02 - Violinkonzerte: Einspielungen (opi)

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    Patricia Kopatchinskaja, Violine Pressenda (Turin, 1834)

    Orchestre des Champs-Élysées
    Philippe Herreweghe

    Diese CD enthält sowohl das Violinkonzert D-Dur op. 61 als auch die beiden Violinromanzen G-Dur op. 40 und F-Dur op. 50 und schießlich den unvollendet gebliebenen Konzertsatz für Violine C-Dur WoO 5, das ungefähr 1790/92 entstand.

    Das Besondere neben der Transparenz und beschwingten Aggressivität an dieser Einspielung ist die Kadenz: als Vorlage bedient sich die Geigerin der von Beethoven nachträglich für die Clavierfassung (op. 61a) komponierten 'Pauken-Cadenz' und adaptierte sie für 2 Violinen (mit Pauke). In dieser Einspielung spielt Kopatchinskaja beide Violinparts, die später im Studio abgemischt wurden. Der Effekt ist einfach grandios! Man muß das Gehörte zunächst als (technisch!) 'unmöglich' einordnen. Besonders durch die klanglich sich ergebenden 'Trompetensignale' (dto. auch in der Streichxextettfassung der 6. Sinfonie) wird durch die Verbindung mit den Pauken und dem Marschmotiv der militärische Aspekt klar und deutlich.

    Die Einspielungen der auf der CD enthaltenen Werke sind allesamt überaus gelungen, hervorzuheben wäre noch der bezaubernde erste Einsatz der Solovioline im Bruchstück WoO 5, der mir persönlich fast genialer vorkommt als jener in op. 61, mindestens jedoch in Bezug auf die Zeit um 1791 sehr extravagant - doch wer weiß, wie Mozart in seinem letzten Lebensjahr ein Violinkonzert komponiert hätte? Dies mag vielleicht ein Ansatz sein, da Beethoven zu jener Zeit noch sehr an Mozart anlehnend komponiert hat...

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    Vera Beths, Violine
    Tafelmusik
    Bruno Weil

    Vera Beths bespielt eine cremonesische Stradivarius aus dem Jahre 1727.

    An Dramatik mangelt es dieser Produktion wahrlich nicht; die manchmal etwas befremdlich anmutenden, im Wesentlichen aber passenden Cadenzen stammen m. W. von Anner Bylsma.

  • Beethovens Werke für Violine mit Orchester von Patricia Kopatchinskaja, dem Orchestre des Champs-elysees unter Herreweghe. Eine fantastische Aufnahme mit Originalinstrumenten. Changierend zwischen dem omnipräsenten lyrischen Grundton der Werke, aber auch furios packender Dramatik. Geradezu fulminant ist auch die Kadenz des ersten Satzes gestaltet, mit einem überraschenden musikalischen Zitat aus der Kadenz von Beethovens eigener Umarbeitung des Konzertes für Clavier und Orchester (alla marcia). Ein unbedingtes Muss für alle Beethoven Fans mit historischer Aufführungspraxis.

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    Eine den jpc-Audio- und Video-Teasern nach zu urteilen sehr spannende Einspielung des Ensembles „Les Dissonances“. Auch auf Youtube wird man diesbezüglich fündig. Die CD enthält zudem die Sinfonie A-Dur op. 92 sowie Videoclips mit Auszügen aus den Symphonien Nr. 1 & 7 und dem Violinkonzert.

    Ähnlich kreativ wie bei der Kopatchinskaja-Version:

    Zitat von jpc

    Die Kadenzen schrieb der zeitgenössische französische Komponist Brice Pauset, er hat in der Kadenz des ersten Satzes ein Klavier eingeflochten – als Hommage an Beethovens eigene Bearbeitung seines Violinkonzerts als Klavierkonzert.

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    Ich habe die CD virtuell erworben; der Reiz dieser Cadenz war zu groß und meine Erwartungen wurden übertroffen; nicht bloß ein Clavier gesellt sich plötzlich völlig unbemerkt dazu: die Cadenz fährt nach einer unverfänglichen solistischen Darbietung wie eine Harmoniemusik fort, also unter Einbezug einiger Holzbläser, später gesellt sich auch die Pauke dazu. Ingesamt klingt das sehr spielerisch und ist sehr klassisch orientiert - da wäre m. E. noch mehr Potential versteckt, aber ohne derlei Übertreibungen kann ich auch sehr gut leben. Diese Kadenz ist ganz im Gegenteil zu der sehr künstlichen - aber nicht minder begeisterungswürdigen - von Kopatchinskaja gespielten auch live aufführbar. Daß mir die verschiedenen Cadenzen bei op. 61 wichtiger sind als das Werk selbst, lässt sicher tief blicken; ich gebe gern zu: Violinkonzerte bis zum frühen 19. Jahrhundert sind nicht meine Lieblingsspeise - ich bevorzuge hier grundsätzlich op. 61a, also die Clavierversion. Die Ausnahme Kopatchinskaja ist allerdings um eine weitere Ausnahme angereichert worden:

    Das „ma non troppo“ des Kopfsatzes wird mit knapp 23 1/2 Minuten schon sehr zelebriert, das Larghetto mutiert zum 10 1/2 minütigen Lamento, ohne dabei in irgendeiner Weise langweilig zu werden. Wie schön kann gelebte Langsamkeit sein! Als flöge man auf einer duftenden Blüte gen Himmel... Von Beethovens Option „Cadenza ad libitum“ zwischen Schluß des Mittelsatzes und Beginn des Rondos wird ausgiebig Gebrauch gemacht. Das finale Rondo wird ebenfalls kaum überhastet dargeboten, liegt aber im üblichen Schnitt; die Cadenz im Finale ist für meinen Geschmack sehr geigerisch, beinhaltet auch Pizziccati und lässt das Instrument damit schön und facettenreich zur Geltung kommen. Erst tobender Schlussapplaus lässt erst erkennen, daß es sich um eine Liveaufnahme handelt.

    Das Ensemble verzichtet auf einen separaten Dirigenten; Grimal harmonisiert seine dissonierende Truppe von der Fidel aus.

    *yepp*

    (Leider hat sich im 2. Satz beim Download bei Minute 7'35 ein Fehler eingeschlichen; ein ekliges Knacksen. Ich hoffe, daß die Amazonen das werden heilen können...)

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    Patricia Kopatchinskaja, Orchestre des Champs-Elysees, Philippe Herreweghe, 2008

    • Allegro ma non troppo 22:41
    • Larghetto – attacca 9:13
    • Rondo (Allegro) 9:05

    Eine Erlösung, dieser Mut zur expressiven Hässlichkeit und zur subjektiven Artikulation! Ich kann alles, was Ulli oben schreibt, nur dick unterstreichen. Dabei immer noch romantisch und nicht ganz so extrem wie beim späteren Tschaikowski. Warum nur spielt sie den ersten Satz nicht ein paar Minuten schneller und auch der zweite dürfte historisch korrekt wohl deutlich zügiger daherkommen; aber das traut sich halt niemand, nicht einmal dieser Wildfang, ein Heifetz vor Jahrzehnten war da mutiger.

  • Warum nur spielt sie den ersten Satz nicht ein paar Minuten schneller und auch der zweite dürfte historisch korrekt wohl deutlich zügiger daherkommen


    Herreweghe war nie von extrem zügigen Tempi bekannt - aber auch die extrem langsamen sind ihm fremd. Eigentlich extrem und Herreweghe, ist oft schon ein Gegensatz... :D

    LG
    Tamás
    *castor*

    Alle Wege führen zum Bach,
    .................................... wo der kleine Biber lebt!

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    Herreweghe war nie von extrem zügigen Tempi bekannt - aber auch die extrem langsamen sind ihm fremd. Eigentlich extrem und Herreweghe, ist oft schon ein Gegensatz... :D

    LG
    Tamás
    *castor*


    :D

    Ok, dann hätte der Dirigent das Zepter in der Hand gehabt. Man sieht ja bei Tschaikowski, dass bei einem anderen - Currentzis - auch beide, Solist und Kapellmeister, in extremo agieren wollen. Ich halte die Kombination hier für besser, ein Temperamentsbündel und ein ausgeglichener sanfter Charakter.

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    Thomas Zehetmair, 18th Century Orchestra, Frans Brüggen, 1997

    • Allegro ma non troppo 22:14
    • Larghetto – attacca 9:15
    • Rondo (Allegro) 8:55

    Von der ersten Sekunde an zieht mich diese Aufnahme in ihren Bann! Daran ist zunächst das Orchester schuld, das sich vor dem Violinkonzert bereits mit der Coriolan-Ouvertüre einführt und das äußerst nachdrücklich. Ich habe selten einen derart präzisen, hohen und hellen; dabei durchsichtigen und breit wie tief gestaffelten Klang gehört. Ein quasi metallischer Sound, stählern dolchend der Schönheit übervoll; als würde ein mutierter Karajan mit den Fingernägeln eine Schultafel entlang kratzend dirigieren. Wahnsinn!!! Und wenn dann der erste Einsatz des Soloinstruments deutlich vor der Dreiminutengrenze (zehn Sekunden?) kommt, sieht man Yorick erleichtert seufzend in seinem Sessel Grimassen reinen Glücks schneiden. Warum mir Zehetmairs (was ein Name auch: fünf Nennungen, sechs Schreibweisen in allen Foren) Geigenton sofort behagt, kann ich schwer bestimmen; es ist einfach so; er ergreift sofort Besitz von mir, wie mich Tetzlaffs kalt gelassen hat. Das muss eine Angelegenheit von Instrument, Klang, Ton, Frequenz, Strich, Fingertechnik sein; aber wie das nun en detail und im Ganzen zusammenhängt, wird sich nicht erschließen lassen. Feinnervig heißt es irgendwo und das trifft es schon; sachlich und nüchtern auch wie Tetzlaff; aber eben nicht komplett leidenschaftslos, eben mit temperiertem, ja gefrorenem Pathos. Also zu aggressiv, ohne Sinnlichkeit? Für mich jedenfalls nicht; eine schlichtweg geile Aufnahme! Die mit dem Ensemble Modern unter Ernest Bour kenne ich leider noch nicht.

  • Es gibt noch weitere Einspielungen:

    (P) 2017 Accent ACC 24320 [44:13]

    rec. 2016

    Urfassung nach dem Autograph

    Anton Steck (Violine)

    L'Arpa Festante

    D: Matthew Halls


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    (P) 1993 EMI "Eminence" 7243 565027 27 [38:50]

    rec. 24.-25. November 1992 (Henry Wood Hall, London)

    Monica Huggett (Violine)

    Orchestra Of The Age Of Enlightenment

    D: Charles Mackerras

    Unser *opi* nahm *opi*-um - Bumms! fiel unser *opi* um.

  • Hier eine Zusammenstellung aller opi-Einspielungen:

    Beths, Vera

    1997 - Tafelmusik, Dirigent: Bruno Weil, Sonyn Classical "Vivarte"

    Chase, Stephanie

    1992 - The Hanover Band, Dirigent: Roy Goodman, Cala

    Grimal, David

    2010 - Les Dissonances, Dirigent: David Grimal, Aparte

    Hugget, Monica

    1992 - Orchestra of the Age of Enlightenment, Dirigent: Charles Mackerras, EMI

    Kopatchinskaja, Patricia

    2008 - Orchestre des Champs-Elyssee, Dirigent: Philippe Herreweghe, Naive

    Mullova, Viktoria

    2001 - Orchestre Révolutionaire et Romantique, Dirigent: John Eliot Gardiner, Decca

    Sinkovsky, Dmitry

    2018 - Musica Viva, Dirigent: Alexander Rudin

    Steck, Anton

    2016 - L'Arpa Festante, Dirigent: Matthew Halls, Accent

    Talich, Jan

    2000 – Talich Chamber Orchestra, Dirigent: Jan Talich, Calliope

    Zehetmair, Thomas

    1997 - Orchestra of the 18th Century, Dirigent: Franz Brüggen, Philips

    Ich hoffe, ich habe alle erfaßt. [Stand: 26.09.2020]

    Unser *opi* nahm *opi*-um - Bumms! fiel unser *opi* um.

    • Offizieller Beitrag

    Tja, Deine Liste ist leider unvollständig geworden:

    Dmitry Sinkovsky, Violine

    Fyodor Stroganov, Hammerflügel (Cadenza op. 61; eingerichtet von DS nach Beethovens Originalcadenza zu op. 61a)

    Musica Viva

    Alexander Rudin

    Hui Sau ... Op. 61 nicht so dekadent (was ich per se für nicht verachtenswert halte) wie Kopatchinskaja, nichtsdestoweniger beeindruckend; auch insgesamt ein höchst interessanter, ohrenspitzender Blech-Sound, geile Cadenz, insgesamt bislang 'ausgewogen' (ich bin unglücklich mit dem Begriff, der leicht dazu verleitet, als 'uninspiriert' oder 'langweilig' misinterpretiert zu werden - nein: begeistert!).

    Kopatchinskaja-Gegner (nachzulesen bei Capriccio) werden hiermit sicherlich auch nicht zufrieden gestellt (vielleicht einen Deut besser). Ich hatte ja vermutet, daß Sinkovsky sie komplett wegfegt ... gefehlt (aber nicht weit); er macht es natürlich anders, auf seine besondere Art. Und das ist auch gut so.

    Sinkovsky (die Vivaldi-Sau) zeigt hier, daß er auch sehr emotional mitfühlend spielen kann (obgleich; das zeigte er bei Vivaldis Jahreszeiten ja auch bereits - nur auf die etwas andere Art ...). Oder - um es weniger umständlich auszudrücken: was für ein herzig's Stelldichein zwischen Violine und Clarinette im langsamen Satz (op. 61).

    *shame**kiss**uccellini*

    Mitunter meine ich auch (in allen drei Sätzen) das Fortepiano colla parte zu vernehmen ... herrliche Fagötter im Rondo-Finale! Huch - was ist mit dem Schlußakkord los?

    =O

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    Vera Beths, Violine
    Tafelmusik
    Bruno Weil

    Vera Beths bespielt eine cremonesische Stradivarius aus dem Jahre 1727.

    An Dramatik mangelt es dieser Produktion wahrlich nicht; die manchmal etwas befremdlich anmutenden, im Wesentlichen aber passenden Cadenzen stammen m. W. von Anner Bylsma.

    Wolfgang Wendel, 30.05.1998, in Rondo

    Zitat

    Oft, zu oft, drängt sich mir bei den Bestrebungen einiger Interpreten um historisch getreues Musizieren der Vergleich mit den “Grünen” auf. Sie haben im Kern gute Ideen, aber nicht die Mittel, sie durchzusetzen. Sie gehen ebensooft an der Realität vorbei wie die Realität an ihnen. Seien wir also dankbar für “Realos” wie Harnoncourt!


    Diese Einspielung setzt sicher keine Maßstäbe für Beethoven-Interpretation - was immer man auch darunter verstehen mag. Jos van Immerseel ist zuwenig Virtuose, als dass er den auch vorhandenen Ansprüchen in Richtung einer manuell souveränen und geistig fantasievollen Interpretation gerecht werden könnte. Wie so oft bei lehrmeisterlichen Darstellungen ist auch hier alles “richtig”. Im Zweifelsfalle orientieren sich Pianist und Dirigent zwangsatmend am starren Metrum.


    Vera Beths legte bislang einige achtbare Interpretationen vor, mit einiger Neugierde erwartete ich daher ihre Einspielung des Violinkonzertes. Das über das Klavierkonzert Gesagte trifft indes sinngemäß leider auch hier zu. Von der im Text beschworenen Vorbildfunktion für das “heranreifende romantische Violinkonzert” ist wenig zu spüren. Das Finale besitzt beachtliche Motorik, aber wenig formgebende Dynamik.


    Es nutzt der Musik und dem Hörer wenig, wenn barock anmutende Details mit unmotivierten Drückern, blutarmer Aussage, farb- und klangarmer Intonation zu einem wenig überzeugenden Ganzen zusammengebunden werden. Es mag sein, dass man sich in Richtung “originaler Interpretation” bewegt hat. Doch haben die Interpreten wenig vom visionären Charakter der Musik verstanden.

    "Wenn man sich nur das Urteilen abgewöhnen könnte, dieses dilettantische Verfälschen der Dinge! Wir wollen immer verstanden werden und sind selber unerbittlich verständnislos." (Verdi bei Franz Werfel)