01 - La Susanna (Oratorio, Genova, 1681)

  • Die Geschichte der Susanna aus dem Buch Daniels gehört seit jeher zu den beliebtesten Themen in der Kunst - vornehmlich in der Malerei, aber auch in der Musik: man denke nur an die viele Vertonungen des Chansons "Susanne un jour" (Orlando di lasso hat es nicht gescheut sogar ein Magnificat darüber zu komponieren - und natürlich auch eine Messe).

    Heute ist wohl das Werk Stradellas - neben das von Händel - die bekannteste dramatisierte Vertonung des Stoffes. Entstanden 1681 für Genua, wahrscheinlich im Auftrag des Herzog Franceso II d'Este.

    Stradella verwendet hier nicht das große Ensemble seines "Giovanni die Battista" - einfache triostruktur im "Orchester: zwei Violinen und Basso continuo, dazu ein fünfstimmiges (und somit madrigalistisches) Vokalensemble für zwei Soprane (Susanna und Daniele), Alt (Testo, also der Erzähler), Tenor und Bass (die beiden Greise, die Giudici).

    Das Werk ist mit besonderer Sorgfalt gesetzt und zeigt eine große Vielfalt an der behandlung der Arien - darunter mehrere "Versuche" über Ostinati: wo die Ostinatobässe mit viel Rafinesse behandelt und variiert werden. Die Rezitative sind in einem an Monteverdi erinnernden Stil komponiert: melodisch und bei gefühlsmäßig gesteigerten Stellen ariosohaft ausgeschmückt.

    Das Oratorium hat einen Erzähler, der das geschehen vorantreibt, das macht das ganze teilweise einem Passionsvertonung ähnlich - bloß ist hier der Stoff eher erotisch, als religiös durchtränkt.

    Meines Wissens gibt es vier Einspielungen dieses Werkes - ich kenne davon nur die letzten drei:

    Die erste, unter der Leitung von Alan Curtis, ist auf CD in Vol.8 der Reflexe-Reihe erhältlich:

    Die zweite noch 1991 mit dem von Estevan Velardi geleiteten Camerata Ligure (späteres Ensemble Alessandro Stradella Consort):

    Die dritte 2004 bei Glossa mit dem Ensemble Aurora:

    Und die neueste, ein Live-Mitschnitt bei Brilliant Classics unter Claudio Astronio:

    Die Partitur des Werkes ist erhältlich in der Alessandro Stradella Gesamtausgabe von ETS Edizioni, Pisa:

    http://www.edizioniets.com/Scheda.asp?N=88-467-0599-8

    m.E ein durchaus lohnenswerter Kauf, wenn man sich für das Werk interessiert.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Emanuela Galli, Susanna
    Barbara Zanichelli, Daniele
    Roberto Balconi, Testo
    Luca Dordolo, Secondo Giudice
    Matteo Bellotto, Primo Giudice

    Ensemble Aurora
    Enrico Gatti

    Diese Einspielung war meine erste, und hat mir sofort die Schönheit des Werkes offenbart. Gatti konnte ich früher wegen seinen etwas kühlen Interpretationen nie richtig lieb gewinnen, und auch hier verspüre ich diese etwas entdramatisierte Annäherung, wirkt aber in diesem Fall nicht besonders störend.

    Star der Aufnahme für mich ist hier eindeutig Emanuela Galli, die in der Rolle der Susanna wahre Wunder vollbringt: sie gibt der Figur viele Schattierungen und lässt sie als junge Nava darstellen, die bis zum Letzten in einer guten göttlichen Fügung glaubt - was dann in der Person des Daniels auch kommt.

    Besonders anmutig ist die zweite Arie der Susanna aus dem zweiten Teil "Ma costanza, miei fidi pensieri" die sie mit einer fast volkstümlichen Einfachkeit singt, und damit den Charakter überzeugend darstellt.

    Matteo Bellotto gibt einen trefflichen und amorosohaften Primo Giudice, könnte fast schon burlesk wirken, wenn die Interpretation nicht so an Wohlklang gezielt wäre. Luca Dordolo geht da ohne Probleme mit - ind dieser Sängerriege ist seine Verwendung von etwas mehr Vibrato auffalend, aber - für mich - nicht störend.

    Die Stimme des Counter, Roberto Balconi, will mir nicht so ganz gefallen, finde in den Höhen etwas eingeengt und schrill - ist aber noch durchaus im Bereich des ertragbaren, vor allem, da er mit schönem Ausdruck und dem Gesamtkonzept sich unterordnend singt.

    Rundum eine stimmige Aufnahme, die ich ohne Bedenken als Erstkontakt mit dem Werk empfehle.

    Ich habe noch die Erstauflage mit zwei Booklets - Begleittexte + Libretto - ob die Texte dann auch zur günstigeren Wiederveröffentlichung beiliegen, weiß ich nicht.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Gemma Bertagnolli, Susanna
    Isabel Alvarez, Daniele
    Martin Oro, Testo
    Mirko Guadagnini, Secondo Giudice
    Sergio Foresti, Primo Giudice

    Harmonices Mundi
    Claudio Astronio

    Live, 10 und 11 August 2011, Schloss Maretsch in Bolzano

    Einer Live-Aufnahme sollte man vielleicht nicht mit dem selben Maßstab messen, wie eine Studio-Aufnahme, zu meiner verteidigung jedoch: mir wurde erst bewusst, dass es sich dabei um ein konserviertes Konzert handelt, als ich das Klatschen zum Schluss gehört habe.

    Astronio lässt mit viel mehr Dramatik aufspielen, als Gatti, und das kommt auch bei seinem Tempowahlt zum tragen: die rezitative sind in der Regel schneller, mehr gesprochen, und die Tempi der Arien gehen mehr auseinander.

    Leider die meisten Sanger können mich hier nicht ganz überzeugen: mir ist aber auch klar, dass ich mir dabei (teilweise ungewollt) die Gatti-Aufnahme als Referenz vornehme. Durchwegs überzeugt der fantastische Martin Oro als Testo. Es ist wunderbar, wie er auch mit seiner klaren Stimme die Handlung schildert.

    Gemma Bertagnolli gibt eine ältere, als Heroine dargestellte Susanne ab, eine MILF möchte ich fast sagen. *hide* Ihre Stimme gefällt mir aber nur wenig, da Sie kaum zu richtigen Ruhemomenten findet und immer mit größter Heroine-Kraft singt. Das ist aber auch wohl an der Konzertsituation zu verschulden, da sie natürlich den Saal mit ihrer Stimme zu füllen sucht.

    Auch die restlichen Sänger konnten mich nicht richtig zu Frieden stellen: Sergio Foresti scheint zu schwach in den tieferen Registern, isabel Alvarez und mirko Guadagnini singen schön, kommen aber an die leistungen ihrer "Konkurrenten" nicht ran für mich.

    Unabhängig davon ist die Aufnahme zu empfehlen, da keineswegs schlecht, und sehr günstig zu haben.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Silvia Piccollo, Susanna
    Lavinia Bertotti, Daniele
    Marco Lazzara, Testo
    Mario Nuvoli, Secondo Giudice
    Marco Perella, Primo Giudice

    Complesso vocale strumentale Camerata Ligure
    Estevan Velardi

    Man hat mir früher einmal schon vorgeworfen, die Interpretationen von Velardi immer unkritisch in den Himmel loben zu wollen. Was kann ich aber dafür, wenn ich es einfach wirklich so empfinde, dass seine die stimmigsten sind?

    Hatte ich bei allen anderen Aufnahmen etwas an der einen oder anderen Stimme auszusetzen - so habe das hier nicht: Silvia Piccollo gibt eine wunderbar vielschichtige Susanna, und so unschuldig habe ich ihre erste Arie aus dem ersten Teil "Quando invidio il vostro strato", dass man sich wirklich voyeuristisch dabei fühlt, bei keiner der anderen beiden gehört. Und auch so herzzerreißend schön ihre Ciacona aus dem zweiten Teil "Da chi spero aita, o Cieli" nicht (hier auch ziemlich langsam, und bei der Wiederholung schön ausgeschmückt).

    Marco Perella gibt seinem Primo Giudice wahren buffo Charakter und eine wunderbar kräftige und spielerische Stimme. Mario Nuvoli als Secondo Giudice ist auch in dieser kleinen Rolle (mit nur einer einzigen Arie und sonst nur Duetti) hervorragend, und kann sie mit Leben füllen. Auch Lavinia Bertotti als Daniele überzeugt mich mit jugendlichem Feuer und klarer Stimme.

    Für eine Überraschung gut ist auch Marco Lazzara, ein richtiges Altus (also kein Counter), wo man manchmal tatsächlich glaubt, es sänge eine Frau - und Lazzara weiß auch wunderbar seine fülligere Stimme (als, wie von den Countern gewohnt) einzusetzen und damit die Dramatik der Erzählung zuzuspitzen.

    Die Sänger wissen auch in Ensemble sehr gut aufeinander abgestimmt zu singen, man hat in allen Ensemblestücken eine wunderbare Transparenz, die teilweise bei den anderen Aufnahmen nicht so perfekt gegeben ist.

    Velardi ist auch - wie immer - auch in der instrumentierung für Überraschungen gut: für einige Ritornelli lässt er statt Violinen zwei Flöten spielen, was einen wirklich schönen Effekt hat. In den beiden fünfstimmigen Madrigalen zum Schluss der zwei Teile verdoppelt er das Vokalensemble mit Ripienosänger (NB.: also mit fünf weiteren Solisten, die gut hörbar, von den "Favoriti" gesondert aufgestellt sind - also absolut HIP!), ebenfalls mit überzeugender Wirkung.

    Mir gefällt diese Aufnahme am meisten, empfehle sie also ohne bedenken, die anderen beiden sind aber auch ziemlich gut, die ich auch ehrlich empfehlen kann.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
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  • Ein Vergleich der Spielzeiten zeigt keine erheblich großen Tempounterschiede zwischen den drei Aufnahmen:

    Velardi:
    Parte 1 - 51:49
    Parte 2 - 44:55

    Gatti:
    Parte 1 - 52:09
    Parte 2 - 42:57

    Astronio:
    Parte 1 - 48:27
    Parte 2 - 41:33

    Gatti - seinem Konzept der Wohlklang folgend - mach keine großen Tempowechsel, es ist bezeichend, dass manche schnelleren Arien (vorwiegend im ersten Teil) bei ihm die langsamsten sind, während das große Ciacona-Lamento der Susanna ("Da ch spero aita" - das zentrale Stück des Oratoriums) bei ihm am schnellsten ist (6:37). Dabei wirken die Tempi immer wohl bedacht und angenehm.

    Astronio lässt fast durchgehend mit etwas schnelleren Tempi spielen, so bekommt bei ihm das oben erwähnte Lamento besonderen Gewicht wegen seiner Langsamkeit (8:05). Er lässt es aber mit großer Dramatik - sprich forte - musizieren, also ohne innere Ruhe, sondern fast schon exaltiert.

    Velardi hat - mE - am meisten Gespür dazu, dass Stradella noch im stylus phantasticus komponiert (hier trifft es auch zu, wie das unser Lullist über seine Einspielung der Corellischen Konzerte formuliert hat: als würde Herr Biber in Salzburg aufspielen), und arbeitet die aufeinanderprallenden Gegensätzlichkeiten besser aus. Man findet bei ihm sowohl tänzerisch-spritzige Tempi, wie auch getragen-ruhige - und das Lamento wird hier wirklich majestätisch langsam, wie ein Gebet aus tiefer Seele vorgetragen (9:36).

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
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