Das deutsche Kunstlied - große Musik auf schlechte Texte?

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    Wenn man sich ein wenig mit dem deutschen Kunstlied beschäftigt, hört man oft die Meinung, dass sich schlechtere poetische Texte besser vertonen ließen. Natürlich fällt auf, dass viele unserer großen Liedkomponisten wie etwa Schubert auch zahlreiche Autoren vertont haben, die heute kein Mensch mehr und selbst der Belesenste kaum noch kennt. Was also ist dran an dem Befund? Lässt ein schwacher Text mehr Spielraum für kompositorische Feinheiten? Sind zu perfekte Texte vertonbar, ohne sie ihres Ranges zu berauben? Muss man, wenn man hunderte Lieder komponiert, notgedrungen auch auf schwaches Material zurückgreifen, wiel es nicht so viele gute Gedichte gibt? Gerne auch auf Liedkomponisten anderer Länder ausweitbar.


    P.S. Ist ein uralter Thread, den ich einst bei Tamino aufmachte. Hat aber noch immer noch Potenzial.

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    Ich möchte die Ausgangsfrage noch einmal ausdrücklich für Heinrich Heine bejahen; wohl wissend, dass viele das anders sehen werden. Heine ist auch kein schlechter Lyriker; aber eben kein ganz großer oder gar genialer. Dafür hat er ein Händchen für Musikalität, das Komponisten offensichtlich gerne als gereicht bekommen betrachteten.


    P.S. Zu meiner Heine-Auffassung unter anderem hier ausführlich: Tamino: Zum 215. Geburtstag von Heinrich Heine

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    „Es treibt mich hin, es treibt mich her“, op.24, Nr.2


    Ich verfolge ja des eigensinnigen und zuweilen verstockten Greises fleißige Arbeiten zum deutschen Kunstlied seit Jahren mit Anteilnahme und auch meist großer Freude. Im Thread Robert Schumann und Heinrich Heine. Eine künstlerische Begegnung und ihre liedmusikalischen Folgen streift er nun auch mein Anliegen hier. Er beginnt mit dem Zyklus Liederkreis op. 24 und ich möchte an dieser Stelle nur einmal kurz einhaken vorerst, indem ich Heines Text ansehe, die Äußerungen zur Musik Schumanns bleiben davon unberührt:



    Wenn man sich den Wortlaut ansieht und des Besprechers Wertung, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Die innere Unruhe wird doch durch die banalsten Wendungen ausgedrückt, eine sprachliche Schludrigkeit und Schlamperei folgt der nächsten; nichts ist hier wirklich bildhaft, originell oder einfach poetisch. Das ist eine formlose Aneinanderreihung von Alltagsprosa ohne jeden Willen zur Gestaltung! Wohl gemerkt, mir gefällt das Gedichtchen sehr; aber ich kann einfach nicht verstehen, wie man aus dieser schlichten Dichterei heraus sich zu derart großen Begriffen versteigen kann. Semantisch wird hier überhaupt nichts umtriebig, über die Mythologie kann ich nur lachen; die albernste Wendung von den Jungfrauen erhält ihren unmetrischen Ritterschlag und aus der Formlosigkeit wächst der Befund einer gewollten subtilen Unordnung. Nein, nein; lieber Helmut, das hieße deutlich zu tief greifen in die exegetische Mottenkiste, um aus den kärgsten Zeilen große Lyrik zaubern zu können. Ein Wunder freilich, was Schumann daraus macht.

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    T


    Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere


    Das Fräulein stand am Meere
    Und seufzte lang und bang,
    Es rührte sie so sehre
    Der Sonnenuntergang.


    "Mein Fräulein! Sein Sie munter,
    Das ist ein altes Stück;
    Hier vorne geht sie unter
    Und kehrt von hinten zurück."




    Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens


    Mit gelben Birnen hänget
    Und voll mit wilden Rosen
    Das Land in den See,
    Ihr holden Schwäne,
    Und trunken von Küssen
    Tunkt ihr das Haupt
    Ins heilignüchterne Wasser.


    Weh mir, wo nehm ich, wenn
    Es Winter ist, die Blumen, und wo
    Den Sonnenschein,
    Und Schatten der Erde?
    Die Mauern stehn
    Sprachlos und kalt, im Winde
    Klirren die Fahnen.



    Johann Wolfgang von Goethe: Selige Sehnsucht


    Sagt es niemand, nur den Weisen,
    Weil die Menge gleich verhöhnet,
    Das Lebend'ge will ich preisen,
    Das nach Flammentod sich sehnet.


    In der Liebesnächte Kühlung,
    Die dich zeugte, wo du zeugtest,
    Ueberfällt die fremde Fühlung
    Wenn die stille Kerze leuchtet.


    Nicht mehr bleibest du umfangen
    In der Finsterniß Beschattung,
    Und dich reißet neu Verlangen
    Auf zu höherer Begattung.


    Keine Ferne macht dich schwierig,
    Kommst geflogen und gebannt,
    Und zuletzt, des Lichts begierig,
    Bist du Schmetterling verbrannt,


    Und so lang du das nicht hast,
    Dieses: Stirb und Werde!
    Bist du nur ein trüber Gast
    Auf der dunklen Erde.



    Clemens Brentano: Was reif in diesen Zeilen steht


    Was reif in diesen Zeilen steht,
    Was lächelnd winkt und sinnend fleht,
    Das soll kein Kind betrüben,


    Die Einfalt hat es ausgesäet,
    Die Schwermuth hat hindurchgeweht,
    Die Sehnsucht hat's getrieben;


    Und ist das Feld einst abgemäht,
    Die Armuth durch die Stoppeln geht,
    Sucht Aehren, die geblieben,


    Sucht Lieb, die für sie untergeht,
    Sucht Lieb, die mit ihr aufersteht,
    Sucht Lieb, die sie kann lieben,


    Und hat sie einsam und verschmäht
    Die Nacht durch dankend in Gebet
    Die Körner ausgerieben,


    Liest sie, als früh der Hahn gekräht,
    Was Lieb erhielt, was Leid verweht,
    Ans Feldkreuz angeschrieben,


    O Stern und Blume, Geist und Kleid,
    Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!



    August von Platen-Hallermünde: Tristan


    Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
    Ist dem Tode schon anheimgegeben,
    Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
    Und doch wird er vor dem Tode beben,
    Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!


    Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
    Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
    Zu genügen einem solchen Triebe:
    Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
    Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!


    Ach, er möchte wie ein Quell versiegen,
    Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen
    Und den Tod aus jeder Blume riechen:
    Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
    Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!



    Hugo von Hofmannsthal: Manche freilich


    Manche freilich müssen drunten sterben
    wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
    andere wohnen bei dem Steuer droben,
    kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.


    Manche liegen mit immer schweren Gliedern
    bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
    anderen sind die Stühle gerichtet
    bei den Sibyllen, den Königinnen,
    und da sitzen sie wie zu Hause,
    leichten Hauptes und leichter Hände.


    Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
    in die anderen Leben hinüber,
    und die leichten sind an die schweren
    wie an Luft und Erde gebunden.


    Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
    kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
    noch weghalten von der erschrockenen Seele
    stummes Niederfallen ferner Sterne.


    Viele Geschicke weben neben dem meinen,
    durcheinander spielt sie all das Dasein,
    und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
    schlanke Flamme oder schmale Leier.




    Friedrich Nietzsche: An der Brücke


    An der Brücke stand
    jüngst ich in brauner Nacht.
    Fernher kam Gesang:
    goldener Tropfen quoll's
    über die zitternde Fläche weg.
    Gondeln, Lichter, Musik -
    trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...


    Meine Seele, ein Saitenspiel,
    sang sich, unsichtbar berührt,
    heimlich ein Gondellied dazu,
    zitternd vor bunter Seligkeit.
    - Hörte Jemand ihr zu? ...



    Friedrich Nietzsche: An den Mistral. Ein Tanzlied


    Mistral-Wind, du Wolken-Jäger,
    Trübsal-Mörder, Himmels-Feger,
    Brausender, wie lieb ich dich!
    Sind wir zwei nicht Eines Schoßes
    Erstlingsgabe, Eines Loses
    Vorbestimmte ewiglich?


    Hier auf glatten Felsenwegen
    Lauf ich tanzend dir entgegen,
    Tanzend, wie du pfeifst und singst:
    Der du ohne Schiff und Ruder
    Als der Freiheit freister Bruder
    über wilde Meere springst.


    Kaum erwacht, hört ich dein Rufen,
    Stürmte zu den Felsenstufen,
    Hin zur gelben Wand am Meer.
    Heil! da kamst du schon gleich hellen
    Diamantnen Stromesschnellen
    Sieghaft von den Bergen her.


    Auf den ebnen Himmels-Tennen
    Sah ich deine Rosse rennen,
    Sah den Wagen, der dich trägt,
    Sah die Hand dir selber zücken,
    Wenn sie auf der Rosse Rücken
    Blitzesgleich die Geißel schlägt, -


    Sah dich aus dem Wagen springen,
    Schneller dich hinabzuschwingen,
    Sah dich wie zum Pfeil verkürzt
    Senkrecht in die Tiefe stoßen, -
    Wie ein Goldstrahl durch die Rosen
    Erster Morgenröten stürzt.


    Tanze nun auf tausend Rücken,
    Wellen-Rücken, Wellen-Tücken -
    Heil, wer neue Tänze schafft!
    Tanzen wir in tausend Weisen.
    Frei - sei unsre Kunst geheißen,
    Fröhlich - unsre Wissenschaft!


    Raffen wir von jeder Blume
    Eine Blüte uns zum Ruhme
    Und zwei Blätter noch zum Kranz!
    Tanzen wir gleich Troubadouren
    Zwischen Heiligen und Huren,
    Zwischen Gott und Welt den Tanz!


    Wer nicht tanzen kann mit Winden,
    Wer sich wickeln muß mit Binden,
    Angebunden, Krüppel-Greis,
    Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen,
    Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen,
    Fort aus unsrem Paradeis!


    Wirbeln wir den Staub der Straßen
    Allen Kranken in die Nasen,
    Scheuchen wir die Kranken-Brut!
    Lösen wir die ganze Küste
    Von dem Odem dürrer Brüste,
    Von den Augen ohne Mut!


    Jagen wir die Himmels-Trüber,
    Welten-Schwärzer, Wolken-Schieber,
    Hellen wir das Himmelreich!
    Brausen wir ... o aller freien
    Geister Geist, mit dir zu zweien
    Braust mein Glück dem Sturme gleich. -


    - Und daß ewig das Gedächtnis
    Solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis,
    Nimm den Kranz hier mit hinauf!
    Wirf ihn höher, ferner, weiter,
    Stürm empor die Himmelsleiter,
    Häng ihn - an den Sternen auf!




    Rainer Maria Rilke: Da neigt sich die Stunde und rührt mich an


    Da neigt sich die Stunde und rührt mich an
    mit klarem, metallenem Schlag:
    mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann -
    und ich fasse den plastischen Tag.


    Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,
    ein jedes Werden stand still.
    Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut
    kommt jedem das Ding, das er will.


    Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem
    und mal es auf Goldgrund und groß,
    und halte es hoch, und ich weiß nicht wem
    löst es die Seele los...




    Stefan George: Komm in den totgesagten park und schau:

    Komm in den totgesagten park und schau:
    Der schimmer ferner lächelnder gestade,
    Der reinen wolken unverhofftes blau,
    Erhellt die weiher und die bunten pfade.


    Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau
    Von birken und von buchs, der wind ist lau,
    Die späten rosen welkten noch nicht ganz,
    Erlese, küsse sie und flicht den kranz.


    Vergiss auch diese letzten astern nicht,
    Den purpur um die ranken wilder reben,
    Und auch was übrig blieb von grünem leben
    Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.


    Man müsste direkt mal recherchieren, welches Gedicht wie oft vertont wurde.