Es ist nicht so, dass ich Jürgen Habermas verachte; weil seine Philosophie trotz großem aufklärerischem Gestus in ihrem Menschenbild, ihrem Blick auf die Geschichte und überhaupt die Lebenstatsachen anachronistischer ist, als sie selbst gerne sein möchte; sondern weil er auf dem Gebiet, in dem er wirklich Bahnbrechendes geleistet hat, in der Praxis seine eigene Theorie nicht nur nicht beachtet, sondern wissentlich und also vorsätzlich konterkariert und das seit wenigstens 35 Jahren.
In seinem Hauptwerk Die Theorie des kommunikativen Handelns thematisiert er die praktische und theoriekritische Bedeutung des kommunikativen Handelns für das soziale Leben der (post-)modernen Gesellschaft, in dem er Ansätze der modernen Sprachphilosophie, der Systemtheorie, der Rationalisierungstheorie Webers und der soziologischen Lebensweltanalyse zu verbinden versucht. Wikipedia fasst zusammen:
Nach Habermas ist „kommunikatives Handeln“ eine Handlungsart, um Handlungen zwischen Gesprächspartnern koordinieren zu können. Seiner Auffassung nach liegen die normativen Grundlagen der Gesellschaft in der Sprache, die als zwischenmenschliches Verständigungsmittel soziale Interaktion erst ermöglicht. Durch Kommunikation versuchen Handelnde sich verständigungsorientiert aufeinander zu beziehen, indem sprach- und handlungsfähige Personen ihre Handlungen aufeinander abstimmen. Die in der Sprache angenommene kommunikative Rationalität bildet die Grundlage sozialen Handelns.
Verständigung sei nach Habermas aber erst dann erreicht, wenn jeder Hörer allen Geltungsansprüchen einer Aussage zustimmen könne. Widrigenfalls müssten die Geltungsansprüche anschließend im Diskurs geklärt werden. Nach Habermas gibt es vier zu erfüllende Geltungsansprüche, die je vier Handlungsarten betreffen. Beim Einwirken auf das Gegenüber ist die Ebene des zweckrationalen Handelns betroffen.
- Gefordert wird der Geltungsanspruch der objektiven Wahrheit, denn Bezugspunkt ist die „objektive Welt“ (Zeugwelt mit ihren Gesetzmäßigkeiten). Der behaupte Sachverhalt muss stimmen.
- Normenreguliertes Handeln wiederum bezieht sich auf die Welt der menschlichen Gemeinschaft, in der die kulturellen Werte überliefert werden, die soziale Welt (Solidarwelt). Für diesbezügliche Aussagen ist der - Geltungsanspruch normativer Richtigkeit zu erfüllen. Gesagtes muss sich mit anerkannten Werten und Normen im Einklang befinden.
- Der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit ist subjektiver Natur, eingebettet in das dramaturgische Handeln der Selbstinszenierung. Verlangt wird, dass der jeweilige Sprecher ehrlich ist.
- Das kommunikative Handeln dient der Verständlichkeit. Die Bedeutung einer Aussage muss von allen Gesprächspartnern verstanden werden.
Habermas leitet die Geltungsansprüche aus seiner Universalpragmatik her. Ergebnisse herrschaftsfreier Kommunikation, die ausschließlich unter Berufung auf diese Geltungsansprüche zustande kommen, sind nach Habermas optimal rational. Für Habermas korrespondieren und überschneiden sich diese vier Geltungsansprüche mit dem Begriff der intersubjektiven Wahrheit. Intersubjektive Wahrheit bedeutet jedoch, dass jeder theoretisch mögliche Diskursteilnehmer der Aussage (Proposition) zustimmen könnte. Der optimale Diskurs spiegle sich in der idealen Sprechaktsituation wider. Ideal wäre die Sprechaktsituation dann, wenn es keine Verzerrung der Kommunikation gibt, das heißt:
1. gleiche Chancen auf Dialoginitiation und -beteiligung,
2. gleiche Chancen der Deutungs- und Argumentationsqualität,
3. Herrschaftsfreiheit, sowie
4. keine Täuschung der Sprechintentionen.
Vereinfacht lässt sich sagen: Eine Aussage korrespondiert mit kommunikativem Handeln, wenn sie verständlich, wahr, wahrhaftig und richtig ist. Verbleiben Zweifel, so ist die Aussage im Diskurs zu klären.
Diese transzendental pragmatischen Bedingungen ermöglichen Verständigung und einen vernünftigen Diskurs. Habermas weiß, dass es die ideale Sprechaktsituation in der Realität nicht gibt. Jedoch vertritt er, dass wir diese Idealisierung vor jedem Diskurs zumindest implizit vornehmen müssen. Nur so kann es zu dem „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“ kommen. Aus dieser kommunikativen Vernunft und Organisation von Handlungen heraus ergibt sich dann kommunikatives Handeln.
Habermas antwortet mit diesem Ansatz auf seine beiden Vorgänger Adorno und Max Horkheimer. Auch er bietet eine Theorie mit dem Anspruch der Kritischen Theorie zur Begründung von Normativität, aber sie soll deren pessimistischen Schluss widerlegen, nach dem der Mensch unter Nutzung seiner Vernunft es nicht geschafft habe, eine menschenwürdige Welt aufzubauen, weswegen die Vernunft ein stumpfes Schwert sei. Zwar ist nach Habermas der einzelne Mensch nicht von sich aus zur Vernunft begabt (vgl. Subjektivitätsphilosophie und Bewusstseinsphilosophie), aber als mögliche Quelle der Vernunft sieht er stattdessen die Kommunikation zwischen Menschen, insbesondere die in der Form der Sprache (vgl. Intersubjektivitätsphilosophie). Die Kommunikation funktioniere jedoch nur dann, wenn sie ihre Prozesse vernunftorientiert organisiert. Dies wiederum bedeute, dass die Teilnehmer des Sprechaktes darauf verzichten müssen, Wirkungen im Sinne perlokutiver Sprechakte erzielen zu wollen, solange das, was sie kommunizieren, auch begründbar und kritisierbar bleiben soll.
Wenn man sich das im Buch selbst noch genauer durchliest und sich dann die Rolle von Habermas vom Historikerstreit über den skandalisierten Essay „Anschwellender Bocksgesang“ von Botho Strauß, Martin Walsers Pailskirchenrede, Peter Sloterdijks Rede Regeln für den Menschenpark bis zum heutigen Tag vergegenwärtigt, dann will man das eigentlich nicht glauben, wie es möglich ist; dass ein Wissenschafter von Rang die eigenen Erkenntnisse in der Realität der tagespolitischen Alltags ignoriert und Kommunikation in totalitäre Bevormundung und in multimediales Geschnatter münden lässt. Da wird falsch zitiert, Zitate werden aus dem Kontext gerissen; da wird vorverurteilt; ein richtiger Dialog abgelehnt; hintenherum agiert; der "Diskurs" in das Feuilleton und noch ungeeignetere Bereiche getragen, beleidigt, unterstellt, gedroht, sozial und medial vernichtet; gelogen, betrogen, geheuchelt und gemeuchelt.
Dass die von Habermas entwickelte Theorie schon an sich nicht stimmt, haben klügere Köpfe als ich bereits Anfang der 80er erkannt und analysiert. Wo es Vorüberzeugungen gibt, wird man rein rational nie zu einem Kompromiss gelangen, der den Dialogpartner nicht benachteiligt; überdies helfen absolut gesetzte Begriffe von Wahrheit und Gerechtigkeit wenig, eine Freiheit des Diskurses zu gewährleisten, der niemals mit dem Unbedingten und dogmatischen Grundlagen zu vereinbaren ist. Zudem wird eine Anschauung von Sprache als rein rationalem Instrument dem Menschen und Disputanten als Träger und Ausdrücker von Gefühlen und unbewusst wirkenden Psychologica in ihrer Vielgestaltigkeit und Lebendigkeit nicht gerecht.
Habermas verlangt also den ehrlichen Sprecher, gleiche Chancen auf Dialogsituation und -beteiligung, der Deutungs- und Argumentationsqualität; eine herrschaftsfreie Kommunikation ohne Täuschung der Sprechintentionen. Nicht einer dieser Forderungen ist er selbst nachgekommen in den zahlreichen eskalierenden Konflikten, die er im Laufe von wenigstens drei Jahrzehnten angezettelt hat; nein, er hat alle sogar ausgehebelt und ins blanke Gegenteil verkehrt. Zum Wenigsten selbst am Beginn, da wurden Schüler, Freunde, Jünger, Proselyten vorgeschickt; bevor sich der große Meister aus dem Hintergrund aus der Deckung begab und so selbstgerecht wie selbstherrlich eine faschistoid-totalitäre Meinungstotschlagmaschinerie in Gang setzte und auf Laufen hielt, die in dieser Komplexität und Wirksamkeit ihresgleichen sucht in den westlichen Demokratien.
Die berühmte klerikale Wendung vom Wasser predigen und Wein trinken griffe hier viel zu kurz und täte so manchem Pfaffen Unrecht; da trifft es Heinrich von Kleist am Ende der Marquise von O... wohl besser; wenn die Frau ihrem Vergewaltiger und späteren Ehemann erklärt, "er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen wäre." Löbliche Regeln für eine gelungene Kommunikation aufstellen und sie dann selbst aufs Schlimmste vergewaltigen; das geht auch über meinen freien Geist und ich kann das nicht entschuldigen und verzeihen.