnahmen, die ich aus meiner Jugend kenne. Jedenfalls hat uns das vollkommen gepackt, und wir haben uns danach kaum eingekriegt.

    18. April, Kammermusiksaal Philharmonie
    »Haydn auf dem Weg nach London«
    – Haydn: Pariser Sinfonie D-Dur Hob I:86
    – Mozart: Klarinettenkonzert A-Dur KV 622
    – Johann Peter Salomon (1745-1815): Romanze für Violine, Streicher und Cembalo
    – Haydn: Sinfonie D-Dur Hob I:104 »Salomon«
    Freiburger Barockorchester

    Kuriosum: Das Klarinettenkonzert erklang in einer rekonstruierten Fassung und auf einer Bassettklarinette, die Lorenzo Coppola sehr einnehmend vorzustellen und zu spielen wusste. Für mich waren aber die beiden Haydns die Hauptakteure des Abends, und wieder einmal waren wir vom FBO und seiner unbändigen Spielfreude mitgerissen.

  • Gestern (8.Oktober 2013) Jaroussky in der Philharmoni mit dem Venice Baroque Orchestra und Andrea Marcon.

    Eingeleitet und aufgelockert von Sinfonien (Opernouvertüren) von Porpora und Leo, einem Tempesta von Sarti und der Follia-Bearbeitung von Geminiani sang Jaroussky Arien aus Opern Porporas. Der Saal ist natürlich für ein hipes Barockorchester eine Spur zu groß, aber das hat den Genuss kaum getrübt.

    Da die Arien aus dem Musikdrama herausgelöst erklangen, lag die Betonung freilich auf der Virtuosität, vor allem in den Da Capos. Da hat Jaroussky teileise schwindelerregend verziert und dicker aufgetragen, als das im Rahmen einer Opernaufführung gesund gewesen wäre. Das Ganze mit einer Leichtigkeit und einem Wohlklang, dass man die Hysterie, die (Kastraten-)sänger damals zuweilen ausgelöst haben, gut nachvollziehen konnte. Dabei verblüfft mich die unglaubliche Musikalität dieses Sängers, denn er schafft es, trotz der gekünstelten Textaufteilung und den aberwitzigen Sprüngen, Pausen und Koloraturen alles wie eine Phrase, wie einen Melodiebogen erscheinen zu lassen. Das virtuose Springen und Perlen überdeckt selten einmal den Sinnzusammenhang einer Linie, sondern bleibt meistens darunter. Das ist ein großes Kunststück, wie ich finde, denn oft habe ich den Eindruck (auch bei richtig guten Sängern), dass zum Beispiel Koloraturen vor lauter Virtuosität aus dem eigentlichen musikalischen Bogen herausfallen.

    Jarousskys Stimme ist, wie ich finde, auch ein bisschen anders als die vieler anderer Falsettisten. Er klingt schon eher so, wie ich mir Kastratenstimmen anhand der Textzeugnisse vorstelle, denn auf mich wirkt der Klang sehr knabenhaft. Nur eben lauter, tragfähiger, beweglicher. Sehr schön jedenfalls. Ich war klanglich und musikalisch durchaus verzaubert.

    Porporas Arien sind schon auch beeindruckend. So beeindruckend, dass ich mich mal wieder ärgere, dass die Welt es trotzdem nicht für nötig hält, seine Opern auch mal als Ganzes ins Repertoire aufzunehmen.

  • Gestern bei einem Konzert der Reihe "Originalklang" in der Philharmonie (Berlin).

    Es wurde gegeben: Concerti und Sonaten von Corelli und die Vier Jahreszeiten von Vivaldinello. Gespielt von den Berliner Barock Solisten unter der Leitung von Bernhard Forck und Daishin Kashimoto als jahreszeitlicher Sologeiger.

    Tolle Musik, vor allem der Corelli! Bin immer wieder erstaunt, wenn ich Corelli live höre.

    Aber eigenartig: Da sitzen zwei Cellisten. Die eine, ursprünglich vom Freiburger Barock Orchester, spielt, wie ich das erwarte. Der andere, wohl ein Mitglied der Berliner Philharmoniker, greift mit sattem Vibrato in die Saiten. Da sitzen hip und hup nebeneinander. auch Kashimoto, der wirklich mitreißend spielt, hupt in den Saal, während Forck am ersten Pult hipt. So hat man für Momente, vor allem in Tuttistellen, einen hipen Klang, und dann kommen wieder Passagen, wenn Kashimoto und der besagte Cellist (finde gerade das Programmheft nicht, um den Namen zu eruieren) sich duellieren, wo man sich in einen Salon um 1890 herum versetzt fühlt. Das finde ich wirklich kurios, und ich frage mich, wie solche Zusammenstellungen von Musikern zustande kommen. Und wenn "Originalklang" über der Konzertreihe steht, hätte ich das eigentlich nicht erwartet.

    • Offizieller Beitrag

    Es ist inzwischen zu einer festen Einrichtung geworden, mindestens einmal im Jahr zusammen mit meiner in der Nähe ansässigen Tante, die mich freundlicher Weise jedesmal einläd, eine Veranstaltung der Bad Krozinger Schloßkonzerte zu besuchen. Gestern war es wieder soweit:

    Enno Kastens am Fortepiano mit dem um die Flöte entreicherten Artaria-Bläserquintett beschallten den historischen Konzertsaal mit folgendem Programm:

    Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791)
    Capriccio C-Dur KV 395 (Clavier solo)
    Quintett Es-Dur KV 452

    Kastens bediente einen unsignierten, dafür belederten, Hammerflügel von Johann André Stein, entstanden angeblich in Augsburg ca. 1790

    Ludwig van Beethoven (1770-1827)
    Scherzo c-moll WoO 53 (Clavier solo)
    Quintett Es-Dur op. 16

    Diesmal wurde ein Hammerflügel von Michael Rosenberger c1810 bespielt.

    Die vier Mitglieder des Bläserquintetts (Maike Buhrow / Oboe, Daniel Beyer / Clarinette, Martin Mürner / Horn und Yves Bertin / Fagott) spielten auf ihren historischen Instrumenten sehr organisch und exakt aufeinander abgestimmt. Besonders die Hornsoli von Martin Mürner auf seinem Natur-Croissant waren nahezu perfekt, wenn man bedenkt, daß das Instrument über keine Hilfsmittel wie Klappen und Ventile verfügte. Leider integrierte sich der Pianist nicht so gut, Mozart lag ihm nicht so sehr wie Beethoven.

    Das Andante cantabile aus Beethovens Schwesterwerk ist besonders gelungen und übertraf Mozarts Werk insgesamt bei weitem; aufgefallen ist mir hier erstmals eine gewisse thematische Parallele des Beethovenschen Mittelsatzes zu Mozarts Bati, bati o bel Masetto (aus dem "Don Giovanni"). Das solistische Hervortreten aller beteiligten Instrumente ist hier wesentlich intensiver als bei Mozart. Auch meiner Tante hat der Beethoven wesentlich besser gefallen.

    Als Zugabe gaben die Musiker aus Franz Dazis d-moll-Quintett den Finalsatz. Unter Einsatz seines Lebens betätigte Kastens zu den Schlußakkorden den Janitscharenzug, der aber zu diesem Werk nicht recht passen wollte.

    :wink:

  • Vorgestern spielten Les Violons du Roy unter Bernard Labadie im Kammermusiksaal der Philharmonie Werke von Haydn und Mozart. Für ein Paar Gesangsnummern war Magdalena Kozena dabei. Das Ensemble spielt nicht opi, aber hip und sehr engagiert. Hat mir gut gefallen. Die Mezzosopranistin konnte mich nicht überzeugen. Oder anders gesagt: von ihrem Können konnte sie mich überzeugen, aber nicht hinreißen. Da war mir manches mit zu viel "Kraft", und die Textausdeutung ging mir zu weit ins Übertriebene oder Manirierte hinein. Einzig die Zugabe, die Cherubino-Arie aus dem Figaro (korrigiert mich, wenn ich das wieder durcheinanderwerfe) "Voi che sapete" war in seiner gekonnten Schlichtheit ein Knaller.

    Die überraschende Entdeckung des Abends war Haydns Symphonie 85 in B-Dur "La Reine". Ein spannender erster Satz, das Menuett an der äußerst geschmackvollen Grenze zum Kalauer. Immer wieder landet Haydn bei mir solche Volltreffer.

    Gestern dann wieder im Kammermusiksaal, diesmal mit dem Freiburger Barockorchester und der Sopranistin Carolyn Sampson. Das Motto lautete "Barock auf hoher See", und hier ging es von einem Kleinod zum nächsten. Zu den Arien von Vivaldi und Händel aus verschiedenen Opern muss man nicht viel sagen. Das Vivaldi-Konzert RV 572 "Il Proteo" kam mit der Spielfreude des FBO besonders zur Geltung und hat auf ganzer Linie entzückt. Auch ungeheuer mitreißend und für mich ebenfalls eine Neuentdeckung war Telemanns Suite TWV 55 C3 "Hamburger Ebb' und Fluth". Es ist eine wahre Lust zu erleben, mit welcher Brillanz und welcher Unmittelbarkeit diese Musiker Telemanns effektvolle Einfälle an den Mann bringen.

    Es folgten noch zwei überraschende Neuentdeckungen: Vivaldis Motette RV 632 Sum in medio tempestatum. Vor allem die zweite Arie "semper maesta" ist trotz aller Virtuosität ein sehr zu Herzen gehendes Stück. Und als Zugabe gab es noch eine Arie aus Händels Il trionfo del tempo e del disinganno. "Tu del ciel ministro eletto". Über dem Bass schweben konzertierend Sopran und Sologeige, sich immer wieder in traulichen Dissonanzen aneinander schmiegend, so clever, so raffiniert, und doch klingt das Ganze so ehrlich und schlicht. Habe mal wieder einen innerlichen Kniefall vor dem jungen Händel gemacht.

    • Offizieller Beitrag

    Vorgestern spielten Les Violons du Roy unter Bernard Labadie im Kammermusiksaal der Philharmonie Werke von Haydn und Mozart. Für ein Paar Gesangsnummern war Magdalena Kozena dabei. Das Ensemble spielt nicht opi, aber hip und sehr engagiert.


    Wohl aber nicht grundsätzlich, denn auf ihrer homepage schreiben sie:

    Zitat von Les Violons du Roy

    Although the ensemble plays on modern instruments, its approach to the works of the Baroque and Classical periods has been strongly influenced by current research into performance practice in the 17th and 18th centuries; in this repertoire Les Violons du Roy uses copies of period bows.


    Ich nehme daher an, daß die Britten-CD, die ich habe (Les Illuminations mit Gauvin), auf modernen Instrumenten gespielt wurde; aber man merkt eben deutlich, wo das Ensemble daheim ist. Tut Britten sehr gut.

    :wink:

  • Ja, genau das stand auch im Programmheft, und ich dachte, das könnte man mit "historisch informiert, aber eben nicht auf historischen Instrumenten" umschreiben. Wir müssten für dieses Ensemble, das nicht auf historischen Streichinstrumenten, wohl aber mit historisch( nachgebaut)en Bögen spielt, eine neue Kategorie einführen: hopi, half on period instruments. Schade, dass die Hopi in Arizona leben und nicht, wie die Ensemble-Mitglieder, in Kanada.

    Klang und Interpretation des Orchesters haben mir sehr gut gefallen, das ist schon sehr hip, was die machen. Hip, hip, hurra, könnte man schon fast sagen.

    • Offizieller Beitrag

    Wir müssten für dieses Ensemble, das nicht auf historischen Streichinstrumenten, wohl aber mit historisch( nachgebaut)en Bögen spielt, eine neue Kategorie einführen:


    Gibt es ja eigentlich, nur wird es umgangssprachlich sträflich vernachlässigt... LVdR sind HIP, aber eben nicht HAP.

    ^^

  • Letzten Sonntag war ich in der Philharmonie (Berlin).

    Händel: Dixit Dominus HWV 232
    Purcell: Dido and Aeneas

    MusicAeterna (Orchester und Chor des Opern- und Ballett-Theaters Perm, Russland)
    Leitung: Teodor Currentzis
    Anna Prohaska, Nuria Rial, Tobias Berndt u.a.

    Das Programm schon mal ganz exzellent und nach meinem Geschmack!
    Beim Händel sangen Solisten aus dem Chor.
    Sowohl Chor als auch Orchester waren, so weit ich das beurteilen kann, recht stark besetzt. Trotzdem wurde sehr hip musiziert. Das Orchester ist sehr gut eingespielt und hat mächtig gegroovt. Der Chor geradezu sensationell virtuos trotz seiner Größe. Selbst schnellste Läufe kamen immer gestochen scharf, durchsichtig fast, die einzelnen Stimmen perfekt aufeinander abgestimmt. Dennoch beseelt und weitab von Sterilität.
    Stücke wie das Conquassabit wurden einem regelrecht eingeprügelt, Currentzis übertreibt es leider mit der Effekthascherei, das hätte dieses großartige Ensemble nicht nötig. Da mussten auch - ich weiß nicht mehr bei welchem Stück - seltsam synkopierte Betonungen in die Quartolenketten der Streicher eingebaut werden. Alles ungeheuer frisch, direkt, mitreißend, aber manchmal leider auch zu wirkungsvoll.

    Darunter und unter der großen Besetzung litt der Purzel fast noch mehr. Ursprünglich war Simone Kermes für die Dido angekündigt, wurde dann aber mit Prohaska ausgetauscht, was mir auch gar nicht unrecht war. Denn die Prohaska hat sich zu einer erstaunlich wandlungsfähigen Sängerin mit sehr angenehmem weichem Timbre entwickelt. Ihr Ausdruck ist sehr expressiv und ehrlich ohne Hang zum Manierismus. Nuria Rial ist ohnehin eine wahre Freude für die Ohren.

    Currentzis hat bei dieser Oper voll auf Kontraste gesetzt. Bei den Tänzen fetzt er einem die Socken weg, dann wieder lässt er zum innigen Gesang improvisierend die Lauten klimpern - Pluhar lässt grüßen. Das geht wie bei Pluhar schon fast ins Popig-Weltmusikalische. Da wird olle Barockmusik schick gemacht und zur Ambient-Chillzone, not my cup.

    Dann der Schlusschor: Hier ging es eigentlich nur noch darum, dem Philharmonie-Publikum (es war das erste Konzert des Ensembles an dieser renommierten Spielstätte) zu zeigen, wie abartig virtuos und genial der Chor ist. Einen solchen Klangzauber, ein solches Chor-Pianisssimo habe ich noch nie erlebt. Die Zuhörer waren völlig gebannt, und der Applaus war demenstprechend frenetisch. Die Leistung dieses Chors ist wirklich mehr als beeindruckend.

    Aber halt! Das ist Purcell, das ist 17. Jahrhundert! Habe ich mir dabei ständig gedacht. Nun hat der Chor stilistisch durchaus den Ton getroffen, das war nicht eigentliche romantische Klangschwärmerei, was die gemacht haben. Auch die Vibrato-Behandlung, das chorische messa die voce hat alles gepasst, aber die dynamischen Extreme sprengten eindeutig den Rahmen dieser Musik. Kurios: Obwohl das alles wahnsinnig schön und unerhaltsam anzuhören war, obwohl mich die Virtuosität, der Klang, die Frische berückten, habe ich mir doch nebenbei ständig gewünscht, die Oper mit einem weniger prätentiösen Spezialilstenchor (und -orchester) unter Christophe Rousset oder William Christie zu hören. Das war mir letztlich dann doch einen Tacken zu schick, zu effekthascherisch.

    Und ich fand es schade, dass ein dermaßen gutes Ensemble es nötig hat, sein Publikum mit solchen Mitteln herumzukriegen. Die könnten so gut auch ohne den ganzen Schick-Schnickschnack.

    • Offizieller Beitrag

    Einer Einlandung unseres Arnulfus' folgend durfte ich teilhaben an dem ohrenerregenden Ereignis im Mozart-Saal der Liederhalle Stuttgart:

    5. Sinfoniekonzert: Glut

    Musikalische Leitung: Teodor Currentzis
    Sopran: Christiane Iven
    Staatsorchester Stuttgart

    GUSTAV MAHLER
    LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN (1893–96) FÜR STIMME UND ORCHESTER

    PETER TSCHAIKOWSKY
    SINFONIE NR. 6 H-MOLL OP. 74 »PATHÉTIQUE« (1893)

    Ich finde es ja stets merkwürdig, ein Konzert für Sonntag Vormittag anzuberaumen und auch noch zu besuchen (während ich mich eigentlich noch in der Dekompressionsphase befinde...), aber wie muss das erst für die Musiker sein? Ich könnte nicht einen ernstzunehmenden Ton aus meinem Instrument hervorlocken, geschweige denn singen... umso erstaunter war ich über die gnadenlose Präsenz der Orchestermusiker und der Sängerin und... des Dirigenten, der andern Forums als eine Art sibirischer Wald-und-Wiesen-Dirigent verunglimpft wurde (wobei man m. E. nicht luxuriöser in eine Friteuse treten kann...).

    Der Mahler-Zyklus verflog in einem Augenblick; bevor mir Worte einfielen, mit denen ich die wunderbare Stimme der (Mezzo?) Sopranistin hätte angemessen beschreiben können, war bereits Pause. Ich war erschüttert. Nach der Pause dann die Pathétique von Tschaikowsky; dieses Werk habe ich offenbar unterschätzt, insbesondere das Finale hat mich diesmal extrem mitgenommen. Das Orchester lief auf Hochtouren - was letztlich den eruptiven Anweisungen Currentzis' zuzuschreiben ist - und entlockte sich selbst Klangfarben, die auf keinem Papier der Welt hätten stehen können: so hörte ich irriger Weise plötzlich vor dem Einsatz der choralartigen Passage im Finale einen schüchternen Damen-Chor (flüsternde Sopran- und Alt-Stimmen) - aber ein Chor war natürlich weit und breit nicht in Sicht und im Werk auch nicht vorgesehen.

    Jedenfalls ein herrliches Konzert mit anschließendem ebenso herrlichem Gaumenschmaus. Also vielen Dank an meinen Gastgeber für den wunderbaren Sonntag! Die Pathétique - zumindest deren Finale - könnte ich mir wohl zukünftig häufiger anhören.

    Achja: bereits vor Beginn der Vorstellung entsteckten meine stets auf der Jagd seienden Augen ein weiteres Eroica-Mitglied. Gerade, als ich eine FB-Nachricht senden wollte, begann jedoch schon das Konzert, so daß ich dies auf den Pausenapplaus verschoben habe. So kam es dann während der Pause und nach dem Konzert zu einem kleinen ungeplanten Eroica-Mitglieder-Treffen, was mich sehr gefreut hat.

    Und ganz nebenbei wurde frisch aus der Gerüchteküche erwähnt, daß Currentzis der derzeitige LAG von Frau Kermes ist... wenn dem so ist, wundert mich grad nix mehr.


    ^^

  • Leute, Leute, diese Spielzeit war bisher wirklich ein Fest!

    Bisher jeweils zwei Abende mit Akamus und dem Freiburger Barockorchester. Beim ersten Akamus-Abend gab es venezianische Konzerte vor allem für Oboe (Xenia Löffler). Das war mal wieder ein Fest, man merkt Akamus halt auch an, welchen Spaß sie selbst an dieser Musik und ihren virtuosen, teils opernhaften Effekten haben.

    Der zweite Akamus-Abend: Allein schon die Liste der Komponisten lässt einen in Verzückung geraten: Veracini, Stulick, Pisendel, Heinichen, Hasse, Vivaldi, W. F. Bach, Fasch! Solist bei einigen Stücken war der Blockflöter Maurice Steger, mir manchmal schon fast zu virtuos, aber das Ganze war dennoch ein unglaublicher Glückskeks.

    Die Themen des ersten Konzerts des FBO in dieser Saison waren Konzert mit Doppelchor und Dresden mit Kompositionen von Händel, Vivaldi und Schmidt (Johann Christoph 1664-1728). Vor allem bei den Vivaldi-Werken für das Dresdener Orchester konnten sich auch mal die sonst etwas vernachlässigten Instrumente (wie das Fagott) etwas austoben.

    Diese drei Konzerte waren sich vom Programm her ziemlich ähnlich. Immer wieder wird man aber verblüfft, wenn diese Ensembles solche Musik in kleineren Sälen spielen: Dieser Groove, dieser Swing, dieser Schmelz! Das birst vor Lebendigkeit schier auseinander.

    Erst letzten Samstag das zweite FBO-Konzert mit dem RIAS Kammerchor (den ich einfach nicht mag, zu kultiviert, zu bleich, zu perfekt und farblos) und Leonardo Garcia Alarcón als Dirigent. Vor der Pause ging es düster und eher weniger Interessant zu mit Cherubinis Requiem. Nach der Pause erfolgte aber erst mal meine Bekehrung: die Symphonie von Onslow hat mich tatsächlich begeistert! Und dann endete der Abend mit einem Vollrausch: Beethovens Chorfantasie, ohnehin seit meiner Kindheit ein mir liebes Werk, nun aber zum ersten Mal hip in meinen Ohren. Ich wäre vor Entzücken manchmal am liebsten von meinem Platz aufgesprungen und hätte die Musiker umarmt. Für Ulli: Gehammerklaviert hat Sebastian Wienand (in meinen unfachkundigen Ohren sehr schön!).

    Ende Oktober hat Emmanuelle Haim die Berliner Philharmoniker dirigiert, die römische Auferstehung Händels. Dazu hat sie etliche Musiker von Le Concert d'Astrée importiert. So hat man nur noch am Streicherklang gemerkt, dass etwas nicht "stimmt", auch wenn sich die Damen und Herren Philharmoniker große Mühe gegeben haben, historisch zu streichen. Die Musikalität dieser Damen und Herren ist eben aber nicht zu leugnen, und deshalb kam unter Haims Dirigat ein zutiefst beglückender Händel dabei raus. Auch dank der Gesangssolisten (Tilling, Karg, Lehtipuu, Prina, Purves).

    Als wäre das nicht genug, haben Claudio Cavina und La Venexiana gestern noch mal eine Schippe Ekstase draufgelegt mit Monteverdi-Madrigalen aus dem achten Buch. Die Hits, der Combattimento und der Lamento della ninfa, waren auch mit von der Partie. Ich habe mich im Vorfeld schon riesig gefreut, dass ich dieses Ensemble mal erleben darf, und das Lifeerlebnis war denn auch etwas ganz Besonderes. Da klingt der Monteverdi so authentisch und dramatisch und irgendwie italienisch! Das ist fein musiziert, differenziert, ausgewogen und virtuos, und doch voller Unvollkommenheiten, die einzelnen Stimmen sind eigentlich viel zu heterogen, um perfekt zusammen zu klingen (wie der RIAS Kammerchor es tut), aber genau das begeistert mich. Bislang hatte ich bei keinem anderen Ensemble so sehr den Eindruck, dass diese Musik damals in der Ca' Mocenigo genauso geklungen haben könnte, so fein und gleichzeitig so roh und unverbraucht, ungekünstelt.

    Und dann die Musik an sich: Dieser Monteverdi macht einen immer wieder fertig! Wie viele Einfälle, wie viel Schöheit und wie viel Drama hier auf engstem Raum komprimiert ist, das ist einfach sagenhaft. Wenn einen die verblüffenden Klangeffekte nicht umhauen, dann ist es die clevere Rhythmik oder die überraschende Harmonik oder einfach nur die reine Anmut. Ich finde es immer wieder unglaublich, dass diese neue Art zu komponieren, diese eben erst geborene Barockmusik gleich in der ersten Generation zu einer solchen Übervollendung gefunden hat!

    • Offizieller Beitrag

    Und dann endete der Abend mit einem Vollrausch: Beethovens Chorfantasie, ohnehin seit meiner Kindheit ein mir liebes Werk, nun aber zum ersten Mal hip in meinen Ohren. Ich wäre vor Entzücken manchmal am liebsten von meinem Platz aufgesprungen und hätte die Musiker umarmt.


    Da gibt es Abhilfe:

    *yepp*

    Soweit ich mich erinnere, offeriert die CD verschiedene Introduktionen... darüber ist lange ein Thread fällig! *shame*

    • Offizieller Beitrag

    Carl Philipp Emanuel Bach - Stationen eines Originalgenies.

    Triosonate h-moll WQ143
    Sonate e-moll Wq124
    Triosonate C-Dur Wq149

    Nach der Pause:

    Triosonate F-Dur Wq163
    Rondo für Clavier allein E-Dur Wq57/1
    Quartett D-Dur Wq94

    Ensemble Sans Souci Berlin

    Christoph Huntgeburth, Traversflöte
    Irmgard Huntgeburth, Violine in alter Mensur
    Piroska Baranay, Violoncello in alter Mensur
    Natalie Pfeiffer, Cembalo und Hammerflügel

    Insgesamt hat das Konzert ein wahrnehmbaren Bogen zwischen den frühen z.T. noch dem Barock verhafteten und den späten Werken CPE Bachs gezeigt. Der Teil vor der Pause war etwas mühsam; zwar kurzweilig, aber ich hatte den Eindruck, das Ensemble war noch nicht warmgespielt. Zudem hatte die Bratschistin wohl nicht ihren besten Tag; der ungarischen Cellistin, die n.b. ohne Stachel spielte, ist zweimal das Spielzeug Richtung Erdmittelpunkt entglitten (was sie aber nicht im geringsten beeindruckt hatte). Interessant war in jedem Fall die bewusst anachronistische F-Dur-Sonate, bei der eine Bassblockflöte (was für ein Pfosten!) zu Gehör gebracht wurde: ein ungewöhnlicher Ton, der jedoch durch den Krach der übrigen Instrumente leider etwas unterging.

    Bespielt wurde im ersten Teil ein Cembalofake nach Christian Zell (1728, zweimanualig), im zweiten Teil ein originaler Hammerflügel von Matthäus Heilmann (ungesichert), Mainz c1780. Beides sehr passende wie klangschöne Instrumente. Die Herrscherin der Tasten, Natalie Pfeiffer, hat mir imponiert: sie war mit ihren Blicken in die Noten und auf die übrigen Musiker*innen stets einen Augenblick in der Zukunft, grinste wie ein Honigkuchenpferd, wenn sie die kommenden musikalischen Passagen quasi wie neu entdeckte und freute sich wie eine Schneekönigin, wenn es richtig rummste im Karton (der vor ihr stand). Sie war sehr souverän und zugleich sehr inspiriert.

    Ganz frisch erschienen im Februar 2014 ist das Buch "Fritz Neumeyer und seine Sammlung":

    Es inkludiert jede Menge hochinteressante und zitierfähige Essays zum Thema HIP/opi, wobei der Focus verständlicher Weise auf Tasteninstrumenten liegt.

    Für den Preis einfach nur geil!

    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Nach längerer Zeit waren wir gestern, 18.12.2014, mal wieder im Gasteig.
    2.Abonnementkonzert e5 der Münchner Philharmoniker.
    Der von mir überaus geschätzte Pietari Inkinen hatte die musikalische Leitung, beim Klavierkonzert spielte William Youn.

    Zunächst zum Gesamteindruck: Die Akustik im Gasteig ist nicht begeisternd. Wenn man etwas preisbewusst an die Sache herangeht und z.B. im M-Block sitzt, ist das Orchester relativ dumpf und distanziert. Für mich das Fazit: lieber in den Herkulessaal, und wenn es denn gelegentlich unbedingt doch mal der Gasteig sein soll, muss man doch mehr ausgeben, sonst kann man es sich gleich sparen.
    Da sehnte ich mich nach meiner Düsseldofer Tonhalle zurück.

    Eröffnet wurde das Konzert von Olivier Messiaens Les Offrandes oubliées [Die vergessenen Opfergaben] — Méditation symphonique (1930). Gerade bei moderneren Komponisten fand ich Inkinen immer brillant, und wurde auch gestern nicht enttäuscht. Er gestaltet die Musik, lässt das Orchester wirken, baut große Bögen auf. War ein guter Auftakt.

    Dann kam William Youn mit auf die Bühne, und es gab von Frédéric Chopin das 2.Klavierkonzert f-moll, op.21 (1829-30). Tja, Ulli: Du hast mich echt verdorben...
    Den modernen Flügel fand ich klanglich geradezu unerträglich. Vielleicht lag es auch an der problematischen Akustik vom Gasteig, aber das Klavier fand ich viel zu dominant. Was ich an Herangehe/Lonquich oder Brüggen/Dang Thai Song so bewundere ist, wie die Klaviere Phrasen oder Einwürfe aus dem Orchester ausspielen, wie Chopins wunderbare Melodien umspielt werden und sich ein brillantes Feuerwerk entzündet. Selbst omi mit Berezovsky seinerzeit in Düsseldorf fand ich das schön. Aber gestern... für meine Ohren klang es nur nach "geklimper". Technisch war an Youns Spiel nichts auszusetzen, aber der Funke sprang nicht über, ich habe mich schließlich sogar gelangweilt. Wenn ein Rondo gut gespielt wird, freut man sich bei jedem Auftreten des Themas aufs Neue, zumal bei Chopin das Thema auch immer wieder lebhaft umspielt wird.
    Das war nicht mein Konzert, bestenfalls "befriedigend".

    Nach der Pause dann das Stück, um dessentwillen ich eigentlich hin wollte: Jean Sibelius' 1.Symphonie e-moll, op.39 (1898/99). Faszinierend. Packend. Aufwühlend. Weltklasse. Ich liebe es, wie Inkinen Sibelius angeht; und die Münchner Philharmoniker, m.E. einer der besten Klangkörper in Deutschland, folgten ihm. Das Klarinettensolo zur Eröffnung war emotional, gelungen, großartig. Wenn die Leute neben mir nicht unbedingt noch ein paar Dinge hätten klären müssen. Ich kann solche Unhöflichkeiten nicht verstehen: da sitzt eine Orchestermusikerin, spielt emotional ihr Solo teilweise komplett unbegleitet vor einem großen Auditorium. Ist es denn zuviel verlangt, dass man da mal ein paar Minuten die Klappe hält und zuhört, himmelherrgottsakramentnochamoi?!? Man soll ja nicht arrogant sein, aber das Publikum ist AUCH ein Grund, auf bessere Plätze auszuweichen.

    Der Sibelius war den Besuch schon alleine wert. Immer wieder würde ich Konzerte von Inkinen besuchen, und vor allem, wenn es Sibelius gibt (obwohl ich auch schon Schostakowitsch, Vasks, Strawinski, Prokofjew, Berlioz und Tschaikowski von ihm in Höchstform gehört habe).

    Noch eine letzte Beobachtung: das Münchner Publikum ist leichtflüchtig. Ok, es war schon spät —: aber kann man denn nach dem Schlusspfiff nicht noch wenigstens bleiben und dem Dirigenten seine Referenz erweisen? Taktstock runter, Türen auf — raus! Unfassbar. Das hatte das Konzert nicht verdient. Naja, in den Mittelblöcken gab es noch genügend Menschen, die ihn bejubelt und gefeiert haben.

    • Offizieller Beitrag

    Gestern war ich München, in der Philharmonie am Gasteig.
    Es gab i.W. die Camina Burana von Carl Orff.

    Sophia Brommer (Sopran)
    Michael Elliscasis (sterbender Schwan Tenor) Edit: es gab einen Ersatzschwan — den Tenor gab Tobias Hunger.
    Peter Schöne (volltrunkener Bariton)

    Münchner Symphoniker
    Münchner Konzertchor
    Münchner Oratorienchor

    Leitung: Jonathan Stockhammer

    Das Programm wurde eröffnet von der Toccata und Fuge d-moll von J.S.Bach — in der Orchesterfassung von Stokowski.
    Ich persönlich mag die Orgelfassung lieber, einige Figuren klingen in den Streichern doch immer etwas angestrengt, obwohl die Münchner Symphoniker über die dafür notwendigen musikalischen Mittel verfügen. Außerdem habe ich schon in diesem Stück (wie auch später in der Carmina) unter der Akkustik des Gasteig gelitten. Die Posaunen haben auf meinen Plätzen unverhältnismäßig dominiert. Oder Stockhammer hat sie zu oft angeschaut und damit ermutig, wer weiß...

    Wie ich noch gegen Ende der Fuge darüber sinniere, dass die Carmina doch auch mit D beginnt, wie die Fuge endet, ließ Stockhammer auch schon den Chor sich erheben und machte den Schlußton der Fuge zum ersten "D" des "O Fortuna".
    Eine überraschende, aber gelungene Lösung. Ein wenig schadet das vielleicht dem Zyklischen Gedanken der Carmina, die ja nicht ohne Symbolik so endet, wie sie beginnt (hätte man dann nicht konsequenter Weise die Toccata hintendran auch nochmal spielen müssen), aber wenn man es einfach nur als Ouvertüre außerhalb des Rads des Lebens sieht, passt's schon.
    Auf jeden Fall originell, und durch die konsequente Tonalität der Toccata und die bisweilen unerbittliche Diatonik der Carmina auch ganz gut zusammen passend.

    Und dann die Carmina. Habe sie schon sehr oft gehört, sogar am Fagott schon mal gespielt. Aber irgendwie geht die bei mir immer. DIe Chor-dominierte Eröffnung, das "Fortuna Imperatrix Mundi" kam monumental und mitreißend rüber.
    Der Frühling kam — und kein Bariton auf der Bühne. Ich war etwas verwirrt...
    Dann, kurz vor seinem Einsatz, ging eine Seitentür auf, und ein versonnenener, gut gekleideter Bariton (so einen schlanken habe ich schon lange nicht mehr gesehen...) schlenderte nonchalant über die Bühne und sang fast beiläufig, dennoch artikuliert und hervorragend phrasierend, sein "Omnia sol temperat" — und ging wieder.

    In dem Stil setzte sich das fort. Aus gut informierten Kreisen weiß ich, dass Peter Schöne sich NICHT zwischendurch Mut angetrunken hat, sondern bei den Kneipenszenen den Volltrunkenen nur meisterhaft spielte. Mitunter war das Lachen kaum zu unterdrücken. Eine schöne Brücke zwischen Konzertaufführung und szenischem Oratorium.

    Den Schwan haben sie nicht aufgespießt. Der kam auch so in hohe Höhen. Die extremen Lagen exzellent gemeistert, präzise und klangschön.

    Die Sopranistin mit heller, klarer Stimme, sicherer Höhe, sogar beim "Dulcissime".

    Alle Solisten haben nach meinem Empfinden auf allerhöchstem Niveau die Aufführung bereichert.

    Der Chor hat seine Aufgaben bewältigt, dem ganzen einen wuchtigen und volltönenden Rahmen gegeben. Der Kinderchor (komplett auswendig, die kleinen Racker!) glänzte, die Mädchen und vereinzelten Jungen (eigentlich eine gute Wahl für die Jungs, bei dem Mädels-Überschuss) waren mit Eifer, Spaß und Konzentration bei der Sache. Hoffentlich hat denen keiner übersetzt, was sie da singen... :rolleyes:;)

    Der Dirigent hat das ganze zusammengehalten und zu einem runden Zyklus gestaltet, sehr flexibel auf den spielenden Bariton reagiert und kongenial mit den Solisten zusammen musiziert. Die Symphoniker haben einen tollen Klang — und mächtige Posaunen...

    Der einzige kleine Wermutstropfen war tatsächlich die Akkustik. Die Gesangssolisten waren nicht immer gut zu hören, und das, obwohl wir uns schon recht teure Karten im H-Block gegönnt hatten. Eigentlich wollten wir noch eines tiefer, aber da gab es schon nichts mehr. Da muss wirklich dringend etwas geschehen, der Saal war eindeutig der Schwachpunkt in der Aufführung.

    Das zweite, was ich bedaure, ist, dass es das Konzert nur an einem Abend gab. Das hätte ich mir auch gerne noch einmal angehört.

    Insgesamt eines der erfreulichsten Konzerterlebnisse, denen ich in der letzten Zeit beiwohnen durfte.

  • Gestern abend (vor knapp vier Stunden) besuchten wir, Ulli, Arnulfus und ich als Forumsmitglieder und zwei weitere freundliche Menschen, das o.g. Konzert.
    Musiker waren Arthur Schoonderwoerd (Clavierist), Sue-Yin Koang (Violine), und Esmé de Vries (Violoncello), alle spielten auf historischem Instrumentarium, Schoonderwoerd auf einem Hammerklavier (zwanzig Jahre alter Nachbau eines Instruments von Anton Walter von 1790) einem Klavier dessen Vorbild genau zu der Zeit gebaut wurde, als diese Konzerte komponiert wurden.

    Wir trafen uns bereits gegen 17:00 Uhr (da kam ich dazu) in einem Freiburger Gasthaus mit gepflegte österreichisch geprägter Küche. Diese Art des Forum-initiierten Konzertbesuchs mit vorheriger Einstimmung kann ich nur wärmstens empfehlen.

    Gegeben wurde von Leopold Anton Kozeluch (1747-1818) das Trio in e-Moll; von Joseph Martin Kraus (1756-1792) das Trio D-Dur (beide von 1787) und das sechs Jahre jüngere Trio Es-Dur op. 1, 1 von Ludwig van Beethoven (1770-1827).

    Für mich war das Kraus-Trio von ganz besonderem Interesse, abgesehen davon dass es überhaupt meine erste Live-Bekanntschaft mit einem Hammerflügel war. Der sehr freundliche, aufgeschlossene Clavierist Schoonderwoerd stand nach dem Konzert noch für Fragen zur Verfügung, baute sein Hammerklavier etwas auseinander und erläuterte die Mechanik und das Zustandekommen so unterschiedlicher Klänge wie dem cembaloartigen Klang, der während des Kozeluch-Trios vorherrschte, und dem einem modernen Klavier sehr viel ähnlicheren Klang der bei den Trios von Kraus und Beethoven stärker hervortrat. Ausgelöst wurde diese Klangveränderung durch einen mit dem Oberschenkel oder Knie auszulösenden Hebel.

    Die drei Klaviertrios zeigen eine deutliche Entwicklungslinie von Kozeluch über Kraus zu Beethoven, wobei alle drei das Trio nutzen, um alle drei Instrumente in den Vordergrund treten zu lassen. Beethoven und Kraus gestalten die Finale besonders dramatisch was mich sehr beeindruckte. Beethoven bringt als einziger der drei das viersätzige Schema mit Scherzo zur Anwendung.

    Das für mich eindrucksvollste Erlebnis war neben dem inspirierten Spiel der Instrumentalisten der Zusammenklang der Instrumente, der sehr harmonisch und durch die wechselnden Melodiestimmen sehr abwechslungsreich war. So rückte Beethoven, anders als von mir erwartet, sehr nah an die beiden anderen Komponisten heran und die Logik und der Zusammenhang der musikalischen Entwicklung in dieser Zeit wurde unmittelbar erlebbar. Ein sehr inspirierender Abend.

    *wind*

    • Offizieller Beitrag

    Yepp, das war ein durchweg gelungener Abend mit mir sehr lieben Menschen :)

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    Arthur Schooderwoerds Walterflügel a.d.H. Poletti & Tuinman[/align]

    Die Programmgestaltung war durchaus gelungen, obgleich mir persönlich Koželuhs ("oder wie das Ding heißt..." Zitat Leopold Mozart) g-moll-Trio mehr zugesagt hätte - aber das hätte dann auch das Kraus-Trio zu sehr herabgesetzt :D

    Arthur machte auf mich zu Beginn einen etwas gestressten Eindruck, aber das legte sich bald und er mimte wie gewohnt glücklich zur Musik. Die Raumakustik war hervorragend; so wie sich das meiner bescheidenen Meinung nach für Kammemusik gehört: kein Hall, trocken, präsent, alles hörbar (lt. Arthur sogar zuviel :D ).

    Abgerundet wurde die Darbietung durch das Reichen von Laugenbuk und dreierlei Trauben, eine davon in stark verflüssigter und gegorener Form. Ich bin ein Fan ausgegorener Projekte...

    So muss Konzert! *yepp*

    Nach einer vormittäglichen kleinen 8km-Wanderung heute durch den erhabenen Sternenwald (in dem die noch unverarbeiteten Instrumente, die dort wachsen, trotzdem irgendwie Beethovens Pastorale zu spielen in der Lage waren...) bin ich jetzt auch das Gegenteil von o.k. - nämlich k.o. :umfall:

    • Offizieller Beitrag

    Bad Krozingen, 18. April 2015

    Traumhaftes Frühlingswetter im Breisgau und fangfrischer Spargel waren die beste Vorbereitung auf den folgenden ohralen Genuß: im Rahmen des Bad Krozinger Mozartfestes gab sich Yul Wolfgang Brunner mit seinen Salzburger Tafelkumpels die Ehre. Im Salon des Schlosses wurden Clavierkonzerte Pleyels, Haydns und Mozarts gegeben. Bis zur Aushändigung des Programmzettels liessen die Veranstalter ihr Publikum jedoch im Dunkeln, um welche Konzerte konkret es gehen würde: bei Pleyel interessierte mich prinzipiell ersteinmal alles, bei Haydn hoffte ich (vergebens) auf sein D-Dur-Konzert mit dem finalen Gulyas, bei Mozart vermutete ich ein Konzert der Wiener Trias 413, 414, 415 (hoffte aber zugleich auf 537, das ich in "ridotto a quadro" noch nicht live gehört hatte - auch vergebens).

    Ignaz Pleyel (1757-1831)
    Concerto D-Dur B103a
    (nach dem Violinkonzert, Erstaufführung nach Wiederentdeckung)

    Franz Haydn (1732-1809)
    Divertimento C-Dur Hob. XIV:4
    für Clavier, 2 Violinen und Baß

    Wolfgang Mozart (1756-1791)
    Clavierkonzert A-Dur KV 414

    Wolfgang Brunner bespielte einen Tangentenflügel aus dem Jahre 1801 von Späth & Schmal (Regensburg) - lieber Späth als gar nicht :D - ihn begleiteten auf wundersame, köstliche und erheiternde Weise:

    Piroska Bator, Violine
    Stephanie Baubin, Violine
    Simon Steinkühler, Viola
    Hannah Vinzens, Violoncello
    Sepp Radauer, Kontrabass

    Der Sepp machte seinem Zunamen alle Ehre und überzeichnete oftmals mit seiner größenwahnsinnigen Geige die Kehraussätze, was besonders beim Haydn für erhebliches Plus an Spaß sorgte. Brunner, gekleidet wie ein Spardabankmitarbeiter, moderierte sehr sympathisch jedes Werk an und verspielte sich freundlicher Weise häufiger an mir wohlbekannten Stellen im Finale von KV 414... ich habe es selbst noch nie geschafft, diesen Satz (der wohl hinsichtlich des mozartschen "Mittelding zwischen zu leicht und zu schwer" eher zu Letzgenanntem gehört) fehlerfrei durchzuspielen - auch habe ich das Finale live noch nie fehlerfrei zu Gehör getragen bekommen; sei's drum, dann gehört das eben so.

    :D

    Haydns Divertimento fand ich bis auf den gelungenen Schlußsatz eher gepflegt langweilig; das ist wie bei allen Haydnkonzerten: es gibt immer nur eins, das richtig geil ist. Pleyel hatte durchaus Potential und Charakter; meine Pleyel-Sammlung ist noch sehr überschaubar, aber davon könnte ich auch mal wieder etwas hören.

    Die nach Haydn angesetzte Pause wurde gemäß der Junghanns-Tradition ausgelassen, einerseits schade, weil ich das Flanieren durch die Instrumentensammlung stets überaus schätze, zudem das Nachladen von Nikotin für erforderlich halte - andererseits kam mir das ausgerechnet gestern gerade sehr zu pass, da ich diesmal nicht übernachtete und mich somit etwas früher auf den Heimweg machen konnte.

    Ein überaus gelungener Abend! :jubel::jubel::jubel: