01 - Werke für Clavier und Orchester: Einspielungen (opi)

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    Neuere Gesamteinspielungen inkludieren gelegentlich sowohl das Konzert Nr. 6 (eigentlich das 4,5te Konzert) wie auch das Rondo B-Dur WoO 6 und (seltener, in einer rekonstruierten Orchester-Fassung) das 0. Klavierkonzert Es-Dur WoO 4.

    Als 'Klassiker' kann durchaus die Einspielung der 5 offiziellen Konzerte durch Steven Lubin gelten:

    Ludwig van Beethoven (1770-1827)
    The Piano Concertos

    The Academy of Ancient Music
    Christopher Hogwood

    Steven Lubin verwendet verschiedene Instrumente:

    Für die Konzerte Nr. 1 und 2 bespielt er hier den Nachbau eines Anton-Walter-Flügels von c1795 von Roger J. Regier. Da dieses Instrument den Anforderungen des später komponierten Kadenzen nicht gerecht wird, spielt Lubin in beiden Fällen eigene Kadenzen. Für das 3. Klavierkonzert kommt ein von Christopher Clarke nachgebautes Instrument aus dem Hause Johann Fritz zum Einsatz, auf welchem Beethovens eigene Kadenzen erklingen. Für das 4. und 5. Konzert wird ein Nachbau eines Conrad-Graf-Flügels, erbaut wiederum von Regier, verwendet. Lubin orientiert sich bei den Kadenzen weitestgehend an den von Beethoven komponierten.

    Als 'Füllmaterial' werden hier nicht die als Frühwerke zu definierenden WOo 4 und/oder 6 gegeben, sondern Soloklaviersonaten: die Sonate cis-moll op. 27 Nr. 2 (Mondscheinsonate), jene als Pathétique bekannte in c-moll op. 13 sowie die Sturmsonate d-moll op. 31 Nr. 2. Für die drei moll-Sonaten wird durchgehend der Walter-Nachbau genommen.

    Die Box ist vergleichsweise preiswert zu haben und von durchgehend sehr hoher Qualität. Hier klingen die Konzerte kraftvoll und durchaus so, wie sich der Komponist dies gewünscht haben mag.

    Nicht immer jedoch bot sich Beethoven die Gelegenheit, mit 'vollem Orchester' aufzuführen. Graf Lobkowitz jedoch ermöglichte es dem Komponisten, im heute nach er Uraufführung der 3. Sinfonie in Es-Dur 'Eroica' benannten Saales im Palais, verschiedene Werke (in minimierter Besetzung) aufzuführen. Neben der bereits erwähnten 3. Sinfonie erklang hier auch erstmals das 4. Klavierkonzert G-Dur op. 58 in der oroginalen Orchesterfassung erstmals im März 1807 im privaten Rahmen. Wohl um diese Zeit (kurz darauf) muß die auf Streicherbegleitung reduzierte Fassung für 2 Violinen, 2 Bratschen und Violonzell entstanden sein, um sie ebenfalls im 'kleinen Rahmen' im Palais ausführen zu können. Die Reduktion der Stimmen nahm Franz Alexander Pössinger (Hofgeiger) vor - Beethoven selbst nahm die Veränderungen und Anpassungen an mehr als 80 Stellen vor, womit diese Fassung als authorisiert anzusehen ist.

    Robert Levin hat diese Fassung mit Mitgliedern des Orchestre Révolutionaire et Romantique eingespielt:

    Die Kadenzen hat Robert Levin frei improvisiert. Außerdem ist eine ebenfalls authorisierte Fassung der 2. Sinfonie D-Dur op. 36 für die Besetzung Klavier, Violine u. Violonzell enthalten, die sehr hörenswert ist.

    Unter der Leitung John Eliot Gardiners hat Robert Levin natürlich die fünf Klavierkonzerte in voller Besetzung nebst der Chorfantasie op. 80 eingespielt:

    Die Konzerte sind auch (resp. z. Zt. nur) als Einzelausgaben zu haben: eine CD mit den Konzerten 1 und 2, eine weitere mit den Konzerten 3 und 4, sowie eine dritte mit dem letzten Konzert und der Chorfantasie.

    Ich besitze (vorerst) nur diese Einzelausgabe, die mich aber sehr zufrieden stellt:

    Die Chorfantasie wird hier mit zwei zusätzlichen alternativen Introduktionen präsentiert. Gespielt wird auf einem originalen Instrument aus der Werkstatt Salvatore Lagrassas von 1812. Die Kadenzen sind m. W. frei improvisiert.

    Die Gegebenheiten des Eroica-Saales inspirierten Arthur Schoonderwoerd und sein Ensemble Cristofori zu einem Experiment, das darin besteht, die Klavierkonzerte mit solistischer Streicherbesetzung und vollem Bläserapparat einzuspielen. Zwischenzeitlich sind drei Alben mit allen 6 (!) Klavierkonzerten erschienen - den Anfang machten die Konzerte 4 & 5, die für einigen Wirbel in der Klassikszene sorgten. Als nächstes erschienen die Konzerte 3 & 6 und jüngst die noch ausstehenden Konzerte 1 & 2:



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    Schoonderwoerd nimmt den Konzerten unter Beibehaltung deren innerer Größe die schier unüberwindbar geglaubte Monstrosität und lässt sie zu gar intimen Freunden werden. Diese Edition hat meine zunächst oberflächliche Wertschätzung der Konzerte runderneuert und stark vertieft. Bespielt wird überwiegend ein in Schoonderwoerds Privatbesitz befindliches Originalinstrument von Johann Fritz (erbaut etwa1807/1810). Die Kadenzen improvisiert Schoonderword in allen Fällen frei (ich durfte das betreffend der Konzerte 4 & 5 live erleben). Für das 3. Konzert c-moll wurde ein Nachbau eines Anton-Walter-Flügel verwendet. Die Hörerfahrung dieser exotischen Einspielungen kann man wohl kaum in aller Kürze treffender formulieren als der Kollege Schmidt. Im übrigen gibt es hier und hier entsprechend ausführliche Anmerkungen von mir bezüglich dieser Editionen. Über neue Projekte werde ich Ende Mai näheres in Erfahrung bringen (zunächst werde ich Schoonderwoerds Mozartkonzerte live erforschen).

    Interessiert hatte mich dann auch die Edition der Chursächsischen Philharmonie, eine (angebliche) Ersteinspielung auf historischen Instrumenten - gespielt von Mario-Ratko Delorko am Hammerflügel Domenico Perrotta 1795. Bei mir blieb es bei der Anschaffung des Vol. 1, da mich insbesondere das Frühwerk Es-Dur WoO 4 interessierte:

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    Nach längerem Hin und Her habe ich jedoch festgestellt, daß die Einspielgeschwindigkeit bei der Pressung fehlerhaft war, d.h. um etwa 1/3 zu lahm. Eine Korrektur machte dann die grausamen Klänge einigermaßen erträglich. Dennoch insgesamt sehr unbefriedigend.

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    Hörer, welche das erste Clavierkonzert in der Einspielung durch Arthur Schoonderwoerd, Ensemble Cristofori, hören, werden vielleicht eine ungewöhnliche Stelle im ersten Satz bemerken: man hört da bei 4'54" / 4'55" einen 'falschen' Ton im Clavier... Die Nachfrage bei Arthur Schoonderwoerd hat geholfen: laut seiner Aussage steht in der Paritur des Erstdruckes in T. 172. In meiner vorliegenden Peters Edition vor anno dazumal, der ich ohnehin wenig Vertrauen schenke, ist fis³ notiert, was sich musikalisch eindeutig logischer anhört. Es ist also anznehmen, daß dieser Ton im Laufe der Publikationsgeschichte irgendwann einmal geradegebogen wurde - Schoonderwoerds HIPpomat hat diese Taste jedenfalls nicht, er spielt zwangsläufig f³ - was soll er auch sonst tun...

    :beatnik:

    Diese Vorgehensweise ist bei Beethoven auch andernorts belegt: bei den 13 Variationen über "Es war einmal ein alter Mann" aus Dittersdorfs "Das rote Käppchen" WoO 66 ist das fis³ der Verzierung in T. 31 der Variation X zu f³ aufgelöst (das ist mir des neulichs einmal seltsam beim versehentlichen Durchspielen aufgefallen), was auch leicht ominös klingt und eigentlich keinen Sinn ergibt, außer eben, man benutzt ein bis zum f³ beschränktes Instrument... in dem Fall kam mir das sehr entgegen.

    Zur Verdeutlichung meiner Entdeckung bezüglich WoO 66 nachfolgend die entsrpechenden Takte:

    Beim Clavierconzert geht es um diese Stelle:

    Man müßte eigentlich die autographe Partitur betreffend dieses einen Tones untersuchen. Meine flüchtige Kenntnisnahme des mir vorliegenden zweifelhaften Partiturdrucks (auch vergleichbar mit jenem, welcher in der IMSLP verfügbar ist) offenbarte mir jedenfalls, daß das fis³ im ersten Clavierkonzert nur ein einziges Mal vorkommt. Das ist schon etwas merkwürdig. Sicher ist es denkbar, daß (und vielleicht auch nachprüfbar, ob) Beethoven über ein Instrument verfügte, welches das fis³ (ggfs. g³) inkludierte, dann aber hätte er doch - gerade in einem C-Dur-Concert! - die höchsten Töne mehr ausgereizt, sonst würde er seinem Namen Unehre machen... Auch in op. 19 ist f³ der höchste Ton (das Concert wurde zwar vor op. 15 komponiert, aber erst später als 'zweites' - überarbeitet - herausgegeben).

    Schoonderwoerd dürfte bislang der erste und einzige Interpret sein, der die betreffende Stelle historisch korrekt, also gemäß der Urschrift spielt. Im ersten Moment klingt dies wahrhaft 'falsch', weil man als Hörer dieses Konzertes es über Jahre hinweg anders gewohnt ist.

    Interessant - geradezu freudeverströmend - ist aber der Effekt, der dadurch entsteht, daß die Melodie zunächst vermindert erscheint und bei der Reprise dann quasi 'richtig'. Solche Effekte gibt es ja nun auch bewußt gesetzt, z. B. bei Mozart, KV 537, Satz 3: Takt 89ff. (aufgelöstes) c bei den Streichern, Takt 97ff. cis (!) im Clavier. Im Prinzip ein schlichter moll/Dur-Wechsel, wobei es (mir) eher auf den betonten Ton ankommt, der mal aufgelöst, mal mit Vorzeichen erklingt und letzteres eine wahrhafte Erlösung ist: Licht an! Das kann ich nun auch bei op. 19 so empfinden.

    Wie schön mal wieder, daß es HIP gibt. Ohne die Beschränktheit der Instrumente wäre dies wohl (zumindest mir) nie aufgefallen. Das hat mich jetzt regelrecht HIPnotisiert.

    Und genau dies finde ich eben bei Beethoven so interessant: daß einfach die nächst darunter liegende zur Verfügung stehende Taste genommen wird... das ist sehr unorthodox, wenn man mit Mozarts Clavierkonzerten vergleicht (die er ja auch gekannt hat), bei denen ebenfalls das f³ die Begrenzung nach oben war, was Mozart allerdings stets dazu veranlasst hat, entsprechende Phrasen umzukomponieren, so daß zwar nachwievor das f³ als höchster Ton integriert war, aber keine Misstöne entstanden (im Gegenteil wurde sogar durch die Varianten der entsprechenden Phrase für Abwechslung gesorgt). Am Beispiel von WoO 66 ist aber deutlich zu erkennen, daß Beethoven da den kürzeren Weg wählte - quasi mit dem Kopf durch die Wand, was wiederum zu ihm passt.

    Möglicher Weise hat Beethoven ja auch bei der Aufführung mit einem auf f³ begrenzten Instrument frei etwas anderes - passendes - improvisiert, was allerdings dem (aufgelösten) f³ im Erstdruck widerspäche, es sei denn, die Verleger gingen allgemein davon aus, daß f³-begrenzte Instrumente soetwas wie Standard waren (wovon ich auch mal ausgehe).

    Interessant wird es aber, wenn man die Anekdote der Uraufführung hinzuzieht, gemäß der das Instrument, auf dem Beethoven spielen sollte, einen halben Ton zu tief (gestimmt) war und kurzfristig vor der Aufführung nicht mehr umgestimmt werden konnte. Folglich soll Beethoven das Conzert in Cis-Dur gespielt haben. Das würde dazu führen, daß er ein Instrument mit fis³ resp. g³ zur Verfügung gehabt haben muß (jedenfalls während dieser Aufführung); oder aber, er hat wieder entsprechend umimprovisiert, was wir heute leider nicht mehr nachprüfen können. Das 'gestimmt' habe ich bewußt in Klammern gesetzt - es kann nämlich sein, daß es lediglich verstimmt war: in dem Fall wäre aber das Instrument in sich auch verstimmt gewesen und die ganze Anekdote nicht haltbar.

    :wink:

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    Die außergewöhnliche Klangformel Arthur Schoonderwoerds ist jetzt als Black-Box bei alpha erschienen:

    Ludwig van Beethoven (1770-1827)
    Sämtliche Clavierkonzerte inkl. op. 61a

    Arthur Schoonderwoerd, Hammerflügel
    Ensemble Cristofori

    Wer sie jetzt noch nicht hat, der hat sie nicht alle...

    *flöt*

  • Die außergewöhnliche Klangformel Arthur Schoonderwoerds ist jetzt als Black-Box bei alpha erschienen:

    Ludwig van Beethoven (1770-1827)
    Sämtliche Clavierkonzerte inkl. op. 61a

    Arthur Schoonderwoerd, Hammerflügel
    Ensemble Cristofori

    Wer sie jetzt noch nicht hat, der hat sie nicht alle...

    Ich hab sie ja nun auch (alle - als Box) und habe mich die letzten Tage ein bisschen eingehört. Ich muss zugeben, dass ich mit Beethoven nicht so besonders vertraut bin. Beethoven ist der klassische Großmeister, mit dem ich mich am schwersten tue. Ich habe Beethovens Musik in der Vergangenheit als sehr "wuchtig" und auch emotional aufgewühlt, wenn nicht übergriffig wahrgenommen. Nach dem Hören eines großen Teils dieser Blackbox komme ich zu dem vorläufigen Eindruck, dass ich vielleicht von falschen Voraussetzungen ausgegangen bin. Statt einer Armee mit Infanterie, Kavallerie und Kanonieren habe ich es bei dieser Aufnahme mit einem Kreis "geistreicher" Gesprächspartner zu tun, von denen einer als eine Art Oberhaupt oder Lehrer in Erscheinung tritt, aber immer wieder treten die Einzelnen in den Vordergrund und bringen ihre eigenen Sichtweisen zum Ausdruck. Das gilt natürlich nicht durchgehend, es gibt auch durchaus wuchtige Klänge, aber darin liegt für mich das Neue. Ein Klang, bei dem die Individuen in den Vordergrund treten, wie bei einem gut gespielten Streichquartett, dazu tragen natürlich auch die Klangfarben der Instrumente wesentlich bei. Darin liegt nun allerdings ein ganz anderer revolutionärer Gestus, als der eher gewaltsame, den ich bisher mit Beethoven assoziiert habe. Beethovens Kompositionen werden so für mich um ein Vielfaches interessanter er erscheint nicht mehr als Titan und Monolith, sondern als einer, der klanglich aus der Musik des 18. Jahrhunderts heraus gewachsen ist.

    Besonders gut gefallen mir im Augeblick die Eingangssätze von Nr. 1, Op. 15 und Nr. 4, Op. 58.

    • Offizieller Beitrag

    Darin liegt nun allerdings ein ganz anderer revolutionärer Gestus, als der eher gewaltsame, den ich bisher mit Beethoven assoziiert habe. Beethovens Kompositionen werden so für mich um ein Vielfaches interessanter er erscheint nicht mehr als Titan und Monolith, sondern als einer, der klanglich aus der Musik des 18. Jahrhunderts heraus gewachsen ist.


    Das habe ich damals beim Erstkontakt ganz ähnlich erfahren: es schien mir, als kratze ich an der versteinerten grimmigen Miene eines alten Mannes und entdeckte dahiner unerwartet eine Seele... die Erkenntnis war: Beethoven ist kein Gott, er ist einer von uns...

  • die Erkenntnis war: Beethoven ist kein Gott, er ist einer von uns...

    OFF: dieselbe Erkenntnis fehlt mir für Bach... *hide*

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

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    Travinius wies ganz zu Recht darauf hin, daß hier eine Ausgabe fehlt. Zu Zeiten, als Jos van Immerseel noch mit dem Ensemble Tafelmusik kooperiert hatte, entstand diese Gesamtausgabe, welche auch das Violinkonzert op. 61 (allerdings nicht in der Clavierfassung op. 61a!) enthält:

    Zum Teil gibt es die Einzelausgaben noch in diversen Designs:

    Clavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15
    Clavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19

    Clavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 37
    Clavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58

    Clavierkonzert Es-Dur op. 73
    Violinkonzert D-Dur op. 61

    Tafelmusik
    Bruno Weil

    Für das erste und zweite Konzert wird ein Hammerflügel von Christopher Clarke (1998) nach der Vorlage eines Anton Walter c1795/1800 verwendet. Bei den ersten beiden Konzerten ist die Streicher-Besetzung: 7 erste, 6 zweite Violinen, 4 Violen, 3 Violoncelli, 2 Contrebäße. Die Cadenzen stammen jeweils vom Fortepianisten und sind besonders hörenswert, ja, sie machen die Konzerte wieder sehr interessant.

    Immerseel bespielt bei den Konzerten Nrn. 3ff. einen Hammerflügel von Johann Nepomuk Tröndlin, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Leipzig gebaut wurde. Das Opus wurde 1996 von Jan van den Hemel, Antwerpen, restauriert: ein manchmal (in den dunkleren Registern) etwas moorig klingendes Instrument, dessen im übrigen perlender und verbindlicher Klang sich deutlich von den übrigen Mitwirkenden abhebt. Der torfige Klang kommt insbesondere dem Beginn des G-Dur-Konzertes zu Gute, sorgt dort für einen eher unheimlichen und vernebelten Start, allmählich kämpft sich die Sonne durch den zähen Morast und siegt in strahlendem Glanze...

    Die erforderliche Halbtonrückung in der Überleitung vom Mittel- zum Finalsatz des Es-Dur-Konzertes, um von der E-Dur-Dominante H zur Es-Dur-Dominante B zu gelangen, ist hier orchesterseits sehr gelungen: es klingt wie ein Herabstimmen der Streicher.

    Vielleicht macht Immerseel die "Akte Beethoven" eines Tages doch noch mal zusammen mit seinem Ensemble Anima Eterna auf? Gespielt hat er die Konzerte jedenfalls öffentlich mit seinem Ensemble (vom 3tten habe ich einen beeindruckenden Radiomitschnitt).

    • Offizieller Beitrag

    Für das erste und zweite Konzert wird ein Hammerflügel von Christopher Clarke (1998) nach der Vorlage eines Anton Walter c1795/1800 verwendet.


    Wirklich ominös. Wenn die Angaben stimmen, frage ich mich, wie Immerseel bei 4:35 im ersten Satz von op. 15 das fis''' spielen kann (und das tut er :) )? Da schreibt z.B. H. C. Robbins Landon im Booklet:

    Zitat

    [...] So haben sich auch keine Kadenzen für die 1790er-Fassungen dieser Werke [gemeint sind opp. 15 und 19, Anm.] erhalten, die für Klaviere mit fünf Oktaven bis hin zum f''' konzipiert waren.


    Landon formuliert weiter, daß aus diesem Grunde die hier eingespielten Cadenzen entsprechend improvisiert wurden; für die späteren Überarbeitungen hingegen sind für op. 15 zwei und für op. 19 eine Beethovensche Originalkadenz erhalten, die einen größeren Tonumfang der moderneren Instrumente auskosten. Ich wiederhole bei dieser Gelegenheit gerne nebenbei, daß mir Immerseels Cadenzen überaus gut gefallen!

    Naja, was schreibt Immerseel? In seinen Ausführungen zu op. 19, dem früher komponierten aber später veröffentlichten B-Dur-Konzert, erklärt er illustrativ, Beethoven reite förmlich auf dem höchsten Ton, dem f''' eben, herum. Und

    Zitat

    Um die ganze Spannung dieses Gefühls [der Grenzüberschreitung] zu genießen, spielt man das Konzrert am besten auf einem Klavier mit nur fünf Oktaven.


    In den späteren Ausführungen, die sich mit op. 15 befassen, nimmt Immerseel keinen Bezug mehr auf diesen höchsten Ton.

    Tja, wie hat er das nun gemacht?

    *hä*

    Es gibt etwas spätere Instrumente, die fis''' und g''' haben (und noch vor den sechsoktavigen gebaut wurden), aber da im Booklettext so sehr auf den fünfoktavigen Geräten und deren höchstem Ton - dem nämlichen f''' - herumgeritten wird, gehe ich davon aus, daß ein solches auch verwendet wurde - zumal Immerseel dazu explizit rät. So sei die Frage einmal berechtigt, die übrigens auch auf Lubin/Hogwood zutrifft... ich habe den (eigentlich) falschen Ton jetzt als richtig im Ohr, Dank Arthur :D

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    Ich habe die letzten Tage - völlig unbemerkt - damit verbracht, die ersten vier Konzerte mit Robert Levin am Geflügel zu genießen:

    Zitat


    Levin hat die Konzerte quasi in der Reihenfolge ihrer Entstehung eingespielt und beginnt mit dem 2. Konzert B-Dur op. 19, hängt hier das Rondo WoO 6 an und gibt dann erst das 1. Konzert op. 15 zum Besten. Er bespielt ein klanglich passendes Fortepiano von Christopher Clarke (Cluny, 1985) nach Anton Walter (Wien c1795), das - dank er guten Aufnahmetechnik - überdeutlich zu hören ist (was eigentlich unrealistisch ist). Durch diese Reihenfolge - finde ich - ist doch deutlich zu hören, daß op. 15 weitaus reifer ist als op. 19, welches - das darf man dem Komponisten zu Gute halten - nur aus der Not heraus, weil schnell ein „neues“ Konzert benötigt wurde, mit einem neuen Finalsatz und einigen Umarbeitungen versehen als 2. Konzert herausgebracht wurde. Wenn mich meine Ohren nicht täuschen - und das tun sie selten - spielt Levin auch „nur“ das (aufgelöste) f im Kopfsatz (bei 4'44). Das WoO-Rondo wirkt hier teilweise schon etwas unbeholfen, hat aber auch reizende Passagen.

    Beeindruckend ist auf jeden Fall Levins göttliches Getriller: selten habe ich Triller derart perlend und entzückend vernommen. Überhaupt sprudeln die Töne aus Levin heraus wie aus einem Jungbrunnen; so erfrischend und glitzernd gespielt habe ich die Konzerte selten gehört.

    Für das dritte Konzert verwendet Levin einen Hammerflügel von Michael Rosenberger (Wien 1802), welcher mit seinem nussigen Ton der etwas herberen Gangart des Konzertes sehr zu Gute kommt. Dem Vierten wiederum steht die Lyrik des späteren Walterflügels (Walter & Sohn c1805) von Paul McNulty (Prag 1997). „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht einmal versuche, den Anfang des G-Dur-Klavierkonzertes zu spielen. Und eigentlich war ich noch nie restlos zufrieden damit“ (Wilhelm Backhaus). Levin beginnt die Reise durch op. 58 mit einem arpeggierten G-Dur-Akkord...

    Fazit: Révolutionnaire (opp. 15, 37, 73) & Romantique (opp. 19, 58) dargeboten. *yepp*

  • Nr. 1&2 habe ich auch mit Levin, und die hat mir immer sehr gut gefallen. Da ich aber Lubin und Schoenderwoerd zur Gänze habe, habe ich bisher gezögert die restlichen CDs auch zu erwerben... vielleicht war das ein Fehler.

    LG
    Tamás
    *castor*

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf folgende GA hinweisen:

    Da bei mir zur Zeit der Amazon-Link nicht funktioniert, habe ich eine Abildung der Erstausgabe dieser GA genommen. Ich habe die Amazon-Verlinkung korrigiert, wie hier beschrieben.
    Tschabrendeki-MOD

    Soweit ich mich zurückerinnern kann, habe ich Lubin/Hogwood und Levin/Gardiner immer als deutlich besser empfunden, wobei das aber nichts besagt, da zwischenzeitlich gut 25 Jahre vergangen sind, seit ich diese Aufnahme zuletzt gehört habe.

    Siegfried
    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Es gibt etwas spätere Instrumente, die fis''' und g''' haben (und noch vor den sechsoktavigen gebaut wurden), aber da im Booklettext so sehr auf den fünfoktavigen Geräten und deren höchstem Ton - dem nämlichen f''' - herumgeritten wird, gehe ich davon aus, daß ein solches auch verwendet wurde - zumal Immerseel dazu explizit rät. So sei die Frage einmal berechtigt, die übrigens auch auf Lubin/Hogwood zutrifft...


    Ich habe eben mit Paul McNulty die Frage des fis''' diskutiert und er war der Meinung, daß viele 5-oktavige-Instrumente zwei Töne mehr hatten: nämlich das umstrittene fis''' (das übrigens ja auch bereits bei Mozarts vierhändiger Claviersonate KV 448 ins Auge Ohr sticht; dies ist aber das einzige Mal, daß Mozart am Clavier diesen Ton je verwendet hat) und das g'''. Wären die Instrumente regelmäßig mit fis''' und g''' bestückt gewesen, sähe die Clavierliteratur jener Zeit m.E. anders aus. McNulty argumentierte: wenn das fis''' in den Noten steht, wird es ein Instrument gegeben haben, auf dem es spielbar war; also heißt es: die Clavierliteratur dieser Zeit durchforsten! Er ist also überzeugt davon, daß Mozart keinen Fehler gemacht hat. Mich wundert dann nur, daß Beethoven das fis''' explizit zum falschen f''' auflöst. Demnach können diese Instrumente, nennen wir Sie V+2, nicht so sehr im Umlauf gewesen sein. McNulty bestätigte auch, daß die Komponisten sicher gehen wollten, daß ihre Werke auch verkauft würden und sie deshalb eher für die Standardinstrumente schrieben („Although composers also were trying to make sure that their pieces would be sold, so they didn't write only for "most advanced" instruments“).

    Offenbar werden also vornehmlich die extented Versions - also V+2-Geräte - nachgebaut, so daß gerade bei Beethovens opp. 15 und 19 und Mozart KV 448 keine Probleme bei der heutigen Darbietung auftreten. Mozarts Walter endete jedenfalls definitiv beim f''', und damit was das fis''' im Finalsatz von #448 (dort T. 98, „Top“-Clavierpart) nicht für den kurz darauf erworbenen Walter gedacht, sondern allenfalls für ein Steinisches „advanced“ Geflügel - oder es ist eben doch ein Schreibfehler (das notierte fis''' ist definitiv nicht aufgelöst) und es gab diese Instrumente erst nach 1803... Mozart wird die Sonate jedenfalls später auch auf dem Walter - dann wohl unter simplem Weglassen des Tones, der bloß die Spitze eines Dreiklanges ausmacht - gespielt haben.

    Ach, was weiß denn ich...

  • Ab heute erhältlich:

    (P) 2019 BIS Records BIS-2274 (2 Hybrid-SACDs) [157:13]

    rec. 2017-2018

    Ronald Brautigam (Hammerklavier)

    Die Kölner Akademie

    D: Michael Alexander Willens

    Unser *opi* nahm *opi*-um - Bumms! fiel unser *opi* um.

    • Offizieller Beitrag

    Ronald Brautigam (Hammerklavier)

    Danke für den Hinweis, den ich gerne wie folgt ergänze:

    Piano: 1-3; Paul McNulty (2012): Walter & Sohn c1805

    Forte: 4,5; Paul McNulty (2007): Conrad Graf c1819

    Nach einer ersten ohralen Verköstigung des C-Dur-Konzertes op. 15 mit Originalhandschrift (faszinierend, zu verfolgen, was vB gestrichen, geändert hat - etwas confusing): Brautigam spielt auch die Originalversion (wie Schoonderwoerd; vide Beitrag #2) mit dem im Erstdruck zu f (aufgelösten) fis im ersten Satz - okay, geht nun auch bei Verwendung eines entsprechenden Claviers nicht anders ... ;) - erster Eindruck: macht dem Prädikatsbestandteil im Namen des Komponisten alle Ehre: was für ein (Ludwig) fun (Beethoven) ...

    Scheint eine lohnenswerte Box zu sein.

    *yepp*

    • Offizieller Beitrag

    Amazon bislang (?) nur als mp3-Download:

    61h0R-6vfSL._SS500_.jpg

    Clavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73

    Clavierkonzert B-Dur op. 19

    Kristian Bezuidenhout, Fortepiano*

    Freiburger Barockorchester

    Pablo Heras-Casado

    *Copy after Conrad Graf (1824), built by Rodney Regier (1989), Freeport, Maine (USA) Overhauled by Edwin Beunk & Johan Wennink in 2002 - Collection Edwin Beunk

    • Offizieller Beitrag

    Inwiefern Graf Conrad in Bezug auf op. 19 hier opi sein soll erschließt sich mir leider nicht; das Gerät gab es damals noch nicht ... selbst für op. 73 - 1809 - eher fragwürdig, aber immerhin noch zu Lebzeiten des Autors. Vielleicht gibt das Booklet hierüber Auskunft, was sich die Crew dabei gedacht hat?

    Ich verstehe, wenn m/f/d/t das als Haarspalterei empfünde ... aber: wir werden hören. Grundsätzlich kann ich mir keine versalzene Suppe vorstellen, aber soetwas wie "Döner ist typisch türkisches Food ..."

    • Offizieller Beitrag

    Zumindest spielerisch hat mir op.19 gefallen; zu mehr bin ich noch nicht gekommen.

    Naja, passt schon; dennoch klingt gerade op. 19 zu steril. Keine Frage: gut präsentiert, aber orchesterseits für meinen Geschmack doch zu dick, zu modern, zu glatt, ohne Ecken und Kanten; das passt so gar nicht zu vB. Er war Neuerer. Was ist jetzt neu? Das Instrument vielleicht. Doch, meine Erwartung ist genau eingetroffen: von original-türkischen Händen verfertigter deutscher Döner. Für mich (leider) eher verzichtbar. Zumal, ich wiederhole mein allseits beliebtes und bekanntes Wortspiel immer wieder sehr gerne: Beethoven hat den Graf nie gehört, noch hat er ihm je gehört (es war eine Leihgabe wegen der Reparatur/Generalüberholung des Broadwood). Also eher omi als opi.

    Es klingt für mich zu "fern", erreicht mich nicht. Sauber und mehr als passabel präsentiert, aber von einem opi-Spezialisten erwarte ich dann doch deutlich mehr ...

    • Offizieller Beitrag

    (ad Bezuidenhout) Bei op. 73 passt der Flügel dann klanglich schon eher; das Orchester wirkt hier aber doch immer noch zu eingespielt, wenig überrascht. Es sollte klingen wie kurz vor der Überforderung, weil neu, nie dagewesen ... dennoch natürlich so präzise wie möglich. Das FBO stinkt mir schon länger, da es sich im Klang herkömmlichen Spül...äh..Spielmittel-Orchestern angleicht, der Klang ist nicht mehr so ausdifferenziert; allerdings (wem auch immer sei Dank) noch nicht zu einem Klangbrei verwachsen. Dennoch: nicht mehr so ausbalanciert wie gehabt, so daß sich einzelne Stimmen/Instrumente heraushören lassen. Insgesamt zu vereinheitlicht und damit völlig langweilig. Keinen Bock, das weiterzuhören; den Mittelsatz werde ich aber noch abwarten ... das Finale schenken.

    ;)

    Sollte das eine GA werden: verzichtbar. Bezuidenhout verwendet sicher für alle Konzerte das gleiche Instrument und langweilige Orchester. Das haben schon alle omis und (fast alle) opis vorher gemacht. Wozu das ganze ...? Beetzuidenhoven kann so gut spielen, wie er mag ... das interessiert mich leider nicht (weil: das muss er so oder so und ist für mich kein Kriterium mehr).

    Travinius' Argument (mit Verlaub; aus dem PrivatChat) "Übrigens: falls Beethoven gegen Ende seines Lebens op.19 gespielt hat, benutzte er sicher einen modernen Flügel." kann auch nicht gelten; erstens wissen wir, wie sehr vB seine älteren Werke besser nie hätte komponiert haben wollen, zudem hatte er opp. 58 und 73 gehabt: musikalisch wesentlich weiter entwickelt. Wozu hätte er je - vorausgesetzt, er wäre nicht ertaubt - op. 19 A.D. 1810ff. nochmals spielen sollen, zumal op. 19 ohnehin lediglich eine Notlösung war? Außerdem nachwievor: kein Conrad Graf.

    Manney, alles muß man selber machen ... *rain*

  • Im Übrigen überrascht mich dieses verhaltene Urteil kein bisschen. Das Bezuidenhout'sche Live-Erlebnis vor ein paar Jahren mit dem FBO war auch kein wirklicher Ohrenöffner. Bezuidenhouts geringes Interesse an zeitlich angepassten Instrumenten scheint etwas notorisch zu sein, ich meine es schon öfters gelesen zu haben und auch in diesem Fall ...

    Fortepiano Paul McNulty, nach Anton Walter & Sohn / Wien 1805