05 - Fidicinium Sacro-Profanum (1683) C 78-89

  • FIDICINIUM
    SACRO-PROFANUM,
    Tám Chroro, quám Foro
    Pluribus Fidibus concinnatum, concini aptum,

    SUB AUSPICIIS
    CELSISSIMI AC REVERENDISSIMI PRINCIPIS
    AC DOMINI DOMINI

    MAXIMILIANO
    GANDOLPHO
    Ex S.R.I. Comitibus de Khüenburg Archiepiscopi
    Salisburgensis, & Sedis Apostolicæ Legati nati, S.R.I. Prin-
    cipis ac Germaniæ Primatis, &c.
    Domini Domini Clementissimi

    AB AUTHORE
    HENRICO J. F. Biber / Capellæ Vice-
    Magistro Ejusdem Celsissimi

    Im Jubiläumsjahr 1682 - man feierte das 1100jährige bestehen des Erzstiftes, das Gründungsjahr ist nach hauseigenen Tradition 582 (die Geschichtwissenschaft sieht das anders) - wetteiferten die Komponisten am Hofe von Maximilan Gandolph mit dem Erzbischof gewidmeten Drucken von Instrumentalwerken: es erschien die Mensa Harmonica von Andreas Christoph Clamer, das Armonico Tributo von Georg Muffat, und - mit einem Jahr Verspätung - das Fidicinium Sacro-Profanum von Heinrich Ignaz Biber, seine zweite Sammlung von Kirchensonaten.

    Zwar verweist der Titel wieder - wie im Falle des ersten Druckes - auf Johann Heinrich Schmelzer, die Werke zeigen einige Änderungen gegenüber den Sonatae tam aris quam aulis:

    1) die Sonaten sind nur für Streicher, ohne Clarini gesetzt;
    2) die Befestigung der Stimmzahl auf fünf in den ersten sechs, und auf vier in den letzten sechs Sonaten;
    3) das wechselvolle, chorische Klangbild, mit virtuosen Violineinschüben schafft einem eher kammermusikalischen Prinzip Platz.

    Diese Änderungen werden oft als Wirkung von Georg Muffat gesehen, obwohl sie bereits im Kirchensonatendruck von 1676 teilweise vorgebildet zu finden sind, andererseits in den Suiten der Mensa sonora erscheinen. Man kann jedoch feststellen, dass Biber offenbar einen Gegenentwurf zur Corellischen sonata chiesa auf Grund der österreichischen Kirchenkanzone erstellen suchte. Was vor allem auffält, ist die kammermusikalische Mehrstimmigkeit der Werke: bei diesen Sonaten wäre es undenkbar, sie unter die Weglassung der Bratschen, die früher nur als Füllstimmen fungierten, als Trios aufzuführen, wie Muffat es für seine Sonaten ausdrücklich erlaubt. Hier werden alle Instrumente ins musikalische Geschehen teilweise gleichrangig einbezogen.

    Öfters findet man Stellen, wo die Bratschen mit eigenen Motiven die Themen der Violinen umspielen oder diese kommentieren, weiterentwickeln, um sie dann von den Violinen übernehmen zu lassen. Chorische Gegenüberstellung, wie in den früheren Sonaten findet man jedoch nicht: eher eine durchbrochene, aber alle Stimmen gleichweise beschäftigende Schreibweise. Im kultigen Buch: "Die Geschichte der Musik in Comics" findet man über Biber bloß den lakonischen Satz: "der gefeierte Violinvirtuose, Biber, ist schon ein Vorbote einer neuartigen Musik, des sogenannten Wiener Klassischen Stils." Diese Behauptung scheint mir vor allem auf diese Sonaten zutreffen: es finden sich im Schaffen von Biber kaum Werke (mal abgesehen von der geistlichen Musik), wo er so nah an Joseph Haydn steht.

    Inhalt C 78-89

    01 Sonata I in h-moll, für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    02 Sonata II in F-dur, für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    03 Sonata III in d-moll, für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    04 Sonata VI in g-moll, für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    05 Sonata V in C-dur, für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    06 Sonata VI in a-moll, für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    07 Sonata VII in D-dur, für Violine, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    08 Sonata VIII in B-dur, für Violine, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    09 Sonata IX in G-dur, für Violine, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    10 Sonata X in E-dur, für Violine, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    11 Sonata XI in c-moll, für Violine, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo
    12 Sonata XII in A-dur, für Violine, zwei Bratschen und Violone mit Basso continuo

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Erhalten blieben zwei vollständige Exemplare des Druckes: im Durham Cathedral Library und in der Züricher Zentralbibliothek. Ein Faksimile Druck, geschweige denn eine online einsehbare Fotokopie ist mir nicht bekannt.

    Ediert hat das Werk Erich Schenk für Denkmäler der Tonkunst in Österreich, als Band 97. Online einsehbar auf imslp.org:
    http://imslp.org/wiki/Fidiciniu…Ignaz_Franz_von)

    Es gibt weiter eine Edition von Nikolaus Harnoncourt beim Doblinger Verlag.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Meines Wissens gibt es bis heute nur drei Gesamteinspielungen; natürlich sind einzelne Stücke der Sammlung auf verschiedenen Auswahl-CDs greifbar.

    Clemencic Consort, dir.: René Clemencic
    Leider nur gebraucht erhältlich, aber dafür recht günstig: und ein Zuschnappen ist überaus empfohlen! Die Aufnahme ist sehr schön, ausgeglichen, sehr musikalisch, dem Kammermusikalischen der Musik wird sehr gut Rechnung getan. Meine liebste Aufnahme des Werkes!

    The Purcell Quartet
    Eine schöne Aufnahme auf 2 CDs, mit anderen Stücken ergänzt. Vielleicht hier und da ist die Interpretation etwas eintönig, aber immer wieder gibt es dafür Momente, die aufhorchen lassen.

    Les Plaisirs du Parnassa, dir.: David Plantier
    Eine sehr spannende Interpretation, mit stark theatralischem Ansatz. Bis ich die Clemencic-Aufnahme kennengelernt habe, war diese mein Favorit.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Fünf der Sonaten aus Fidicinium Sacro-profanum, nämlich Nr. I, III, V, VII, XI hat das English Concert unter der Leitung von Andrew Manze eingespielt. Die Besetzung ist fabelhaft: Andrew Manze (V1), Walter Reiter (V2), Trevor Jones (Va1), Ylvali Zilliacus (Va2), Allison McGillivray (Vc), Peter McCarthy (Vne), David Gordon (Cemb). Trotz der etwas halligen Kirchenakustik entwickeln sie einen perfekt durchhörbaren kammermusikalischen Klang. Die Interpretationen gehören zu den schönsten Einspielungen dieser Sonaten überhaupt. Schade dass Manze und Co. nicht die ganze Sammlung eingespielt haben.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Eine neue Einspielung durch Ars Antiqua Austria erscheint demnächst bei Challenge Records:

    http://www.challengerecords.com/products/1381229663/

    Auf der Hompage sind bereits Schnipsel zu hören, zwar nur recht kurze. Klingen spannend! Die angegebenen Spielzeiten - wenn sie korrekt sind - versprechen eine Interpretation mit brachial schnellen Tempi (oder weggelassenen Wiederholungen? *hä* ).

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • (oder weggelassenen Wiederholungen? *hä* ).

    Nach mehrmaligem Anhören der Schnipsel tippe ich darauf, dass hier ohne Wiederholungen gespielt wird. Die DTÖ-Partitur gibt übrigens keine Wiederholungszeichen, nur doppelte Taktstriche; die praktische Ausgabe von Harnoncourt hat an vielen Stellen Wiederholungszeichen statt diese. Mangels Faksimilen der originalstimmen kann ich nicht beurteilen, wer da recht hat, manche Wiederholungen muten aber doch unnötig an (vor allem in der ersten Sonate).

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Mangels Faksimilen der originalstimmen kann ich nicht beurteilen, wer da recht hat, manche Wiederholungen muten aber doch unnötig an (vor allem in der ersten Sonate).


    Erich Schenk, der Herausgeber der DTÖ-Ausgabe, gibt da einen Hinweis:

    Zitat

    Die Ornamentenfreudigkeit hat sich sogar im Notenbild, nämlich in der Form der Satzdistinktionen ausgewirkt. Diese erscheinen häufig als Doppelstrich mit vier Punkten zu beiden Seiten, oder nur auf einer derselben. Die willkürliche und in den einzelnen Stimmen voneinander abweichende Anwendung dieser drei Möglichkeiten schließt ebenso eine Interpretation als Reprisenzeichen aus wie der noch Canzonen-gebundene Entwicklungsstand der Biberschen Sonata da chiesa*.


    * gemeint sind wohl die Sonaten der Sonatae tam aris quam aulis servientes.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Zum Vergleich und zu Gunsten der diskographischen Interesse, hier die Spieldauer der einzelnen Sonaten in den bisher erschienenen Einspielungen. Man sollte dabei beachten, dass die verschiedenen Interpretationen anders mit den Wiederholungen umgehen: Ars Antiqua Austria (AAA) spielen überhaupt keine (s. das Zitat von Erich Schenk oben), Les Plaisirs du Parnasse (PP) spielen überall Wiederholungen (befolgen damit die Harnoncourt-Ausgabe), das Clemencic Consort (CC) und The Purcell Quartett (PQ) gehen frei damit um.

    Sonata I
    CC 7:09
    PQ 4:37
    PP 11:57
    AAA 5:46

    Sonata II
    CC 5:26
    PQ 6:07
    PP 5:48
    AAA 3:51

    Sonata III
    CC 4:12
    PQ 4:48
    PP 3:49
    AAA 2:50

    Sonata IV
    CC 6:58
    PQ 6:17
    PP 7:11
    AAA 4:30

    Sonata V
    CC 4:00
    PQ 3:36
    PP 3:34
    AAA 3:36

    Sonata VI
    CC 5:37
    PQ 6:22
    PP 6:54
    AAA 3:45

    Sonata VII
    CC 4:36
    PQ 4:08
    PP 4:27
    AAA 2:12

    Sonata VIII
    CC 3:56
    PQ 3:50
    PP 3:33
    AAA 2:26

    Sonata IX
    CC 5:43
    PQ 6:23
    PP 5:18
    AAA 3:35

    Sonata X
    CC 4:46
    PQ 4:56
    PP 5:18
    AAA 3:35

    Sonata XI
    CC 6:26
    PQ 6:00
    PP 6:24
    AAA 4:43

    Sonata XII
    CC 5:42
    PQ 6:00
    PP 6:24
    AAA 5:03

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Dass Letzbor und Co. mit ihrer Einspielung des Biberschen Fidiciniums eine Referenzeinspielung vorlegen werden, war mir eigentlich vornherein klar: hier hört man zum ersten mal eine Altbratsche, statt eine zweite Violine in den letzten sechs (vierstimmigen) Sonaten, und wird (wie bei AAA seit Jahren üblich) die österreichische Violone (keine Bassgeige, sondern eine Art Bassgambe) bespielt.
    Die ist auch die erste Aufnahme, wo keine Wiederholungen zu hören sind - wie oben schon erwähnt, hat Biber nämlich (wahrscheinlich) keine vorgesehen. Obwohl es natürlich damals durchaus üblich war, Sätze nach Belieben - sogar mehrmals - zu wiederholen; eine strickte Wiederholung jedes Abschnittes, wie das bei den meisten Einspielungen zu hören ist, verstellt hier etwas den Weg zur Struktur mancher Sonaten. So, ohne Wiederholungen, wirken die Sonaten viel direkter, zielstrebiger und strukturierter - und man entwickelt auch viel mehr Gefühl für den Biberschen stylus phantasticus, für den ständigen Wechsel zwischen neuen Einfällen.
    Dieser Aspekt wird von Ars Antiqua Austria mit großer spielfreude ausgekostet, und eine große Bandbreite von Affekten gezeigt: zarte Stellen wechseln mit wilden Ausbrüchen, gelehrte Polyphonie mit tänzerischen Rythmen, Volksmusikantisches mit Aristokratischem ab. Dabei sucht Gunar Letzbor - wie auch bei seinen anderen Biber-Einspielungen - gerne auch die Extreme. Aber seien wir mal ehrlich: wer die bei Biber nicht findet, ist selber schuld.
    Der Klang des Ensembles ist wunderbar: erdig und doch mit Brillanz und Beweglichkeit. Einzig finde ich die Aufnahme doch etwas hallig, aber das ist schon meckern auf hohem Niveu: ich wünschte eben noch eine etwas größere Transparenz: die Mittelstimmen finde ich teilweise etwas verdeckt.

    Eins ist sicher: die Aufnahme der Ars Antiqua Austria ist ein wichtiger Schritt in der interpretationsgeschickte dieser wunderbaren Sonaten.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • hier hört man zum ersten mal eine Altbratsche, statt eine zweite Violine in den letzten sechs (vierstimmigen) Sonaten

    Ich habe jetzt genauer nachgesehen, und musste erkennen, dass auch bei der Aufnahme des Purcell Quartetts die Aufstellung mit doppelter Bratsche benutzt wird.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

  • Vielen Dank mal wieder für Deine Kommentare zu dieser Einspielung.

    Ich habe sie jetzt auch zwei mal angehört, allerdings nicht sonderlich konzentriert, eher nebenher. Aber was ich mitgekriegt habe, hat mich schon mal schwer begeistert. Das klingt unheimlich frisch und zupackend. Sehr schön!

  • Ich habe sie jetzt auch zwei mal angehört, allerdings nicht sonderlich konzentriert, eher nebenher. Aber was ich mitgekriegt habe, hat mich schon mal schwer begeistert. Das klingt unheimlich frisch und zupackend. Sehr schön!

    Es freut mich, dass sie dir auch gefällt, AAA zuzuhören ist immer ein Genuss und für österreichische Barockmusik sind sie soetwas, wie il Giardino für Vivaldi: bei ihnen fühlt sich diese Musik eben immer quietschlebendig an! Und dabei vernachlässigen sie natürlich auch die Authentizität nicht.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!