Zum Beispiel Balthasar
Frankreich-Schweden 1966
Regie: Robert Bresson
Bresson war nie Teil einer filmischen Schule, nie der Drehpunkt eines Zirkels - er war stets sein eigenes Original und blieb wenig von seinen Kollegen beeinflußt. Aber genau diese Eigenwilligkeit hat großen Eindruck gemacht, auch wenn man ihn nie kopieren konnte. Es war nicht möglich, denn in seiner Wahrnehmung war er sehr spezifisch - und viele seiner Filme strahlen das aus. Wie auch dieser.
Ein Esel steht im Mittelpunkt, um den sich die menschlichen Tragödien abspielen - ein Tier, welches selbst Leid erfahren muß durch die Behandlungen seiner menschlichen Besitzer. Geschlagen, getreten, als Last- und Nutztier ausgenutzt, auch mal würdig behandelt, doch zumeist als Wesen zweiter Klasse betrachtet. Das Mädchen Marie begleitet ihn durch sein Leben - auch sie eine Geschlagene, Gedemütigte, die sich nie wirklich aus ihrer Lage befreien kann. Sie war bei seiner "Taufe" dabei, sie sieht ihn auf der Straße Brot austragen, sie kümmert sich um ihn, wenn sie ihn unter ihre Fittiche hat - nur zuletzt ist sie fort, als er von einem Grobian als Lasttier für Schmuggelware entführt wird; in den Bergen schießen die Zöllner auf sie. Balthasar bleibt allein zurück, tödlich getroffen von einer Gewehrkugel.
Dieser Film trägt etwas Bitteres in sich, denn die Menschen wirken selten wirklich freundlich oder fair. Das Leben hat sie hart gemacht, und ihre Unbeugsamkeit macht sie grausam. Maries Vater ist zu stolz, um sich gegen seine Nachbarn zu wehren, Maries Freund (der Grobian) interessiert sich nur für sein Wohl, ein Jugendfreund Maries schwärmt für sie auf eine Art, die sie nicht ernstnehmen kann. Ein Landstreicher wird unter Alkoholeinfluß zum Berserker, ein Bauer ist erfüllt von seinem Geiz, andere Menschen sind unbeteiligt oder desinteressiert. Das Leben ist ein Drama, weil niemand bereit ist, für den anderen einzustehen; die Tragödie wird erfüllt durch des Esels Tod - doch außer dem Zuschauer nimmt das niemand wahr.
Es ist typisch für solche Künstler wie Bresson, daß sie sich Sujets ausdenken, die normalerweise nicht für den Film taugen; doch ihnen gelingt meist das Kunststück, es zum Funktionieren zu bringen, weil sie eine strenge Konzeption ersinnen, die wenig Platz hat für Falschheiten. Zum Beispiel Balthasar ist sperrig, unangenehm, geradezu unversöhnlich in seiner Menschensicht, aber auf eine bestimmte Art auch befreiend. Man könnte den Esel tatsächlich als Sündenbock der Welt ansehen, der alles auf sich nimmt, um Erlösung zu bringen. Und Bressons karge filmische Art hält tatsächlich den Erbauungskitsch in Schach, reduziert ihn auf das Empfinden, daß der Tod eine Befreiung sein muß. Zumindest das Leid sollte irgendwann ein Ende nehmen dürfen.
Ich merke immer mehr, wie sehr mich solche Filme vor einer Verknöcherung bewahren, weil sie den Blick wieder aufs Wesentliche richten. Das Kino ist unglaublich breitgefächert, aber der Kommerz - dem das Kino nicht entgehen kann - fordert immer wieder Zugeständnisse an ein Profil, das sich als distanziert, hohl und unverbindlich erweist; und es fördert manchmal seltsame Blüten, in denen jede Art von Menschlichkeit zu effektvoller Staffage reduziert wird. Mir gefällt das nicht mehr, habe ich es doch zu häufig vor Augen gehabt. Man erlaubt sich, es als gegeben hinzunehmen, aber letztendlich sitzt man da vor seinem Fernseher und vertut zwei Stunden seines Lebens, um sich nachher zu fragen, wieso man es zuließ. Vor allem: es stumpft ab, und das darf nicht passieren.
Und dank Bresson muß es auch nicht passieren.
Grandios...