Zwey obligate Augengläser: neulich in der Oper...

    • Offizieller Beitrag


    Anders in meiner Geburtsstadt:

    Mitteldeutsche Zeitung: Händel-Festspiele Kaum Profit mit Händel?

    Zitat

    Wir haben eine nur rund 70-prozentige Auslastung gehabt und davon waren nur die Hälfte Gäste der Händelfestspiele.

  • .Karlsruher Händel-Festspiele gibt's 2019. Ein paar Eindrücke vom gestrigen Abend:

    G. F. Händel: Serse

    Serse: Franco Fagioli

    Arsamene: Max Emanuel Cencic

    Ariodate: Pavel Kudinov

    Romilda: Lauren Snouffer

    Atalanta: Katherine Manley

    Amastre: Ariana Lucas

    Elviro: Yang Xu

    Musikalische Leitung: George Petrou

    Regie: Max Emanuel Cencic

    Händel-Festspielchor

    Deutsche Händel-Solisten

    Zunächst zum Musikalischen: Das Gesangsensemble und das Orchester (HIP) fand ich ausgezeichnet! Schwer beeindruckend die beiden männlichen Soprane F. Fagioli und M. E. Cencic mit viel Spiellaune und Lust an ausgedehnten Kadenzen mit vielen Verzierungen, auch die übrigen wunderbar! Mich persönlich beeindruckte besonders die schöne Stimme von Lauren Snouffer. Auch das Orchester: kraftvoll, schwungvoll, alles bestens!

    Die Inszenierung bildete einen grellen Kontrast zur historisch orientierten Musik: Die Handlung spielte nicht in Babylon, sondern im Las Vegas der 1980/90er. Im Programmbuch verwies M. E. Cencic, der auch Regie führte, darauf, daß es ihm darauf ankam, den symbolischen Kontext ins Heutige zu übertragen: Wurde Babylon in der christlichen Welt des 18. Jahrhunderts noch allgemeinverständlich als "Sündenbabel" verstanden, bietet sich heute eben eine Welt an, die die Sieben Todsünden (die den 7 Akteuren zugeordnet waren, vom Librettisten - evt. Händel selbst - oder vom Regisseur als dessen Interpretation?) in die grelle Glitzerwelt des amerikanischen Showgeschäfts übersetzen. Klingt vielleicht aufgesetzt, aber ich fand das Konzept, so wie es vorgeführt wurde, überzeugend und stimmig.

    Die Musik blieb im historischen Rahmen, nur die berühmte Arie "Ombra mai fù" wurde hemmungslos verkitscht; In "The Serse Show" begleitete der Titelheld, hier als Las-Vegas-Star, sich selbst am Flügel. Weitere Schauplätze: Zentrale eines Plattenkonzerns, Einkaufsstraße, Rotlichtviertel, am Ende eine große Medienhochzeit.

    Spannendes und witziges Musiktheater über (einschl. Pausen) vier Stunden!

    Vielleicht 2020 wieder?*hmmm*:)


    :wink:

    Es grüßt Golaud

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    "[...] man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird."
    Aus: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

    • Offizieller Beitrag

    Spielzeit 2018/2019 - wo geht's hin ...?

    Gestern das erste Mal überhaupt eine Oper in der Pause fluchtartig verlassen; Ohrenbluten ... ein großartiges Libretto, eine tolle Inszenierung - aber die Musik; nein, ich weigere mich, das Musik zu nennen. Ich stehe der modernen und zeitgenössischen Oper sehr aufgeschlossen gegenüber, ich höre und mag Schönberg, Berg, Zimmermann, Rihm. Lachenmann etc.; aber halbwegs organisierter Lärm ist keine Musik. Atonalität macht mir nichts, aber Kurzatmigkeit und Kleingliedrigkeit ohne jeden Anspruch auf zusammenhängende Komplexität lasse ich für mich nicht durchgehen. Lärm, Zitate, Kampfliedpersiflagen - wenn das Dessaus einzige musikalische Mittel sind, ist er für mich raus.

    War erst die 2. Vorstellung, wieder ausverkauft, während sonst das DNT halbleer ist bei konventionellen Stücken. Wer mag da hingehen und ausharren? Einige sicher wie wir aus Neugier, andere sicher als klassische Opernfans, die sich der Moderne nicht verschließen wollen. Dann natürlich viele Ossis, die sich wiedererkennen; und zum Schluss nach meiner Sichtung viele Linksintellektuelle von hüben und drüben, Salonkommunisten oder Ewiggestrige. Ich habe die Leute beoabachtet; kaum einer litt wie ich, viele waren begeistert oder wenigstens nicht irritiert dem äußeren Befund nach. Sie alle ergötzten sich an der Parabel, als ob es ein Threaterstück sei, zu dem es auch hin und wieder "Musik" gab.

    Oper von Paul Dessau in Weimar : Ich fresse einen Philosophen zum Frühstück Von Christiane Wiesenfeldt

    Zitat

    Nun kann man an Texten und Inszenierungen viel herumdeuteln: Ohne gute Musik, gut musiziert, funktioniert das nicht. Und so ist Paul Dessaus Partitur die eigentliche Heldin des Abends, nebst der grandiosen Staatskapelle Weimar unter Dominik Beykirch. Die Musik glüht, stampft, spuckt Feuer und schreibt ihre ganz eigene Menschheitsgeschichte von Krieg und Frieden. Erstaunlich vor allem, dass das Stil-Potpourri, das Dessau oft bescheinigt wird, ausbleibt. Die Anklänge an Tanzmusik, das eigene Thälmann-Bataillons-Lied oder auch Barock-Allusionen bilden die Minderzahl. Dessau entwickelt eine ganz eigene moderne Musiksprache, voller Gestik, Mimik und fast haptischer Drastik. Die Lachkrampf-Arie des Drachen (Oleksandr Pushniak), der nicht lachen kann, oder die gigantischen Intervallsprünge und Tonhöhen der verzweifelten Jungfrau Elsa, die dennoch lyrisch-kantabel sein muss – sensationell virtuos gesungen von Emily Hindrichs – sind musikalische Charakterstudien eigenen Profils, vor denen der Text zurücktritt. Es heißt immer, Musik kann nicht sprechen. Paul Dessaus Oper kann sprechen. Sie spricht mit vielen Stimmen, über Märchen und Politik, über das Damals und Heute, sie macht Angst, und sie macht Mut. Wer zögert noch, sie sich anzuhören?

    Würde ich deskriptiv unterschreiben, in der Wertung nicht.

    "Wenn man sich nur das Urteilen abgewöhnen könnte, dieses dilettantische Verfälschen der Dinge! Wir wollen immer verstanden werden und sind selber unerbittlich verständnislos." (Verdi bei Franz Werfel)

  • Mozarts Idomeneo am Staatstheater Kassel – eine Skandalinszenierung?

    Heftig war die Kritik in der Presse: Die Inszenierung des Schweizers Lorenzo Fioroni wurde regelrecht verrissen und er auf der Bühne ausgebuht und ausgepfiffen.

    Heute besuchte ich die Oper in Begleitung meiner Holden, für sie war es der erste Opernbesuch überhaupt!

    In der Einführung wurde ein wenig auf Mozarts Leben eingegangen, auch dass Varesco das frz. Libretto von Danchet (seinerzeit von Campra vertont) ins Italienische übertragen und bearbeitet hatte. Allerdings merkte ich doch recht schnell, dass der Vortrag nicht ganz so fachkundig war wie er gerne erschienen wäre – dafür wurde mit allerlei Fachbegriffen um sich geworfen, welche wohl den meisten Opernbesuchern als böhmische Dörfer erschienen. Klar, der 0815-Opernbesucher weiß natürlich was eine Tragèdie Lyrique ist... und kennt die Unterschiede zur Opera Seria..... Opera-was?!

    Der große Unterschied zu Danchets Libretto und der späteren Bearbeitung Varescos betrifft vor allem das Finale - Danchet hatte kein Happy-End vorgesehen. Es ist schlicht falsch, dass die Barockoper stets ein glückliches Ende verlangte bzw. erzwang. Die Tragèdie Lyrique von Andre Campra und Danchet endet tragisch mit dem Tod (Opferung) des Idamante und dem Wahnsinn des Idomeneo – und diese originale Story, das tragische Ende, wollte Fioroni für den Idomeneo von Mozart und Varesco eben auch, weil es glaubhafter sei als die übersinnliche Rettung in letzter Minute.

    Für all diejenigen, die mit der Oper nicht vertraut sind – Idomeneo gehört ja nicht unbedingt zu den häufig gespielten Opern Mozarts:

    Idomeneo, der König von Kreta hatte die Griechen zum Sieg in Troya geführt. So wie Odysseus so wird auch er vom Zorne Neptuns getroffen. Um sein Schiff, seine Mannschaft und sich selbst zu retten leistet er einen folgenschweren Schwur: Die erste Person die sich ihm in der Heimat nähert, soll Neptun als Opfer da gebracht werden, wenn er wohlbehalten die Küste Kretas erreicht. Und tragischer Weise ist diese Person niemand anderes als Idamante, Idomeneos Sohn.

    Das Bühnenbild zeigte eine Art Rokoko-Spiegelkabinett (erinnerte mich aber eher an einen Kleiderschrank) und sah insgesamt recht abgeranzt aus. Durch die halbtransparenten Türen wurde hin und wieder auch der hintere Bühnenteil mit einbezogen.

    Die Inszenierung selbst hat viele Schwächen, angefangen von ausgelutschten Regieeinfällen mit Klamottenwechsel (symbolisch um das Los des anderen zu tragen, mancher Kritiker interpretierte das irgendwas mit Genderkrams rein....), teilweise zu dick aufgetragener Gesellschaftskritik: So wird beim Angriff des Ungeheuers (es wird auf die Klimakatastrophe angespielt) ein Globus hereingebracht, auf dem „Fine“ = Ende geschrieben steht, genauer gesagt auf dem afrikanischen Kontinent. Der Chor fragt „wer ist schuld?!“ und richtet seine Anklage an das Auditorium (eigentlich hätten alle Choristen geflochtene Zöpfe tragen müssen) How dare you! Das war mir zu dick aufgetragen und einfach drüber...

    Der wirklich fatale Fehlgriff war m.M. jedoch die „Kostüme“ – ich bin kein Gegner des Regietheaters, ich bin aber ein Gegner von schlechten Ideen. Die Hauptprotagonisten waren so massiv entstellt, ja regelrecht entmenschlicht. Illia und Idomeneo sahen wie die deformierten Kanibalen aus „the worng turn“ aus und Idamante wie der Danny de Vito Penguin aus Tim Burtons "Batman Returns". Im scharfen Kontrast zur Dienerschaft, die im Cut und Stresemannhose so im Sacher bedienen könnte – und der Chor (das Volk), der in Straßenkleidung ebenfalls recht normal aussah. Ist das wieder Gesellschaftskritik? Die degenerierte Kaste des Adels / der regierenden Politiker ist physisch und psychisch am Ende - alles wird nur noch vom gesunden Volkskörper am Laufen gehalten, der aber immer mehr in die Opposition geht .... ich mag solche Bilder nicht.

    Das Problem das sich durch diese Entstellungen der Hauptfiguren ergibt, man fühlt nicht mit den Protagonisten mit, ja nicht mal mehr Interesse an ihrem Schicksal will sich einstellen - zu fremd wirken diese Gestalten - sie lassen den Zuschauer kalt. Vielleicht weil man keine Chance hat sich mit diesen Missgestalten zu identifizieren, oder besser, weil man es auch nicht will. Dadurch ist man aber auch schnell außen vor – die ganze Oper wird einem egal (und das sage ich als jemand, der Idomeneo als eine meiner liebsten Opern nenne) - und die Quittung sieht man im Auditorium: nach der Pause ist fast die Hälfte des Publikums gegangen.Vielleicht aus besagtem Grund, oder weil die Splatterorgie doch keine war? Die mitgehörten Gesprächsfragmente nach der Vorstellung waren jedenfalls ernüchternd, man interessierte sich nicht für Mozart oder die Oper Idomeneo, aber man ging halt hin wegen der negativen Presse..... also reiner Voyeurismus und Katastrophentourismus. Das mit anzuhören war schockierender als alles was ich auf der Bühne sah.

    Die größte Skepsis hatte ich im Vorfeld wegen des geänderten Finales – vor allem weil ich auch unschöne Eingriffe in die Musik fürchtete - aber es kam ganz anders: Eben genau dieses Finale hat mich tief bewegt und beeindruckt – so sehr, dass ich wahrscheinlich nochmal in die Vorstellung gehen werde:

    Idomeneo wird gedrängt seinen Sohn Idamante zu opfern, damit Neptun endlich besänftigt wird – Illia bietet sich als Ersatz an, doch im gleichen Moment schneidet Idomeneo seinem Sohn die Kehle auf, erst jetzt ertönt die göttliche Stimme und bittet Idomeno einzuhalten – doch zu spät. Und jetzt passiert etwas wirklich Erschütterndes: Der ganze Triumphchor scheint sich nur noch im Wahn des Idomeneo abzuspielen, auch seine Schlussworte wirken nicht mehr versöhnlich sondern verstörend und völlig wahnsinnig, wenn zu seinen Füßen der blutüberströhmte Idamante liegt.

    Nach dem Chor tritt noch einmal Elektra auf, mit der oft (selbst von Mozart) gestrichenen Suizid-Arie – und schließlich endet alles mit dem Andante aus der Sinfonia Concertante in Es-Dur KV 364 bei dem die Verblieben (das Volk) rituellen Suizid auf der Bühne begehen. Das Andante löst sich musikalisch mit dem schließenden Vorhang ins Nichts auf.

    Mich hat dieses umgestellte Finale wirklich gepackt und ergriffen. Da hat es mich auch nicht mehr geschmerzt, dass die große Chaconne entfallen ist (sie wird ja meist sowieso gestrichen).

    Alles in allem ein doch schöner Opernabend, der „Skandal“ war für mich keiner, dafür ein Opernabend mit vielen Highlights wie die wütenden Arien der Elektra, dem berühmten Quartett, den erschütternden Chören und natürlich dem Finale. Die Gesangleistungen waren durchwachsen, besserten sich aber im Laufe der Oper. Es war eben hörbar, dass die Oper des 18. Jahrhunderts nicht das Hauptfach der Sänger war. Aber insgesamt war das schon ganz ordentlich. Das Orchester spielte ebenfalls ordentlich, - auch stets mit Cembalo im Continuo – für die Rezitative wurde hingegen das Pianoforte benutzt, von dem aus Jörg Halubeck das Orchester auch leitete . Und auch das Orchester hatte seinen Höhepunkt beim Finale, das Andante der Sinfonia Concertante war wirklich atemberaubend schön gespielt.