01 - Kurzbiographie

  • Michel Richard Delalande, auch oft de Lalande oder sogar de la Lande geschrieben, war im ausgehenden 17. Jahrhundert und während des gesamten 18. Jahrhunderts eine Zentralgestalt im Pariser Musiklebens. Geboren am 15. Dezember 1657 in Paris und gestorben am 18. Juni 1726 in Versailles, folgte er Lully im Amt des Superintendanten der Musik des Königs und blieb es bis zu seinem Tod auch unter Louis XV. Ein Lully des Lateinischen wurde er genannt.

    Michel Richard Delalande, zeitgenössischer Stich

    Zusammen mit Marin Marais (1656-1728 ) sang er im Kirchenchor und erhielt dort auch seine musikalische Ausbildung. Im Gegensatz zu Marais war er jedoch kein Virtuose, sondern vor allem Sänger und Komponist. Zwischen ihm und Marais bestand auch eine lebenslange Freundschaft, ebenso zu dem Geiger Jean Féry Rebel (1666-1747), der durch die Heirat einer der Töchter Delalandes sogar zur Familie gehören sollte. Delalade ging wie auch Marais bei Lully am Hofe in die Lehre, war aber im Gegensatz zu Marais kein Favorit des Superintendanten. Man könnte sogar soweit gehen und behaupten, dass ein eher gespanntes Verhältnis bestand (es gibt Berichte darüber, dass Lully die ersten Versuche Delalandes im Bereich Ballett und Instrumentalmusik zu verhindern suchte).

    Das große Casting in Versailles

    Als 1682 der Hof nach Versailles umgezogen war und Louis XIV. von nun an hier Hof halten wollte (dies bedeutete, das Regierungszentrum wurde von Paris nach Versailles verlegt), stand auch eine grundlegende Neuorganisierung der Hofmusik an. Vor allem beabsichtige Lully, sich der alten Meister zu entledigen. Denn sehr oft geriet er mit Männern wie Du Mont, Pierre Robert, Chambonnières und Dumanoir und vielen anderen aneinander. Die alten Meister akzeptierten den Florentiner nicht. Beispielhaft ist die Affäre mit dem Cembalisten Jaques Champion de Chambonnières, der sich weigerte, im Orchester des Herrn Lully mitzuspielen. Dies mag man heute als Arroganz ansehen, aber dazu muss man wissen, dass die Hofmusik zu jener Zeit noch so strukturiert war, wie sie einst von François I. ins Leben gerufen worden war: es gab drei große Sektionen am Hofe, ein strenges Kasten-System: Die Chambre du Roy, eine Kaste von Musikern, die zu den besten Musikern des Landes zählten und ausschließlich für den König und seine Familie spielten. Dann die Chapelle Royale, die Sänger für die tägliche Messe und die dazugehörigen Instrumentalisten. Und die Grande Ecurie, die Pfeifer, Trommler und Trompeter für Kriegs- und Zeremonialangelegenheiten. Unter Louis XIII. kam dann noch der große Streicherapparat hinzu, die 24 Violons du Roy, sowie die 12 Grandes Hautbois du Roy.

    Die Rangfolge war wie auch beim Adel minutiös geregelt, und so ist es verständlich, dass ein Chambonnières, der zu den ersten Musikern des Reiches gehörte, niemals mit gewöhnlichen Trommlern und Pfeifern zusammen spielen würde. Denn erst unter Louis XIV. war es üblich, alle Hofmusiker für die großen Spektakel und Opern zusammen spielen zu lassen. Um diese alten Querköpfe endlich loszuwerden und um jeglichen Widerstand in der Hofmusik auszumerzen, wurde nun eine großangelegte Neuorganisierung geplant.

    1683 wurden die vier alten Susmaîtres de la Chapelle in allen Ehren entlassen:

    Henri DuMont, der ein Jahr später ohnehin verstarb...
    Pierre Robert, ein ehemaliger Lehrer Lullys (er blieb am Hof als Komponist)
    Thomas Gobert
    Gabriel Expilly

    Sinn der Aktion war nun, die Positionen an Komponisten zu vergeben, die nach Lullys Vorgaben komponierten und dem neuen frz. Klassizismus mehr entsprachen. Schon 1664 hatte Lully mit seinem Miserere gezeigt, wie sich Louis XIV. von nun an seine Kirchenmusik vorstellte. Das Stück unterscheidet sich enorm von den großen Motetten der alten Meister. Warum erst nach 20 Jahren gehandelt wurde, ist nicht ganz sicher – wahrscheinlich konnte sich Lully erst jetzt, da er selbst auf dem Gipfel seines Ruhmes und seiner Macht war, durchsetzen und sich an den Komponisten, die ihn damals verspotteten, Rache üben.

    1683 wurde also ein musikalischer Wettbewerb in Versailles ausgerufen. Aus ganz Europa reisten Komponisten nach Frankreich in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit des Königs zu erregen. Unter den Bewerbern waren neben dem jungen Delalande auch der schon recht bekannte Marc Antoine Charpentier, Paolo Lorenzani, der ehemalige Oberhofmeister der Musik der Königin – er hatte seinen Posten erst kurz zuvor verloren, als die Königin überraschend verstarb. Und aus Deutschland kam Daniel Danielis. Auch der junge Henri Desmarest versuchte sich an dem Wettkomponieren.

    Selten hat ein musikalisches Auswahlverfahren so einen Rummel verursacht. Als Favorit wurde natürlich Charpentier aus Paris gehandelt – er hatte schon oft die Gelegenheit gehabt, vor Louis XIV . und dem Hof zu spielen, stand in der Gunst des Dauphins und in Lohn und Brot bei der Mademoiselle de Guise und war damit neben Lully wohl auch der am best bezahlte Komponist Frankreichs. Es gibt noch Belege darüber, dass Charpentier einen eigenen Stab an Dienern hatte: Stallbusrchen, Zimmermädchen, selbst einen Konditor. Er war der größte Konkurrent Lullys. Seltsamerweise wurde Charpentier, der als Sieger der ersten Runde hervorging, plötzlich krank und musste ausscheiden. Böse Zungen behaupten, Lully habe ihn vergiften lassen. Dieser Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Charpentier als Leiter der königlichen Kapelle hätte eine ernste Gefahr für den Oberintendanten werden können und das war ja gerade etwas, was man nun nicht mehr wollte. Louis XIV. saß übrigens selbst in der Jury, zusammen mit Lully und einigen anderen. Die alles entscheidende Aufgabe war nun, eine Grand Motet auf den Psalm 31 „Beati quorum remissae sunt“ zu verfassen. Die restlichen 16 Kandidaten bekamen Feder, Tinte und Papier und wurden in separate Räume eingeschlossen, die streng bewacht wurden, damit keinerlei Betrug möglich sein würde.

    Die Motetten wurden in der alten Kapelle aufgeführt und die Sieger standen fest:

    Michel Richard Delalande, der als Favorit des Königs galt
    Abbé Goupilet
    Guillaume Minoret
    Pascal Collasse, ein Schüler und Günstling Lullys.

    Natürlich wurde von Vetternwirtschaft und Absprache geredet, aber auch, wenn nicht alle Kandidaten ihren Sieg verdient haben mögen, Delalande dürfte ziemlich sicher durch sein Können überzeugt haben.


    Kurze Zeit später sollte sich auch schon zeigen, dass die Jury sich in ihrer Auswahl hatte blenden lassen. Der Abbé Goupilet war seiner Aufgabe nicht gewachsen und bezahlte den jungen Desmarest für das komponieren der Motetten. Der Schwindel flog auf, weil Goupilet irgendwann nicht mehr zahlen konnte. Desmarest machte den Schwindel öffentlich und erhoffte sich nun das Amt des Abbés, doch Louis XIV. entliess beide Musiker mit Tadel. Desmarest wurde später wegen einer Entführung seiner adligen Schülerin sogar zum Tode verurteilt (aber nie gefasst). Leider wurde auch nicht Charpentier berücksichtigt. Ihm sprach Louis XIV. bei seinem Ausscheiden wärend des Wettbewerbs eine kleine Rente zu. Desmarest und Goupilet wurden vom Hofe gejagt.

    Louis XIV. übertrug Delalande das vakante Amt – und dies sollte nicht das einzige bleiben. Bis zum Todes des Sonnenkönigs bekleidete der Komponist nicht weniger als 11 hohe Ämter am Hof. Unter anderem war er auch Cembalolehrer der Prinzen und Prinzessinen von Frankreich. Nach Lullys Tod 1687 war auch die Stelle des Oberintendanten vakant. Diese Position wurde zuerst von den beiden Söhnen Lullys sowie von dem Lully-Meisterschüler Marais ausgefüllt. Doch waren die Söhne des großen Lully der Position nicht gewachsen, ihre Opern missfielen. Zudem war auch deren Lebenswandel und Benehmen für dieses Amt unangemessen und so sah Louis XIV. davon ab, die Söhne zu halten. Schon ein Jahr später erklärte Louis XIV. Delalande zum Nachfolger des Superintendanten.

  • Ab 1685 veränderte sich der Hof extrem, das Edikt von Nantes wurde aufgehoben und das ganze Land stand unter einem religiösen Taumel. So verwundert es nicht, dass Louis XIV. sich von der Oper abwendete und einem Komponisten, der vor allem für seine geistlichen Werke berühmt werden sollte, seine Gunst schenkte. Der Einfluss von Madame de Maintenon... sie schätzte Delalande überdies auch sehr, wärend sie Lully stets nur Verachtung entgegen brachte.

    Natürlich liebte der König die Oper nach wie vor, Lullys Amadis wurde jedes Jahr gegeben, Szenen aus Lullys Balletten und Opern jeden Abend in den Gemächern gespielt. Liselotte von der Pfalz beklagte sich darüber, dass sie die alten Opern nicht mehr hören könne, jedoch der König wünschte nichts anderes. Delalande komponierte indes niemals eine Oper, allerdings mehrere Ballette oder allegorische Pastoralen, wie z.B. Les Fontaines de Versailles, Le Ballet de la Paix, Le Ballet de la Jeunesse oder L’Amour flechi par la Costance. Les Fontaines de Versailles ist beispielsweise ein reizendes Divertissement, bestehend aus kurzen Airs, Instrumentalstücken und prächtigen Chören; das Werk dauert kaum eine halbe Stunde. Auch ein Werk zur Genesung des Königs schrieb er, ein Concert d’Esculap, das Madame de Montespan in Auftrag gab und ein wahrhaft kleines Meisterwerk ist. Für Louis XV. komponierte er noch das Ballet des Folies de Cardenio, das dem jungen König jedoch überhaupt nicht gefiel.

    Die Symphonies pour les Soupers du Roi

    Berühmt sind auch seine Symphonies pour les Soupers du Roy, eine große Sammlung von über 300 einzelnen Musikstücken, die Delalande am Ende seines Lebens in 18 Suiten zusammenfasste. Es gab mehrere Revisionen und Umstellungen, so hat das Ensemble Simphonie du Marais unter Hugo Reyne die Version von 1713, bestehend aus 12 Suiten aufgenommen, weil sie jene Fassung war, wie sie Louis XIV. kannte. Die wohl berühmtesten Passagen aus dieser Sammlung sind das prächtige Concert des Trompettes, welches wohleinst eine Festivität auf dem Kanal von Versailles begleitete (in einer späteren Fassung wurde diesem Konzert die Prelude aus seinem Te Deum vorangestellt). Diese Feste auf dem Kanal waren unter Louis XIV. sehr beliebt, denn er hatte auf diesem etwa 1 km langen Kanal seine gesamte Kriegsflotte in Miniatur nachbauen lassen, allerdings so, dass man mit diesen Schiffen wirklich segeln und auf dem Kanal paddeln konnte.

    Das Lieblingsstück des Königs gilt zugleich auch als die vielleicht ungewöhnlichste Komposition der ganzen Sammlung, eine fast zehnminütige Fantasie, eine Art Mini-Orchestersuite, die oft auch als ein erster Vorläufer der Symphonie bezeichnet wird, das Grand Pieces Royale aus der 5. Suite "welche der König so oft zu hören wünschte". Ferner ist bekannt das Premier Caprice aus der 7. Suite, welches wohl J. S. Bach zu seiner 3. Orchestersuite inspirierte.

    Die geistlichen Werke

    Die Werke für die königliche Kapelle nehmen natürlich den größten Raum in Delalandes Schaffen ein, über 70 große Motetten aus seiner Feder sind bekannt. Er formte die „Versailler Motette“ wie kein Komponist vor oder nach ihm. So, wie Lully als ein Manifest in Sachen Opern galt, schuf Delalande auf dem Gebiet der großen Motette das Ideal. Schon zu Lebzeiten huldigte man ihm mit der Bezeichnung „Ein Lully des Lateinischen“.

    Delalandes Te Deum war wahrscheinlich seine am meisten gespielte Motette, sowohl in der königlichen Kapelle, als auch im Concert Spirituel. Beeindruckend ist auch sein Dies Irae, das jenem von Lully in nichts nachsteht, ebenso das große Misere mei deus. Neben diesen großen Werken (die großen Motetten dauern zwischen 20 und 30 Minuten) komponierte Delalande auch kleinere geistliche Werke. Auch sind von ihm leçons de ténèbres erhalten, die jene von Couperin vielleicht sogar an Dramatik und Schönheit übertreffen. Delalande vertonte auch die Cantiges von Jean Racine, in denen über Tod und Vergänglichkeit gesungen wird.

    Wärend im 18. Jahrhundert seine Ballette und kleineren geistlichen Werke vergessen wurden, blieben die großen Motetten sogar noch im Programm des Concert Spirituel bis zur Revolution. Und selbst, als Louis XVI. und Marie Antoinette gezwungen wurden nach Paris zu gehen, um in den Tuillerien zu residieren, war der Name Delalande noch recht häufig auf dem Plan für die Grands Motets der königlichen Kapelle zu finden. Wenn man Motetten von Campra, Mondonville, Brossard, Giroust, Gretry oder Gossec mit denen Delalandes vergleicht, erkennt man, wie stark sein Einfluss in diesem Gengre gewesen ist. Delalande ist mit Sicherheit einer der größten Komponisten der französischen Musikgeschichte, eben ein "Lully des Lateinischen".