- Offizieller Beitrag
Es hätte gut sein können: der englische Harfenist und Continuo-Spieler, Ensemble-Gründer und Dirigent Andrew Lawrence-King, passionierter Kenner historischer Aufführungspraxis, sollte einen neu eingerichteten Lehrstuhl an der Hochschule für Musik in Detmold bekommen: Professor of Historical Performance Practice. Seit Ende Februar scheint die Sache für ihn fest gewesen zu sein. Nun hat aber, nach längeren Kommunikationsschwierigkeiten bzw. -pausen vonseiten der Hochschule und nachdem Lawrence-King mit Zeit und Geld klaren Plänen zu einem ersten Aufenthalt ab heute in Detmold gefolgt war, der Rektor Thomas Grosse vergangenen Freitag, sekundiert von Dekan Lindhorst, der noch zwei Tage zuvor das get-together bestätigt hatte, den Deal plötzlich in einer E-Mail platzen lassen, Erklärungen würden folgen.
Lawrence-King blowt nun die whistle und reagiert heute mit einem offenen Brief, der nicht nur seinem Ärger Ausdruck verleiht, sondern ein paar Einblicke in Strukturen der kulturellen und wissenschaftlichen Arbeit erlaubt - aus der Sicht eines erfolgreichen, etablierten, versierten Musikers. Wer es noch nicht wusste: so schöngeistig ist das alles nicht unbedingt, wenn es das eigene Leben betrifft. Das Durcheinander, das wohl mehr als eine Unhöflichkeit darstellt, trifft Lawrence-King auf Tour in Ecuador und in Trauer, nachdem am 20. März sein Vater gestorben ist. Dass die Abstimmung zwischen Prof. in spe und Hochschule so auseinanderlaufen konnte, obwohl ersterer als weltweit viel beschäftigter Musiker offenbar dafür gesorgt hatte, erreichbar zu sein, scheint ein Verschulden der letzteren zu sein, zumal King schreibt:
Detmold had advertised for a ‘high-profile performer‘: presumably they would expect such a person to be internationally active and fully booked months in advance, albeit someone planning to create space for the post, if offered.
Dem Musiker geht es trotz persönlicher Enttäuschung aber auch um ein Signal hinsichtlich des Umgangs mit Musikern, den Praktikern, seitens offizieller Stellen, den Theoretikern und Verwaltern:
Freelance musicians, especially those working in a foreign country, have very little power against established institutions. If they are mistreated, they do not have the resources to go to court; their careers may be damaged if they make any formal or public complaint. Some institutions even use the powerlessness of freelancers to frighten employed staff into compliance with unfair conditions. I know of many cases, involving myself and others, where institutions have mistreated musicians, knowing that there will be little resistance. I believe that I should tell this story, on behalf of other musicians who do not have the freedom to tell their own stories.
Neben einer ausführlichen Chronologie des Falles stellt er Fragen nach Inkompetenz, Leichtfertigkeit und Uneinigkeit. Ein aufgewühlter, aber sachlicher Text.
Eine eigene Beurteilung erlaube ich mir - bei aller klar verteilter Sympathie meinerseits - (noch) nicht. Aus Kommentaren zu dem offenen Brief gehen allerdings auch Hinweise auf in Deutschland schwierige Verfahrensweisen hervor und die Frage besteht, ob hier nicht auch bestehendes Recht missachtet wurde. Wir werden sehen, ob Detmold auf die Öffentlichkeit von Lawrence-Kings Position reagiert - und dann wird man sich auch ein Urteil bilden können. Nichtsdestotrotz: das halte ich für eine mehr als sehr verpasste Chance für die Kulturlandschaft und Alte-Musik-Szene in Deutschland.
Der lesenswerte offene Brief im Original wurde auf Andrew Lawrence-Kings Homepage veröffentlicht: https://andrewlawrenceking.com/2019/04/15/hoc…ess-or-divided/
Ebenso in seinem Facebook-Profil: https://www.facebook.com/andrew.lawrenc…303664766520594