Das kleine, große Unikum in Saint-Saëns' Werk, ein Selbstverständlichkum bei an klassische Musik herangeführten Kindern und ein in diesem Zusammenhang meist von seinem kammermusikalischen, gewitzten Kern weit weg geführtes Stück Musikgeschichte: Der Karneval der Tiere ohne Opuszahl gehört zu jenen Musiken, deren Melodien man schon immer gekannt zu haben glaubt - und die gerade deshalb einen frischen Wind ins Ohr verdienen.
Camille Saint-Saëns komponierte mit dem Karneval im Januar 1886 ein Gelegenheitsstück, in dem er frühere Skizzen aus der ersten Hälfte der 1860er Jahre verarbeitete. Die Gelegenheit: das jedes Jahr am Karnevalsdienstag bei dem befreundeten Cellisten Charles Lebouc stattfindende Salonkonzert. Dort wurde die Suite also uraufgeführt, am 09. März 1886, kammermusikalisch, im Kreise Befreundeter und Geladener. Einem breiteren Publikum wurde der Karneval erst ab 1922 anvertraut, denn Saint-Saëns ließ zeitlebens weder die Partitur drucken noch erlaubte er eine Aufführung - mit Ausnahme von Le Cygne (Der Schwan), Andantino grazioso. Der Karneval sollte ein Insider bleiben, ein privates Kabinettstückchen, eine freche Augenzwinkerei, die vordergründig Tiere, hintergründig aber Musiker und Musikgepflogenheiten satirisch aufs Korn nahm. Immerhin zählen zu den in ihm aufgeführten Tieren auch die Pianisten, womit der selbst Mittelmaß als Attraktion veranstaltende Konzertbetrieb (wenig gelungene Czerny-Übungen klingen an) als zoologische Zurschaustellung persifliert wird. Insofern gab die Zeit dem Komponisten und seinem vielschichtigen ironischen, auch selbstironischen Scherz recht: Der Karneval der Tiere wurde auf seine imitatorische Klangmalerei reduziert und dient seither gerne in Orchesterfassung als pädagogische Tür für Unbelastete in den Konzertsaal - und belastet gerade dadurch: "Je l'ai su", hört man Camille sagen.
Camille Saint-Saens: Le Carnaval des animaux, Quintette op 14, L'Assassinate du duc de Guise
1993
Ensemble Musique Oblique:
Pierre Roullier: Flöte
Jacques Zannettacci: Oboe
Rémi Lerner: Klarinette
Olivier Sune: Fagott
Hervé Joulain: Horn
Alice Ader: Klavier, Harmonium
Denis Pascal: Klavier
Isabelle Berteletti: Xylophon
Pascal Zavaro: Glockenspiel
Elisabeth Glab, Bénédicte Trotereau: Violine
Michel Renard: Bratsche
Isabelle Veyrier: Violoncello
Michel Maldonado: Kontrabass
Ulli stellte nebenan schonmal in Zusammenhang mit Filmmusik für Orchester die Einspielung durch das Ensemble Musique Oblique vor. Gerade für den Karneval ist diese CD ein wunderschönes Beispiel von Wiederbelebung, denn hier widmet sich ein Kammerorchester den vielfältigen Klangfarben der Komposition und wir wähnen uns beinahe (wenn auch nicht opi, doch quasi HIP im Geiste) als Freund in Leboucs Salon sitzend und fasziniert einer überaus facetten- und abwechslungsreichen Instrumentierung lauschend, die seinerzeit bei einer zweiten Privataufführung auch Liszt beeindruckte. Wir sind abseits des zugeknöpften und ernsten Konzertsaals.
Gemütlich wird es hier, geradezu intim, ein wenig karnevalistisch beschwipst dürfen wir ruhig sein, es bleibt alles unter uns. Die kleine Besetzung ist ungemein beweglich, setzt Pointen prägnant, ermöglicht es, Schwerfälligkeit ganz gezielt da einzusetzen, wo sie Sinn und Witz macht - und vor allem gelingt es ihr, dem breiten Spektrum an klanglichen Möglichkeiten, mit dem der Karneval so schillernd spielt, innerhalb der Stücke und auch in deren Abfolge, sein volles Potenzial zurückzugeben. Ein paar Beispiele? Da wird der Mittelteil von L'Éléphant mit dem Thema des Danse des sylphes aus La damnation de Faust von Hector Berlioz tatsächlich zu einer verträumten Maskerade eines schwergewichtigen Rüsseltieres, das sich danach sehnt, sylphengleich zu schweben. Da laufen die Czerny-Tonleitern der linken und rechten Hand auch mal leicht auseinander, ohne dass die selbstgewisse Attitüde dabei in Selbstzweifel fällt. Da erstaunt das Aquarium in seiner gläsernen Enge durch die in ihm enthaltene gesamte Weite ozeanischer Unterwasserlandschaft, die einer orchestralen räumlichen Größe in nichts nachsteht und gerade dadurch umso größer wird.
Kurz: die Spannungsfelder, mit denen der Karneval auf zahlreichen Ebenen arbeitet, die Brechungen, Gegensätzlichkeiten, Vexierbilder und der Witz in seinem besten Wortsinne werden hier erst recht transparent ausgekostet und ohrenfällig. Der Karneval der Tiere mag ein Scherz sein, aber er ist einer mit menschlicher, eigentlich tragischer Größe, denn am Aschermittwoch ist alles vorbei. Hier kann man es hören.