Musique à la carte: Konzert-Berichte

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    Die Akkuratesse der Streicher zeigte sich allerdings im anschließenden Lontano von Ligeti noch deutlicher; da bin ich ja bald vom Stuhl geflogen, wie plötzlich die 9 Bässe ohne Fehler und punktgenau in das Gesumme für den Bruchteil einer Sekunde reinschrammten ...


    ... kommt leider im YT-Video bei 1:05:01 überhaupt nicht zur Geltung ... ich saß direkt davor: das war wie eine Kreissäge, die binnen Sekunden den Raum teilte ... *flöt*

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    Live is live: Konzert, Oper, Kammermusik, Liederabend - Von der Einmaligkeit des Erlebens vor Ort

    Ein altes Problem; das Erlebnis vor Ort lässt sich auf Konserve so gut wie nie einfangen. Ich vermutete Ähnliches ja z.B. bei Günter Wand.

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    Nunja, das Gesamtergebnis lässt sich sicher gut fixieren; Details - wenn man , wie ich bei Currentzis, direkt von den Bässen sitzt - wohl eher nicht; außer: die Aufnahme wäre exakt darauf fokussiert worden. Ist halt so ...

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    04.02.2k18, Christuschurch, Carlsruhe

    HÄNDEL: ISRAEL IN EGYPT HWV viernfuffzich

    Clara Sophie Bertram, Sopran
    Katharina Sebsastian, Sopran
    Matthias Lucht, Altus (!)
    Marcus Ullamnn, Tenor
    Julian Popken, Baß
    Lorenzo de Cunzo, Baß

    KIT Konzertchor
    Carlsruher Barockorchester
    Nikolaus Indlekofer

    War sehr gelungen! Leider wurde der erste Theil (Klage Israels über den Tod Josephs) ausgelassen1, also das abermals revidierte Werk in der 2teiligen Fassung dargeboten, aber dies sehr angenehm. Besonders hervorzuheben waren die beiden Baß-Solisten, die im Duett „The Lord is a man of war" für mich das Highlight waren. Zwei recht große Chöre standen parat, hin und wieder - besonders in den Trebles - einige Spitzen vergeigt, aber so ein Liveerlebnis kann das nicht trüben.

    Die Akustik in der Christuskirche war atemberaubend gut, hätte ich nicht gedacht; seit der Sanierung vor einigen Jahren hatte ich dieses Gebäude nicht mehr betreten. Dem Carlsruher Barockorchester wohnt noch immer der Pioniergeist inne, der den Freiburger Kollegen, dem Concerto Köln u.a. längst abhanden gekommen ist.

    Wie jemandem bei diesem Oratorium langweilig werden könnte, ist mir schleierhaft ...

    Händel 4 ever! :love:


    1 Wiki: „Die Musik für den ersten Teil, Lamentation of the Israelites for the death of Joseph, übernahm er aus dem Funeral Anthem, der Begräbnismusik für Königin Caroline, die er zwei Jahre zuvor geschrieben hatte. Nur wenig Text musste geändert werden. Bereits beim Druck der Partitur wurde der erste Teil aber wieder weggelassen, sodass das Oratorium endgültig ein zweiteiliges Werk ohne Ouvertüre wurde (Exodus und Moses Song). In dieser Form wird es auch heute zumeist aufgeführt.“

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    Gestern fand im Herkulessaal in München das Benefizkonzert der Kolibri-Stiftung statt.

    Es gab Mozarts 5.Violinkonzert und die Fünfte Mahler.

    Es spielte die Neue Philharmonie München unter der Leitung von Yoel Gamzou, der Solist war Gilles Apap.

    Dazu muss man wissen, dass eine große Anzahl junger Menschen aus verschiedenen Schulen und Berufsschulen über Ticketpatenschaften sowie eine Menge Migrantinnen und Migranten bzw. Geflüchtete das Publikum dort jünger und bunter gestalteten, als das sonst in München der Fall ist.
    Für Viele war ausgerechnet Mahler der Erstkontakt mit einem Klassikkonzert…

    Der Mozart war, wie soll ich das sagen, ohne negativ zu klingen (was ich wirklich nicht möchte), vermutlich die skurrilste Aufführung dieses Konzertes, die ich je gehört habe (und die auch in Zukunft nur schwer zu übertreffen sein dürfte).

    Es fing alles ganz "harmlos an". Gilles Abap spielt eher wie ein, wie beschreibe ich das, eine männliche Version von Patricia Kopatschinskaja mit Schuhen. Nein, das klingt nicht gut. Er ist schon ein Original, keine Version von irgendetwas. Aber er legt deutlich mehr Wert auf das Werk, auf Spielfreude, auf musikalische Gestaltung als auf geschliffenen Schönklang. Seine Geige darf auch mal krächzen, seufzen, knarzen. Aber dadurch gerade wurde das Konzert frisch, jung, mitreißend und konnte hoffentlich auch die "Neulinge" angemessen mitreißen. Soweit, so gut…
    Als dann Yoel Gamzou sich vor dem Finale an das Publikum wandte mit dem Hinweis, Mozart hätte seine Werke so gestaltet, dass die Kadenz dem Solisten die Möglichkeit gebe, das Werk in seine Zeit und seinen Erfahrungshorizont zu holen, und dass was immer Gilles Apap täte, durchaus mit Bedacht und in musikalischem Ernst geschehe, machte das Neugierig auf das, was geschah.
    Zu Beginn war es ein Rondo-Finale, wie man es erwartete. Spielerisch fröhlich, bei Bedarf auszierend und mit Überleitungen versehen gestaltete sich ein lustiges Zwiegespräch zwischen Solist und Orchester.
    Die Kadenz begann mit ein paar musikalischen Gedanken über die Themen des Finales. Dann brach es los. Die Kadenz nahm sich jeweils eines der Themen heraus und setzte sie in einen vollkommen neuen, musikalischen Kontext, begleitet vom Orchester, verstärkt um ein Jazz-Schlagzeug und türkische Trommeln (sic!). Da erklang das Thema im Big-Band-Sound, als Irish Fiddler, als türkische Musik (nicht im Mozartschen, sondern im authentischen Sinne, eine orientalisch intonierte Geige mit dezenten türkischen Handtrommeln — fantastisch), so dass eine musikalische Tour um die Welt entstand — und das alles mit Mozarts Themen! Das All Ungharese als Irish Fiddler Music — das war atemberaubend, überraschend, aber toll. Muss ich nicht jedes Mal haben (dann ist ja auch die Überraschung weg), vielleicht auch nicht als CD im Auto, aber als Erfahrung den Abend wert! Die Kadenz war dann länger als das ganze Finale. Irgendwann beschied Apap dann (mit Worten): "Genug", Yoel Gamzou kam von seinem Sitzplatz im Orchester wieder zum Pult und nahm das Thema wieder auf.
    Das ganze verklang dann in passend verspielter Weise, indem Apap den letzten Skalentönen seiner Geige noch ein paar gepfiffene, hohe Töne folgen lies… tosender Applaus und der Beweis, dass man auch junge Leute für Klassik begeistern kann, wenn man nicht immer als oberlehrerhafter alter Mann im schwarzen Anzug auftritt.

    Größer hätte der Kontrast zum Mahler nach der Pause nicht sein können.

    Kein Humor, keine Spökes, keine Schnörkel, kein glättender Schönklang, sondern Mahler hielt dem Publikum, gemischt aus älteren Münchner Wohlstandsmenschen und jungen Leuten, die gerade ihr ganzes Leben auf Links krempeln oder an ihrer Zukunft in soliden Berufen arbeiten, einen Spiegel vor, der nicht Gesichter sondern Seelen zeigte.
    Mahler führt jeden Dirigenten, jedes Orchester, an seine Grenzen und bisweilen darüber hinaus. Man blickte in konzentrierte und leidenschaftliche Gesichter vorwiegend junger Musikerinnen und Musiker, denen Mahler physisch und psyschisch alles abverlangte.
    Yoel Gamzou hatte eine anspruchsvolle Tempogestaltung, geprägt von starken Kontrasten, Tempowechseln, Übergängen und Rubati, die an das Orchester ebenfalls sehr hohe Ansprüche stellten.
    Nebenbei: die Bläsersolisten (die Trompete im ersten und das Horn im Mittelsatz) haben eine Weltklasseleistung abgerufen und den jeweiligen Sätzen einen stabilen klanglichen und emotionalen Rahmen gegeben. Die Harfenistin verlieh dem Adagietto gleichermaßen Bewegung und Stabilität als Rahmen für einen der melodischsten Sätze Mahlers.
    Das Finale war dann ein orgiastischer Kehraus, der so leichtfüßig tänzerisch daherkommt und dann in die große Emotion mündet.
    Auf Mahler muss man sich einlassen, Mahler lebt vom Mitmachen (zumindest emotional); darauf konnte sich vermutlich nicht jeder einlassen, vor allem im "etablierten, Münchner Block", in dem wir saßen, ging den Menschen um mich herum scheinbar die Bereitschaft dazu ab. Schade. Das Publikum war teliweise der Musiker nicht wert.

    Für mich persönlich enttäuschender Tiefpunkt des Abends: als (leider nur sehr vereinzelt) den großartigen Musikerinnen und Musikern, allen voran Yoel Gamzou und den Bläsersolisten sowie der Harfenistin, standing Ovations dargebracht wurden, bekam man von hinten zu hören, man solle sich gefälligst Hinsetzen, das sei ja wohl eine Unverschämtheit, und wurde sogar betatscht, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. Dass man selbst mal den Hintern aus dem Sessel erheben könnte, um die Musikerinnen und Musiker zu feiern, kam den Herrschaften (die sich schon im ersten Satz über den Lärm mokierten) wohl nicht in den Sinn. Traurig. Das Münchner Publikum ist mir schon öfter als undankbar aufgefallen, vor allem in etablierten Konzerten. (Im Gegensatz dazu die zeitgenössische Chormusik unter Currentzis im Prinzregententhater — anderes Publikum, andere Stimmung, weniger Pelz und Seidenkrawatte, mehr Emotion).

    Fazit: ganz große Musik, von der ich hoffe, dass sie unter den zahlreichen jungen Menschen vielleicht wenigstens eine Handvoll für die Klassik begeistern konnte, gelungener Abend, und das nächste Mal möchte ich nicht wieder unter den reichen und vermeintlich schönen sitzen (nur dass dieses Mal die anderen Plätze halt nicht im freien Verkauf waren).
    Ach ja, falls Yoel Gamzou das mal liest: ich wünsche mir eine Einspielung aller Mahler-Sinfonien unter der Leitung von Yoel Gamzou.

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    Um 20 Uhr 30 begann im intimen Rahmen des Salle de Séjour im Hôtel Alviset (in unmittelbarer Nähe des Geburtshauses Victor Hugos und jenem der Gebrüder Lumiére) das clavierhändige Schubertiadeprogramm mit Arthur Schoonderwoerd und Jérôme Grangon:

    Divertissement à la Hongroise, op. 54 D818 (Imo JG, IIdo AS)
    Grande Marche Funèbre d-moll op. 55 D859 (dto.)
    Lebensstürme op. post.144 D947 (Imo AS; IIdo JG)
    Ländler Es-Dur D814/1 (dto.)*
    Fantasie f-moll op. 103 D940 (Imo JG; IIdo AS)

    Zugabe: Marche charactéristique C-Dur D968B/1 ex D886/1

    Instrument: unrestaurierter Original-Érard-Flügel c1880

    Beide Forteisten, so unterschiedlich sie sich präsentierten, waren in Bestform und bester Laune und präsentierten ein Mammutprogramm, das an gefühlter Leichtigkeit kaum zu überbieten war. Der Abend verging wie im Fluge und doch gab es Momente, die fast eine Ewigkeit dauerten, leider eben nur fast: das Highlight war (wie gewünscht) das Allegretto aus D818 nach der „ungarischen Melodie“. Dafür, daß das Instrument definitiv unrestauriert war, klang es sehr forsch und einnehmend, manches Mal hakte die ein oder andere Taste im oberen Tonbereich, was leicht als „Verspieler" interpretiert werden kann. Den Raum befüllten ca. 30, vielleicht 40 Leute, die Atmosphäre war sehr privat, wie sich das für eine Schubertiade gehört. Ich fand es bemerkenswert, daß Arthur Schoonderword nicht darauf bestand, stets den Primo zu geben, sondern in den Hauptteilen die Baßpartie zu spielen - und das gepaart mit seiner angewachsenen pittoresken Mimik, die sich ganz contraire zu der Jérôme Grangons präsentierte, der stets ernsthaft, machmal melancholisch dreinblickte - so war es wirklich ein hör- und sichtbares Wechselspiel der Gefühle.

    Im Anschluß gab es ausgiebig Gelegenheit, bei Speis und Trank mit den Künstlern zu kommunizieren - wirklich tolle Projekte stehen in den Startlöchern; nur soviel vorab (unter dem Mäntelchen des Schweigens): Schoonderwoerd wird mit seinem Ensemble Cristofori im September in Bonn gastieren und damit beginnen, die Sinfonien eines gewissen B aus B, freiwillig wohnhaft in W, zu spielen ...

    Bilder können derzeit aus Serverplatzmangel nicht eingestellt werden.

    :wink:

    *vorgesehen war lt. Programm ursprünglich der Grande Marche Héroïque en La mineur, opus 66, D.885 (1826) à l’occasion du Sacre de Sa Majesté Nicolas I, Empereur de toutes les Russies (hat aber wohl niemand bemerkt)

  • Konzert zur Eröffnung der Wasserspielsaison

    Am 1. Mai lud der der Verein Bürger für das Welterbe Kassel e.V. zu einem Konzert im Ballhaus Wilhelmshöhe.

    Es spielte das Orchester der Musikakademie Kassel unter der Leitung von Alberto Bertino.

    Das Musikprogramm:

    G.F.Händel: Watermusick (1717)

    L.van Beethoven: Sinfonie Nr.5 in c-moll Op.67 (1808)

    Mitglieder der Cour de Cassel waren auf speziellen Wunsch des Vereins Bürger für das Welterbe Kassel e.V. als Ehrengäste eingeladen, um mit ihrer Präsenz ein wenig lebendiges, historisches Flair zusätzlich zum Konzert zu vermitteln. Die Anwesenheit des Landgrafen mit Entourage kam bisher immer sehr gut beim Publikum an und potenzierte die feierliche Stimmung.

    2017 wurde Cour de Cassel zum ersten Mal zu einem solchen Konzert eingeladen, man feierte den 300. Geburtstag des Kasseler Herkules: Konzert im Ballhaus 2017


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    Unter König Jérôme Bonaparte (reg. 1807–1813) wurde das Erstlingswerk des damaligen Hofarchitekten Leo Klenze (1784–1864) im Jahr 1810 zunächst als Hoftheater errichtet. Kurfürst Wilhelm II. (reg. 1821–1831) hatte nach seinem Amtsantritt jedoch keine Verwendung mehr für das Gebäude und ließ es von 1828 bis 1830 von seinem Architekten Johann Conrad Bromeis (1788–1855) zum heutigen Ballhaus umbauen.

    Das Konzert am 1.Mai 2018 war restlos ausverkauft und ein großer Erfolg.

    Die Musikakademie spielte auf modernen Instrumenten auf einem hohen Niveau – besonders taten sich natürlich die Solisten hervor, an erster Stelle die Konzertmeisterin Silvie Kraus (Gründungsmitglied von Concerto Köln) und Angela Hug, Dozentin für Alte Musik in Kassel (Blockflöte) – ihr Spiel war sicher eines der Highlights des Abends.

    Bei Beethovens berühmtester Sinfonie fühlten sich die jungen Musiker der Akademie sichtlich wohler als bei Händels barocker Wassermusik – Beethoven wurde mit dem nötig Biss zelebriert und wirklich mitreißend gespielt. Vor allem der finale Satz war ein weiterer Höhepunkt des wunderbaren Konzerts.

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    (Dem Landgrafen Karl hatte das Konzert sichtlich gefallen)

    Man kann nur hoffen, dass diese Konzerte auch weiterhin
    stattfinden, das Ballhaus in Wilhelmshöhe ist dafür der Ideale Rahmen.

  • Gestern Mittag ein weiteres Konzert besucht: „Barockmusik aus der Zeit des Landgrafen Carl“

    Diese Konzerte, die insgesamt auf 3 Termine verteilt sind, stehen jeweils unter einen Nationalen Thema: Italien, Frankreich und Deutschland und fassen Komponisten zusammen, die man Hofe des Landgrafen von Hessen-Kassel spielte, bzw. auch Komponisten die als Hofkomponisten tatsächlich in Kassel angestellt waren.

    Außerdem gehören diese Konzerte zu der großangelegten „Landgraf Carl Ausstellung“ im Museum Fridericianum in Kassel. Doch dazu später mehr.
    Das erste Konzert der Reihe stand unter dem Motto „Italien“, Karl besuchte auf seiner Kavalierstour natürlich Italien und die berühmten Terrassengärten inspirierten ihn zu seiner monumentalen Herkulessanlage auf dem Karlsberg.

    Gespielt wurden Werke von Fortunato Chelleri, Antonio Vivaldi, Salvatore Lancetti, G.F.Händel und Arcangelo Corelli.

    Chelleri war der einzige Komponist, der tatsächlich in Kassel als Hofmusiker wirkte, seine Ouverture / Suite in d-moll eröffnete das Konzert. Da Aufnahmen von Chelleris Werken praktisch nicht existent sind (es gibt nur eine CD mit Sinfonien und ein Concerto für Violoncello) muss man auf ähnliche Werke von Venturini und Veracini verweisen. Es sind Kompositionen im vermischten Geschmack, eine Kombination italienischer Sätze und französischer Tänze [Satzfolge: Maestoso - Stricte - Grazioso - Moderato - Courante - Menuett - Gigue] es würde sich allemal lohnen diese Werke aufzuführen.

    Die Studenten der Musikschule Louis Spohr taten sich dennoch ein wenig schwer (Einsätze, saubere Töne…), ambitioniert spielten sie das wunderbare Werk in einer kammermusikalischen Bearbeitung für Streichquartett (2 Violinen, Viola und Violoncello). Der Charakter des Werkes lässt aber vermuten, dass es für ein großes Orchester geschrieben wurde. Es existieren weitere solcher Ouvertures (insgesamt 12 Suiten) in anderen Tonarten, ähnlich wie bei den schon angesprochenen Zeitgenossen Venturini und Veracini. Chelleri gehört vielleicht noch zu den interessantesten Komponisten, die erst wieder entdeckt werden müssen – und ich denke, diese 12 Suiten könnten einen festen Platz neben den großen Standartwerken dieser Zeit einnehmen.

    Vivaldi und Lancetti waren mit Duetten für Barock Violoncello vertreten, die wirklich gekonnt und mitreißend interpretiert wurden.

    Auch eine Arie wurde zum Besten gegeben, Orontes „E un folle, e un vile affetto“ aus der Oper Alcina (1735) von Georg Friedrich Händel.

    Der Höhepunkt des Konzerts war aber zweifellos die Sonate No.5 in g-moll aus Corellis Op.5 in einer zeitgenössischen Bearbeitung für Viola da Gamba. Landgraf Carl selbst spielte Gambe und es finden sich dementsprechend auch zahlreiche Werke im Bestand der Murhardschen Bibliothek, die diese Vorliebe des Landgrafen unterstreichen.

    Laura Frey, Dozentin für Viola da Gamba, die auch das Konzert leitete, spielte atemberaubend schön und man möchte diese Sonaten fast gar nicht wieder für Violine hören.

    Wie Eingangs schon geschrieben, gehören die Konzerte zu der Sonderausstellung, die man in jedem Falle ebenfalls besuchen sollte.

    Landgraf Carl gehört zu den wichtigsten Fürsten seines Zeitalters und auch wenn er neben Figuren wie August dem Starken oder Max Emanuel von Bayern heute kaum wahrgenommen wird, war dies zu Lebzeiten sehr wohl anders. Davon zeugen nicht nur diese Ausstellung, sondern vor allem auch die Bauten in Kassel. Die Ausstellung beeindruckt durch sehr viele Exponate: Beeindruckende Pläne von Bauten und nicht mehr erhaltenen Gartenanlagen, oder der originale Krönungsmantel von Friedrich I. Karls ältesten Sohn, der schwedischer König wurde und nicht zuletzt die vielen faszinierenden Gemälde und Stiche. Mein persönliches Lieblingsexponat war ein (leider im Krieg ziemlich zerstörter) Automat: Eine mittelgroße Statue einer Minerva, mit einer zeitgenössischen Pistole in der Hand. Damals verfügte sie über ein Uhrwerk…mit Weckfunktion: Wenn sie die Pistole abfeuerte rollte sie zusätzlich noch mit den Augen.

    Gegliedert ist die Ausstellung, für die man sich unbedingt Zeit nehmen sollte, in verschiedene Schwerpunkte, wie das Heereswesen, seine Familien- und Machtpolitik, aber auch seine Bautätigkeit und seine vielseitigen Förderungen im Bereich der Wissenschaft und der Kunst.

    Aber es gibt auch ein wenig Anlass zur Kritik, mir erschloss sich nicht, weshalb man den Portraits der landgräflichen Familie eine Art „Glory Hole“ Wand vorgeschoben hat – der einzige Effekt, man macht es dem Besucher schwer, diese Gemälde überhaupt zu betrachten….. Auch der Titel der Sonderausstellung gab nicht selten Anlass zum Spott:

    Landgraf Karl – Groß gedacht!

    Groß gemacht? […]

    Die Ausstellung selbst ist jedoch mehr als gelungen, Ein Besuch lohnt sich unbedingt, vorzugsweise wenn auch das Thema Musik am Hofe des Landgrafen in Form von Konzerten Bestandteil der Ausstellung ist.

    Auch ein kleines Highlight, der „Zwerenturm“ ist zugänglich, er wurde unter Landgraf Friedrich II. dem Fridericianum angegliedert und zu einer Sternwarte umgebaut. Hier sind zwar keine Exponate zu sehen, nur Hinweistafeln, aber der Aufsteig wird mit einem tollen Blick über Kassel belohnt.

    Ich werde in jedem Fall auch die anderen beiden Konzerte besuchen. Leider war das Konzert insgesamt eher mäßig besucht, das mag aber wohl in der Hauptsache an der mangelnden Werbung gelegen haben. Die Öffentlichkeitsarbeit der Museumlandschaft steht schon länger in der Kritik.

    Und es ist bedauerlich, wenn so liebevolle und ambitionierte kleinere Veranstaltungen kaum wahrgenommen werden.

    • Offizieller Beitrag

    Ich versuche mich mal an einem Konzertbericht (und zwar wegen des Umfangs in zwei Teilpostings), da ich am 08. Juni eine beeindruckende, auch lange Nacht mit alter und neuer Musik verbracht habe. Es handelte sich um das ABSCHLUSSKONZERT DES FESTIVALS ROMANISCHER SOMMER KÖLN: ROMANISCHE NACHT DER STIMMEN AB 20 UHR IN ST. MARIA IM KAPITOL.

    Ob es tatsächlich um 20:00 Uhr begann, kann ich nicht sagen, da ich irgendwann aufgehört habe, auf die Uhr zu schauen. Ich tat dies erst, als ich die Kirche wieder verließ - das war um 1:00 Uhr des folgenden Samstags. Für die 30,- € Eintritt bekam man also nicht nur die vier angekündigten Ensembles, sondern diese auch in stundenlangem Umfang in einem behaglich erhabenen Raum. Das Erleben von Zeit verschob sich und die Musik schaffte eine ihrer schönsten Eigenschaften: woanders zu sein.

    Nachdem sich der Einlass um gut eine Dreiviertelstunde verzögert und ich die Kirche betreten hatte, ging es erstmal um Orientierung: der Ort des Geschehens würde die Vierung und der Chor mit der Ostkonche sein. Also erstmal durch das Langhaus und durch das Seitenschiff zur Dreikonchenanlage. Nach Westen, unter dem Lettner, war eine kleine Bühne aufgebaut, ihr gegenüber, in Chor und dem Halbrund der Ostkonche eine größere. Dazwischen, in der Vierung und der Nord- bzw. Südkonche standen sich Stuhlreihen gegenüber, mit vier oder fünf Metern Abstand der vordersten Reihen zueinander. So saß sich das Publikum also gegenüber mit jeweils einer Bühne zur Rechten wie zur Linken. Für Zuschauer nicht gerade die beste Position - für Zuhörer allerdings, und darum ging es erklärtermaßen, die stimmige Aufforderung, sich, die Musik und den Raum wahrzunehmen. Letzterer war farbig aber dezent ausgeleuchtet, wodurch die zwar rekonstruierte, aber gleichwohl bezaubernd frühromanische Architektur beruhigt lebendig wirkte, was den Blick besonders beim späteren Klanggenuss zum Schweifen anregte. Intim wirkte das, obwohl das Konzert gut besucht war, nicht jeder bekam noch einen Sitzplatz.

    Nun also die Musik. Den Auftakt gab das Ensemble Eurasians 5, eine Kleinbesetzung aus dem größeren Eurasians Unity. Deren Musik ist ein Amalgam arabisch-osteuropäischer Folklore mit westlichem Jazz. Ablesbar bereits an der Besetzung mit Feruza Ochilova (Gesang, Doira, Dutar) aus Usbekistan, Negar Booban (Oud) aus Iran, Veronika Todorova (Akkordeon) aus Bulgarien, Alex Morsey (Kontrabass, Gesang, Sousaphon) und Caroline Thon (Saxophon), beide aus Deutschland. Das Programm bestand aus Folksliedarrangements bis Eigenkompositionen, wobei die Instrumente in mal traditioneller, mal modernerer Spielweise ein ganz eigenes, stimmiges Klangbild erzeugten. Insgesamt schien mir der Sound zunächst leider etwas zu leise und verschwommen, aber das war wohl hauptsächlich ein anfänglicher Irritationspunkt, als meine Ohren noch nicht an den weiten Kirchenraum hinter der intimen Nähe gewöhnt waren. Ochilovas klassischer Gesang trug wunderbar in die Tiefe und nutzte in manchen Passagen die enorm weit tragende Hintergündigkeit der Basilika-Akustik. Jede der Musikerinnen und auch der Musiker bekam eine Passage im Vordergrund, melodiös-jazzig improvisierend, als besonders virtuos blieb mir davon Veronika Todorovas Akkordeonspiel im Bewusstsein.

    Anschließend wandte sich das Geschehen zur größeren Bühne, wo sich nun das Orchester (in diesem Teil ohne Streicher) Musica Fiata und der Chor La Capella Ducale unter der Leitung von Roland Wilson aufstellten. Das wurde music on period instruments in Reinform und ich saß auch noch nah an den Zinken, deren warmen, brillianten Klang ich so liebe. Gespielt wurde in zwei Teilen (dazwischen trat ein anderes Ensemble auf, s.u.) Musik von den 18-tägigen Hochzeitsfeierlichkeiten in der Münchner Residenz des Jahres 1568. Damals heiratete Erbherzog Wilhelm V. gegen Renata von Lothringen und abgesehen davon, dass rund 5000 Pferde des angereisten Adels zu versorgen waren, hatte der Münchner Hofkapellmeister Orlando di Lasso die Aufgabe mithilfe der Münchner Hofkapelle sowie denen aus Graz und Innsbruck für Gotteslob, Tafelmusik und Tanz zu sorgen. Was für ein Fest! So wurde nun in dieser romanischen Nacht geistliche Musik abwechselnd von di Lasso selbst und von Annibale Padovano (Messe a 24) aufgeführt. Die 24 Stimmen der Messe sind in drei Chöre aufgeteilt, von denen zwei aus Instrumenten und jeweils zwei Sängern und der dritte in reiner Vokalbesetzung bestand. Das ergab einiges an Bewegung zwischen den Stücken, denn auch hier wurde der Raum genutzt, der Klang im Raum verteilt, der eine Musiker oder die andere Musikerin wechselten in diesem Orchester manchmal nicht nur ihren Ort: einige sind Multiinstrumentalisten. Viele wunderbare Instrumente waren da zu hören, von der Bassposaune über ein Regal bis zur Dulzaina - teils recht ungewöhnliche Besetzungen trugen auf der Grundlage genauer Recherchearbeit und Leitung Roland Wilsons (der einen hervorragenden Text für das Programmheft beisteuerte) diese beinahe ein halbes Jahrtausend alte Ausnahme-Musik frisch in den Kirchenraum von St. Maria im Kapitol. Ein wunderbares Erlebnis, das auch nicht von dem obligatorischen Kölner geschmälert werden konnte, der meinte, irgendwann schonmal klatschen zu müssen, während Wilson mit ausgebreiteten Armen, kurz den Klatscher wegwedelnd, die Spannung für das folgende Stück hielt.

    Der Sprung nach dieser Gottesdienstfestlichkeit zum folgenden, wieder kleineren Ensemble war groß: Thierry Pécou leitete sein 6-köpfiges Ensemble Variances, wobei es neben den beiden Altistinnen Katarina Livljanić und Noa Frenkel eigentlich noch ein siebtes Mitglied gab, das entgegen dem Programmheft statt Pécou das Fender Rhodes Piano bediente. Den Auftakt zu der von Pécou selbst stammenden Kantate "Femme changeante, cantate des quatre montagnes" (2015) gab Katarina Livljanić solo dort, wo gerade noch Münchner Festivitäten ertönt hatten, mit "Domine, exaudi orationem meam" aus dem Manuskript 359 der Stiftsbibliothek St. Gallen, sowie einem "Glagolitischen Gesang" aus Poljica, Kroatien, und "Plač Jeremije proroka" (Klagelied Jeremias) - ihr Gesang entfaltete sich über ungefähr eine Viertelstunde im Raum und allein das wäre schon den Besuch der Veranstaltung wert gewesen. Der Sprung ging nun also vom 16. Jahrhundert nocheinmal 500 Jahre zurück, um dann mit Anlauf im Zeitgenössischen zu landen. Das Ensemble hatte sich im Kern (Laurene Durantel, Kontrabass; David Louwerse, Violoncello; Irini Aravidou, Perkussion; sowie beide Altistinnen, nachdem Livljanić während und nach ihrer Darbietung herübergewandert war) auf der kleinen Bühne platziert. Allerdings nutzten die weiteren Ensemblemitglieder (Anne Cartel, Flöte; Carjez Gerretsen, Klarinette; Nicolas Prost, Saxophon) auch andere Standorte auf der großen Bühne und zwischen den Stuhlreihen der Zuschauer, so dass sich hier noch einmal ein sehr bewegtes raumakustisches Erlebnis vollzog. Mit dem Konzept der Komposition, in deren Grund ein Heilungsritual der Navajo-Indianer liegt, konnte ich zwar nichts anfangen, aber der kontinuierliche, rhythmusbetonte, teils dissonant-schrille, teils faszinierend aufblitzende Klangteppich, der hier hochkonzentriert gewoben wurde, nahm mich dennoch gefangen. Ich hätte gerne in die Partitur geschaut. Die beiden Sängerinnen nutzten scheinbar jeden mit Zwerchfell, Lunge, Stimmbändern, Kehlkopf, Mund, Lippen und natürlich Luft fabrizierbaren Laut, die Klänge der Instrumente überschritten gerne die Grenze zum Geräusch und zusammengehalten und damit jenseits von jeder Beliebigkeit gerückt wurde das Ganze durch einen Duktus, mit dem sich selbst auseinanderdriftende Überlagerungen aufeinander bezogen. Das Stück endete in einem Kulminationspunkt, bei dem statt der erwähnten Instrumente nur mehr jede/r eine eigene Trommel schlug, interferierend im Rhythmus und doch am Ende mit gewaltigen, einzelnen Schlägen nocheinmal den Raum auskostend. Viele Besucher hielt es danach nicht auf den Stühlen und nicht die plattgesessenen Backen waren der Grund für die stehenden Ovationen.

    • Offizieller Beitrag

    (Fortsetzung des Konzertberichts, da insgesamt mehr als 10.000 Zeichen)

    Schon dies wäre ein Höhepunkt gewesen, aber die Münchner Hochzeitsfeier mit Roland Wilson war bald wieder und wortwörtlich in vollem Gange, zweiter Teil: es gab nun aufgeteilt in 1. bis 7. Gang Bankettmusik von Padovano, di Lasso, Alessandro Striggio, Cipriano de Rore und Andrea Gabrieli, vor allem mit wunderbarem Schwerpunkt auf Bläserbesetzungen. Das sicherlich beeindruckendste Stück war damals wie heute die nach dem 7. Gang im Programmheft zum Abschluss als "Obst" firmierende Motette "Ecce beatam Lucem" a 40 (Coro 1: SATB, 4 tromboni; Coro 2: 8 flauti; Coro 3: SATB, 4 tromboni; Coro 4: SATB, 4 viole; Coro 5: SATB, 4 viole) von Striggio. Eine in den Zusammensetzungen und Klangfarben wechselnde, wabernd wogende Fläche, die kraftvoll in die Kirche floss und abermals nach Verklingen etliche Zuschauer zum Stehen brachte. Wilson reagierte darauf angemessen und sinngemäß mit den Worten (übrigens - leider - die einzigen, die an diesem Abend überhaupt gesprochen wurden, das gesungene Wort sollte völlige Aufmerksamkeit bekommen): "Dies ist das einzige Stück, das Lasso bei den Hochzeitsfeierlichkeiten zweimal hat aufführen lassen, und zwar direkt hintereinander. Und deshalb machen wir das jetzt auch so". Die zweite Version klang für mich nicht ganz so gewaltig und exakt wie die erste, vielleicht ja auch ein Zeichen aufkommender Müdigkeit, nachdem sich das Orchester nach all dem Werk hatte im Applaus ein wenig entspannen können: es dürfte inziwschen auf Mitternacht gegangen sein.

    Nun aber stand zum Abschluss und ganz gewiss last but not least ein stillerer und nichtsdestotrotz besonderer Klanggenuss im Nachtprogramm. Das Münchner Sängerquartett Ensemble Stimmwerck, dessen Kontratenor Franz Vitzthum, ehemals Spatz am Regensburger Dom, ich in seiner scheinbar mühelosen Unangestrengtheit immer wieder ausgesprochen gerne höre, hatte Stücke aus dem Inventar der Salvatorkapelle in St. Maria im Kapitol des Jahres 1615 zusammengestellt. Mit Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei als Hauptstruktur drei Messvertonungen von Christóbal de Morales folgend und Kompositionen von Jean Mouton, Andreas Pevernage und Orlando di Lasso einschiebend, ließ das Ensemble also Klänge hören, die hier in dieser Kirche und auch aufgrund der spannenden Geschichte dieser einen, um 1466 von Johann Hardenrath gestifteten Kapelle, heimisch sind (auch hier noch einmal der Hinweis auf ein sehr gutes, informatives Programmheft, das umfassend und fundiert Hintergründe zu den aufgeführten Musiken beibrachte!). Was für ein Glücksgriff, der vor kurzem im Kölner Diözesanarchiv eine Inventarliste mit den in dieser Kapelle im Jahre 1615 vorhandenen Notendrucken zu Tage förderte. So erklang als ganz stimmiger Abschluss des langen Abends, was genau hier bereits vor vierhundert Jahren erklungen war. Und das von einem Ensemble, das auch an diesem Abend und trotz später Stunde und trotz Verzögerungen mit großer Präzision und Gefasstheit diese Musik intonierte.

    Der romanische Sommer in Köln fand in diesem Abend einen faszinierend vielschichtigen, den Ort in mehreren Facetten berücksichtigenden Abschluss und wer daran teilnahm, erlebte und erhörte in vielerlei Hinsicht eine ganz außerordentliche Konzertnacht. Ich hatte leider nur noch Zeit auf ein Kölsch, um dann beseelt auf mein Fahrrad zu gelangen, ganz profan danach nach Hause.

    • Offizieller Beitrag

    Gern geschehen.

    Übrigens gerade gesehen, dass die Übertragung des Abends (3 Std 55 Min, 256 kBit/s) inklusive erläuternder Sprachbeiträge während der Umbauphasen noch 24 Tage im WDR Konzertplayer nachzuhören ist, viel Spaß dabei:

    http://konzertplayer.wdr3.de/klassische-mus…nzert-08062018/

    Edit: allerdings kam die Übertragung ohne Stimmwerck aus, da die Sendezeit bis Mitternacht eingeplant war. Das Programm von Stimmwerck wird laut Ansage noch nachgereicht.

  • Heute habe ich zum 2. Mal die wundervolle Landgraf Karl Ausstellung im Fridericianum in Kassel besucht.

    Die Sonderausstellung läuft noch bis zum 1.7.2018 – man sollte die Chance unbedingt nutzen.

    Auch heute gab es wieder ein Konzert – den III. Teil mit Barockmusik aus der zeit des Landgrafen Karl.

    "Ein Landgraf in Mitteleuropa: Deutsche Musik aus der Zeit von Landgraf Carl, Werke von August Kühnel und Georg Friedrich Händel (Studierende der Musikakademie Laura Frey, Leitung)"

    Den II. Teil mit Werken französischer Komponisten habe ich leider nicht besuchen können – allerdings dürfte mir da auch das Repertoire wohl bekannt gewesen sein ;)

    Leider gab es zu den Konzerten kein gedrucktes Programm, weshalb ich (wie auch beim ersten Konzert) erst im eigenen Archiv in Gedanken das Konzert nacherleben musste, um die Werke nachträglich zu identifizieren, damit ich einen einigermaßen nachvollziehbaren Konzertbericht schreiben kann ;)

    Im III. Teil der Konzertreihe wurden Werke von August Kühnel, Johannes Schenk, Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann gespielt.

    Den Anfang machte die Sonate in e-moll von August Kühnel, die originale Handschrift befindet sich übrigens in der Murhardschen Bibliothek und ist ganz sicher am Hofe des Landgrafen Karl entstanden und gespielt worden.

    Kühnel war Hofgambist des Landgrafen Karl und auch zeitweise Kapellmeister. Er gehört zusammen mit Johannes Schenk zu den bedeutendsten Komponisten für Viola da Gamba im deutschsprachigen Raum. Landgraf Karl spielte selbst die Gambe und so liegt die Vermutung nahe, dass diese Sonaten, die oft für 2 Gamben + B.C. gesetzt sind, von seiner hochfürstlichen Durchlaucht im Duett mit seinem Gambenvirtuosen am Hofe erklungen sind.

    Die Werke Kühnels haben einen ganz deutlichen französischen Einfluss, aber greifen auch Stilelemente der italienischen Sonaten auf.

    Auch Johannes Schenk, der u.a. am Hof in Düsseldorf tätig war, und dessen Werke bei allen Gambenliebhabern geschätzt wurden, komponierte im vermischten Geschmack mit deutlichen Anklängen an die französischen Gambenmeister.

    Seine Sonate No.2 in a-moll aus der Sammlung „L’Echo de danube“ (im Druck erschienen 1704. Amsterdam) wurde phänomenal durch Laura Frey und ihr Ensemble interpretiert.

    Ganz sicher der Höhepunkt des gesamten Programms.

    Von Studenten der Musikakademie wurden ferner Sätze aus der Violin-Sonate in D-Dur HWV 371 von G.F.Händel gespielt, allerdings wurde das 1.Allegro ausgelassen.

    Eine weitere, sehr talentierte Studentin interpretierte das Grave aus der Sonate in a-moll BWV 1003 von J.S.Bach.

    Den Abschluss machte eine kleine Kantate von Georg Philipp Telemann aus der Sammlung „Harmonischer Gottesdienst“: Was Gleicht Dem Adel Wahrer Christen Twv 1:1511

    Die Besetzung der Kantate, ursprünglich für Tenor und Oboe + B.C. wurde in Ermangelung einer Oboe für Gambe umbesetzt – was aber m.M. nach dem Werk sehr viel besser stand.


    Insgesamt ein sehr gelungenes Konzert, und eine wunderbare Konzertreihe, die der Ausstellung nochmal etwas ganz Besonderes hinzufügte. Auch wenn ich mir auch mehr von der eigentlichen Kasseler Hofmusik – z.B. aus dem Bestand der Murhardschen Bibliothek – gewünscht hätte, ganz besonders Werke Gerhardt Dießener oder auch dem zeitweilig hier in Kassel tätigen Johann Philipp Krieger. Auch befinden sich zahlreiche Manuskripte von Bertali und Schmelzer im Bestand. Aber wahrscheinlich wäre so ein spezielles Programm für das übrige Publikum eher schwierig.

    Jedenfalls ist es wunderbar zu sehen und zu hören, welche Talente und Kapazitäten in Kassel existieren - ich hoffe Frau Frey gibt bald wieder Konzerte - da will ich nichts verpassen.

    • Offizieller Beitrag

    Im Rahmen des Münchner Orgelherbst 2018 waren wir heute in der Michaelskirche auf der Neuhauser Straße, mitten in der Fußgängerzone.

    Wenn man sich erstmal einen Weg durch die angeheiterten und vorgeglühten Wies'nbesucher gebahnt hat, umfängt einen der helle, lichte Raum der wunderschönen Jesuitenkirche mit ihrer Rieger-Orgel.

    Das Konzert war angesichts des schönen Wetters und des letzten Wies'nwochenendes ausgesprochens gut besucht.

    Heute, zum Eröffnungskonzert, war Iveta Apkalna zu Gast und präsentierte ein Programm mit lettischen Orgelwerken aus dem 20. und 21.Jahrhundert, in dessen Mitte Toccata, Adagio und Fuge BWV 564 eingebettet war.

    Das Programm war ebenso fremdartig wie abwechslungsreich, die Akkustik in der Jesuitenkirche empfinde ich als sehr angenehm.

    Die Werke waren, neben Bach, von Vītols, Ešenvalds, Dzenītis und Garūta. Mit den ersten beiden hatte ich schon Begegnungen, in Form von Orchesterwerken von Vītols und Chorwerken von Ešenvalds.

    Der Vītols war eher spätromantisch, nordisch in der Tonsprache und ausgesprochen klangschön.

    Ešenvalds hatte seine Fantasie Iveta Apkalna zugeeignet und gab dem Konzert eine sehr intime, persönliche Note. Die Fantasie baut sich behutsam auf bis zu einem klangstarken Höhepunkt, um sich dann wieder zurückzunehmen und mit einem freundlichen, überraschenden Schluss zu enden.

    Der Kontrast zu Bach hätte kaum größer sein können.

    Das mehrsätzige Werk von La Remerciement von Andris Dzenītis, das dieser "in memoriam O.Messiaen" gewidmet hatte, war in seiner Klangsprache dem Widmungsträger verpflichtet und lebte von der kontrastreichen Satzfolge und der differenzierten und fein nouancierten Registratur.

    Die abschließende Meditation von Lūcija Garūta war dann ein nachdenklicher Schluss, der dem Konzert einen persönlichen und ruhigen Ausklang gab.

    Alles in Allem hat mir dieser Konzertnachmittag neue Klangsphären eröffnet mit einem Repertoire, das abseits vom mitteleuropäischen Mainstream den Blick und die Ohren für andere Welten und Kulturen eröffnete.

    In der anschließenden kurzen Autogrammstunde nahm ich die Gelegenheit wahr, mich dafür ausdrücklich bei Frau Apkalna zu bedanken, denn gerade das ist hier in dem erzkonservativen und kulturell oft verharrenden bis rückwärtsgewanten Altbayern dringend notwendig.

    Eine kurze abschließende Begegnung mit der Meisterin auf dem S-Bahnsteig, wieder voll mit Wies'nheimkehrern im chaotisch überlasteten S-Bahnverkehr, wo sie sich auf den Weg zum Flughafen machte, froh, trotz Autogrammstunde die verspätete S8 noch zu bekommen, beendete den Nachmittag.

    Das war schon das zweite Mal, dass ich Iveta Apkalna in München hören konnte und es hat sich jedesmal gelohnt. Von daher werde ich auch bei der nächsten Gelegenheit wieder hingehen!

    • Offizieller Beitrag

    KulturGut Ulrichshalben

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    Es gibt sie, diese Momente reinen Glücks, die einen das Elend der Welt vergessen machen für ein paar Stunden und einen daran hindern, sich in der Scheune am Balken aufzuhängen, vor einen Zug zu schmeißen oder eine Pistole in den Mund zu stecken; wobei ich Feigling sicher eher Gift nähme oder nach der Art römischer Cäsaren im heißen Bad die Pulsadern aufschnitte. Im großen Konzertsaal und der großen Oper sieht man sich ja nur noch sehr selten, ich bevorzuge die Intimität solcher Abende wie der im Kulturgut Ullrichshalben.

    Es war also ein Abend zum Dahinschmelzen und zum Abbauen von Vor- oder überhaupt schnellen Urteilen. Felix Kehr, kaum dem Knabenalter entwachsen und noch Scholar, sollte das späte Impromptu f-Moll D935 adäquat spielen können? Never und so zog Good Old Yorick die Stirne kraus in Erwartung einer großen Überhebung. Doch weit gefehlt, wer schwätzt hier schon wieder von Kunst und Reife? Technisch solide hat mich der Bursche nach wenigen Takten hineingezogen in diese Musik voller Abschied und Schmerz, aber auch Aufbegehren und Akzeptanz.

    Des alten Yorick Auge und Ohr konnten dann nicht satt sich sehen und hören, als Sonja Isabel Reuter und Hsin-Pei Liu sich dem Schubert-Lied widmeten. Die Chinesin sicher keine Yuja Wang, aber eine durchtrainierte herbe Schöne, zierlich und sehnig; mit unbewegter Miene am Klavier, dafür wie ein Panther geschmeidig gespannt über den Tasten, immer zum Absprung bereit, dem Opfer den Kehlbiss zu versetzen. Der rothaarigen Sopranistin aber prophezeie ich noch eine ganz große Karriere: Was für ein Weib! Was für eine Stimme!! Was für eine Künstlerin!!! Sie konnte alles: Balladen, Liebeslieder, romantische Lyrismen, kecke Weisen; eine glasklare Stimme und mühelose Beherrschung der Höhen vereinigten sich mit einer großartigen darstellerischen Leistung, mal keck, mal verinnerlicht, mal dramatisch. Ganz großes Augen- und Ohrenkino.

    Hermann Darr wurde als Student der Fortwirtschaft (Meine Gute in mein Ohr: Endlich mal einer mit einem vernünftigen Beruf, seine Mutter wird stolz sein) eingeführt und der Anblick des blassen Knäbleins mit den schmalen Schultern rief in mir Besorgnis hervor und einen Anflug von Heiterkeit; der Junge möchte doch hoffentlich nicht anämisch kollabieren und sich zum Obst machen, indem er den besungenen Hut selbst verlöre in Gestalt eines künstlerischen Desasters. Und er begann so, wie man es von Fidi kennt, mit übertriebener Gestik und Mimik und einer schon mosaischen Bewegung des ansonsten furchtbar steifen Oberkörpers, irgendwo zwischen Katatonie und Katalepsie anzusiedeln. Und dann hatte auch er mich dennoch spätestens zwischen Freud und Leide; so ein Bariton kann eigentlich nichts falsch machen mit Schubert; es sei denn, er ist Mercator.

    Und dann passierte es. An der schwierigsten Stelle, als die die kalten Winde zu blasen anfingen und aus der resignierten Idylle ein Veitstanz wird und der junge Sänger sich furchtbar mühte, nahm der Mann in der Stuhlreihe rechts vor mir sein Handy geräuschvoll aus der Tasche, hielt es hoch und knipste nicht etwa lautlos, sondern mit vollem Schall und auch noch mit blendendem Blitzlicht den Vorgang auf der Bühne. Da war wieder einmal der Moment gekommen, dass der böse Yorick Hyde sich meldete aus den Untiefen und ich in Blutrausch geriet und meine hemmungslose Wut ihren Tribut fordern wollte, indem ich dem Übeltäter eine ansatzlose Rechte auf seinem Ohr platzieren wollte, um ihm nachspringend dann mit dem Ellenbogen, bevor er auf dem Boden aufschlug, den Rest zu geben. In diesem Moment hasste ich nicht nur diesen Menschen, sondern alle Menschen, ja die Menschheit, die solche gefühllosen Roboter hervorbringt, denen Kunst nichts anderes ist als Zeitvertreib und Amüsement. So ein verdammtes Rhinozeros aber auch.

    Zum Abschluss die Wandererfantasie war geeignet, meine negativen Emotionen zu kanaliseren: Hsin-Pei Liu spielte um ihr Leben, um unser aller Leben; technisch versiert und hochdramatisch; aber in so einem kleinen Raum wirkt das dennoch deplatziert, mir dröhnten die Ohren und ich betete um ein Hammerklavier und träumte von einem Dreier mit Gesang und Tasten.

  • Doppel-Like

    Herzlichen Dank für diesen tadellos formulierten und auch inhaltlich sehr schönen Konzertbericht. Ich meinte mich statt Deiner im Konzertsaal sitzen zu sehen. Die Handyepisode, aber nicht nur - ich greife nur ein Beispiel heraus, hätte ich in gleicher Weise wahrgenommen, da kann man dem Übertäter, so meine ich auch, mit dem Beil in der Hand durch die Reihen marodierend, schon mal sehr nachhaltig deutlich machen, wo der Wecker steht.

    • Offizieller Beitrag

    Das Lob freut mich sehr, das sage ich ganz ehrlich. Ich kam lange nicht dazu, aufzuschreiben, was mir auf der Seele brannte und es hat mir Spaß gemacht.

  • Heute Abend in den Donauhallen, Donaueschingen, Strawinsky Saal habe ich , gemeinsam mit meiner Familie, es war der erste Konzertbesuch mit meinen Kindern (10, 14) das Ensemble Nevermind (Machtnix?) genossen. Ausführende waren Anne Besson (Querflöte), Louis Creac'h an der Violine, Robin Pharo (Viola da Gamba) und Jean Rondeau am Cembalo. Gespielt wurde ein französisch geprägtes Spätbarock-Programm mit Marin Marais, Francois Couperin, G. Ph. Telemann (zwei Pariser Quartette) und Jean-Baptiste Quentin. Zwei der vier Komponisten waren mir - bewusst - noch nicht begegnet. Die Musik wurde durchweg inspiriert vorgetragen. Besonders begeistert hat mich die Mischung der Instrumente, die ich im Konzert so noch nicht vernommen hatte. Eigentlich klingt ein solcherart besetztes barockes Quartett für mich viel interessanter als das bekannte klassische Format. Die Telemann-Quartette kannte ich und fand sie beschwingt und sehr mitreißend vorgetragen, auch die Kinder, die so etwas noch nicht erlebt hatten, waren begeistert, wenn auch die Kleine am Ende um 21:00 Uhr etwas müde. Sehr gut haben mir auch die Quartettsätze von Jean-Baptiste Quentin gefallen, die die auf englisch bewerkstelligte Ansage im Stil an Telemann orientiert verortete. Die Akustik des nicht zu großen Saals kam dem Votrag entgegen. Leider war der Saal nicht annähernd voll. Der Altersdurchschnitt dürfte um die 65 gelegen haben. Angesichts des hohen Alters war das Publikum am Ende ziemlich begeisterungsfähig, eine Zugabe (Telemann) wurde gegeben. Alles in allem ein sehr schöner Abend.

    • Offizieller Beitrag

    es war der erste Konzertbesuch mit meinen Kindern (10, 14)

    Was ich immer sage: Wenn die Eltern passen, gedeihen auch die Kinder. :jubel: