Yoricks Nachtgedanken bei Tage

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    Bundesregierung und Bundestag im Juni 2022: Man muss eine ganze Weile überlegen, bis man draufkommt, wer eigentlich gerade Bundeskanzler ist; der Grüne Anton Hofreiter leitet den nicht unwichtigen Ausschuss für die Angelegenheiten der EU mit einem Baby auf dem Schoß; der Wirtschaftsminister ruft wegen der angespannten Lage am Gasmarkt die zweite Stufe des Notfallplans Gas aus und fordert das deutsche Volk die deutsche Bevölkerung zum Sparen auf; die Außenministerin möchte schwere Waffen in die Ukraine liefern und am liebsten selbst mit Krieg führen; der Gesundheitsminister orakelt schon jetzt neue Fallzahlen für den Herbst herbei und in Kassel bei der documenta stirbt mal wieder die Freiheit der Kunst. Also alles wie immer, im Westen nichts Neues ...


    Die Bundesregierung 2023: Inzwischen weiß ich immer noch nicht, wer Bundeskanzler ist; aber ansonsten ist das Bild klarer. Wir haben einen Wirtschaftsminister, der glaubt, in der privaten Wirtschaft könnten Unternehmen mal für drei Monate schließen und dann einfach weitermachen; eine Außenministerin, deren politisch-historische Bildung unterhalb des Hauptschulniveaus mäandert und die statt interessengeleiteter Außenpolitik wie alle Welt und Amtskolleg*Innen eine wertegeleitete und feministische macht; eine Innenministerin, die von der Abschaffung des Rechtsstaates träumt und auf dem linken und islamistischen Auge blind ist; einen Gesundheitsminister, der nicht einmal mehr die Karikatur eines Menschen mit erheblichen sozialen und psychischen Problemen abgibt; eine Verteidigungsministerin, zu deren Auftritt und Worten an Silvester einem nun wirklich nichts mehr einfällt und ein paar weitere Minister und Ministerinnen, deren Namen und Aufgaben man nicht kennt. Einzige Ausnahme seines Namens wegen ist der Arbeitsminister; den kann man sich nicht ausdenken; der müsste eigentlich bei der CSU sein.

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    Wenn der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr hinreichend auszuüben vermag, um das Funktionieren des Rechtsstaates zu gewährleisten und sich die inneren Zustände partiell verschlimmern, dürfte es nicht lange dauern, bis sich Bürger zusammenschließen wie vor 100 Jahren in Bürgerwehren, Nationalgarden, Freikorps, Wehrverbänden, Kampfgruppen oder anderen paramilitärischen Verbänden. Das Hauptproblem wird dann aber die Wahl der richtigen Farbe für Hemden und Hosen sein, denn braun, schwarz, rot oder blau sind natürlich historisch verbrannt; grau und grün geht wegen der Nähe zu regulären Verbänden nicht; weiß taugt eher für Chorknaben oder Fans von Real Madrid und Leeds United; außerdem sieht man jeden Blutstropfen. Kräftigere Farben wie Orange und Rosa verweisen eher auf buddhistische oder homosexuelle Praktiken und sind daher ungeeignet für bärbeißige Volksgardisten; violett-lila kann ich nicht richtig einordnen. Man sieht schon, der bewaffnete Widerstand gegen das innenpolitische Chaos in einer Bundesrepublik mit schwacher Exekutive wird schon an der Farbenlehre scheitern.

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    Ein wie großer Fortschritt es war, dass Frauen Auto fahren dürfen und inzwischen auch können, kann man nicht genug betonen. Welche junge, jüngere, mittelalte und ältere Frau steigt heute nicht wie selbstverständlich in den Wagen und fährt los. Nicht nur, dass die Frauen dadurch selbstständig sind und ihre Freiheit genießen können; das ganze Familienleben wird einfacher. Mir fällt das eben nur auf, weil meine Mutter mit ihren 74 Jahren zwar eine Fahrerlaubnis hat, aber nicht wirklich fahren kann, sodass mein Bruder und ich jede Menge Fahrerei haben, denn sie will auch gerne daheim wohnen bleiben. Aber wie schön wäre es, sie könnte etwa morgen ins Auto steigen und zu uns fahren zu Silvester und Neujahr; aber das kann sie eben nicht und mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man aus dem Oberland nicht heraus. Also hole ich sie, hin und zurück sind das zweieinhalb Stunden; mein Bruder wird sie Mitte nächster Woche zurückbringen. Wir machen das gerne, gerade jetzt; zumal ich immer etwas zu holen habe; aber wie gesagt, eine fahrende Mutter würde manches einfacher gestalten.

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    Da wir es heute gerade von Entfreundungen hatten; ist mir aufgefallen, dass ich noch nie, auch nicht nach 2015 und 2020, jemanden aus politisch-ideologischen Gründen aus meinem Freundeskreis getilgt habe. Ich dagegen wurde von so einigen entfreundet, immer ohne jegliche Diskussion oder Kompromissbereitschaft. Und diese Burschen stammten ausnahmslos alle aus dem Lager, das sich mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung; der Klimapolitik, der Energiewende usw. identifizert und keinerlei Widerspruch duldet. Mithin sind es diejenigen, die sich für gut und edel und moralisch integer halten, die ohne mit der Wimper zu zucken, Menschen ihren Idealen opfern. Seltsam, oder?

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    Ich möchte aber anlässlich der Silvesterkrawalle 2022 noch zu Protokoll geben, dass es sich ...


    1. um Einzelfälle handelt

    2. die Migranten sehr viel Schlimmes erlebt haben daheim

    3. sie beim Integrieren hier nicht genug unterstützt werden

    4. sie sich nur gegen die Gefahr von rechts wehren

    5. man die Migranten nicht pauschal über einen Kamm scheren darf

    6. die deutsche Polizei ein Rassismusproblem hat

    7. man in anderen Kulturen anders feiert

    usw.


    Liste kann ergänzt werden ...

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    Und zuletzt: Schämen muss man sich ja weniger der Regierung, des linksliberalen Establishments und deren Medien; sondern der mündigen Bürger; die so etwa seit Jahren zulassen; an den Wahlurnen und auf der Straße. In anderen Staaten hätte sich die Zivilgesellschaft längst formiert und wäre die Probleme handfest selbst angegangen. Ich schwanke noch, ob ich uns wankelmütige Bundesdeutsche als besonders zivilisiert und pazifistisch oder feige und rückgratlos einschätzen soll.

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    Ich möchte überdies auf den Gedanken verweisen, was wohl passiert wäre; wenn besorgte biodeutsche Bürger oder gar Rechtspopulisten so gewütet hätten wie die Migranten in Berlin und sei es nur ein Zehntel des Ausmaßes vom letzten Wochenende?! Man möchte es sich gar nicht vorstellen; alle Politiker würden explodieren vor Besorgnis und Bestürzung; alle Medien würden ununterbrochen berichten; die Sozialen Netzwerke würden eine Kernschmelze erleben und der Ausnahmezustand wäre uns sicher.

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    Wir sprechen ja immer viel von Selbstreflexion, von selbstreflektierendem Denken und Verhalten; aber wenn wir ehrlich sind, ist es damit bei den meisten nicht weit her; die bloße Fähigkeit und schon das bloße Wollen zur Selbstreflexion sind nicht stark ausgeprägt bei der Mehrzahl der Menschen.


    Dabei ist sonnenklar, dass wir alle Produkte unserer Genetik und Sozialisation sind; niemand ist in dem Sinne frei und ohne Einflüsse. Ich zum Beispiel bin durch meine gesundheitlichen Probleme, meinen Phänotyp und überhaupt mein Äußeres, meinen wahrscheinlich angeborenen Pessimismus und Skeptizismus; meine Sinneslust und Freude am Lesen, Lernen und Denken ebenso geprägt wie durch die liebevolle preußisch-sozialistische Erziehung meiner Eltern; meine „kommunistische“ Jugend, die drei Jahrzehnte im Schuldienst; die Glücklosigkeit bei Frauen und die andauernde Erfahrung, dass Bildung, Wissen, Belesenheit in unserer Zeit und Gesellschaft keinerlei Rolle mehr spielen. All diese Dinge denke ich zwar nicht immer mit, wenn ich etwas bewerte; aber oft genug, um zu begreifen, warum ich was wann wie so und so einschätze. Hinderlich genug ist das in jeder Diskussion, wie jedes zu viel Nachdenken und jedes zu oft über den Tellerrand schauen und die Perspektive wechseln hinderlich ist für eine eindeutige und klare Weltsicht, zumal eine positive und optimistische.


    Was mir bei vielen Menschen fehlt, ist diese Einsicht in die eigene Determiniertheit und damit die Begrenztheit und Fehleranfälligkeit des eigenen Denkens und Wertens. Wir alle sind mehr oder wenig manipuliert vom Erbgut und den Umständen; jederzeit manipulierbar auf allen Ebenen; die Lehre von der Willensfreiheit ist natürlich eine reine Fiktion; wir Menschen sind nicht Herr im eigenen Haus, waren es nie. Mir ist zum Beispiel völlig klar, dass ich ganz anders ticken würde, wäre ich im Vollbesitz meiner körperlichen Kräfte; hätte ich in der Jugend mehr Erfolg bei den Mädels gehabt; würde ich nicht studiert haben, nicht die Wende am eigenen Leibe erlebt mit meiner Familie und so weiter und so fort. Ich hatte daher noch nie wirklich ein Problem damit, wie die Welt ist und wie die Menschen sind; mein Problem besteht immer schon darin, wie die Menschen in Doppelmoral und Heuchelei immer wieder versuchen, diese Realität zu leugnen und zurechtzubiegen; oft genug im Wissen darum, dass hier Lüge und Halbwahrheiten im Spiel sind.


    Was ich mir also wünschte von all denen, die ihre Positionen so vehement aus dem Glauben heraus vertreten, dass sie wissen, was wahr und unwahr ist; richtig und falsch, moralisch und unmoralisch, gut und böse; dass sie sich einfach mal Zeit nehmen und sich selbst prüfen und reflektieren, woher sie kommen, was sie ausmacht und wie sich das alles auf ihr Denken und ihre Positionen auswirkt. Das würde schon helfen, um die ganze Debattenkultur zu befrieden und zu entspannen.

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    Arthur Schopenhauer hat bereits um 1830 seine Eristische Dialektik geschrieben; ich habe diese Ausgabe, der Text ist aber vielfach greifbar, auch in den Werkausgaben. Neben den Aphorismen zur Lebensweisheit und Sammlungen "frauenfeindlicher" Sätze wurde er zum meistgelesensten Text des Philosophen. Dass wir in der BRD spätestens seit dem Herbst keinerlei Streitkultur mehr haben; keinerlei halbwegs sachlichen Diskurs mehr führen können, keine Diskussion ohne Alles oder Nichts und persönliche Beleidigungen und den Willen, selbst sofort beleidigt zu sein; ist inzwischen Mainstream. Eine Neuauflage der Eristischen Dialektik täte also not und die Kombattanten hier im Forum tun dafür schon lange eine ganze Menge:


    Allgemeine Richtlinien:

    - Man ignoriert die Wirklichkeit.

    - Man ignoriert die Argumente der "Gegenseite".

    - Man spricht dem "Gegner" Klugheit, Bildung, Wissen, Kompetenz ab.

    - Die zitierten "Autoritäten" der anderen werden per se abgelehnt.

    - Die Blätter, Blogs etc., in denen die anderen schreiben, werden per se abqualifiziert.

    - Die Aussagen der anderen werden aus dem Zusammenhang gerissen und kontextlos zugespitzt.

    - Pauschales und undifferenziertes Abhandeln von komplexen Gegenständen.

    - Behauptungen der Art, der andere würde allein festlegen wollen, was wahr und falsch ist.

    - Befürchtungen der Gegenseite werden als deren Wünsche umgedeutet.

    - Keinerlei Wille, die eigene Perspektive zu verändern.

    - Ergebnisse einer Diskussion stehen vorher fest.

    - Dumm stellen.


    Liste kann beliebig fortgesetzt werden.

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    Und, um wieder ernst zu werden; die Halbwahrheiten, Lügen; aus dem Kontext gerissenen Zitate, Fake News etc. sind doch nur die Spitze des Eisberges; der heute selbst für den intelligenten und gebildeten Rezipienten die Welt da draußen fast undurchschaubar macht. Entscheidender ist doch das Vorher; was zeigt man, was nicht; worüber berichtet man; worüber nicht; was wiederholt man; was nicht; was wird immer und immer wieder in den Focus gestellt; was ignoriert man oft oder sogar ganz. Hunderte Beispiele könnte man nennen, ja tausende und wahrscheinlich Millionen; wie der Aufmerksamkeitsfocus völlig unabhängig von der wirklichen Quantität und Qualität des Vorkommens einer Sache justiert wird. So schaffen Massenmedien Hand in Hand mit interessierten Kreisen eine digitale Welt von Bedeutungen; die mit Realität der analogen nur noch wenig gemein hat.

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    Dass die AfD nicht die Ursache der vielfältigen und komplexen gesellschaftspolitischen Probleme ist, sondern ein Symptom derselben; und sich bei einem Umdenken von CDU, SPD und FDP nur in Fragen der Migrations- und meinetwegen Klima- und Energiepolitik die AfD weder mehr im Bundestag noch in den Landtagen säße, weil sie nie die Fünfprozenthürde würde überwinden können; habe ich nun oft genug exploriert. Und je länger man fortfährt, die AfD und deren Wähler zu stigmatisieren, zu kriminalisieren, zu maßregeln, zu bevormunden, zu infantilisieren und moralisch abzuklassifizieren und man die Partei trotz Wahlerfolgen von bis zu 30 Prozent von jeglicher Regierungsbildung – und Verantwortung ausgrenzt, wird deren weiteres Erstarken zumindest im Osten nicht aufzuhalten sein, sondern noch befeuert werden mit ungewissem Ausgang.


    Nur in einer und vielleicht sogar entscheidenden Hinsicht haben die etablierten Parteien Hand in Hand mit den staatstragenden Mainstreammedien ihr Ziel erreicht, nämlich in Sachen innerparteilicher Personalpolitik und überhaupt bezüglich der Führungskräfte in der AfD, deren Fehlen eine Regierungsverantwortung zumindest in den einzelnen Bundesländern im Osten bislang nicht geraten erscheinen lässt. Das Problem ist ganz einfach; dass alle wirklich fähigen und intelligenten Politiker mit Kompetenz, Ausstrahlung und politischer Zukunft als Minister oder Regierungschef oder auch nur als Vorstand einer wichtigen und zentralen Behörde den Teufel tun werden und sich ganz offiziell für eine Partei engagieren, deren Leumund so schlecht ist und die so stark mit allen legalen und illegalen Mitteln bekämpft wird seitens der Altparteien, dass die Gefahren für das politische und auch private Leben für diese fähigen Köpfe einfach zu groß wären im Verhältnis zu ihrer vorgestellten Wirksamkeit.


    So wären diese potenziellen Kader prinzipiell im Stande, die ihnen zusagenden Themen des Parteiprogramms und auch neue und wichtige konservative sachlich und öffentlichkeitswirksam zu vertreten und auch jedes Aufkeimen brauner Randgruppen zu unterdrücken und zu marginalisieren; aber wer kann es ihnen verdenken; dass sie nicht den Schneid haben und nicht dumm und lebensmüde genug sind; um sich gesellschaftlich isolieren, sozial pauperisieren und überhaupt im Ganzen depravieren zu lassen; noch dazu von Leuten, deren Mittelmäßigkeit zum Symbol der Gegenwart geworden ist. Denn das ist das eigentlich Perfide an der ganzen Sache; dass ja auch die etablierten Parteien schon lange kein Personal haben; dem man Regierungsfähigkeit bescheinigen könnte.

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    Wie die eigenen Vorlieben so zu Stande kommen, ist ein eigenes, weites Feld. Ich arbeite schon länger an einem zusammenhängenden Text dazu; aber ich fürchte, der wüchse sich zum Buch aus und da hat Klaus Theweleit mit seinem großartigen „Tor zur Welt: Fußball als Realitätsmodell“ (2004) eigentlich alles gesagt, man könnte dem nur seine persönliche Note als Ossi hinzufügen.


    Was die Insel angeht, erinnere ich mich nur, dass, als ich Ende der 70er langsam den Fußball zu reflektieren begann, Liverpool und Nottingham Forest die ersten Vereinsnamen waren, die sich mir einprägten. Forest hatte gerade zweimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewonnen, das vergisst man sein weiteres Leben nicht. Zudem dieser Name, der jeder Leseratte wie mir wie Abenteuer in den Ohren klang, tagsüber zog ich mit Timur und seinem Trupp durch die Straßen der heruntergekommenen Viertel Geras; nachts las ich von Robin Hood und den Seinen im Sherwood Forest und ihrem Kampf gegen den Sheriff von Nottingham. Zudem war der BFC Dynamo so nah dran am Erfolg 1980 im EC I; auch das vergisst man nie. Ich habe den Schiebermeister ja nicht gehasst wie die meisten, weil er der bevorzugte Stasiklub war, der anderen Vereinen die Spieler wegschnappte; sondern weil er international nichts gerissen hat trotz der zehnjährigen Dominanz in der Oberliga.


    Liverpool hatte ja vorher diese Trophäe zweimal gewonnen, aber das war für mich Pimpf schon wieder fast mythisch weit in der Vergangenheit, sodass dieser Name für mich wie der von Real Madrid zu einer Art europäischen Vereinsfußballnationalmannschaft wurde; etwa so, wie die Bayern für mich auch immer eher eine Art deutsche Vereinsfußballnationalmannschaft waren statt ein normaler eigener Verein wie alle anderen. Zu Leeds kam ich klassisch über die Farben: ich suchte weltweit, wer wohl noch blau-gelb-weiß im Wappen trüge und um Leeds United rankten sich auf der Insel und in der DDR zahlreiche Legenden; es raunte mir romantischem Fußballneuling aus der jüngeren Europapokalgeschichte des FC Carl Zeiss Jena in die hellwachen gespitzten Ohren. Man darf ja nie vergessen, dass man in der DDR als Knabe und Jüngling informationstechnisch auf dem Trockenen saß; schon die „Die neue Fußballwoche“ war für mich in der Regel nicht greifbar und ich musste mich mit dem „Deutsches Sportecho“ begnügen, das aber inhaltlich mit der fuwo nicht mithalten konnte. Als nach der letzten Meisterschaft die Agonie des Vereins begann, verfestigte sich mein Interesse; es kommt mir heute geradezu symbolisch vor, dass Leeds der letzte Meister der First Division war; bevor die Dominanz von drei bis vier Mannschaften in der Premier League begann, zumal von fucking ManUnited und boring Arsenal.


    Ich hatte daher später kurz den FC Chelseas mit im Auge, weil er als erster in diese Phalanx eindrang; später ManCity; nun kommt Newcastle hinzu, das ich seiner nördlichen Lage und baumlangen Kerls auch immer mochte. Aber neben dem Wunsch, den schnellsten und besten Fußball der Welt zu sehen; und den sieht man in den letzten Jahren nun einmal leider nur in der PL; gehörte mein Herz immer auch den weniger bekannten Teams; etwa dem FC Southampton. Ich weiß noch genau, dass ich Anfang der 80er mal einen Beitrag im Westfernsehen sah; als nach einem Tor die Anhänger wie in italienischen Stadien im alten The Dell die Ränge hinabfluteten, was natürlich im St. Mary’s Stadium nicht mehr geht. Aber das hat mich so beeindruckt, dass ich seitdem auch die Resultate der Heiligen verfolge. In London mit seinem 20 Ligamannschaften waren es trotz der zum Teil sehenswerten Hooliganfilme weder Chelsea („The Football Factory“) noch West Ham United („Hooligans“) und trotz der lesenswerten Bücher weder Arsenal (Nick HornbyFever Pitch) oder gar Tottenham Hotspur (Briefwechsel zwischen Helene Hanff und Frank P. Doel); sondern immer die grauen Mäuse wie der FC Fulham oder Charlton Athletic; die ich ausdauernd beäugte; seit vielen Jahren nun auch Crystal Palace; ein Verein, der zeitweise unglaublich schönen Fußball spielt und im Verhältnis zu seinen Möglichkeiten sich staunenswerterweise so lange ganz oben hält.


    Meine neueste und wahrscheinlich letzte Liebe in England ist Norwich City. Der mir wichtigste deutschsprachige Schriftsteller der letzten zehn Jahre, W. G. Sebald, der Mitte der 60er nach England ausgewandert war; hat keine zehn Kilometer südöstlich der Hauptstadt Norfolks im Dorf Poringland gelebt und an der University of East Anglia als Professor für Neuere Deutsche Literatur gelehrt. Den Meister der Beobachtung, der Erinnerung und ästhetisierten Dokumentation kann man sich sehr gut an der Carrow Road vorstellen; zumal die Titel- und Erfolgslosigkeit des Vereins sehr sympathisch sind und er der Erzrivale von Ipswich Town ist, das in den 70ern einen guten Klang hatte in Europa.

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    3.17 Uhr nachts im nur online im Darknet empfangbaren Special von SRF Kultur mit einem virtuellen Klon von Barbara Bleisch:


    BB: Sehr geehrter Herr Yorick, sie sind ein völlig unbekannter und unbedeutender Niemand aus der ostdeutschen Provinz und schreiben in zwei ebenfalls völlig unbekannten und unbedeutenden Foren hin und wieder bis regelmäßig sehr streitbare Texte zu allen möglichen gesellschaftspolitischen Problemen, die kein halbes Dutzend User liest, von denen wenigstens viereinhalb sie komplett ablehnen; weshalb wir sie so verständlicher- wie nachvollziehbarerweise nicht eingeladen haben, sondern sie sich selbst; und wir dieses Gespräch nur führen müssen, weil wir sie verschiedener Gründe wegen nicht aus dem Stuhl und aus dem Studio bekommen.


    Yorick: Vielen Dank für die freundlichen Worte; Frau BB; sie können ruhig erwähnen, dass ich außerordentlich fett und hässlich bin; sie müssen keine Vorwürfe in Sachen Bodyshaming fürchten, über diese Sphären bin ich längst hinaus.


    BB: Ja, da haben sie sicher Recht; ich hatte selten ein so unattraktives und adipöses gegenüber; das muss ich schon zugeben; aber kommen wir zur Sache.


    Yorick: Ich bitte darum …


    BB: Beginnen wir mit dem Krieg in der Ukraine. Warum stellen sie sich vorsätzlich so quer und schwimmen gegen den Hauptstrom der öffentlichen Meinung in ihrem Land.


    Yorick: Ja, das beginnt damit; dass ich, wie jetzt auch, zu Beginn eines jeden Gesprächs über dieses Thema gezwungen bin, erst einmal klarzustellen, dass ich natürlich den russischen Angriff auf die Ukraine verurteile, insbesondere die Politik des russischen Präsidenten; meine Anteilnahme mit den Opfern des Krieges bekunde und auch sonst erst einmal sehr menschlich und moralisch reinen Tisch mache.


    BB: Ist das denn so verwerflich?


    Yorick: Natürlich nicht, es ist menschlich, allzu menschlich. Aber es muss eben von selbst kommen und wenn jemand nicht so beginnen, sondern gleich zur Sache kommen will, sollte man ihn nicht vorverurteilen. Genau das geschieht aber in der Öffentlichkeit. Dabei ist es doch selbstverständlich, dass ein zivilisierter und kultivierter Mensch mit einem fühlenden Herzen in der Brust, mit Empathie und Sinn für Gerechtigkeit; also einer mit Geist, Seele und Hirn Krieg und Gewalt prinzipiell ablehnt.


    BB: Wie ist denn ihre Position zur Sache?


    Yorick: Betont nüchtern. Mit dem Blick des Historikers lässt sich auch dieser Krieg nicht anders analysieren als all die anderen Kriege, die seit dem Ende des 2. Weltkrieges geführt wurden, immerhin je nach Gewichtung 200 bis 300. Jeder Mensch mit belastbaren Geschichtskenntnissen weiß, dass jeder Krieg Ursachen hat, die weit zurückreichen können und tief in bestimmten historischen und gesellschaftlichen Phänomen wie Entwicklungen wurzeln. Ein moralischer Begriff wie Schuld etwa ist völlig fehl am Platz, erst recht dann, wenn er einseitig angewandt und politisch-ideologisch instrumentalisiert wird.


    BB: Das heißt, sie wollen den Ukrainekrieg rein wissenschaftlich und objektiv betrachten; das menschliche Elend außer vor lassen?


    Yorick: Ja und nein. Natürlich prinzipiell vorurteilsfrei und sachlich in der Herangehensweise, aber immer eingedenk der Opfer vor allem in der Zivilbevölkerung; auch das ist selbstverständlich. Aber es kann eben nicht angehen, dass der Westen so tut, als wäre das Geschehen eine Einbahnstraße; Russland der Alleinschuldige, die Ukraine das Reich des Guten und der Westen voller Kreuzritter der Humanität.


    BB: Russland trägt ihrer Meinung nach nicht die Hauptschuld?


    Yorick: Wie gesagt, ich vermeide den Terminus Schuld. Aber natürlich trägt Russland die Hauptverantwortung für diesen Krieg; den es jederzeit beenden könnte. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Auch für Putin hätte es Alternativen gegeben, wie bedroht sich Russland auch fühlen mochte. Das heißt aber nicht, dass der Westen keine Aktie daran hat, dass dieser Krieg überhaupt geführt wird. Je nach Sichtweise und Bewertung gibt es hier eine Spannweite von fahrlässiger Ignoranz bis hin zu vorsätzlicher Kriegstreiberei.


    BB: Sie meinen also, dass der Krieg hätte verhindert werden können, wenn der Westen eine andere Politik gemacht hätte.


    Yorick: Ohne jeden Zweifel! Sehen sie, es ist doch von einigen viel klügeren Köpfen als mir schon mehrfach die historische Entwicklung seit dem Ende des Kalten Krieges nachgezeichnet worden und für jeden Historiker klar ersichtlich, welche europäischen und globalen Prozesse hier ablaufen. Russland ist ganz klar der Verlierer dieser Epoche und wird auch die Westbindung der Ukraine nicht verhindern können; aus dieser Einsicht in Notwendigkeiten resultiert meines Erachtens auch die besondere Aggressivität und Unberechenbarkeit des Kreml. Das ist aber keineswegs ein neues Phänomen, sondern charakterisiert die russisch-sowjetisch-russische Geschichte der letzten Jahrhunderte. Daher hätte der Westen nach dem Zerfall des Ostblocks eine Ostpolitik betreiben müssen, die Russland als essentiellen Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur begreift. Leider hat man das im Siegesrausch verabsäumt und ganz im Gegenteil sogar eine sehr offensive Politik gegenüber Russland betrieben.


    BB: Sie sprechen von der NATO-Osterweiterung?


    Yorick: Unter anderem und nicht nur. Ich weiß, dass es allgemeiner Tenor im Westen ist, die sicherheitspolitischen Sorgen, Nöte und Ängste Russlands nicht ernst zu nehmen und als unbegründet vom Tisch zu wischen. Wer aber als Diplomat ernstgenommen werden und erfolgreich sein will, wird sich in sein Gegenüber hineinversetzen können müssen. Es ist doch absurd, wenn eine Seite festlegt, ob und wann sich die andere bedroht fühlen darf. Fakt ist, dass Russland die Felle davonschwimmen; aber es ist und bleibt, auch wenn es keine Großmacht mehr ist; eine Mittelmacht mit den meisten Kernwaffen der Welt; fast 6000 Atomsprengköpfen. Allein aus diesem Grund verböte sich eigentlich jede Überheblichkeit des Westens.


    BB: Aber führt das nicht dazu, dass der Westen durch die Atommacht Russland immer erpressbar wäre?


    Yorick: Natürlich! Wie ebenso natürlich auch umgekehrt. Wenn man das hätte ändern wollen, hätte man über 30 Jahre Zeit gehabt, sämtliche Kernwaffen von der Erde zu tilgen. Daran bestand offensichtlich kein Interesse; auf keiner Seite.


    BB: Aber wie soll denn nun der Konflikt gelöst, der Krieg beendet werden?


    Yorick: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Für Russland wäre es eine schwere Niederlage, sich zurückzuziehen ohne Erfolge; es würde mit dem Rücken zur Wand stehen und noch gefährlicher werden. Der Westen besitzt meines Erachtens weder das Wollen noch das Fingerspitzengefühl für eine ausgleichende Politik nach dem Sieg der Ukraine. Ich bin fest davon überzeugt, dass zuallererst Signale der Art notwendig sind, dass der Westen mit den USA an der Spitze von seinem hohen Ross heruntersteigt und aufhört mit Moralpredigten und Schuldzuweisungen. Deutschland nimmt hier eine unrühmliche Position ein, indem es Russland trotz großer Risiken für die eigene Wirtschaft sanktioniert und alles Russische verteufelt; während alle anderen Kriege auf der Welt und besonders die der Amerikaner keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Diese Doppelmoral und Heuchelei stößt den Russen sauer auf und nicht nur denen. Es geht ja schon lange nicht mehr nur um den Krieg in der Ukraine, es geht um die Deutung der Welt und der Westen glaubt irrigerweise noch immer, er sei deren Nabel. Die Geschichte hat ihren eigenen Schritt und der hat nicht nur Russland hinter sich gelassen, sondern auch den Westen: Die Geschichte ist eben nicht zu Ende; genauso wie es Kriege immer geben wird und Religionen und Ideologien immer wieder erstarken werden.


    BB: das klingt aber sehr pessimistisch, ja deterministisch …


    Yorick: Das mag sein, aber auf dieser Basis ließe sich fortdenken und Frieden schaffen. Vor allem aber erst einmal den Tisch zimmern, an den man sich setzt und miteinander redet.


    BB: Glauben sie noch an Diplomatie und dass Reden hilft?


    Yorick: Unbedingt. Aber das muss eben offen und ehrlich und vor allem ohne jede moralische Attitüde erfolgen. Das funktioniert nur auf Augenhöhe und pragmatisch. Ich möchte daran erinnern, wie im Westen „Diskussionen“ zu den derzeit wichtigsten gesellschaftspolitischen Problemfeldern wie Migration, Klima, Energie, Krieg etc. geführt werden. Bezüglich des Krieges wird man Bilder von zerbombten Städten aufrufen und Frauen mit ihren Kindern inmitten der Trümmer; bezüglich Migration solche von zerlumpten Flüchtlingsfrauen mit Kindern an der Grenze, bezüglich des Klimas solche von verdorrten Landschaften und so weiter und so fort. Es beginnt immer emotional aufgeladen und rein affektiv. Damit macht man jede sachliche Argumentation von vorherein unmöglich und schafft ein Gefälle zwischen den Disputanten; denen, die sich moralisch und menschlich im Recht und als die Guten sehen; und denen, die erst nachdenken und dann Mensch sein wollen. Wir sind inzwischen schon so weit, dass jeder, der versucht, betont sachlich an ein Problem heranzugehen, per se verdächtigt wird, inhuman und unmoralisch zu agieren. Verständlich, denn wem würde nicht das Herz schwer, sähe er die hungernden Kinder in Afrika. Aber das globale Problem der Migration löst man nicht mit Gefühlen; sondern mit Taten, die durch Gefühle motiviert sein können, aber mit Verstand durchzusetzen wären.


    BB: Das klingt nicht so, als glaubten sie an diesen runden Tisch.


    Yorick: Es fällt mir wirklich schwer, daran zu glauben; weil sich die Fehlentwicklungen im gesellschaftlichen Diskurs inzwischen so verselbstständigt haben; dass sie niemand mehr kontrollieren kann. Das hat vor allem mit den Massenmedien zu tun …


    ….


    Buffering …

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    Nachrichten aus der Pädagogischen Provinz


    Das achte der zehn Gebote „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“, das etwa vom großen Bach in seinen Passionen thematisiert wird, müsste freilich längst novelliert worden sein und bezüglich unseres bundesdeutschen Schulsystems den Unterpunkt 8-1: "Du sollst nicht falsche Zeugnisse ausstellen über Leistungen, die nicht einmal annähernd erreicht und erbracht wurden!" enthalten.

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    Ich war am letzten Samstag zum Geburtstag meines Neffen in Jena. Es waren mehrere Erwachsene da, alles Akademiker, und einige ältere Schüler, alles Gymnasiasten. Abends gab es unter anderem Focaccia zum Essen; mir fiel dabei dummerweise Boccaccio ein und ich fragte als unterbeschäftigter Pauker gleich mal nach. Nicht einer der Anwesenden kannte den italienischen Dichter noch oder hatte vom Decamerone gehört, das ich passend zur Corona-Krise wieder einmal zur Hand genommen und zu weiten Teilen gelesen hatte. Ich will diese Art ernüchternder Erlebnisse eigentlich nicht mehr mitteilen, zumal das immer nach Besserwisser und Oberlehrer klingt und alle möglichen Menschen eben alle möglichen anderen Dinge wissen; aber es macht mich so unendlich traurig, zusehen zu müssen, wie eine ganze Epoche der abendländischen Kultur dem Vergessen anheimfällt.

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    Auf den Tag genau heute vor 80 Jahren kapitulierte die 6. Armee in Stalingrad und die Reste der einstmals stolzen und siegreichen Eliteeinheit, mit der der „Führer“ den Himmel stürmen“ zu können glaubte, die „Bezwingerin der Hauptstädte“, verließen in zerlumpten Kolonnen zu Fuß die Stadt an der Wolga einer ungewissen Zukunft entgegen. Ihr Schicksal würde dem der drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen gleichen, die man in deutschen Lagern verhungern ließ. Vollkommen erschöpft, unterernährt, erfroren, verwundet, krank bei grassierenden Seuchen sollten von den 100 000 Soldaten und Offizieren der Wehrmacht nur 6000 die Gefangenschaft überleben, die meisten starben schon in den ersten Wochen und Monaten nach der Kapitulation und so mancher der wenigen Überlebenden kehrte erst 1955 zurück, als Konrad Adenauer in Moskau vorgesprochen hatte.


    Während wir in den letzten Wochen die weiße Pracht und bei Schnee und Frost unser Leben genießen, lagen vor genau 80 Jahren unsere Großväter und Urgroßväter als Soldaten und Offiziere der 6. Armee in Stalingrad und kämpften gegen den Feind, den Hunger, die Kälte, Krankheiten um das nackte Überleben. Oft nur wenige Meter entfernt und genauso dem feindlichen Kugelhagel, dem Wetter, der miserablen Versorgungslage, den Seuchen und sinnlosen Befehlen ausgeliefert lagen die tapferen Rotarmisten; die genauso Großväter und Urgroßväter derjenigen Soldaten und Offiziere waren, die heute in der Ukraine Krieg führen müssen. Ist das noch eine Ironie der Geschichte oder blanker Zynismus? Wir Nachfahren hassen und verachten unsere Vorfahren und leben satt und selbstzufrieden mit den höchsten moralischen Ansprüchen in sozialer und politischer Sicherheit; die Nachfahren der siegreichen Roten Armee müssen auf verlorenem Posten mit der Waffe Leben nehmen und Leben geben, obwohl sie aus sozial und politisch wesentlich instabileren Verhältnissen kommen und sich niemals vor der Welt moralisch aufgespielt haben. Die Welt ist ein Rätsel wie der Mensch und die Geschichte ist ein Lehrmeister ohne Lehre.


    Die Schlacht bei Stalingrad war weder die größte noch die entscheidende Schlacht des 2. Weltkrieges und die bedeutendste auch nur, wenn man die Symbolwirkung und psychologische Komponente in den Mittelpunkt der Bewertung stellt. Aber genau daraus resultiert auch das Unbehagen und die Sicherheit selbst 80 Jahre danach, was deren Erforschung, Beschreibung und Einordnung angeht. In seinem in dieser Form einzigen Stalingrad-Buch schrieb der britische Historiker Antony Beevor vor einem Vierteljahrhundert: „Über eines allerdings kann es gar keine Diskussion geben. Die Schlacht bei Stalingrad bleibt ein derart ideologisch aufgeladenes und symbolisch wichtiges Thema, dass das letzte Wort darüber auch in vielen Jahren noch nicht gesprochen sein wird.“ (S.13) Er hat Recht behalten und letztlich hat sich die Lage sogar verschärft auf Grund der innen- und außenpolitischen Zustände besonders in Deutschland und Europa. So gibt es bis heute keine umfassende geschichtswissenschaftliche Monographie zur Schlacht von Stalingrad aus der Hand eines deutschen Gelehrten und eine romanhafte Erzählung im Stile der angelsächsischen Geschichtsschreibung gleich gar nicht. Kein deutscher Militärhistoriker, kein Allgemeinhistoriker; kein Wissenschaftler anderer Fachrichtungen, kein Journalist und sonstiger Kenner der Materie hat sich an ein solches Projekt gewagt; kein Schriftsteller oder Autor deutscher Zunge würde auch nur daran denken, Stalingrad zum Thema eines komplexen und umfassenden Gesellschaftsromans zu machen. Der unermesslichen Arbeit, die viele Jahre und vielleicht Jahrzehnte in Anspruch nähme, stünden schon während der Arbeit und erst recht im Nachgang der Publikation eine automatisierte Flut an unsachlichen und subjektiven Kritiken und Rezensionen gegenüber, die sich weniger aus Sachkenntnis denn aus ideologischen Vorbehalten speisten. Wer sollte der Mann oder die Frau oder das Autorenkollektiv sein, der oder die oder das sich solchen Fährnissen aussetzte?


    Natürlich wäre ein solches Projekt gigantisch: Zum einen wäre die Schlacht bei Stalingrad im Kontext des Ostfeldzuges und überhaupt des 2. Weltkrieges darzustellen; zum anderen müsste neben dem Blick auf Strategie und Taktik, Militärtechnik und Ausrüstung etc. die Operationsgeschichte, die selbst in den Handbüchern der Reihe „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ des Militärgeschichtliches Forschungsamt ein kümmerliches Dasein fristet, wieder so hinreichend ausführlich behandelt werden, dass eine militärwissenschaftliche, militär- und kriegsgeschichtliche Analyse und Wertung möglich wird; und zum dritten gehören inzwischen alle möglichen Fragen der Rezeption und Wirkung untrennbar zum Komplex Stalingrad. Das alles wird noch schwieriger, weil sich seit 80 Jahren bestimmte Wertungen zu handelnden Personen, militärischen Problemen und alternativen Konzeptionen verselbständigt haben und einen unbefangenen Blick kaum mehr erlauben. Jede umfassende Monografie hätte also unter anderem die Forschungs- und Quellenlange jederzeit streng im Auge zu behalten und müsste permanent zwischen Realität und Mythos zu scheiden versuchen, in dem die strittigen Aspekte möglichst in ihrer Komplexität, Meinungsvielfalt und ihren Interpretationsdifferenzen herausgearbeitet werden.


    Nur ein Beispiel: Der Oberbefehlshaber der 6. Armee Friedrich Paulus wird immer schon sehr kontrovers diskutiert, das beginnt mit den vielen negativen Stimmen in den Reihen der Wehrmacht bei seinen Installierung, setzt sich fort über seine „Hörigkeit“ Hitler als Oberstem Befehlshaber gegenüber; kulminiert in seiner Weigerung, sich das Leben zu nehmen als eben noch beförderter Reichsfeldmarschall und mündet als Epilog in seinem „Umfallen“ in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, seinem Auftritt bei den Nürnberger Prozessen und seinen letzten Lebensjahren in der DDR. Es gibt kaum eine Gruppierung, die nicht strenge und radikale Urteile über Paulus fällt; je nachdem, welchem Lager sie zuzuordnen ist und welche Perspektive man einnimmt. Eine rein sachliche und objektive Einschätzung seines Agierens als Heerführer in Stalingrad scheint so fast ausgeschlossen. Was die Rezeption angeht, sei nur an die drei bekanntesten Spielfilme der letzten 30 Jahre erinnert: Joseph Vilsmaier schildert 1993 eindrücklich das Elend der deutschen Soldaten, vernachlässigt aber die sowjetische Perspektive; Jean-Jacques Annaud konzentriert sich 2001 auf eine Westernkonstellation samt Liebesgeschichte und lässt die NKWD-Schützen hinter den eigenen Linien als schlimmer erscheinen als den Gegner, und Fjodor Bondartschuk konnte in seinem farbstichigen Heldenepos in der patriotischen Tradition Hollywoods der Versuchung nicht widerstehen, ein unfassbar einseitiges Bild zu zeichnen. Einige der Dokumentationen zum Thema sind da wesentlich aussagekräftiger: In einer von ihnen kommen zwei Überlebende zu Wort, beide Mitte 90; beide von Beginn an dabei. Es bleibt einem unbegreiflich, was diese Menschen durchgemacht haben und wie viel Glück sie hatten, dass sie das alles überlebt haben. Über 700 000 Menschen fanden in Stalingrad den Tod, die übergroße Mehrzahl russische Zivilisten und Soldaten, über 120 000 deutsche Soldaten. Dann die Gefangenschaft und die Lager mit dauerndem Hunger, Kohlsuppe, Krankheiten, Frost, Schlafen auf blankem Bretterboden oder allenfalls einer Lage Stroh, Arbeit unter unvorstellbaren Bedingungen beim Bau von Eisenbahnen in Sibirien, der Trockenlegung von Sümpfen, dem Fällen von Bäumen. Und dann kamen sie heim und waren fremd in der eigenen Familie und in eigenen Land, sprachen Jahrzehnte nicht über ihre Erlebnisse. Unvorstellbar! Wie können Menschen das aushalten.


    80 Jahre her und nichts gelernt, nicht der "Iwan" und nicht der "Fritz". Der eine steht auf verlorenem Posten in der Ukraine und tötet seine Mitbrüder und Mitschwestern des Brudervolkes und schaufelt sein eigenes Grab dabei; der andere liefert schwere Waffen an eine Kriegspartei und wird damit selbst zu einer. Ich hoffe nur, der erste von den über 6000 russischen Atomsprengköpfen berechnet sich noch in KT und nicht in MT und schlägt nicht bei uns in der Provinz ein, sondern hat geopolitisch und strategisch einen anderen Focus. Wenn ich nicht so viele Verwandte und Freunde in Berlin hätte und 300km einfach zu wenig sind bis hierher; hätte ich einen Vorschlag, bei dem sich gleich mehrere Probleme lösen lassen würden. Es ist schlimm, wie weit einen die Umstände und der Leichtsinn der Politiker in den Sarkasmus treiben.


    So sitze ich also hier und gedenke meiner Großväter und Urgroßväter; meiner Volksgenossen, wie das früher hieß; meiner Ahnen und Landsleute. Und der Rotarmisten, die auch Großväter und Urgroßväter wurden, sofern sie nicht zu jung waren, um vor der Katastrophe Vater werden zu können. Wer ist denn nun der Unmensch? Der, den die alten Toten nicht kümmern, der sie vergessen hat, ignoriert, verachtet oder hasst; dem sie gleichgültig sind, sofern sie nicht als Folie für moralische Überlegenheitsgesten taugen?? Oder der, der an sie denkt und weiß, dass sie auch für uns gestorben sind; auch wenn wir heute nicht mehr imstande sind nachzuvollziehen, was das fernab von Egoismus und strukturellen gesellschaftlichen Formationen bedeutet? Denn die wenigsten von denen, die in Stalingrad fielen, konnten die Weltläufte beeinflussen oder hatten den großen Über- und Durchblick auf und in die Welträtsel; die meisten waren Menschen, die in ihre Zeit gestellt wurden und die das taten, was sie für richtig und notwendig hielten oder dem sie nicht entkommen konnten. Ein Ehrenmal für alle in Stalingrad gefallenen Soldaten aller Nationen würde ich mitten in Berlin bauen lassen und dranschreiben: „Wir werden euch nie vergessen!

    • Offizieller Beitrag

    Bei dieser Gelegenheit fällt mir eine Episode ein, die ich verdrängt hatte und die sich vor einem Jesus-Christus-Lebensalter ereignet hat. Es war damals eine surreale Szene und im Rückblick ist sie es nicht minder: Auf dem Balkon des Studentenwohnheimes der kleinen Universitätsstadt saß überwiegend leicht bekleidet etwa ein halbes Dutzend Studenten des ersten Semesters früh am Morgen mit Bier und Tabak und trank und rauchte und schwieg und so ging das den ganzen Tag und die ganze Nacht. Einer, der Leader, hatte zu Beginn die Location mit der Losung „Stalingradatmosphäre“ gerechtfertigt, was niemand in Frage stellte, auch ich nicht. Ich vollendete gerade mein 19. Lebensjahr, die anderen waren alle zwei oder drei Jahre älter, weil sie bei der NVA, die sie Fahne oder Asche nannten, gedient hatten; meist, um den begehrten Studienplatz zu erhalten, obwohl eigentlich niemand von ihnen wirklich Diplomlehrer für Geschichte, Staatsbürgerkunde, Deutsch, Englisch werden wollte.


    Dieser Januar 1990 war in jedem Sinne eine Übergangszeit; die Mauer gefallen, aber die Volkskammerwahl stand noch an im März und die Einheit im Oktober ließ sich ahnen. An der Universität ging alles drunter und drüber, die Studienordnungen purzelten und wechselten einander in rascher Folge ab; die sterbende DDR strebte vergeblich durch eine Wissenschafts- und Hochschulreform mehr Autonomie, Selbstverwaltung, Modernität und Bedarfsorientierung an; scheiterte aber auch an der raschen Wiedervereinigung und der folgenden gnadenlosen Evaluation durch den Westen, die nicht weniger anstrebte und erreichte als die nahezu komplette Liquidierung der sozialistischen Intelligenz, eine Ausschaltung jeder Konkurrenz für die westdeutsche Wissenschaftspolitik, personell und institutionell. Niemand von uns, die wir bei Minusgraden und Schnee auf dem Balkon saßen, billiges Dosenbier tranken und abwechselnd unsere alten Marken und die neuen aus dem Westen rauchten, wusste, wie es weitergehen sollte; mit dem Land und uns ganz persönlich.


    Die Eltern einiger waren schon arbeitslos; fast alle ahnten, dass sie wohl nicht an der Universität und schon gar nicht in ihrem begonnenen Studiengang bleiben würden. Nach ihren besten Jahren, die sie der Truppe und dem Land, das es bald nicht mehr geben würde, geopfert hatten; standen sie nun vor einem Scherbenhaufen und einer völlig ungewissen Zukunft. Niemand von denen war ein Kommunist gewesen, niemand ein absolut staatstreuer Jung-DDR-Bürger; aber Agonie und Untergang trafen alle gleichermaßen. Das Ausmaß an Verzweiflung, Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit, Fatalismus und mentaler Paralyse lässt sich kaum besser einfangen als mit dem Kameraschwenk auf den Balkon. Natürlich schöpften manche später auch Hoffnung, ergriffen die Initiative und schlugen mit Engagement neue Wege ein als Autoverkäufer, Versicherungsvertreter, Jurist usw., aber noch nicht in diesem Januar 47 Jahre nach der zu Ende gehenden Schlacht von Stalingrad. Bis heute weiß ich nicht, warum genau unser Wortführer damals diesen Namen wählte für die stille Verzweiflung junger Menschen am Ende einer ganzen Epoche. Aber 33 Jahre später fiele mir auch kein symbolträchtigerer Titel für die Veranstaltung ein.

    • Offizieller Beitrag

    Wie so oft in der Geschichte der Menschheit ist es ein Kunstwerk, das die Fülle und Widersprüchlichkeit des Lebens symbolisiert. Der „Stalingradmadonna“ von Kurt Reuber kann sich bis heute niemand entziehen, der ein fühlend Herz, eine mitschwingende Seele und einen fasslichen Verstand sein eigen nennt. Weihnachten 1942 im Kessel von Stalingrad zeichnete der Arzt und Pastor mit Kohle Frau und Kind als Zeichen der Hoffnung, glückliche Umstände ließen das Bild den Weg nach Hause finden zu seiner Frau, seit1983 hängt es in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.


    Was macht eine so kluge und sensible Persönlichkeit wie Kurt Reuber, fromm und kunstbeflissen, in der deutschen Wehrmacht und was hat er in Stalingrad verloren? Nach dem Studium der Theologie, zu dem ihm Albert Schweitzer persönlich brieflich geraten hatte, als er ihn fragte, ob er dieser oder der Medizin den Vorzug geben sollte, trat er eine Pastorenstelle an und widmete sich trotzdem nun doch nebenher dem Studium der Humanmedizin und promovierte ein zweites Mal auch dort. Wie viel Kraft, wie viel Energie; wie viel Glaube und Zuversicht muss so ein junger Mensch haben, der auch noch die Zeit fand, seine künstlerischen Ambitionen zu pflegen mit befreundeten Malern?!


    Im Herbst 1939 schon rief das Vaterland und er, der den Nationalsozialisten von Anfang an feindlich gegenüberstand, entzog sich nicht. Als Truppenarzt wirkte er auf den Kriegsschauplätzen auf dem Balkan, als Seuchenarzt im Ostfeldzug. Seine Aufgaben waren kaum zu bewältigen, neben den stundenlangen Operationen und weiteren Pflichten in den weitläufigen und unüberschaubaren Gebieten milderte er auch, wo er es vermochte, die Leiden der russischen Zivilbevölkerung, die er auch zeichnete und in Porträts festhielt wie die weite russische Steppe unter vielen Himmeln. Im Januar 1943 ging er in Gefangenschaft mit seinem Kameraden, die er aufopferungsvoll pflegte, 1944 raffte ihn der Typhus dahin, er wurde 38 Jahre alt.


    In dem überaus großartigen Buch „Die Stalingrad-Madonna. Das Werk Kurt Reubers als Dokument der Menschlichkeit“, das in mehreren veränderten Auflagen von Martin Kruse, einem lutherischen Theologen und Bischof, herausgegeben wurde, kann man unter anderem die erhaltenen Briefe Reubers aus Stalingrad nachlesen, die uns diese große und ich scheue mich nicht zu sagen edle Persönlichkeit plastisch vor Augen stellen. Und vielleicht mag so mancher der Heutigen, der sich im Brustton der hohen Moral ein schnelles Urteil nicht etwa abquält, angesichts dieses Lebens und Sterbens ein wenig innehalten und nachsinnen über die Welt und den Menschen, die Geschichte und das Walten des Geschicks. Und wer hoffärtig bleiben will, der schaue sich die "Gefangenenmadonna" an, die ein Jahr später im Lager entstand. Wer dann nicht weint im Mitleiden und weiter verurteilt, dem ist nicht zu helfen; dem sei sein Gott gnädig.

    • Offizieller Beitrag

    In einer der letzten Folgen von SOKO Leipzig trägt sich der Sohn der leitenden Kommissarin nach dem Abitur mit dem Gedanken, für ein Jahr ins Ausland zu gehen, nach Australien. Japan oder Brasilien; bevor er sich an der Universität im Studiengang Sportwissenschaft einträgt. Er wolle erst einmal etwas von der Welt sehen und erleben, bevor er sich der Ausbildung widmet und alles in so festen Bahnen verläuft. So ist ja der allgemeine Tenor von jungen Erwachsenen; die Eltern haben, die ihnen das mit ermöglichen können; erst müsse man dies und das noch tun und erleben, bevor man dies und das mache, was die Eltern und Großeltern so haben machen müssen, Berufsausbildung, Studium, Erwerbstätigkeit, Familie, Ehrenamt und so weiter.


    Genau wie die hier schon verhandelte neue egoistische Ideologie der Work-Life-Balance begreife ich die Argumentation der jungen Leute nicht. Erst die Welt sehen und dann studieren und arbeiten? Erst einmal sein Leben genießen, bevor man sich fest an einen Partner bindet und eine Familie gründet? Erst einmal feiern und Fun und Spaß und Party und dann der Ernst des Lebens. Arbeit ja, aber viel mehr Leben und Freizeit? Was sind denn das für Maßstäbe?! Da rede ich also noch gar nicht davon, dass man eigentlich erst einmal etwas leisten und der Gesellschaft zurückgeben sollte, bevor man Ansprüche in Raum und Zeit stellt; sondern davon, dass doch auch die Ausbildung und das Studium Leben darstellen und wahrscheinlich sogar in ihrer intensivsten Form. Ich rede davon, dass einem doch nichts Besseres passieren kann; als einen Partner zu finden und Kinder zu bekommen; das ist doch das Leben in seiner Essenz schlechthin, warum sollte man das aufschieben? Warum trennt man Spaß und Beruf, Freizeit und Arbeit, Berufliches und Privates als ob das zwei völlig verschiedene Dinge und Sphären wären?


    Der Mensch ist doch kein gespaltenes Wesen und die allenthalben und überall von Marx sehr richtig beschriebene mehrfache Entfremdung hat schon die schlimmsten Folgen gezeitigt. Warum wollen die jungen Menschen das Leben nicht mehr als Einheit verstehen und separieren so sorgfältig das Eigene vom Fremden, das Private vom Öffentlichen, das Ich vom Gesellschaftlichen? Das kann nicht der Weg sein, nicht in einem komplexen Gebilde wie der bundesdeutschen Demokratie auf Basis des Kapitalismus. Mit 30 erst richtig zu arbeiten beginnen, mit 40 eine Familie gründen; dann halbtags arbeiten und mit Mitte 50 in den Ruhestand – das wird auf Dauer nicht funktionieren. Denn Staat und Gesellschaft brauchen mehr Engagement und die nun alternden Individuen verlieren den Kontakt zum großen Ganzen und werden auf Dauer immer unzufrieden und unglücklich sein, weil das Leben in der eigenen Blase, das Eingekerkertsein im eigenen Ich niemals der Weg sein kann.