Schon eine kleine Weile schwebt mir dieses Thema im Kopf herum, ohne daß ich eine nähere Struktur zugrunde legen könnte. Mich reizen halt die Anfänge bestimmter Entwicklungen, die später zu eigenen Gattungen bzw. Kunstformen führen. Also kurz umrissen:
Die Notation von Musik wurde schon im Altertum versucht, speziell aus Griechenland sind einige Hymnen mit notierter Musik (wenn auch rudimentär oder nicht entzifferbar) bekannt. Grundsätzlich geht dieser Notation immer eine umfassende mündliche Tradition voraus, die im Mittelalter am Deutlichsten innerhalb der geistlichen Musik (Stichwort: Gregorianische Choral) erkennbar ist. Spätestens als man begann, komplexe mehrstimmige Sätze zu ersinnen, war man auf die Notation angewiesen, um die Details fixieren zu können, da sie werkabhängig wurden und nicht mehr Teil einer allgemeinen Praxis war. Dem folgten auch Veränderungen in der mündlichen Tradition, die irgendwann begann, die Werke abzulesen anstatt auswendig zu lernen. Zumal der Umfang des Repertoires nicht kleiner wurde.
In Hinsicht der Instrumente sah das aber zunächst noch anders aus. Bei Gesängen waren Instrumente eher als Begleitung gedacht (jedenfalls kommt einem dieser Gedanke anhand der Quellen sehr schnell ins Bewußtsein), doch über rein instrumentale Musik sind Notationen erst spät vorhanden: im 14. Jahrhundert tauchen erste Manuskripte mit notierter Instrumentalmusik auf. Es waren häufig Übertragungen von Liedsätzen für die Orgel oder auch ausgefeilte Tanzsätze für andere Instrumente, die eher bei Festen zum Einsatz kamen. Doch innerhalb dieses unnotierten, improvisierten Rahmens entwickelte sich zunehmend eine eigenständige Gattung, die sich mehr und mehr von der gesanglichen Ausprägung löste und ein eigenes Bewußtsein für instrumentale Diktionen förderte.
In der Zeit der Renaissance entstanden die ersten Kompositionen, die spezifisch für Instrumente gedacht waren. In erster Linie wurden sie für Tasteninstrumente geschrieben, ausgeführt von Musikern, die zumeist im Dienst einer Kirche oder eines Hofs standen. Es ist auch kein Zufall, daß die Orgel stark bevorzugt wurde, war sie doch damals bereits in jeder kirchlichen Institution von Rang vorhanden und wurde auch gespielt. So ist die Entwicklung der Instrumentalmusik ohne den Einsatz von Kirchenmusikern nicht denkbar.
Um 1600 hatte Jan Pieterszoon Sweelinck seine Orgenistenstelle in Amsterdam über zwanzig Jahre inne, und Girolamo Frescobaldi war im Begriff, seine ersten Werke für die Orgel zu komponieren. Doch hatte sich davor bereits Einiges getan: ein Pierre Attaingnant hatte Drucke mit Lauten- und Orgeltabulaturen veröffentlicht, und ein Jacques Buus hatte die Grundlagen für das Ricercar niedergeschrieben. Speziell im 16. Jahrhundert hatte sich durch den Buchdruck die Entwicklung beschleunigt und zeigte deutlich, daß die Instrumentalmusik ihre ersten spezifischen Eigenschaften entwickelte.
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In diesem Thread möchte ich einige Einspielungen mit jener Musik vorstellen. Mir ist konkret aufgefallen, daß generell so gut wie nie über diese Frühzeit gepostet wird, obwohl sie doch so entscheidend in der Entwicklung der Instrumentalmusik war. Ein Frescobaldi z.B. hat nicht aus Nichts geschöpft, sondern stand bereits in einer langen Tradition von Orgelmusikern; die Orgel hatte damals bereits ihre Trennung in einzelne Register (von Blocklade zu Schleiflade) hinter sich, es hatten sich landestypische Merkmale im Orgelbau entwickelt. Die Liturgie erklang praktisch nicht mehr ohne Instrumentalbegleitung, selbst in entlegenden Klöstern nicht. Da war eine Tradition, die in höchster Blüte stand - und sie blieb nicht stehen.
Diskussionen und nähere Betrachtungen sind natürlich mehr als willkommen; auch ist das Ganze nicht auf die Orgel allein beschränkt - der englische Begriff "Keyboard" trifft den Kern wesentlich besser als das deutsche "Tasteninstrument".
jd