Dieser Thread entstand auf Wunsch eines einzelnen Herrn; da die Thematik per se nicht uninteressant ist, wurde dem Wunsche stattgegeben.
Gerade bei den „Clavieren“ - hier in der Bedeutung „Hammerflügel“ - besteht offenbar noch immer größere Berührungsangst als mit übrigen Instrumenten resp. „historisch informiert praktizierenden“ Orchestern (HIP). Oftmals liest man von „Klapperkisten“, „Schepperkisten“, „verrauchten Kneipenklavieren“ und dergleichen. Mit diesem Vorurteil möchte ich an dieser Stelle gerne aufräumen.
Die Wiederentdeckung des Hammerflügels ist noch gar nicht so lange her und kann keine so große Tradition vorweisen, wie beispielsweise das Cembalospiel:
ZitatDer Hammerflügel schließlich wurde von allen historischen Tasteninstrumenten als letztes wiederentdeckt. Das lag sicher an seiner vergleichsweise größten Ähnlichkeit mit den modernen Klavieren. So schrieb bereits 1906 Alfred Heuss über ein Konzert der Münchner Vereinigung für alte Musik, die für Musik aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Fortepiano verwendete:
„[…] wofür man sich nicht gerade begeistern kann. Denn diesen Instrumenten schadet die Konkurrenz unserer Klaviere, die die Vollendung dessen sind, was die alten Hammerklaviere wollen. Das Cembalo ist in seiner Art ein vollendetes Instrument, mit nichts vergleichbar, welches Argument bei den Hammerklavieren wegfällt. Sie haben allerdings etwas Treuherziges, was in ähnlicher Art jeder noch von den jetzt allmählich verschwindenden Tafelklavieren her kennt, aber der Mangel an Tonfülle und Schönheit wird dadurch wohl kaum wettgemacht.“
Quelle: Martin Kirnbauer: „Was man mit den Finger oder Füssen tractiret“. Eine sehr kurze Geschichte der aufführungspraktischen Wiederentdeckung historischer Clavierinstrumente, in: Fritz Neumeyer und seine Sammlung, Rombach verlag, ISBN 978-3-7930-5103-9, S. 34
An den zitierten Worten kann ich im Prinzip nichts Unwahres finden; allerdings führt der Grundtenor dieser Aussage m. E. bewußt in eine abwertende Richtung, die ich aber zunächst auch nicht verübeln kann, denn die Entdeckung dieser Instrumentengruppe stand erst ganz am Anfang und gelangte erst in den 1950er Jahren in Fahrt, als erste einigermaßen ernstzunehmende Aufnahmen auf Hammerflügeln von Mozart und Beethoven den Markt erobern wollten.
Man verortet übrigens nach dem letzten Stand vor Einführung des Begriffs „Flügel“ für moderne Pianos (Klaviere sind eigentlich Pianinos) bei Flügeln stets Cembalos und bei Clavieren (bewußt mit „C“ geschrieben) den sogenannten Hammerflügel, der hier zunächst als Oberbegriff für eine schier unendliche Palette an Instrumenten gelten kann.
Nicht gerade zuträglich für das Revival der Claviere war der Umstand, daß zunächst auf Originalinstrumenten, die mehr schlecht als recht „restauriert“ worden waren, gespielt wurde: daher rührt der unzweifelhaft scheppernde, klappernde und an eine verrauchte Kneipe erinnernde Klang dieser Instrumente. Hammerflügel wurden im 18. und 19. Jahrhundert durch Inanspruchnahme einer gediegenen Zulieferindustrie in Serie hergestellt; dies erschwerte das Restaurieren solcher Instrumente ungemein, da entsprechende Einzelteile sorgsam und mit großem (Kosten-) Aufwand für jedes Instrument separat rekonstruiert werden mussten. Inzwischen hat sich aber auch auf diesem Sektor eine nicht zu verachtende „Industrie“ entwickelt: nicht nur das Konservieren der alten Instrumente, sondern auch die Herstellung von baugleichen Instrumenten mit neuen Materialien ist bereits zu einem beinahe undurchschaubaren Markt geworden. Die Nachbauten klingen, wenn sie mit Sachverstand gemacht sind, alles andere als klapprig und scheppernd: zunächst irritierend mag es zudem sein, daß die Register eines Claviers unterschiedlich klingen, während bei modernen Flügeln stets darauf geachtet wird, daß "alles gleich" klingt. Man kann grob in drei Register einteilen, dabei sind die Register keine solchen wie bei der Orgel, die erst "gezogen" werden müssen, sondern sie sind einfach da: Baßregister (klingt oft cembaloartig oder wie gezupfter Contrebaß), Mittelregister (der Klang ähnelt dem einer Guitarre), oberes Register (harfenähnlich, z.T. aber auch, wenn beledert, schon dem Klang des gewöhnlichen Klaviers recht ähnlich). Durch die bewußte Mischung der Register in der Komposition kommen die vom Komponisten gewollten Klangspähren hervor, teilweise können tatsächlich Klänge anderer Instrumente imitiert werden. Wer diesen Vorteil für sich erkennt, gewinnt. Beim modernen Flügel entfällt dies durch den gewollten Gleichklang.
Der Klang von Hammerflügeln lässt sich nicht grundsätzlich über einen Kamm scheren: ein Clavier von Pleyel klingt anders als eines von Clementi und anders als eines von Walter, Stein oder Érard… In der Entwicklungs-Chronologie ist zu berücksichtigen, daß ein für heute entscheidendes Klangelement, die Belederung der Hämmerchen (heute verwendet man Filz), erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts üblich war: Hammerflügel zu Lebzeiten Mozarts waren noch unbelehrt und klangen in gewissen Registern noch eher nach dem damals vertrauten Cembalo. Auch das Forte-/Piano-Spiel, nach dem diese Instrumente als Fortepiano (oder Pianoforte) bezeichnet wurden, etablierte sich erst allmählich im frühen 19. Jahrhundert. Als Beethoven seine B-Dur-Sonate op. 106 herausgab, das war 1817 (!), entschied er sich bei der geplanten Drucklegung für den Titel „Hammerclaviersonate“; ein Titel, der trotz der Verwendung anderer Instrumente noch heute wie selbstverständlich in Gebrauch ist, aber weitgehend ignoriert wird; wird ein Fagottkonzert auf dem Violoncello gespielt, so ist dies selbstverständlich eine Bearbeitung, spielt der Pianist die Hammerklaviersonate auf einem Steinway-Flügel, bleibt der Titel der Sonate interessanter Weise davon unberührt.
ZitatPublicandum.
Wir haben nach eigener Prüfung und nach Anhörung unsers Conseils beschlossen und beschließen, daß hinführo auf allen unsern Werken, wozu der Titel deutsch, statt Pianoforte Hammerclavier gesetzt werde, wonach sich unser bester General-Lieutenant sammt Adjutanten wie alle andern die es betrifft, sogleich zu richten, und solches ins Werk zu bringen haben. Statt Pianoforte Hammerclavier, - womit es sein Abkommen ein mahl für allemahl hiermit hat.
Gegeben etc. etc.
Am 23. Jänner 1817
Die Wiederentdeckung, Rekonstruktion, Restauration und der Neubau von historischen Clavierinstrumenten (die Clavierbauer mögen Bezeichnungen wie Nachbau, Replik, Kopie und Clon nicht besonders, weshalb eine Begriffsfindung, ohne mit dem Clavierbauer anzuecken, für mich äußerst schwierig ist) ermöglichte erst in den letzten ca. 30 Jahren auch die Wiederentdeckung der Klangvielfalt dieser Instrumente, die teilweise (ebenfalls ab Beginn des 19. Jahrhunderts) noch mit allerlei Gimmicks ausgestattet waren, die man bei modernen Instrumenten vergeblich sucht: Jantischarenzug, Fagottzug, Harfenzug und die Möglichkeit, sowohl una corda als auch due und tre corde zu spielen (also wahlweise auf einer, zwei oder - sofern vorhanden - allen drei Saiten pro Ton; dies verändert hörbar die Lautstärke des jeweils angeschlagenen Tons; man kann durch den Gebrauch sehr sphärische aber auch zirpende Klänge erzeugen). Gerade bei den Violinsonaten Beethovens entdecke ich häufiger Klangwolken, bei denen das Pizzicato der Geige kaum vom Klang der hohen Register des Hammerflügels zu unterscheiden ist. Dieser Klang ist m. E. bewußt vom Komponisten gebraucht worden, um beim Zuhörer ggfs. Verwirrung und bei den Musikern spitzbübische Freude zu provozieren. Beim Spielen auf heutigen Instrumenten ist dies leider nicht mehr nachhörbar; Beispiele finden sich z.B. im Kopfsatz der „Kreutzer“-Sonate oder in der G-Dur-Sonate op. 96.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf den Thread Welchen Einfluß hatten die Instrumente auf die Komposition? hinweisen.
Beethovens Clavierwerke sind - wie m. E. auch Schuberts - geradezu prädestiniert zu zeigen, wie sehr der Komponist an die Grenzen der Instrumente ihrer Zeit ging: gerade das Ausreizen aller Möglichkeiten des Instruments, das dadurch kurz vor dem Bersten ist, gehört für mich zum Werk dazu - ein heutiger Flügel würde da nur müde lächelnd mit den Achseln zucken; das ist ungefähr so, als würde man mit einem Ferrari durch die 30er-Zone flanieren, wo dieses Gefährt ganz andere Qualitäten hat und durchgetreten gehört…
Für mich war es schon immer faszinierend, historische Geräte zu beobachten und nach Möglichkeit zu verwenden, gerade weil sie (noch) funktionieren: seien es alte Bühnentechniken (Drottningholm), Musikautomaten, alte Autos oder eben Tasteninstrumente… wenn es auch sicher zu Recht heißt, die Hammerflügel waren zu ihrer Zeit nicht ausgereift, so waren sie doch das technisch höchstmögliche der jeweiligen Zeit und die Musik, die auf ihnen gespielt wurde, war darauf zugeschnitten. Außerdem unterlagen die Hammerflügel einer steten Weiterentwicklung, die nicht in jedem Fall einen Fortschritt bedeuten musste (getreu dem Motto "Nichts wird besser, aber alles wird anders..."): im Gegensatz zum bereits seit Bachs Zeiten finalisierten Cembalo wurde an der Technik und am Klang der Hammerklaviere mit ihren Gefährten (Tangentenflügel) ständig herumgebastelt, so daß es „den Hammerflügel“ eigentlich nicht gibt. So kommt es m. E. auch, daß nicht jedes Clavierwerk des 18. und 19. Jahrhunderts auf jedem Hammerflügel gleich gut herauskommt: hier ist eine besondere Fürsorglichkeit des Clavieristen erforderlich, das „richtige“ (i.S.v. „passende“) Instrument herauszusuchen, was heutzutage wegen der inzwischen großen Auswahl sehr gut möglich ist.
Wird der Hammerflügel als Konzertinstrument eingesetzt, muß auch beachtet werden, daß das Orchester das Soloinstrument nicht zudeckt, d.h. die Besetzung insbesondere der Streicher sollte sehr bedacht kleingehalten werden. Oftmals liest man von einer klanglichen Unausgewogenheit, die allerdings m. E. nur eine angelernte Hörgewohnheit ist: die Holz- und Blechbläser stehen bei solcher Besetzungsstärke nunmal im Vordergrund und dessen waren sich die Komponisten bewußt, sie kannten den Klang unserer heutigen Orchestermassen nicht; bei streicherbegleiteten Solopassagen wurde die Besetzung meist nochmals stark zurückgenommen (sofern nicht ohnehin solistisch begleitet wurde, was eher die Regel als die Ausnahme war). Diese Aspekte wurden teilweise in der HIP zu Beginn nicht immer berücksichtigt, weshalb es bei Aufnahmen von z.B. Gardiners Mozartkonzerten häufig zu einem Zudecken des Soloinstrumentes kommt; aber diese Aufnahmen sind eben auch nur ein wesentlicher Punkt in der Entdeckungsgeschichte der historischen Aufführungspraxis. Bei unbelehrten Soloinstrumenten (die tatsächlich sehr leise klingen) ist eine solistische Streicherbesetzung, wie sie u.a. Arthur Schoonderwoerd ausübt, quasi zwingend.
Im Schnitt um ca. 10 v.H. schmalere Tasten (Claves) lassen zudem einen völlig anderen Umgang mit dem Notenkonvolut zu. Da schreibe ich aus eigener Erfahrung...
Was Aufnahmeempfehlungen angeht, so folgt dies im Teil 2.