Membra Jesu nostri patientis sanctissima BuxWV 75 (1680)

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    Wikipedia: Membra Jesu nostri

    Zitat

    Der Text des Werkes kombiniert Bibelverse mit Versen einer mittelalterlichen Andachtsdichtung, die zu Buxtehudes Zeit unter dem Namen Domini Bernhardi Oratio Rhythmica (Herrn Bernhards Reimgebet) bekannt war und als Werk des heiligen Bernhard von Clairvaux angesehen wurde, heute aber Arnulf von Löwen zugeschrieben wird. Diese Dichtung besteht aus sieben Teilen, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind: Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz, Gesicht. Jeder Teil hat fünf zehnzeilige Strophen (der dem Herz gewidmete Teil sieben), von denen jede wieder in zwei fünfzeilige Halbstrophen unterteilt ist. Der siebte Teil Salve caput cruentatum hatte schon Paul Gerhardt als Vorlage für das Kirchenlied O Haupt voll Blut und Wunden gedient, das der Passionchoral schlechthin wurde und auch von Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion verwendet wurde. (Auch die Lieder Sei mir tausendmal gegrüßet und O Herz des Königs aller Welt sind Übertragungen Paul Gerhardts von Teilen - erster bzw. sechster - des Zyklus.) Aus den jeweils zehn oder vierzehn Halbstrophen jedes Teils der Rhythmica Oratio wählte der Kompilator (vermutet wird Buxtehude selbst) für jeden Körperteil jeweils drei aus. Als Rahmen für die drei Halbstrophen wählte er passende Bibelstellen aus, die sich auf den jeweiligen Körperteil bezogen.

    Der Zyklus besteht der literarischen Vorlage entsprechend aus sieben einzelnen Kantaten, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind. Die einzelnen Kantaten haben in der Regel den folgenden Aufbau:

    - Sonata: instrumentale Einleitung
    - Concerto: Bibelwort, das auf das jeweilige Körperteil hinweist (meist dem Alten Testament entnommen), als Chorstück (meist SSATB, in Kantate 5 ATB, in Kantate 6 SSB, wobei der „Chor“ aus den Solosängern bestehen kann)
    - drei musikalisch ähnliche bis identische Arien auf den Text von drei Halbstrophen der Oratio Rhythmica (meistens zwei Soli und ein Terzett) mit dazwischen liegenden Instrumentalritornellen
    - Wiederholung des Concerto

    Der Grundaufbau wird in den Rahmenkantaten 1 und 7 variiert durch stärkeren Choreinsatz, der ihnen besonderes Gewicht verleiht, während die Kantaten 5 und 6, die der Brust und dem Herzen gewidmet sind, kleiner besetzt sind als die übrigen, um die Innerlichkeit dieser Teile zu betonen. Im Einzelnen weichen die Kantaten wie folgt von dem Grundschema ab: In Kantate 1 folgt auf die Wiederholung des Concertos eine Wiederholung der ersten Arie im Chorsatz. In Kantate 5 und 6 wird das Bibelwort dreistimmig gesungen, alle Halbstrophen sind Soloarien. In Kantate 7 singt der Chor die dritte Halbstrophe. Anschließend wird nicht das Concerto wiederholt, sondern es folgt ein abschließender Chorsatz Amen.

    Betrachtet man dieses Werk genauer, dann wird man sehen; dass es sich durchaus um ein Stück der Zeit handelt, um eine bekannte und gebräuchliche Gattung mit den damals möglichen und weit verbreiteten Ausdrucksmöglichkeiten textlicher und musikalischer Art. Dennoch erfreut es sich einer vergleichsweise geradezu spektakulären Beliebtheit gerade unter den jüngeren Generationen, die mit der historisch informierten Aufführungspraxis bereits großgeworden sind, was sich in einer immensen Diskographie ausdrückt. Selbst wenn man diesen Musterbeispielen der hochbarocken „Concerto-Aria-Kantate“ eine besondere formale Geschlossenheit und starke Expressivität attestiert, auch die Variationen des Grundaufbaus und die Gewichtung des Chores einrechnet; lässt sich diese Focusierung nicht hinreichend erklären. Was um Himmels Willen ließ Buxtehudes Zyklus zum barocken Kassenschlager mutieren?

    "Wenn man sich nur das Urteilen abgewöhnen könnte, dieses dilettantische Verfälschen der Dinge! Wir wollen immer verstanden werden und sind selber unerbittlich verständnislos." (Verdi bei Franz Werfel)

  • Was um Himmels Willen ließ Buxtehudes Zyklus zum barocken Kassenschlager mutieren?


    Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, wie sehr das Werk bei mir eingeschlagen hat, als ich es zum ersten Mal hörte. Meine erste Einspielung müßte die von Junghänel gewesen sein:

    Speziell kommt hinzu, daß mich der Kantatenstil vom Ende des 17. Jahrhunderts einfach mehr anspricht als der ausgefeilte, aber separierte Stil eines JSB. Da sind Zusammenklänge drin, die später nicht mehr aufgenommen wurden - wohl weil sie als veraltet galten. Ist auch ein Grund, warum ich die Passionen eines Schütz oder Demantius so mag... :love:


    jd :wink:

    Unser *opi* nahm *opi*-um - Bumms! fiel unser *opi* um.

    • Offizieller Beitrag

    Speziell kommt hinzu, daß mich der Kantatenstil vom Ende des 17. Jahrhunderts einfach mehr anspricht als der ausgefeilte, aber separierte Stil eines JSB. Da sind Zusammenklänge drin, die später nicht mehr aufgenommen wurden - wohl weil sie als veraltet galten. Ist auch ein Grund, warum ich die Passionen eines Schütz [...] so mag...


    Darüber wird nachzudenken sein, lieber JD; mir geht es ja genauso.

    "Wenn man sich nur das Urteilen abgewöhnen könnte, dieses dilettantische Verfälschen der Dinge! Wir wollen immer verstanden werden und sind selber unerbittlich verständnislos." (Verdi bei Franz Werfel)

  • Zitat

    Was um Himmels Willen ließ Buxtehudes Zyklus zum barocken Kassenschlager mutieren?

    Ganz einfach: Die Musik ist einfach, salopp gesagt, saugut!

    Man sollte nicht vergessen, daß das Werk von Buxtehude stammt, der ja nun nicht irgendein Komponist war. Er war eine wenn nicht die Institution der norddeutschen Kirchenmusik des Hochbarock. Nicht von ungefähr pilgerten viele Musiker, darunter ja auch Bach, zu ihm nach Hamburg, um von ihm zu lernen. Neben seinem Orgelspiel mehrten vor allem die Abendmusiken seinen Ruhm. Es lohnt sich das oratorische Schaffen Buxtehudes zu studieren. Neben den Membra gibt es weitere ausdrucksstarke Kantaten und Oratorien.

  • Ich hatte leider das Pech, dass ich zuerst die Cantus Cölln Aufnahme hörte.

    Sicher ist sie hervorragend interpretiert – ich persönlich kann aber nur selten etwas mit dem Ensemble anfangen – vielleicht sind mir die Interpretationen zu akademisch - sie holen mich jedenfalls selten ab. Auch Konrad Junghänel als Lautenist: Ab und zu mag ich seine Aufnahmen, aber er hat niemals die Wirkung auf mich wie ein Anthony Bailes, Hopkinson Smith, José Miguel Moreno oder Lutz Kirhof. Anders verhält es sich, wenn er als Continuospieler mitwirkt - verwundert mich immer wieder.

    Auch eine weitere Aufnahme von Koopman ließ mich eher kalt und ich wollte Buxtehude schon zu den (für mich) uninteressanten Komponisten einsortieren.

    Zum großen Glück wagte ich einen dritten Versuch:

    Dieterich Buxtehude: Membra Jesu Nostri

    Concerto Vocale – Rene Jacobs

    Sänger:

    Martina Bovet (Sopran)

    Maria Cristina Kiehr (Sopran)

    Andreas Scholl (Counter)

    Gerd Türk (Tenor)

    Ulrich Messthaler (Bass)

    Diese Aufnahme hat mich umgehauen – und mich sofort begeistert. Das Concerto Vocale war und ist ohnehin eine meiner liebsten Formationen, und die feine Gestaltung des Kantatenzyklus, die schönen Stimmen – und natürlich die geniale und wunderschöne Musik - kommen für meinen Geschmack hier sehr gut zur Geltung. Und Junghänel ist als Lautenist im Continuo wieder großartig (was aber ausnahmslos auf alle Instrumentalisten dieser Aufnahme zutrifft).

    Mittlerweile habe ich einen Zugang zum Werk Buxtehudes und höre mich durch das gewaltige Aufnahme-Projekt von Koopman.

  • Auch eine weitere Aufnahme von Koopman ließ mich eher kalt und ich wollte Buxtehude schon zu den (für mich) uninteressanten Komponisten einsortieren.

    Oh, das hätte ich dir ohnehin auszureden versucht. Es gibt zum Glück mehr als genug Aufnahmen allein von Membra - daß da etwas Passendes für dich dabei sein würde, hätte zumindest sein müssen. Wie es ja auch schon passiert ist... :)

    Buxtehude ist schon klasse - was ich von ihm kenne, gehört zum Vorzüglichsten des Hochbarocks.

    Unser *opi* nahm *opi*-um - Bumms! fiel unser *opi* um.

  • Ich glaube bei noch keinem Werk, hat die Interpretation, für mein Empfinden, dermaßen viel ausgemacht. Mittlerweile habe ich noch weitere Aufnahmen, und es ist bemerkenswert, wie krass die unterschiedlichen Ansätze daherkommen.

    Concerto Vocale bleibt für mich weiterhin die Aufnahme, die mir am nächsten ist.

    weitere Aufnahmen in meinem Fundus:

    Tanya Aspelmeier, Stephanie Revidat, Salome Haller, Rolf Ehlers, Julian Pregardien, Benoit Arnould, La Chapelle Rhenane, Benoit Haller

    The Amsterdam Baroque Orchestra - Ton Koopman

    The Purcell Quartet

    The English Baroque Soloists - J.E.Gardiner


    Im direkten Kurzvergleich zum Concerto Vocale ist mir aufgefallen, dass die Tutti-Passagen in den anderen Aufnahmen den Schwerpunkt bilden, und nicht die Arien. Die Chorpassagen sind auch oft nicht so elegant solistisch, sondern wuchtiger. Für mein Empfinden sind die Akzente / Affekte weniger herausgearbeitet, der Rhythmus ist getragener, gleichförmiger. Bei Jacobs höre ich sofort die Erfahrung mit der venezianischen Oper, bzw. der italienischen Musik des 17. Jahrhunderts - vielleicht ist dieser Interpretationsansatz auch etwas zu weltlich, zu opernhaft ....zu katholisch? - und wäre vielleicht von den Pietisten des 17. Jahrhunderts zerpflückt worden - aber er ist genau mein Ding ^^

  • Dietrich Buxtehude (1637-1704)


    Membra Jesu Nostri BuxWV 75

    Gott hilf mir Bux WV 34

    Tracklist

    Ricercar Consort

    
D. Philippe Pierlot

    Carlos Mena, alto


    Matthias Vieweg, bass


    Maria Keohane, Hanna Bayodi, soprano

    
Jeffrey Thompson, tenor

    Enrico Gatti, Maite Larburu, violin


    Lucile Boulanger, Matthias Ferré, viola da gamba 


    Salomé Gasselin, Philippe Perlot, viola da gamba


    Daniel Zapico, theorbo


    Margaret Urquhart, contrabass


    François Guerrier, organ

    Rec. en septembre 2018 en l'Abbaye de la Lucerne d'Outremer

    Booklet Mirare-üblich etwas mager, mit Gesangstexten und Beiträgen F,E,D

    Die Vokalmusik von Buxtehude ließ mich immer ziemlich unberührt im Gegensatz zu seiner Instrumentalmusik, auch die Membra, von denen mir Bekannte, die sie mitgesungen hatten, vorschwärmten. Trotzdem fanden einige Aufnahmen den Weg zu mir, die DVD mit Jacobs, die auch hier genannte Junghänel-CD sowie eine Aufnahme aus einer kleinen Suzuki-Box.

    Ich nahm immer mal wieder einen Anlauf, mit dem Werk vertraut zu werden, gab aber jedesmal auf. Vor rund zwei Jahren erschien dann die oben gezeigte CD mit einem Ensemble, das ich sehr schätze, von dem ich mir v.a. Bach-Kantaten, JP, Magnificat zugelegt habe. Und bei dieser Aufnahme hats dan n klick gemacht.

    Woran es lag, dass es jetzt zündete? Vertrauen in das Ensemble, das mich noch nie wirklich enttäuscht hat? Mit den Jahren gewachsenes Verständnis für diese Musik? Ich weiß es nicht. Vielleicht von allem etwas — und, dass es sich hier natürlich auch um eine hervorragende Aufnahme handelt.

    classicalacarte.net zitiert aus einer vergleichenden Besprechung von Marc Rochester aus Gramophon (07/2019):

    Zitat

    Excellent as both these recordings are, they are somewhat eclipsed by the third, from Philippe Pierlot and the Ricercar Consort. While Haller drew on the services of a large chorus, six soloists and an instrumental ensemble of some dozen players, and Arthur used 29 voices and an instrumental ensemble of 10, Pierlot makes do with just five singers and nine instrumentalists. That, though, is no recipe for thin and desiccated sound. Instead what we have here is a wonderfully full yet transparent sound, greatly enhanced by the sheer quality of the voices, and recorded with such luxuriance that the only concessions to the thinner forces are greater flexibility and a sense of a more focused expressive intent. This is a truly lovely recording which certainly lacks neither the drama nor the intimacy of the others, but adds to it a clarity of thought and expressive detail that I find wholly absorbing.

    Unique among these latest recordings of Membra Jesu nostri, Pierlot adds a useful filler in the shape of Buxtehude’s unequivocally Lutheran chorale-based cantata Gott, hilf mir!. This pales only slightly in comparison with Membra Jesu nostri, and with Matthias Vieweg in fine voice and the violins of the Ricercar Consort vividly evoking his terror at being stuck in mud with the tide rushing in, this is no mere makeweight to fill 10 spare minutes but a highly distinguished performance that caps a highly distinguished disc.

    lg vom eifelplatz, Chris.

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    Hin- und Nachweise

    Booklet

    discogs

    Rondo

    Early Music America EMA

    classicalacarte.net

  • Septem Verba & Membra Jesu Nostri

    Ensemble Correspondances

    D: Sébastian Daucé


    CD 1:

    Dieterich Buxtehude (1637-1707)

    Membra Jesu nostri BuxWV 75

    Membra Jesu nostri patientis sanctissima humillima totius cordis devotione decantata

    1| I. Ad pedes : Ecce super montes 7’40

    2| II. Ad genua : Ad ubera portabimini 7’44

    3| III. Ad manus : Quid sunt plagæ istæ 9’19

    4| IV. Ad latus : Surge amica mea 8’13

    5| V. Ad pectus : Sicut modo geniti infantes 10’11

    6| VI. Ad cor : Vulnerasti cor meum 8’40

    7| VII. Ad faciem : Illustra faciem tuam

    CD 2:

    Dieterich Buxtehude (1637-1707)

    1| Klag-Lied: Muß der Tod denn auch entbinden BuxWV 76/2 12’4

    (Fried- und freudenreiche Hinfahrt des alten großgläubigen Simeons, BuxWV 76)

    2| Mit Fried und Freud ich fahr dahin BuxWV 76/1 4’39

    (Fried- und freudenreiche Hinfahrt des alten großgläubigen Simeons, BuxWV 76)

    Heinrich Schütz (1585-1672)

    3| Erbarm dich mein, o Herre Gott SWV 447 4’42

    Da Jesus an dem Kreuze stund SWV 478

    [Die sieben Wortte unsers lieben Erlösers und Seeligmachers Jesu Christi, so er am Stamm des Heil. Creutzes gesprochen]

    4| I. Introitus 2’10

    5| II. Symphonia 1’25

    6| III. Die sieben Worte 10’43

    7| IV. Symphonia 1’20 V. Conclusio 1’52

    8 | V. Conclusio

    Lüdert Dijkman (c1645-1717)

    Lamentum eller En Sorge-Music

    (Lamentum oder Eine Trauermusik)

    9| I. Aria 5’19

    10| II. Öde-Gudinnornas Swar 0’26

    11| III. Aria 1’36

    Dieterich Buxtehude (1637-1707)

    12| Herzlich lieb hab ich dich, o Herr Bux WV 41


    Ensemble Correspondances

    D: Sébastian Daucé


    Soprano: Caroline Weynants, Julie Roset, Caroline Bardot, Perrine Devillers

    Alto: Lucile Richardot, Paul-Antoine Bénos

    Tenor: Davy Cornillot, Antonin Rondepierre

    Bass: Étienne Bazola, Nicolas Brooymans



    Violons | Violins: Josèphe Cottet, Simon Pierre

    Violes | Violas da gamba: Mathilde Vialle*, Étienne Floutier*, Louise Bouedo, Mathias Ferré, Julie Dessaint

    Violone | Bass: Étienne Floutier*

    Luth | Lute: Diego Salamanca*

    Théorbe | Theorbo: Thibaut Roussel*

    Harpe | Harp: Caroline Lieby*

    Orgue et clavecin | Organ & harpsichord: Matthieu Boutineau*

    Orgue et direction | Organ & conducting: Sébastien Daucé*


    *basse continue | basso continuo


    Enregistrement : août-septembre 2020, Abbaye aux Dames, Saintes (France)

    Booklet: Texte von Peter Wollny und Sébastian Daucé sowie alle gesungenen Texte mit Übers. in D., F., E.


    Anfang Februar erst konnte ich hier (s. # 9) eine Aufnahme der Membra Jesu nostri von Buxtehude mit dem Ricercar Consort/Pierlot vorstellen; Inzwischen ist eine weitere Aufnahme erschienen, die allerdings in Programm und Thematik einige Unterschiede aufweist. Der Untertitel dieses 2-CD Albums lautet entsprechend auch Passionsmusiken des 17. Jahrhunderts. Es enthält zwei gewichtige Werke der deutschen barocken Passionsmusik sowie geistliche Konzerte zum Thema, ferner eine Trauermusik zum Tod zweier schwedischer Kronprinzen 1685 des Komponisten Lüdert Dijkman (c1646-1717)

    Peter Wollny erläutert dies in seinem Beitrag im Booklet, dabei weist er auch auf die Überlieferung der Membra und die Düben-Sammlung hin.


    Zitat von Peter Wollny

    Membra Jesu nostri - Passionsmusiken des 17. Jahrhunderts:

    Die Musik des 17. Jahrhunderts zeichnet sich durch eine faszinierende Experimentier- und Innovationsfreude aus, deren Kühnheit uns heute noch beeindruckt. Um und nach 1600 entstanden zahlreiche neue Gattungen, die die nachfolgenden Jahrzehnte und selbst Jahrhunderte prägen sollten. Die Komponisten entdeckten die Wirkung des Raumes und entwickelten die Grundlagen einer funktionalen Harmonik, mit der sich großräumige formale Zusammenhänge konstruieren ließen; sie erkannten die Wirkung des solistischen, nur von Akkordinstrumenten begleiteten Gesangs ebenso wie die betörende Prachtentfaltung großer vokal-instrumentaler Ensembles. Und nicht zuletzt lernten sie, die dramatische Kraft der menschlichen Emotionen für die Musik nutzbar zu machen und sowohl auf der Bühne – in der Oper – als auch im Kirchenraum – im Oratorium – darzustellen. Angesichts der Fülle von Entdeckungen und Fortentwicklungen, die mit einer nahezu umfassenden Erneuerung der Kompositionskunst einherging, erstaunt es, dass die musikalische Schilderung der Leidensgeschichte Jesu erst verhältnismäßig spät und auch nur zögerlich in Angriff genommen wurde. Stattdessen verharrten die Organisten, Kantoren und Kapellmeister – insbesondere in den evangelischen Territorien nördlich der Alpen – bei der altertümlichen Gattung der Choralpassion, die noch kaum die Schwelle zwischen liturgischer Praxis und kunstvollem Gesang überschritten hatte.Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielschichtig. Zum einen war das Absingen der Passionsgeschichte seit dem Mittelalter die Domäne des im Altarraum befindlichen Liturgen. Zum anderen bestand eine nur schwer zu überwindende Scheu vor jeglicher Andeutung einer Dramatisierung des Passionsgeschehens. Lutherische Theologen witterten hier sofort ein Eindringen des verpönten Katholizismus und befürchteten, dass die Freizügigkeit (und moralische Fragwürdigkeit) der Oper in die heiligsten Gefilde des Glaubens Einzug halten könnten. Vielerorts dauerte es bis ins zweite Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, bevor die großen oratorischen Passionen eines Johann Sebastian Bach oder Georg Philipp Telemann erklingen durften. Im 17. Jahrhundert ersann man andere Lösungen. Die Passionsgeschichte wurde – wie die hier eingespielten Werke von Dietrich Buxtehude und Heinrich Schütz zeigen – indirekt und dezidiert undramatisch in Musik gesetzt.

    [ ... ]

    Das lange Zeit vernachlässigte Gebiet der deutschen Vokalmusik zwischen Schütz und Bach erweist sich als eine schier unerschöpfliche Fundgrube kunstvoll gearbeiteter, ausdrucksstarker Kompositionen, die bis in unsere Zeit nichts von ihrer ursprünglichen Faszination verloren haben. Durch die einzigartige Verschmelzung von Alt und Neu bildete sich jene eigenwillige, herb-schöne Musiksprache heraus, die uns noch immer zu ergreifen vermag.

    Zitat von Sébastien Daucé:

    Für diese Aufnahme habe ich eineneue Edition von Membra Jesu nostri hergestellt, wobei ich mich der Einzelstimmen aus der Düben-Sammlung der Universitätsbibliothek Uppsala bedient habe, die auf Basis von Buxtehudes Tabulatur-Partitur angefertigt wurden – wahrscheinlich von Gustav Düben selbst.Diese Stimmen weichen an manchen Stellen von der Tabulatur ab. Als Erstes sei die zusätzliche Bratschenpartie in drei der sieben Kantaten genannt, was diesen eine spezielle Klangfarbe verleiht und darüber hinaus den ganzen Zyklus bereichert. Dann zeigen sie eine aufschlussreiche Zuweisung der tiefen Streicher, spielen doch Gambe und Violone nicht auf systematische Weise mit dem Continuo oder den Violinen. Außerdem unterscheidet Düben in seiner Kopie der Gesangspartien klar zwischen soliund ripieni, insbesondere in der vierten Kantate, während die Tabulatur lediglich fünf Partien ohne genaue Angaben aufweist: Das Material von Uppsala belegt also, dass für die Uraufführung des Werks am schwedischen Hof mehr als fünf Sänger erforderlich waren.Diese Varianten waren uns Interpreten eine wertvolle Entscheidungshilfe, sie ermöglichten uns aber auch eine Annäherung an die Vorstellungswelt der Musiker jener Zeit und an die Art und Weise, wie sie sich die Werke hätten aneignen können. Einen respektvolleren Interpreten als Düben, den Buxtehude im Übrigen sehr schätzte, kann man sich nicht vorstellen, auch wenn er sich geringfügige Abweichungen von den Lesarten erlaubte, die er in der ihm vom Komponisten zur Verfügung gestellten autographen Tabulatur vorfand. Es ging ihm dabei nicht nur darum, das Werk den Gegebenheiten und der Besetzung, die ihm zur Verfügung stand, anzupassen, sondern in gewissem Maße auch darum, eine kluge, persönliche Fassung des Werks zu schaffen. Es ist wahrscheinlich, dass Membra Jesu nostri1680 in Stockholm in dieser Fassung zum ersten Mal erklang.


    Die Aufnahme vom Ensemble Ricercar/ Sébastien Daucé braucht sich nicht zu verstecken, Ricercar Consort und Ensemble Correspondance spielen in derselben Liga mit viel Engagement der hervorragenden Musiker*innen. Was mir beim Ricercar Consort Carlos Mena ist, ist mir beim Ensemble Correspondance Lucile Richardot; diesmal freue ich mich auch über die junge Sopranistin Julie Roset, die auch auf von mir in den letzten Monaten vorgestellten CDs des Labels Ricercar zu hören ist.

    Fazit: zum ersten Mal haben die Membra (und auch die Sieben Worte) mich wirklich berührt, was vermutlich mit dem in meinen Ohren vorzüglichen Vokalensemble zu tun hat, den Einsatz der Sänger*innen in den Membra (Track 1) finde ich z.B, wunderbar, sehr meditativ und introvertiert (soweit man überhaupt Musik mit solchem Vokabular beschreiben kann.

    Das heißt: Empfehlung! Hört mal rein!


    lg vom eifelplatz, Chris.

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    Booklet

    Peter Wollny

    Dübensammlung

    Membra

    Sieben Worte

    Dieterich Buxtehude

    Heinrich Schütz

    Lüdert Dijkman

    Julie Roset

    - brf1

    Lucile Richardot

    - Bach Cantates Website

    Ensemble Correspondance

    - Présentation

    - Membra

    - Sebastien Daucé

    Video