- Offizieller Beitrag
Mal ein paar zusammenhanglose Gedanken zum Thema, entstanden in den letzten Jahren in verschiedenen Foren:
Ich bin entschieden der Meinung, das Verfahren verdient einen eigenen Thread, gerade mit Blick auf die Interpretationsfanatiker und Allesvergleicher, zu denen ich mich auch zähle; aber auch auf diejenigen, die schnell mal mit einem pauschalen Urteil zur Hand sind, wobei ich mich auch wieder nicht völlig ausschließen möchte. Man kennt diese beinahe reine Wahrheit gebärende Methode von Bier- oder Weinproben und daher sollte sie bei uns eigentlich zum Pflichtprogramm werden. Ohne Hilfe geht das natürlich nicht, irgendjemand muss ja die unterschiedlichen Aufnahmen von etwa Brahmens Zweiter einlegen und verwalten ...
Für unseren Fall geht es zum einen natürlich um Wahrnehmungspyschologie, also Musikpsychologie; die uns lehrt, dass es bei der Rezeption von Musik keine unveränderlichen naturwissenschaftlichen Grundlagen gibt und hundert andere Dinge dabei noch eine Rolle spielen. Zum anderen, dass vieles, was wir an Aufnahmen bemängeln oder loben, nichts mit der "reinen" Musik aus dem Player zu tun hat. Die Threads besonders zu den Dirigenten streifen das ja immer. Viele "Experten" würden ihr wahres Wunder erleben, zwänge man sie zu einem Blindtest und der angeblich "verachtete" Dirigent rangierte plötzlich weit vor den "geliebten". Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, viele würden etwa die Unterschiede zwischen Thielemann und Järvi gar nicht wahrnehmen oder jedenfalls nicht so stark, wie in den Rezensionen beschrieben.
Wenn ich Zeit und Geld hätte, würde ich jedes Jahr eine Landes-, Europa- oder Weltmeisterschaft im vergleichenden und interpretierenden Hören klassischer Musik organisieren und austragen lassen. Die Sieger wären dann wirklich echte Kenner! Oder doch nicht?
Ich selbst kann eigentlich nur für Schütz, Bach, Wagner und Bruckner meine Hände (eigentlich Ohren) ins Feuer legen: Bei Schütz gibt es viel zu wenig Aufnahmen, um gänzlich in die Irre zu gehen; bei Bach, den ich von allen Komponisten am meisten höre seit einem Vierteljahrhundert, ist es trotz des Riesenwerkes eigentlich bei einiger Übung kein großes Problem, Karl Richter oder Helmuth Rilling von Philippe Herreweghe, Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner, Ton Koopman oder neuerdings Masaaki Suzuki zu unterscheiden, zu groß sind die unterschiedlichen Interpretationsansätze; bei Wagner ist man natürlich durch die Sänger und Sängerinnen, die man in der Regel kennt, im Vorteil; und bei Bruckner reichen mir etwa bei der Neunten eigentlich die ersten sechzig Sekunden, um Orchester und Dirigenten zu erkennen, die in meiner Sammlung vorkommen, was einfach an hunderten und tausenden von Hörstunden liegt. Selbst bei Mahler bekomme ich nach exzessivem Hören seit Monaten mittlerweile ein Händchen (Öhrchen) und kann die Aufnahmen unterscheiden; auch deshalb, weil er wirklich ganz unterschiedlich angepackt wird. Für Beethoven allerdings oder Brahms bin ich noch nicht geschult genug.
Denn seien wir ehrlich: Reden oder schreiben über Musik ist praktisch unmöglich, Sinneseindrücke und Gedanken darüber in ein anderes Medium zu transponieren ist schwer; daran sind schon ganz andere gescheitert; Hermann Hesse oder Thomas Mann etwa. Musik und Sprache sind nun einmal zwei völlig verschiedene Dinge, und der Mensch als Rezipient dazwischen macht es nicht leichter. Trotzdem bleibt zu konstatieren, dass 80-90 Prozent der Texte über Musik reines Geschwätz sind, noch dazu schablonenhaft und impotent. Ich rede jetzt nicht von der musikwissenschaftlichen Analyse, sondern von dem, was die meisten als Verbalisierung von Interpretation bezeichnen würden. Das Hauptproblem sind hierbei die Floskeln mit den immer gleichen Attributen, das mangelhafte Maßhalten beim Werten und die ständigen Superlative; die unscharfen Begriffe für die Wiedergabe von Sinneseindrücken und vor allem und zuletzt der übergroße Einfluss außermusikalischer Wertungskriterien, weil die wenigsten wirklich Blindtests durchführen. Ich betone auch hier, dass ich mich da komplett einbeziehe.
Ich persönlich führe regelmäßig Blindtests durch, allein (mit Freundin) oder im Freundeskreis. Dabei ist mir bewusst, dass natürlich noch tausend Umstände und HighEnd-Aspekte eine Rolle spielen - vom Hörraum über Verkleidung, Schallabdichtung, optimale Entfernungen, Fußboden etc.; dann natürlich Player, Verstärker, Boxen, Fernseher, Kopfhörer, Kabel und der ganze andere Hifi-Kram.