Das österreichische Barockensemble Ars Antiqua Austria feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. Das EROICA Klassikforum hat das und das zeitnahe Erscheinen einer neuen Einspielung eines deutschprachigen Oratoriums aus der Feder von Johann Joseph Fux zum Anlass genommen, ein E-Mail-Interview mit dem Leiter des Ensembles, dem Geiger und Dirigenten Gunar Letzbor, zu machen.
EROICA: Erst einmal vielen Dank, dass Sie uns zur Verfügung gestanden sind. Sie und Ihr Ensemble widmen sich seit Jahrzehnten der Musik des ehemaligen Habsburgerreiches. Was fasziniert Sie am meisten daran?
GUNAR LETZBOR: Die hohe Qualität in kompositionstechnischer Hinsicht. Die Habsburger Musikkaiser konnten die Qualität von Kompositionen selbst beurteilen. Sie hatten eine Vorliebe für Musik, die auch polyphon konzipiert war. Die katholische Kirchenmusik verlangte ebenfalls nach einem gediegenen Stil in dem Manirismen keinen Platz fanden.
E: Gibt es nach Ihrer Meinung eine speziell österreichische Musik, einen österreichischen Stil oder Klang? Wo kann man dessen Wurzeln suchen, und bis wohin reicht er?
GL: Die Wurzeln liegen in den verschiedenen Kulturkreisen, die im barocken Habsburgerreich versammelt waren. In Wien trafen sie aufeinander und befruchteten sich gegenseitig. Der internationale Stil der Wiener Klassik wäre ohne diese Entwicklung nicht entstanden.
E: Sie haben 2011 für Ars Antiqua Austria das Programm festgelegt (aber schon davor danach verfahren) sich wenig bekannter Musik zu widmen, die – egal wann sie geschrieben wurde – sowohl für den Interpreten, wie für das Publikum „neu” ist. Nach welchen Gesichtspunkten entscheiden Sie sich ein Werk aufzugreifen, oder doch lieber beiseite zu legen, wenn es noch kaum Vorarbeiten gibt?
GL: Im Idealfall gibt es eine Partitur, dann ist es einfach. Meist muss ich mühsam diverse Einzelstimmen lesen und sie gedanklich zusammenfügen. Wenn sich dabei Begeisterung einstellt, lasse ich eine Partitur herstellen. Aber auch dann kann es passieren, dass mir ein Stück am Ende doch nicht wertvoll genug erscheint, neu interpretiert zu werden. Manche Komponisten haben zum Glück nur Musik vom Feinsten geschrieben! Die kommen in die Schatzkammer und werden nach Möglichkeit unserem Publikum näher vorgestellt.
E: Ihre Suche nach noch nie gehörter Musik, scheint für mich in Ihrer Art des Musizierens zu widerspiegeln. Ihre Interpretationen zeichnet eine fast improvisatorisch anmutende Leichtigkeit, die Musik wie jetzt entstehen zu lassen, aus. Wer hat Sie dabei künstlerisch am meisten beeinflusst?
GL: Je kleiner die Besetzung ist, um so mehr kann offen gelassen werden. Es macht unglaublich Spass, Noten in verschiedenen Konzerten je nach Stimmung in jeweils einzigartiger Weise neu in Musik umzusetzen. Da erobert die Phantasie ihren rechtmäßigen Platz zurück. Das kognitive Hirn verhindert oft gefühlvolles Musizieren. Wenn man zu viel denkt, spüren die Zuhörer weniger direkt von Herz zu Herz. Bei Aufnahmen ist das schwieriger. Hier muss die Interpretation auch einer kognitiven Analyse standhalten. Ein Mittelweg ist zu finden.
Mir fällt kein Vorbild ein.
E: In unserem Forum wird diskutiert, ob man Studio- oder Live-Aufnahmen den Vorzug geben sollte. Wie sehen Sie als Interpret den Unterschied zwischen einer Konzertaufführung und der Studioarbeit?
GL: Eine CD ist ein Kunstprodukt. Es macht sich kaum jemand die richtige Vorstellung, wie viel hier nach der Aufnahme noch verändert werden kann. Ich stehe dazu und daher ich bin bei der Nachbereitung im Studio selbst dabei, setzte hier noch musikalische Akzente. Aufnahmen im Studio hasse ich, da hier fast immer eine schlechte Akustik die Spielfreude der Musiker hemmt. Ich liebe Aufnahmen in schönen klangvollen Sälen. Ein barocker Saal (Kirche) ist ein Klangkörper, der auf die Interpretation einwirkt. Wenn es in einem Raum angenehm zu musizieren ist, dann wird auch die Aufnahme gut. Eine Live CD wird nie ein persönliches Konzerterlebnis ersetzen. Sie ist ein Zwitterprodukt zwischen zwei Kunstformen-dem Konzert und der Aufnahme. Es sollte aber jeder Musikbegeisterte selbst entscheiden, was ihm mehr zusagt-eine gut konzipierte CD, die auch bei mehrmaligem Hören noch befriedigt oder eine Live Aufnahme, bei der nicht für den CD Hörer gespielt wurde sondern für das Publikum im Saal.
E: Wenn ich Ihre Interpretationen höre, habe ich immer den Eindruck, dass Sie einen ganz direkten Draht zur Musik Heinrich Bibers haben. Wie sehen/hören Sie seine Musik, welche Rolle messen Sie ihm in der österreichischen Musik zu?
GL: Biber war meine erste Liebe und die begleitet einen Menschen sein ganzes Leben. Ich fühle eine seelische Verbundenheit zu diesem rebellischen und liebevollen Menschen. Er hat sicherlich das Violinspiel im Habsburgerreich stark beeinflusst. Nicht umsonst entsteht in Salzburg einige Jahrzehnte nach Bibers Tod die für mich wichtigste Violinschule der Neuzeit in den Händen von Wolfgangs Vater.
E: Bibers Führungsrolle, als international bedeutender Komponist Österreichs, hat nach seinem Tod Johann Joseph Fux übernommen. Eine neue CD – gemeinsame Produktion von Ars Antiqua Austria und den St. Florianer Sängerknaben – mit einem bisher kaum gekannten deutschsprachigen Oratorium von Johann Joseph Fux steht vor dem Erscheinen. Können Sie uns dazu einige Details verraten? Was erwartet dabei den Hörer?
GL: Es erwartet sie ausdrucksvolle deutsche Sprache. Das ist für unsere Landen bemerkenswert. Das Latein ist noch lange nach diesem Oratorium die Sprache der katholischen Kirche. Es erwarten sie wunderbare Klänge aus Knabenstimmen, ein dichter, klangvoller Streichersatz, barocke Akustik aus dem Kloster von St. Florian, musikalische Bilder von größter Ausdruckskraft und ein kunstvoller musikalischer Satz, der den Wiener Hofkapellmeister auszeichnet.
E: Das ist nicht das erste Mal, dass Sie sich diesem Komponisten nähern: eine Aufführung der Oper „Julo Ascanio” und eine CD mit Triopartiten sind schon vorgegangen. Wo sehen Sie die besondere Anziehungskraft seiner Musik?
GL: Keine Note ist umsonst!
E: Fux hat mit seiner Musik und seinem Lehrbuch „Gradus ad Parnassum” einen großen und nachhaltigen Einfluss auf die nachfolgende Musikwelt gemacht. Die Komponisten der ersten Wiener Schule – Monn, Wagenseil, usw. – waren direkt oder indirekt seine Schüler. Die beiden Haydns haben aus „Gradus” gelernt, Michael hat die berühmte Canon-Messe von Fux studiert, Joseph eine Messe im strengen Stil angefangen (dann abgebrochen). Noch Bruckner soll aus der deutschen Übersetzung dieses Buches gelernt, und es mit Notizen überhäuft haben. Wie prägend kann das für einen speziell österreichischen Stil gewesen sein?
GL: Fux bringt das Besondere der Österreichischen Barockmusik auf den Punkt. Die Polyphonie der Renaissance wird von ihren engen tonalen Fesseln befreit. Die Erfindung neuer Stimmsysteme macht das möglich. Der freie Kontrapunkt ebnet den Weg zu den überragenden Kunstwerken der angesprochenen Nachfolger.
E: Apropos Bruckner: Sie und Ihr Ensemble sind bereits mit seiner Musik in Berührung gekommen bei der Aufführung seiner d-moll Messe unter der Leitung von Rupert Gottfried Frieberger, aber auch bei Ihren eigenen Programmen scheint der Meister aus Ansfelden zu geistern: Franz Aumann, dessen „Requiem” Ars Antiqua Austria zusammen mit den St. Florianer Sängerknaben aufgeführt und auf CD eingespielt hat, also dieser Aumann war sozusagen ein Vorgänger Bruckners als Musikleiter in St. Florian, zwei schöne Offertorien von ihm, die Sie eingespielt haben, wurden sogar von Bruckner bearbeitet.
Für dieses Jahr planen Sie eine Aufführung mit Werken von Johann Baptist Weiß, bei dem der 12-jährige Bruckner einige Zeit verbracht, und die Grundlagen seines musikalischen Wissens gelegt hat. Was bedeutet für Sie die Musik Bruckners, und wie sehen Sie ihn im Fluss der österreichischen Musikgeschichte?
GL: Beim Hören Bruckners fühle ich mich zu Hause. Mich begeistern seine musikalischen Fähigkeiten. Auch bei ihm habe ich das Gefühl, keine Note weglassen zu können. Dass er unentwegt an seinen alten Werken gefeilt hat, erstaunt mich. Auch ich habe einmal Komposition studiert. Alle paar Jahre nehme ich meine alten Kinder aus der Studienzeit heraus und feile an ihnen herum. Es wundert mich, wie wichtig mir dabei kleine Änderungen sind. Im Vergleich mit Bruckner bin ich Anfänger, aber auch Anfänger lieben ihre Werke.
Bruckner hat seine Werke geliebt, das hört man. Die Liebe ist der Schlüssel zum Guten!
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