Regietheater — Diskussion mit Gesprächskultur

  • So liegt auch der Sinn der Kunst in ihr selbst, sie west sozuagen in sich selbst, ist sich selbst genug, zweckfrei, unabhängig, daher auch frei von jedem Werturteil.


    Ich bezog mich auf das Adverb, das einen kausal-logischen Zusammenhang herstellt, wo ein solcher nicht besteht und im Übrigen durch dein Gebaren in diesem Forum tagtäglich widerlegt wird. Wollte ich der Frage näher auf den Grund gehen, könnte ich z.B. fragen: Wessen Werturteil? Der selbstgenügsamen Kunst selbst? Die nur für sich da ist? Gibt es da auch jemanden, dem sie etwas bedeutet, hat sie Angehörige, Eltern, Onkel und Tanten? Oder geht es ihr wie dem "Scheißen" und dem "Ficken", für die auch niemand besonders viel Interesse aufbringt, außer wenn es einmal nicht klappen will.
    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Es geht nicht um meine Werturteile, lieber Hermann, sondern um Kunst, die keine solchen trifft und auch von meinen unbehellig bleibt.

    • Offizieller Beitrag

    Oder geht es ihr wie dem "Scheißen" und dem "Ficken", für die auch niemand besonders viel Interesse aufbringt, außer wenn es einmal nicht klappen will.

    *lol* *lol* *lol*

    Köstlich! *yepp*

    • Offizieller Beitrag

    Interessant, was über Offenbachs „belle Hélène“ bei Tante Wickie zu lesen ist (Hervorhebungen durch mich):

    Zitat

    Das Publikum der Offenbach-Operetten bestand – wie u. a. Kracauer in Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit schreibt – aus höchsten Adelskreisen und der Halbwelt. So fand man im Publikum Bankiers, Schriftsteller, Diplomaten, Kurtisanen aber auch kaiserliche Würdenträger, die großen Amüsierbedarf (sowohl intellektuell als auch sexuell) hatten und deutlich lockerere Moralvorstellungen als das Bürgertum.

    Zitat

    Die schöne Helena gewann ihre provozierende Wirkung nicht nur dadurch, dass viele historische Darstellerinnen in dem Stück nackt bzw. fast nackt zu sehen waren, sondern auch aus der Behandlung des Themas Ehebruch, das Helena als schicksalhaft und unvermeidlich nennt.

    Zitat

    Diese Nachtszene mit dem erotisch aufgeladenen Traumduett «Ce n’est qu’un rêve» erhitzte die Gemüter der Moralisten, da die Darstellerin der Helena bei der Uraufführung und später der Wiener Erstaufführung nackt auf der Bühne stand.


    Hm; da haben die „Macher“ des Regietheaters also nix Neues erfunden. Insofern scheidet der Punkt „Nacktheit auf der Bühne“ per se schonmal aus, zumindest bei Werken ab der Offenbach-Ära.

    Zitat

    In dem Genre der Operette, das Offenbach pflegte, konnten unter dem Deckmantel der Parodie und Groteske viele Übertreibungen aller Art und sehr freizügige Anspielungen von Erotik auf die Bühne gebracht werden, die unter realistischen oder normalen Umständen von der Zensur auf einer öffentlichen Bühne in Paris niemals erlaubt worden wären.


    Was für ein großes Stück Freiheit ist doch unter diesem Aspekt das sogenannte Regietheater ...

    Der gesamte Artikel ist hier nachlesbar.

    *vic*

  • Aus dem Freischütz-Thread

    Sorry, ich hatte das nicht genau vermerkt. Das war zunächst ein Zitat von Yorick. Aber ich denke schon, dass der 'Freischütz' heute immer eher ein wenig mitleidig angesehen wird. Man müsste die Inszenierungen insgesamt einmal genau unter die Lupe nehmen, wie genau sie mit ihm umgehen.

    Liebe Grüße
    Thies :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Wieviele Regietheater-Freischütze kennt Du (namentlich)?

    Das RT ist durchaus fähig, Opern in den Fokus zu rücken und diskutabel zu machen. Die Frage ist eher: warum zählt der Freischütz nicht - oder kaum - dazu?

    Die angeblichen „urdeutschen Tugenden“ (die heute völlig vergessen sind) können es ja nicht sein - sonst wären Wagners Opern ebenso ein Stiefkind des RTs ...

  • Wieviele Regietheater-Freischütze kennt Du (namentlich)?


    Aus eigener Anschauung nur Konwitschny. Abgesehen von Berichten und Beschreibungen von Freunden. Aber gerade deshalb schrieb ich ja: "Man müsste die Inszenierungen insgesamt einmal genau unter die Lupe nehmen, wie genau sie mit ihm umgehen.". Wer kann hier Auskunft geben über die jetzigen Sichtweisen auf den Freischütz und warum sie so sind, wie sie sind? Und wenn Max schreibt: "Von Aachen bis Zwingenberg", warum ist der Freischütz trotzdem nicht so präsent wie die frühen Opern von Wagner? Warum diese blöden Fragen des Interviewers? Da muss ja ein Problem der heutigen Zuschauer mit dem Freischütz vorliegen.

    Liebe Grüße
    Thies :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Ich glaube, da täuscht einfach die Wahrnehmung.

    Wenn Du schreibst: „Aus eigener Anschauung nur Konwitschny“, dann ist da EINE. Von wievielen? Vielleicht einem Dutzend. „Normale“ Inszenierungen werden nicht in der Vordergrund geschubbst... es sein denn: sie sind (irgendwie) außergewöhlich (wozu ich - völlig ohne Wertung und ganz abstrakt - das RT zähle).

    Dasselbe Phänomen betrifft doch m. e. auch Werke wie z.B. Mozarts „Zauberflöte“ oder Humpelflicks „Hänsel und Gretel“: sie SIND zweifellos präsent; doch: niemand weiß, warum genau.

  • dann ist da EINE. Von wievielen? Vielleicht einem Dutzend. „Normale“ Inszenierungen werden nicht in der Vordergrund geschubbst...


    Aber mir ist schon klar, dass ich nur Eine gesehen habe. Ich wäre ja mal gespannt, mehr über die anderen zu hören. Und was die 'Normalen Inszenierungen' angeht - gibt es die heute noch? Jedenfalls in Deutschland?

    Aber ich habe das Gefühl wir reden ein Stückerl aneinander vorbei. Was mich interessiert: Gibt es heute ein Problem mit dem Freischütz (Inszenierungsanzahl hin oder her) und Yoricks These stimmt und machen diese Inszenierungen das deutlich oder liegen wir (Yorick und ich) völlig daneben?

    Liebe Grüße
    Thies :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Und was die 'Normalen Inszenierungen' angeht - gibt es die heute noch? Jedenfalls in Deutschland?


    Wenn es NICHT so wäre, würden wir davon wissen. Von den RT-Gegnern. Also quasi ein Art Umkehrschluss.

    Die meisten Inszenierungen sind wohl heute eher klassisch bis „unauffällig“ ( = langweilig, normal) - sonst hätten wir davon erfahren.

    Was Yoricks These betffift; nochmals: das Werk IST präsent. Diese These ist widerlegt. Liebestraum?

    Der Freischütz enthält zudem - vom Sujet her - kaum gesellschaftspolitische Konflikte, die man heute austragen müsste, vielleicht ist DAS sein „Problem"? Ein Küsschen hier, ein Küsschen da, ein wenig Zauberei ... fertig. Heterogefrontzel.

  • Wenn es NICHT so wäre, würden wir davon wissen. Von den RT-Gegnern. Also quasi ein Art Umkehrschluss.

    Die meisten Inszenierungen sind wohl heute eher klassisch bis „unauffällig“ ( = langweilig, normal) - sonst hätten wir davon erfahren.


    Was die Allgemeinheit der Inszenierungen angeht, glaube ich das eher nicht. Auch aus eigener Anschauung nicht. RT ist heute doch wohl eher die Regel. Wobei man natürlich RT definieren müsste. Wo fängt es an? Den Freischütz nehmend, wird es eine Inszenierung wie diese hier wohl kaum noch geben. Und das gilt mit absoluter Sicherheit wohl auch für alle anderen Opern. Aber ist eine Inszenierung leicht jenseits davon schon RT? Was wohl wiederum eine Frage für einen eigenen Thread ist.

    Liebe Grüße
    Thies :wink:

    • Offizieller Beitrag

    RT ist heute doch wohl eher die Regel.


    Das glaube, wer will. Ich nicht. Viele moderne Inszenierungen werden gleich dem RT zugeordnet, nur weil sie nicht gefallen. Ich kenne die von Dir gezeigte nicht, wüsste aber auch nicht, wie man gerade den Freischütz „regietheatergerecht“ inszenieren könnte (vgl. Anmerkung oben): da ist nix interessantes drin, was die Welt heute bewegen könnte/sollte.

    Zauberflöte, Hänsel und Gretel und eben der Freischütz haben sich als volkstümlich/traditionell durchgesetzt; das wird sich kaum noch ändern.

  • Das glaube, wer will. Ich nicht. Viele moderne Inszenierungen werden gleich dem RT zugeordnet, nur weil sie nicht gefallen. Ich kenne die von Dir gezeigte nicht, wüsste aber auch nicht, wie man gerade den Freischütz „regietheatergerecht“ inszenieren könnte (vgl. Anmerkung oben): da ist nix interessantes drin, was die Welt heute bewegen könnte/sollte.

    Lass uns das doch einmal in einem Extra-Thread diskutieren. Muss ja nicht gleich in Tamino-ähnlichen Schlammschlachten ausarten. Aber die Frage ist natürlich hoch interessant. Wie sollte man Werke, die in der Regel eine Nummer älter sind, heute auf die Bühne bringen? Wie weit darf eine Inszenierung gehen? Was unterscheidet eine Gute von einer schlechten Inszenierung?

    Ich möchte hier beileibe nicht eine Diskussion à la Alfred provozieren, aber ich denke, dass ist ein wichtiges Thema. Es geht dabei durchaus um die Zukunft der Oper. In Hamburg ist ja wohl kaum noch eine Vorstellung ausverkauft. Hängt das mit den Inszenierungen zusammen? Ich vermeide hier bewusst RT. Aber ich kann hier durchaus von mir reden. Ich vermeide u.a.die Oper, seit dem ich immer häufiger von Produktionen belästigt werde, die mich einfach nur langweilen oder die ich ärgerlich finde. Aber ist das immer RT? Oder einfach nur schlecht?

    Wo also geht RT los? Was ist das eigentlich? Ist Östman in Drottningholm hoffnungslos veraltet oder auf der Höhe der Zeit? :D Sorry, kleine Spitze.

    Liebe Grüße
    Thies :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Das war zunächst ein Zitat von Yorick.

    Der nach wie vor Recht hat, denn die Vergleichsgrößen sind dort ebenfalls angegeben. *yes*

  • Wie haltet ihr es denn mit Opernbesuchen? Ist für Euch die Kategorie Regietheater ja/ nein ein Kriterium oder steht bei Euch die Oper im musikalischen Sinn im Vordergrund?

    Diesen Thread hatte ich beim Stöbern noch gar nicht entdeckt. Aber unabhängig davon kommt meine Antwort auf Obiges natürlich relativ spät.

    Für mich steht im Vordergrund zunächst einmal das Werk und die musikalische Interpretation. Eigentlich nie die Inszenierung, will sagen, dass ich selten bis gar nicht einmal irgendwo hingefahren bin, nur einer Inszenierung wegen. (Für den Schlingensief - Parsifal hätte ich es aber glatt gemacht.)

    Nun habe ich seit einigen Jahren meine Opernbesuche fast vollständig eingestellt. Das lag aber zunächst einmal an der musikalischen Realisierung, v.a. in Hamburg. Und wenn dann auch noch eine banale, seltsame Inszenierung dazu kam, hielt mich im Opernhaus nichts mehr und zur Pause war ich längst wieder auf der Autobahn.

    Werktreue. Was für ein hehrer Begriff, mit dem ich aber nichts anfangen kann. Natürlich können Regisseure möglichst nah am Werk inszenieren und es kann sehr spannend sein. Die alte HH Bohème zum Beispiel, die alte Traviata, Everdings Otello, seine Ariadne, Sierckes Butterfly, Ponnelles Liebestrank. Aber eigentlich hing immer eine wirklich spannende Aufführung dann mit den Sängern und ihrer Spielfreude zusammen. Aber wie werktreu sie inszenierten, irgendwo wurden sie immer untreu. 100 % gibt es da einfach nicht. Aber die sogenannten Werktreuen habe ich auch anders erlebt. Zeffirelli hat es ja immer wieder versucht. Seine Mailänder Turandot haute mich zunächst um. Solch einen Prunk und solch ein Geglitzer hatte ich noch nicht gesehen. Aber dann musste man wirklich ganz stark mit dem Schlaf kennen.

    Sogenanntes RT habe ich in unterschiedlichsten Varianten kennengelernt. Heute kommt man daran ja eigentlich auch nicht mehr vorbei. Und auch hier kenne ich große Beispiele. Berghaus Tristan in HH, Kupfers Tannhäuser auch dort, sogar Katharina Wagners Meistersinger in Bayreuth hatte unglaublich beeindruckende Momente, v.a. im III. Akt.
    Aber ich kenne auch das Gegenteil. Die Selbstdarstellung, die Destruktion, die kindische Provokation um der Provokation willen. ("Warum buht noch keiner? Was habe ich falsch gemacht?")

    Was mich am sogenannten RT oftmals stört, ist die Spießigkeit, das Kleinkarierte. Es scheint ein relativ geschlossenes Weltbild durch, das dem Zuschauer unter allen Umständen 'eingetrichtert' werden soll. So und so hast du das zu sehen! Und es wird auf Teufel komm raus mit Stereotypen gearbeitet. Soll es Humor sein, wird es klamaukig auf RTL - Niveau. Nacktheit ersetzt Erotik. Männer sind grundsätzlich Schweine und nehmen Frauen gerne von hinten. Zum Machtanspruch gehört der lange, schwarze Ledermantel. Das ist alles so vorhersehbar und so langweilig.

    Was ich möchte? Ich möchte als Zuschauer ernstgenommen werden. Ich möchte meine eigenen Gedanken entwickeln dürfen. Ich möchte frei in meiner Rezeption sein. Bietet mir das eine Inszenierung, ist es mir egal, ob sie werktreu oder RT geschimpft wird. Und ich möchte Handwerk sehen. Ich möchte, dass ein Regisseur Noten lesen, dass er Menschen führen, dass er gedankliche Freiräume schaffen, dass er die Macht/Größe der Musik gelten lassen kann. Dass Bilder entstehen! Bilder, die nachwirken!

    Ich möchte den Ring nicht mit Hornhelm und Pferd auf der Bühne. ich möchte ihn aber auch nicht zum x-ten Mal in modernen Kostümen, sprich nicht zeitversetzt. Das konnte Chereau wirklich genial. Aber das reicht dann auch. Ich möchte ihn abstrakt, zeitlos, assoziationsgeladen. Lieber eine leere Bühne als den ganzen nichtssagenden Rummel.

    Liebe Grüße
    Thies :wink: