1781 - Idomeneo, Ré di Creta: Einspielungen (opi)

  • An Einspielungen dieser tollen Oper (für mich die schönste, die Mozart je geschrieben hat) mangelt es zum Glück nicht.

    Aber eine perfekte Aufnahme wird man wohl kaum finden. Ich habe relativ viele Einspielungen dieser Oper gesammelt, da sie mir eben besonders ans Herz gewachsen ist:

    Ziemlich nah am Ideal sind meiner Meinung nach derzeit zwei großartige Aufnahmen:


    The English Baroque Soloists - Gardiner

    und


    Freiburger Barockorchester - Rene Jacobs

    Gardiner stellt auf seiner Einspielung die Möglichkeit zur Verfügung, durch einen umfangreichen Apendix sich die jeweiligen Fassungen selbst zusammen zu basteln, bzw. sich selbst einen idealen Idomeneo zu schaffen. Die Stimmen sind durchweg großartig.

    Rene Jacobs wollte ebenfalls jede Note verwenden, die Mozart für diese Oper schrieb, besonderen Reiz hat Richard Croft in der Titelrolle.

    Beide Aufnahmen halten sich die Waage, und begeistern immer wieder aufs Neue beim anhören. Im Continuo wird bei beiden Aufnahmen ein Fortepiano eingesetzt - wobei die Rezitativgestaltung bei Jacobs natürlich phantasievoller ist.


    Mozartensemble Zürich - Harnoncourt

    Eine wirklich gute Aufnahme, Felicity Palmer als Elektra und Werner Holweg als Idomeneo haben schon was für sich. Zudem verkneift sich Harnoncourt seine späteren Eigenartigenkeiten mit dem Überbetonen der Takte. Harnoncourt versucht sich an die Münchner Uraufführung zu halten, im Continuo ist ein Cembalo eingesetzt. Den Sturm und das Gekeife der Elektra wird man schwerlich irgendwo anders besser finden. Bei einem späteren Appendix wurden die fehlenden Szenen veröffentlicht - diese CD ist jedoch relativ schwer zu finden - und es ist ziemlich dämlich, diese nicht bei der Gesamtaufnahme der Oper beizulegen. Die Aufnahme ist halb HIP, d.h. man verwendete moderne Instrumente, bespannte sie aber mit Darmsaiten, bei den Bläsern griff man auf historische Instrumente zurück.

    • Offizieller Beitrag

    Zudem verkneift sich Harnoncourt seine späteren Eigenartigenkeiten mit dem Überbetonen der Takte.

    Und genau hier ist die Kralle anzusetzen. Denn seit seiner seltsamen Interpretation eines einzigen Rezitativtaktes (Akt III, Nr. 23 T. 78), bei dem Mozart im Autograph offensichtlich etwas verrutscht ist, ging es mit Harnoncourt unaufhaltsam abwärts. Mozart hat hier Platz für den Tenorschlüssel des Violoncellos benötigt, weshalb die Streichernotation um eine Viertelnote nach rechts verrutscht ist. Im Autograph ist das sehr schön zu sehen, hier ein Auszug aus der NMA, die diese Eigentümlichkeit (fast korrekt) übernimmt:

    Der Tenorschlüssel steht in der Handschrift direkt unter dem '-di-te'. Eine "Richtigstellung" im Druck hätte zur Folge haben müssen, daß hier die Streicher weiter nach links rücken... andernfalls hätte der Tenorschlüssel an der Leerstelle stehen müssen, damit man von "Urtext" sprechen kann (diese Darstellung hingegen ist nicht Fisch und nicht Fleisch). Um der Angelegenheit auf den Grund zu steigen, müsste man zeitgenössische Abschriften, ggfs. das Notenmaterial der Uraufführung (sofern noch existent) und erste Drucke studieren, wobei die Verleger damals auch sehr gerne Fehler übernommen und noch viel lieber welche hinzugedichtet haben (vgl. Beethovens umfangreichen Verlegerschriftwechsel). Für mich zählt definitiv der notenwertige Inhalt des Taktes (eindeutig vier Viertel), egal wie das optisch verteilt ist. Allerdings: Mich stört Harnoncourts Sichtweise an dieser Stelle wirklich überhaupt nicht, zumal Rezitative - auch orchestrierte (sog. Recitativi accompagnati) metrisch nicht korrekt sein müssen. Aber Harnoncourt übertrug seine fürchterliche "Entdeckung" nachfolgend auf alle möglichen Passagen, wo es gerade passt. Am furchtbarsten im Figaro (nachzuhören im 2006er Salzburger Figaro: Non più andrai... T. 47ff.). Er zerhackt damit das ganze Werk, zerstört den Fluss der Musik und treibt den Hörer zum Wahnsinn... damit gehört für mich dieser Idomeneo zum Ursprung allen harnoncourtschen Übels und ist damit - wie alles Nachfolgende - passée. Aber dies sollte notfalls andernorts weiterdiskutiert werden, sofern das überhaupt noch notwendig ist (ich wollte es hier nur mal an passender Stelle verewigen).

    Zu den einzelnen Fassungen:

    Mozart "revidierte" seinen Idomeneo 1786 grundlegend.

    Zunächst ist die Änderung der Stimmlage des Idamante von Mezzosopran (Castrato) in Tenor zu nennen. Dadurch ergeben sich teilweise Änderungen in der Stimmführung. Desweiteren nahm Graf Hatzfeld, Violinvirtuose, an der Wiener Aufführung teil: ihm haben wir die Arie KV 490 für Idamante mit Soloviolinbegleitung zu verdanken. Sie wird mittlerweile recht häufig live gegeben. Die Arie des Arbace Se il tuo duol... musste dafür weichen. Das Duett Ilia/Idamante (Nr. 20) S'io non moro... wurde ebenfalls gestrichen und durch ein neues Spiegarti non poss'io KV 489 ersetzt.

    Nebenbei - Interessantes zum genialen Quartett (Nr. 21): Der ursprüngliche Einsatz des Castraten in Takt 18 auf g'' wurde von den ersten Violinen einen halben Takt vorher angedeutet - um del Prato auf die Sprünge zu helfen. In der geänderten Tenor-Version setzt Idamate unmittelbar mit den ersten Violinen (also synkopisch zur Melodie) ein.

    Dabei ist nicht zu vergessen, dass Mozart bereits zur Uraufführung in München 1781 die Arie des Idamante No, la morte io non pavento, die Scena vor dem Auftritt des Gran Sacerdote sowie die Scena mit Arie (Nr. 29) D'Oreste, d'Aiace und die Arie Torna la pace vor der Krönungszeremonie des Idamante gänzlich vegliess, obwohl sie komponiert waren!

    Zu Nr. 28 - dem Autritt des Gran Sacerdote - gibt es allein vier verschiedene Fassungen. Das hat Mozart sehr beschäftigt - er schreibt darüber Seitenweise an seinen Vater, z.B.

    (29. November 1780) Sagen sie mir, finden Sie nicht, daß die Rede von der unterirdischen Stimme zu lang ist? Ueberlegen Sie es recht. - Stellen Sie sich das Theater vor, die Stimme muss schreckbar seyn - sie muss eindringen - man muss glauben, es sey wirklich so - wie kann sie das bewirken, wenn die Rede zu lang ist, durch welche Länge die Zuhörer immer mehr von dessen Nichtigkeit überzeugt werden? [...] Diese Rede hier ist auch ganz leicht abzukürzen, sie gewinnt mehr dadurch, als sie verliert.

    Insgesamt halte ich daher die Münchener Version 1781 für die schlechteste, weil einfach zu viel fehlt. Am besten für eine szenische Aufführung, bei der ja nun einmal nicht alle Varianten berücksichtigt werden können, ist sicher noch die ursprünglich geplante Münchener Version, denn Idamante als Tenor ist doch für eine derart barockverhaftete Opera Seria eigentlich unmöglich. Die Höhe der Stimmlage sagt etwas über das Alter der Handelnden Personen aus und das sollte doch gewahrt bleiben, denn der Tenor brächte das Gesamtkonzept des Idomeneo imo völlig durcheinander. Die Zusatznummern sind sicherlich wahnsinnig toll, können aber auch konzertant so gegeben werden.

    Tempofrage (Ouvertüre):

    Ein weiteres "Problem" stellt für mich das Tempo der Ouvertüre dar: Die Tempofrage bei der Idomeneo-Ouvertüre ließ mir einfach keine Ruhe... denn sie klingt mir - nicht allein bei Jacobs - stets irgendwie zu langsam, wobei Jacobs im Vergleich zu den mir vorliegenden Einspielungen eindeutig die Schnecke ist:

    4:56 (Jacobs)
    4:50 (Davis)
    4:48 (Pritchard)
    4:28 (Gardiner/Weil)
    3.55 (Östman)

    Umgerechnet ergeben sich folgende Metronomzahlen (Gesamtdurchschnitt: 164 Takte * 4 = 656 Schläge gesamt. Dividiert durch die dezimalisierte jeweilige Dauer = individuelle Schläge pro Minute = Mälzelsche Metronomzahl = MM):

    Viertel = 133 (Jacobs)
    Viertel = 135 (Davis)
    Viertel = 136 (Pritchard)
    Viertel = 146 (Gardiner/Weil)
    Viertel = 167 (Östman)

    Tante Wiki gibt 'Allegro' mit 120 bis 168 Schlägen pro Minute (bpm) an. So bewegen sich die drei Herren Jacobs, Davis und Pritchard zwar im Rahmen, aber am unteren Ende.

    Ein Vergleich mit dem zeitgleich entstandenen Kopfsatz der Sinfonia Concertante KV 364 verdeutlicht dies: Hier messe ich bei Hogwood 132 bpm und bei Terakado 128 bpm (33 resp. 32 Takte in der ersten Minute gemessen). Dies allerdings für ein Allegro maestoso, also ein leicht gelähmtes Allegro. Und als derart 'leicht gelähmt' empfinde ich auch stets die Idomeneo-Ouvertüre. Daß Östman sich hier (zu) nahe an Presto bewegt, ist mir klar - das soll auch kein Maßstab sein.

    Die Concertante ist deswegen in recht gutes Beispiel, weil sie

    a) fast zur gleichen Zeit entstand
    b) ein ähnliches, allerdings leicht abgeschwächtes Tempo im Kopfsatz hat und (Allegro C)
    c) Themenähnlichkeit besteht (man vergleiche die Takte 57ff. aus KV 364 mit den Takten 35ff. der Idomeneo-Ouvertüre).

    Die Tempowahl von Hogwood und Terakado bei der Concertante ist unzweifelhaft in Ordnung, folglich ist die Idomeneo-Ouvertüre in den drei genannten Fällen zu langsam angesetzt und sollte sich m. E. (geschätzt) irgendwo bei 145-150 bpm aufwärts bewegen. Das ergäbe ca. 4 min. 30 sec. Spielzeit und damit machen Gardiner und Weil (letzterer leider nur im Ouvertüren-Album) das Rennen! Das klingt zwar zunächst nach Erbsenzählerei - aber die Auswirkung von (im Ergebnis) 30 Sekunden Verkürzung der Spieldauer sind immerhin hörbare 10%.

    Was vielleicht als Spannungsaufbau gedacht sein soll, klingt für mich unheim zäh. Harnoncourt macht es mit 5:08 natürlich besonders spannend :sleeping:

    Auch Mackerras böte mit 4:39 (141 bmp) eine passable Partie (er lahmt nur in den vier Eröffnungstakten - DAS ist wirklich spannend). Die Klangschnipsel bei jpc klingen richtig vielversprechend:

    [amzmp3]B004PEWP1Y[/amzmp3]

    :wink:

    Bach wasn't Abel. *rain*