Yoricks Nachtgedanken bei Tage

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    "Natürlich habt ihr keine Zukunft", spricht ein älterer Autofahrer sehr ruhig zu einem der angeklebten Wohlstandskinder, das ihm jenes hysterisch entgegenschrie, als es von wesentlich jüngeren und kräftigeren Verkehrsteilnehmern weggebracht werden soll. "Ihr seid verwöhnt, verweichlicht, dumm, faul, arbeitsscheu, undiszipliniert, unordentlich, egoistisch, aggressiv und feige zugleich. Wie sollte eure Generation nicht die letzte sein?! Dafür braucht ihr den Klimawandel nicht, das schafft ihr auch so; lange bevor auf dem Planeten die Lichter ausgehen. Wenn ihr wirklich etwas tun wollt, um als Generation und Gattung zu überleben; dann geht in die Schule und lernt fleißig; tretet den Lehrern und Politikern in den Arsch, wenn sie euch nicht genügend fördern und nicht genug von euch verlangen. Dann arbeitet nebenbei und engagiert euch sozial und gesellschaftlich; beginnt nachhaltig und rechtzeitig den gesunden Verzicht zu leben. Macht euch unabhängig vom Geld eurer Eltern. Mit einem Wort: Werdet erwachsen und erwehrt euch dann der frechen Vorwürfe eurer Kinder und Enkel mit Nachsicht, Geduld und mildem Lächeln." "Uns aber", der Mann deutet hinter sich zu den hupenden Autos und aufgebrachten Fahrern, "lasst bitte unsere Arbeit machen, damit ihr es daheim warm habt, euer Kühlschrank gefüllt ist; euer Handy-Akku auflädt und euer Fernseher flimmert. Wenn wir an etwas die Schuld tragen, dann daran, euch nicht erzogen und nichts abverlangt zu haben. Aber wir sind halt auch nur Menschen und wir lieben euch als Teil von uns selbst."

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    Nachrichten aus der pädagogischen Provinz


    Langfristige bildungspolitische Fehler in der Grundausrichtung


    Es gibt inzwischen unzählige gute Studien, Bücher und Analysen zur desaströsen Bildungspolitik der Bundesrepublik in den letzten fünfzig Jahren. Erziehungswissenschaftler, erfahrene Pädagogen mit Jahrzehnten Praxiserfahrung, Philosophen, Journalisten und viele andere kluge Menschen und Denker haben schlüssig dargelegt, warum wir in Deutschland inzwischen von der einst führenden Bildungs- und Kulturnation zu einer unterdurchschnittlichen im europäischen und internationalen Vergleich geworden sind.


    Unabhängig und verwoben mit Fragen der Finanzierung, der gesellschaftlichen Akzeptanz, der Ausstattung von Schulen und Ausbildung der Lehrer gibt es fundamentale Irrtümer und Grundannahmen, die aus einem Menschen- und Weltbild herrühren, dessen Ziele Egalitarismus und Demokratismus mit einer vernünftigen und vor allem zielführenden Pädagogik nicht zu vereinbaren sind.


    1. Leistung: Es wird viel zu wenig von Schülern und Studenten gefordert, weil man glaubt; das Leben der jungen Menschen damit zu beeinträchtigen und diese unglücklich zu machen. Wer wirklich etwas leistet und das meist aus sich selbst heraus, wird nicht belohnt.


    2. Selektion: Es findet keine Auswahl mehr statt, um die Begabten und Hochbegabten besonders zu fördern, dem Durchschnitt eine angemessene Ausbildung angedeihen und den weder Willigen noch Fähigen die Chance zum Scheitern zu lassen.


    3. Die Grundvoraussetzungen eines jeder kontinuierlichen Lernens sind Ordnung, Fleiß und Disziplin, weil nur diese für den Einzelnen wie die Gruppe eine Basis für einen gewalt- und konfliktfreien Unterricht bilden.


    4. Die Hauptverantwortung für den Unterricht und dessen Erfolg trägt der Lehrer schon von Amts wegen, für das er als gesetzte Autorität voraussetzungslos Anerkennung einfordern muss.


    5. Demokratische Mitbestimmung kann es per se aus dem Verhältnis Lehrer-Schüler heraus nicht geben, weil der eine etwas gibt und der andere etwas nimmt. Unabhängig von unzähligen Möglichkeiten, den Schüler in konkreten Fällen eine Wahl zu überlassen oder den Unterricht aktiv mitzugestalten, bestimmen Schule und Pädagogen den Bildungs- und Erziehungsprozess.


    6. Lehrer sind Vorbilder; sie leben beruflich und privat vor, was sie von den Schülern einfordern. Es gibt keine wirkliche Trennung zwischen der beruflichen und privaten Sphäre, wenn man den Menschen ganzheitlich versteht und Bildung damit auch.


    7. Gleichheit und Gerechtigkeit gibt es in dieser Welt und in keiner Gesellschaft in absoluter Art und Weise, auch und besonders nicht in der Schule. Diese Erkenntnis gehört zu den wichtigen, die jeder Schüler machen muss.


    8. Die Schule ist ein Abbild der Gesellschaft und vergrößert deren Probleme wie ein Brennspiegel. Darin liegen die Grenzen der Schule und ihre Chancen und Möglichkeiten.


    9. Die Erziehung der Schüler zu mündigen Bürgern mit kritischem Verstand und freiem Geist ohne Abhängigkeit von Autoritäten, Massenmedien oder Politik würde in letzter Konsequenz zu einer Hinterfragung des Kapitalismus als Gesellschaftsform und der westlichen Repräsentativen Demokratie als vernünftigste Regierungsform führen.


    10. Die Menschen sind weder frei noch gleich und sehr unterschiedlich. Bildung und Schule müssen dem Rechnung tragen und dürfen nicht ideologischen Vorstellungen gegenüber der unleugbaren biologischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit Vorrang einräumen.


    11. Alle Bildung in der Gegenwart ist das Ergebnis von vielen pädagogischen Bemühungen über Jahrhunderte und alle möglichen gesellschaftliche Systeme hinweg und daher sowohl als determiniert und als prinzipiell offen zu betrachten.


    12. Der Mensch hat sich anthropologisch betrachtet in den 300.000 Jahren seiner modernen Jetzt-Form und den letzten 5000 Jahren von Hochkultur und Zivilisation in seinen Wesenszügen nicht geändert. Jede Bildung muss diesen anthropologischen Konstanten Tribut zollen und darf keine utopischen und idealistischen Ziele verfolgen, weil dies unweigerlich in gewaltige Katastrophen von Gewalt, Zerstörung und millionenfachen Massenmord mündet.


    13. Jede Bildung muss nach Freud Kultur als Sublimation naturhafter Triebe verstehen und den jungen Menschen innerhalb des Zivilisationsprozess von der reinen Natur in die Gemeinschaft der Menschen überführen, ihn also formen und anpassen; aber ohne ihn ganz abzuschleifen oder zu brechen.


    14. Bildung bedeutet bei aller Homogenität des „Ausgangsmaterials“ und der erprobten Methoden immer die Anerkennung und Förderung des Besonderen, Heterogenen, Speziellen, Außerordentlichen, „Abnormen“ und also letztlich Nonkonformistischen. Ohne die Stromschnellen, Klippen und Fjorde verflacht und versandet jedes stromlinienförmige fließende Gewässer und trocknet schließlich aus.


    15. In Reichtumsgesellschaften mit großen sozialen Unterschieden ist das Erkennen und Fördern von begabten Schülern aus sozial schwächeren Schichten trotz aller angeblichen Transparenz des Bildungssystems nicht gewährleistet.

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    Die Erfurter Stadträtin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Laura Wahl fordert für Erfurt eine "feministische Stadtplanung", weil die Stadt von heute für den "weißen, berufstätigen, heterosexuellen Mann" geplant sei. Natürlich ist das keine Nachricht wert und man sollte dummdreister Frechheit nicht auch noch ein Podium bieten; aber offensichtlich fühlten sich einige vernunftbegabte und sensible Männer mit gesundem Gerechtigkeitsempfinden veranlasst, auf diesen Unsinn zu reagieren. So schreibt der Vorsitzende einer Wohnungsbaugenossenschaft Christian Büttner in einem offenen Brief an die Grünen: "Sie beleidigen, erniedrigen und hetzen offen gegen einen großen Teil der deutschen Bevölkerung und negieren sämtliche Leistungen, die explizit von genau diesen Menschen erbracht werden."


    Natürlich hat er Recht, aber ich hätte die Dame einfach ignoriert. Sie ist ein so typischer Fall unserer jüngeren Politikerinnengeschichte, dass künftige Soziologen sich schämen werden, darauf einzugehen. Aus wohlhabendem Hause in Südwestdeutschland, mal hier mal dort geschaut, natürlich das Studium abgebrochen, dafür studentische Vertreterin im Gleichstellungsbeirat der Universität Erfurt, frauen-, inter-, trans- und genderpolitische Sprecherin der GRÜNEN JUGEND, dann sofort Stadträtin, Abgeordnete im Landtag, Referentin in einem Ministerium. Fast 30 Jahre alt, keinen richtigen Abschluss und noch keinen Tag richtig gearbeitet, schon gar nicht ernsthaft über mehrere Jahre. Was soll man von so einer Frau erwarten?


    Mein Vorschlag: Wer sich über die „alten, weißen, heterosexuellen Männer“ aufregt, soll das gerne tun; aber auch künftig auf all das verzichten, was diese der Menschheit gegeben haben. Das mag beim schmerzfreien Bohren im Zahnarztstuhl losgehen, sich über das Auto fortsetzen und beim Handy enden. Natürlich sind das lediglich drei Beispiele von aberhunderten, tausenden, ja Millionen. Zunächst müsste also aufgelistet werden, was wir diesen „alten, weißen, heterosexuellen Männer“ verdanken und da geht es natürlich damit los, dass die Verächter dieser heute gar nicht am Leben und auf der Welt wären, hätten jene sich nicht zu Frauen hingezogen gefühlt und Nachwuchs gezeugt. Ich fürchte nur, dass Laura Wahl unterschätzt, was das für ihresgleichen hieße, wenn sie künftig die Errungenschaften nicht mehr genießen könnte. Mit dem Stadtleben, Nichtstun und große Reden schwingen ist es dann jedenfalls vorbei. Wäre doch glatt ein Stoff für eine Reality-Show im Unterschichtenfernsehen: „Frauen, die ohne alles leben, was alte, weiße, heterosexuelle Männer geschaffen haben“. Da würde ich glatt einschalten.

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    Nachrichten aus der Pädagogischen Provinz


    Kontinuität


    Kontinuität ist eines der wichtigsten Wörter in der Pädagogik. In der Bildungslandschaft der Bundesrepublik spielt sie keine Rolle. Bei den einfachsten Dingen geht das los: Ich schrieb kürzlich über den Rechtschreibunterricht und seine Möglichkeiten und Grenzen. In über einem Vierteljahrhundert Lehrtätigkeit an verschiedenen Schulen kann ich mich an keinen einzigen Fall erinnern, dass eine Klasse in den Hauptfächern wie Deutsch oder Mathematik über Jahre hinweg den gleichen Fachlehrer hatte. Gerade für die Klassenstufen 5 bis 9 wäre das so unglaublich wichtig. Und es ist auch nicht so, dass die Schulleitungen das nicht wüssten und wollten; allein, es geht schulorganisatorisch einfach nicht, weil immer Lehrer fehlen und man ständig gezwungen ist zu improvisieren, um den Unterricht überhaupt abzudecken.

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    Da ich es erst jetzt sehe: In Aachen hat Außenministerin Annalena Baerbock den Orden wider den tierischen Ernst bekommen. Ihre Vorgängerin, die Schauspielerin Iris Berben, hielt die Lobrede. Sie sagte, dass sie sich keine bessere Nachfolgerin wünschen könne, denn diese sei die perfekte Verkörperung einer modernen Politikerin, intelligent, empathisch, aufrecht und mutig, humorvoll und attraktiv, ohne Gedöns darum zu machen. Sie sende mehr positive Signale in die Welt als elf Halbstarke mit der Hand vor dem Mund. Ihre moderne Art der Kommunikation passe in die Zeit, sie ließe Dinge nicht im Vagen, sondern spreche sie direkt aus in einer den Menschen zugewandten Sprache.


    Ich kenne mich nun gar nicht aus mit den karnevalistischen Gepflogenheiten und wie man Büttenreden und so eine Laudatio zu verstehen habe. Iris Berben ist für mich wie für viele andere Altersgenossen auch seit Jahrzehnten eine besondere Schauspielerin mit Ausstrahlung, Geist und Charakter. Dass sie diese Worte wirklich ernst meint, kann ich daher nicht glauben. Andererseits wäre eine so bittere Satire auch nicht ihre Sache. Was soll ich nun glauben? Ist Iris Berben dement geworden? Leidet sie an Fehlwahrnehmungen und Realitätsverlust oder hofiert sie eine Geschlechtsgenossin und redet dem Establishment nach dem Mund? Das eine wie das andere bleibt für mich persönlich komplett unwahrscheinlich. Wer weiß Rat?

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    Es ist noch nicht gar zu lange her, da sprach in einem Interview ein jüngerer Mensch zum Journalisten auf die Frage, warum heute in der Öffentlichkeit so oft respektlos mit Polizei, Feuerwehr, Rettungskräften etc. umgegangen werde; dass heutzutage ein anderes gesellschaftliches Klima herrsche, man nicht einfach mehr so voraussetzungslos Autoritäten anerkenne; den Respekt müsse man sich immer erst verdienen. Da steht man dann mit seinem halben Jahrhundert und zwei Jahren auf dem Buckel, schüttelt den Kopf und denkt sich seinen Teil.


    Ich sehe mich verständlicherweise in der Tradition der Aufklärung und Kants berühmten Prämissen und eine gesunde Skepsis allen möglichen Autoritäten gegenüber liegt mir sogar im Blut, weil ich ein Querkopf und Querulant bin und selten mit dem Strom schwimme. Aber gleichzeig bin ich ein großer Fan davon, wenn Dinge reibungslos funktionieren; von der Kaffeemaschine morgens angefangen bis hin zu allen möglichen alltäglichen und gesellschaftlichen Prozessen. Ich frage mich demnach, wie beispielsweise Sicherheit und Notversorgung funktionieren sollen, wenn sich die Inhaber einer staatlichen Funktion erst bei diesen und jenen und vielleicht sogar allen Respekt verdienen sollen?!


    Ich habe solche Einlassungen abgewandelt in meinen knapp dreißig Dienstjahren an der pädagogischen Front immer wieder von Schülern und Eltern vernommen. Man schulde dem Lehrer nicht per se und automatisch Respekt, den müsse der sich erst verdienen. Mal ganz abgesehen davon, dass sowohl Schüler als auch Eltern persönlich sehr empfindlich sind, wenn ihnen dieser Respekt nicht voraussetzungslos entgegengebracht wird, ist den meisten heute nicht mehr bewusst, was zum Beispiel die Katholische Kirche seit zweitausend Jahren weiß und praktiziert und sich in vielen Nationalstaaten in die Behörden gerettet hat. Die Ansicht nämlich, dass das Amt den Mann macht und Respekt einfordert; selbst wenn der Mensch darin einmal fehlbar sein sollte.


    Das ist weniger eine Frage von Kadavergehorsam, Unterdrückungs- und Einschüchterungsmechanismen oder prinzipiell ein Signum totalitärer Polizeistaaten; sondern eine von Effektivität, Effizienz und Minimierung des Reibungsverlustes. Man vergleiche das mit dem Wolfsrudel: Die feste Hierarchie mit Alpha-Rüden und Alpha-Weibchen hat ja vor allem den Zweck, Ressourcen zu sparen; innere Spannungen abzubauen und gefährliche Auseinandersetzungen, die das Leben der Gruppe gefährden könnten, zu vermeiden. Wenn also gesamtgesellschaftlich Konsens ist, was ein Pädagoge können und erreichen soll, steht ihm von Amts wegen erst einmal eine Autorität zu, die nicht angemaßt ist, sondern von der Gemeinschaft und allen ihren Gliedern verliehen. Die persönliche Verantwortung und Befähigung steht damit nicht automatisch außerhalb jeder Kritik; ein wirklich schlechter Lehrer, der sein Amt nicht auszuüben im Stande ist; sollte irgendwann aus diesem entfernt werden.


    Ein schönes Beispiel für die Problematik ist die weltberühmte Aktion des Friedrich Wilhelm Voigt, der als „Der Hauptmann von Köpenick“ in Carl Zuckmayers Theaterstück in die Weltliteratur einging. Oft genug gedankenlos und banal als Verspottung des sogenannten Wilhelminischen Obrigkeitsstaates gedeutet und als Anprangerung des sogenannten Preußischen Militarismus; haben wir hier vielmehr einen Beleg für die Würde des Amtes vor uns.

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    Da sich die ganze Nation angeblich über Dieter Nuhrs neueste Satire aufregt, muss ich sie zunächst zitieren:


    "Nicht, dass sie das falsch verstehen, ich will mich nicht einreihen – und das meine ich ganz ernst – in die Reihe derer, die sie wegen ihrer Figur angehen. Ganz ernst. Finde ich geschmacklos, aber dass sich ausgerechnet Ricarda Lang traut, das Volk in Ernährungsfragen erzieherisch lenken zu wollen, das macht mir persönlich Angst. Weil: Die Politik wird für uns Komiker immer mehr zur echten Konkurrenz.


    Ich meine, er hat vergleichsweise zahm gesprochen. Wenn eine ersichtlich nicht nur adipöse, sondern fettleibige Politikerin für gesunde Ernährung von Kindern eintritt und Fastfood und Süßigkeiten in der Werbung verbieten lassen will, ist das doch schon keine Realsatire mehr, sondern Zeichen einer psychischen Erkrankung. Ich meine, was erwartet man denn? Ricarda Lang ist die Chefin der Grünen und präsentiert sich extrem offensiv in den Medien, dass sich da Leute genug finden, die sich über ihre Leibesfülle lustig machen, scheint mir evident, die Menschen sind so.


    Mir persönlich ist das egal, ich bin selbst übergewichtig und das nicht zu knapp, aber ich stehe weder in der Öffentlichkeit noch gebe ich immer vor Millionen wieder Beispiele meines politischen und intellektuellen Unvermögens. Wenn eine für jedes Auge sehr dicke Frau nun für gesunde Ernährung wirbt; was ich gut finde; und auf die Werbung beüglich ungesunder Nahrungsmittel Einfluss nehmen will, was ich auch gut finde, auch wenn es nichts ändern wird; darf man sich doch nicht wundern, wenn Kabarettisten das aufgreifen und das sogar nur zögerlich, weil die Realität kaum noch satirisch zu toppen ist. Wirklich krank ist doch dagegen, sich nach solchen harmlosen Äußerungen in Shitstorms zu ergehen.


    Es ist schon schlimm genug, dass man die Wirklichkeit nicht mehr benennen können soll: Wenn jemand dick ist, dann ist er eben dick; wo ist das Problem? Wenn jemand wie ich keine Haare mehr auf dem Kopf trägt, hat er eben eine Glatze. Wenn man Tatsachen in halbwegs neutralen Worten darstellt, ist das keine Beleidigung und schon gar keine Diskriminierung oder Body Shaming. Bezüglich der Adipositas ist das sogar hierzulande eine doppelte Heuchelei: Erstens ist die Fettleibigkeit eines der größten Probleme unseres Gesundheitswesens. "Nach Selbstangaben aus den Jahren 2019/2020 sind in Deutschland 46,6% der Frauen und 60,5% der Männer von Übergewicht (einschließlich Adipositas) betroffen. Fast ein Fünftel der Erwachsenen (19%) weisen eine Adipositas auf." Und zweitens ist der Schlankheitswahn der westlichen Welt doch kaum noch rational zu nennen; man schaue sich Filme, das Fernsehen, das Internet usw. an; nie war eine Zeit focussierter auf Gesundheit, Sport, Fitness, Schlankheit bis hin zu den Grenzen der Magersucht. Unter den Menschen ohne Kamera und Mikro sind Fette wenig gelitten, beinahe möchte man von einer Zweiklassengesellschaft sprechen; Fetten und Schlanken.


    Aber eine Adipöse darf nicht auf ihr Übergwicht, das jetzt Mehrgewicht heißen soll, angesprochen werden, das gehört sich nicht. Und wenn eine sehr dicke Politikerin in vollem Ernst von gesunder Ernährung spricht, soll man darüber nicht lästern dürfen? Das ist doch wohl ein Witz?!

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    Nachrichten aus der Pädagogischen Provinz


    Mit dem Abitur bescheinigt man einem jungen Menschen männlichen, weiblichen oder diversen Geschlechts die Hochschulreife. Darunter ist zu verstehen, dass man formaljuristisch die Berechtigung erlangt hat, an einer Universität oder Hochschule ein Studium zu beginnen. Die mit einer erfolgreich bestandenen Abiturprüfung erreichte Berechtigung besagt aber nicht, so der Gesetzgeber, dass der Abgänger vom Gymnasium eine menschliche Reife aufweist oder dass er in der Lage ist, das von ihm gewählte Studium erfolgreich abzuschließen. Eine Studienberechtigung bedeute keine faktisch gegebene Studierfähigkeit.


    Diese Einschränkung ist sehr weise, erspart sie doch dem Staat Billionen an gerichtlich erstrittenen Zahlungen. Dennoch geht man davon aus, dass ein Abitur den künftigen Studenten in die Lage versetzt, die ersten Semester an einer Universität halbwegs unfallfrei zu überstehen, weil er die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für ein Studium erforderlich sind (Schlüsselqualifikation), besitzt und auch das entsprechende Wissen (Bildungskanon). Ein Abiturient sollte inhaltlich-sachbezogen fachliche Kenntnisse aller Art besitzen, die Verkehrssprache beherrschen, Mathematisierungskompetenz, fremdsprachliche Kompetenz, IT-Kompetenz besitzen und eine Selbstregulation des Wissenserwerbs managen können. Methodisch-formal sollte er wissenschaftsbezogene Medien- und Methodenkompetenzen sowie Arbeitstechniken anwenden und nutzen; ein Differenzierungsvermögen (Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden können, Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen) aufweisen. Sozial sollte er Verantwortung übernehmen können und Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit aufweisen; personal stünden Ausdrucksvermögen, Bekenntnis zur Rationalität, Dispositionen wie Arbeitsdisziplin, Lernbereitschaft, Selbstständigkeit, Ausdauer, Genauigkeit zur Verfügung. Und natürlich stünden ihm wissenschaftspropädeutische Arbeitsweisen zu Gebote wie korrektes Zitieren, Quellenauswahl und -analyse, Hypothesenbildung, Methoden des Problemlösens, Verfahren der Datengewinnung und -auswertung, beobachten, messen, vergleichen, experimentieren, befragen, interpretieren usw. Und letztlich wären sie reif genug für ein selbstständiges Leben als Erwachsener innerhalb der akademischen Ausbildung, des studentischen Lebens und als mündiger Bürger einer demokratischen Gesellschaft.


    Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen. Man muss nicht im Einzelnen die vielen Klagen der Hochschullehrer bemühen über die Befähigungen ihrer Erstsemester oder die Klagen der neuen Studenten zitieren. Jeder weiß, wie es um die Reife und Studierfähigkeit bundesdeutscher Abiturienten bestellt ist. Da schon am Gymnasium weit über die Hälfte der Schüler eigentlich nicht in diesen Bildungsweg gehören, das Bildungsniveau extrem schlecht ist und die Anforderungen immer weiter heruntergeschraubt werden, entsprechen vielleicht noch 10-20 Prozent der Hochschulreifen den prinzipiellen Anforderungen an ein Hochschulstudium. Die unermessliche Majorität verfügt weder über eine Allgemeinbildung noch über irgendwelche belastbaren Kenntnisse, eine methodische und methodologische Befähigung und gleich gar nicht die persönliche und charakterliche Reife. Man muss es sogar ehrlich sagen, dass viele Schüler mit Abitur in der Tasche sich in die Phalanx der erwachsenen sekundären Analphabeten und Illiteraten einreihen, ja nicht einmal richtig lesen, schreiben und rechnen können. Wer es nicht glaubt, mache die Probe aufs Exempel; nehme sich ein Buch und ein paar einfache Rechenaufgaben und prüfe die Erstsemester auf einem beliebigen Campus. Er wird genügend finden, die nur radebrechend eine Seite laut vorlesen können und nicht in der Lage sind, eine Inhaltsangabe dieser zu bewerkstelligen; und die bei den einfachsten Rechenaufgaben scheitern. Sollte man dann doch ein paar Fragen stellen zur Geschichte, zur Kultur oder zum politischen System ihres Landes, wird man sein blaues Wunder erleben. Das durchschnittliche Erstsemester hat heute das Niveau eines Hauptschülers von vor dreißig Jahren, wenn überhaupt. Das Seltsame ist nur, dass, wer sein Studium nicht schmeißt oder hundertmal die Studienrichtung wechselt, es dennoch schafft und dann beginnen die Klagen der Arbeitgeber. Alle klagen: Lehrer, Dozenten, Vorgesetzte – aber niemand setzt die Selektion auf Leistungsbasis durch.


    Die Studenten selbst sind heillos überfordert. Zum einen natürlich intellektuell und bezüglich Wissen und Bildung; zum anderen aber auch in der Logistik und Planung ihres Studiums und selbst beim allgemeinen studentischen Alltag. Biologisch längst erwachsen sind die meisten noch Kinder, die ohne ihre Eltern nicht einmal die Universitätsstadt finden würden. Die wenigsten von ihnen wissen, was sie eigentlich wollen; haben ein Ziel vor den Augen und arbeiten zielgerichtet darauf hin. Sie sind vor allem eins, überfordert. Überfordert mit dem Studium an sich, dem Alltag zwischen Wohnheim, Hörsaal, Seminarraum und Mensa; den akademischen und studentischen Gepflogenheiten. In ihrer Reifegeschwindigkeit hätten sie bestenfalls mit 30 Jahren einen Staus Quo erreicht, der von früheren Generationen mit 18 Jahren erreicht worden ist.


    Seien wir doch ehrlich: Von einem Abiturienten erwarte ich, dass er die Anfangsgründe der höheren Mathematik berührt hat; seine Muttersprache fehlerfrei und fließend lesen und einen vorzeigbaren längeren und komplexeren Text in dieser verfassen kann; die wichtigsten naturwissenschaftlichen Grundlagen intus hat, um Probleme der Energie-, Klima- oder Umweltpolitik zu verstehen; eine europäische Kultursprache vollumfänglich beherrscht und sich in einer weiteren wenigstens verständigen kann; er die Mechanismen des politischen Systems der Bundesrepublik versteht, die wichtigsten geschichtlichen Aspekte der europäischen Gesellschaften kennt und sich mit Kunst und Kultur in dem Maße befasst hat, dass er aktiv oder passiv diese als Teil der eigenen persönlichen Entwicklung und Reifung begreift. Wer bitte von den über 250.000 Abiturienten jährlich entspricht diesen Erwartungen? Natürlich so gut wie niemand. Im Gegenteil lässt sich sogar sagen, dass selbst nach einem abgeschlossenen Hochschuldstudium mit dem akademischen Grad eines Bachelor, Master, Diplom man bei vielen diese Erwartungen nicht erfüllt sehen wird; ich bezweifle mittlerweile sogar ernsthaft, dass eine Promotion diese erfüllen würde.


    Bei diesem Befund darf man aber eines nicht vergessen: Die Schüler selbst sind mehrheitlich unschuldig! Diese Erkenntnis hat mich in meinen letzten Dienstjahren fast innerlich zerrissen; weil ich einerseits von meinen Ansprüchen an eine halbwegs klassische Bildung im Fahrwasser Hegels und Humboldts nicht lassen zu können meinte und in diesem Sinne meine Leistungsanforderungen ausbildete und auf ihnen bestand; andererseits ich aber auch glaubte, das vor den Schülern nicht mehr verantworten zu können, weil sie schließlich in eine bildungsverachtende Gesellschaft hineingeboren wurden, als Digital Natives im Ozean der Massenmedien, des Internets und Social Media unterzugehen drohten, eine hochkomplexe Freizeitindustrie mit Millionen Möglichkeiten ihnen kaum mehr Zeit ließ für Schule und Unterricht und zudem ein großer Teil ihrer Lehrer auch schon nicht mehr den klassischen Vorbildern genügte.


    Das Abiturzeugnis jedenfalls ist das Papier nicht wert, auf dem es steht. Das sagt einer, der drei Jahrzehnte aus nächster Nähe verfolgen musste, wie aus dem einstigen Ausweis künftiger Eliten ein beliebiger Konsumgutschein geworden ist.

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    Die Fallhöhe bildungspolitischer Diskussionen ließ sich den letzten Wochen und Monaten wieder an zwei Beispielen beobachten. In Thüringen kommt der Jenaer Uniprofessor für Sozialpädagogik und Ex-Bildungsstaatssekretär Roland Merten zu dem Schluss, Thüringen habe keinen Lehrer-, sondern einen Stundenmangel; weil die Lehrer mit fadenscheinigen Gründen zu wenig unterrichten und zu viele Abminderungsstunden in Anspruch nähmen. Es gab von kompetenter Seite hinreichend Reaktionen auf diese unfassbar dummdreiste Anmaßung, aber die Thüringer Zeitungen brachten das unkommentiert auf Seite 1 im großen Stil. Dass die „Studie“ wie immer nur die Unterrichtsstunden einrechnet und nicht die Vor- und Nachbereitung; ist ja schon ein Offenbarungseid an sich; dass man aber die Wirklichkeit geradezu ins Gegenteil verkehrt, lässt einem Vokabular der Kriminalistik in den Sinn kommen. Denn erstens gibt es für die wirklich zeitintensiven Tätigkeiten wie die des Klassenleiters schon lange keine Abminderungsstunden mehr; obwohl ein Lehrer, der Klassenlehrer ist, über das ganze Schuljahr hinweg hunderte Stunden mehr arbeitet als ein Kollege, der keine Klasse führt; und zweitens decken die, die man tatsächlich bekommt, nicht einmal einen Bruchteil der Zeit und Arbeit ab, die man investieren muss. Einen Referendar auszubilden etwa geht nebenher nicht; da steckt in der Regel fünfmal so viel Zeit drin als man mit einer halben Stunde pro Woche zugestanden bekommt, die noch dazu im Schulalltag versandet. Mit anderen Worten: Der Lehrermangel ist keine Fiktion, er existiert; und er wird auf dem Rücken der aktiven Lehrer ausgetragen.


    In Nordrhein-Westfalen will man wegen des Lehrermangels die Möglichkeit zur Stundenreduzierung zum neuen Schuljahr einschränken und damit die Möglichkeit zur „grundlosen Teilzeit“ beschneiden; schließlich ginge es den Lehren mit der lebenslangen Absicherung durchs Beamtenverhältnis, den langen Ferien und der im europäischen Vergleich sehr guten Bezahlung unglaublich gut. Man weiß wirklich nicht, was man als Lehrer mit Jahrzehnten Berufserfahrung noch sagen oder tun soll; die Stirn ist längst platt von den vielen Abdrücken der eigenen Hände. Die Arbeit des Lehrers wird nicht gewürdigt und als das anerkannt, was sie ist; eine außerordentliche Leistung an den Grenzen des Machbaren. „Grundlose Teilzeit“? In den späten 90ern wurden wir Lehrer mit teilweise semikriminellen Methoden in Teilzeit gezwungen, weil es angeblich zu wenig Schüler und zu wenig Lehrer gab; niemand kam damals auf die Idee, dass man mit kleineren Klassen vielleicht bessere Ergebnisse erzielen könnte. Und als wir uns endlich nach vielen Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen die Vollzeit erkämpft hatten, war zumindest in Korrekturfächern wie den meinen die Arbeitsbelastung nicht mehr zu stemmen. Man verzichtete daher freiwillig auf Geld und nahm spätere Renteneinbußen in Kauf, um sich gesundheitlich nicht zu ruinieren und die Qualität des eigenen Unterrichts aufrechtzuerhalten. Wenn von den Ferien nur zwei Wochen im Sommer übrigbleiben, in denen man nicht korrigieren und vorbereiten muss; man sonst jeden Tag bis in die Nacht am Schreibtisch sitzt und am Wochenende auch, dann stimmt etwas nicht mit der Arbeitsbelastung. Eigentlich müsste man den Staat verklagen, dass er einem das Geld nachzahlt, das man nicht verdienen konnte, weil es schlicht nicht möglich war.


    Aber man kann es drehen und wenden wie man will; die 26 Stunden Unterricht mit ihrer mentalen Beanspruchung von doppelt so vielen; die doppelte Anzahl Stunden, die man daheim nur Vor- und Nachbereitung braucht, die sogenannten unteilbaren Dienstpflichten (Dienstberatungen, Fachschaftssitzungen, Klassenkonferenzen, Klassenleitertätigkeit etc.); die Schülergespräche, Elterngespräche, Schulveranstaltungen, Absprachen mit Erziehern, Aufsichten, Projekttage, Wandertage, Klassenfahrten, Zeugnisse schreiben und Millionen Kleinigkeiten mehr werden einfach nicht anerkannt. Ich glaube, wenn man wie in dem Spielfilm „Die Truman Show“ von Peter Weir aus dem Jahr 1998 mit Jim Carrey in der Hauptrolle den beruflichen Alltag etwa eines Deutschlehrers über Jahre von morgens bis abends mit der Kamera verfolgen und ausstrahlen würde zur besten Sendezeit; die Leute würden es trotzdem nicht glauben, obwohl sie den Wahnsinn in der Schule miterleben können und die Nachtstunden am Schreibtisch.

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    Diese Woche wieder einmal Bildungsgipfel. Vierzehn Bundesländer schicken ihre Vertreter erst gar nicht, weil man eine Showveranstaltung mutmaßt, die Zeit zu knapp sei für ernsthafte Gespräche, das falsche Personal zugegen, keine Entscheidungen zu erwarten seien und überhaupt die Vorbereitung qualitativ nicht überzeuge. Man kann es den Ländern nicht verdenken. Die Kultusministerkonferenz demnächst wird da auch kein anderes Bild abgeben.


    Die Probleme liegen vor aller Augen: Drastischer Lehrermangel, desolate Ausstattung; unglaublich schlechte Ergebnisse deutscher Schüler im internationalen Vergleich. Bund und Ländern aber streiten sich, wer verantwortlich sei; denn im Föderalismus ist Bildung Ländersache. Ansonsten greift man auf bewährte Methoden zurück wie Thüringens Bildungsminister Holter, der möchte, dass die ohnehin schon am Limit arbeitenden Lehrer freiwillig noch mehr arbeiten, mehr Hybrid-Unterricht, also Schulstunden per Videoschalte stattfinde, Teilzeit vermindert, pensionierte Lehrer zurückgeholt und mehr Seiteneinsteiger eingestellt werden. Und natürlich wird eine hohe Kommission durch das Land reisen und die Schulen einem Qualitätscheck unterziehen.


    Was soll man dazu noch sagen? Keine Investitionen finanzieller oder baulicher Art, keine neuen Lehrer, keine Besinnung auf traditionelle und sehr erfolgreiche Bildungskonzepte. Jedes Jahr werden die Befunde schlimmer, aber die Bildungspolitik bleibt nicht nur die gleiche, sie intensiviert die alten Fehler noch. Während wir Geld in Milliardenhöhe für die Migrationspolitik und den fiktiven Kampf gegen rechts ausgeben, verrotten Schulgebäude und werden Gelder für Bildung gestrichen. Während wir uns Gedanken über Gender und geschlechtliche Identitäten machen, geht die klassische Bildung den Bach runter. Während alle pädagogischen Konzepte der 68er auf allen Ebenen versagt haben, verweigert man sich aus politisch-ideologischen Gründen der Rück- und Neubesinnung auf die Orientierung an einer angemessenen Anthropologie und der daraus folgenden Pädagogik. Die Lehrer, die noch da sind; werden kaputtgespielt; neue und junge abgeschreckt; die Bausubstanz verfällt stetig, die Ausstattung hinkt der Moderne weiter hinterher und die Leistungen der Schüler werden immer schlechter.


    Es scheint aber, da sich nicht Wesentliches ändert, der erklärte politische Wille der Verantwortlichen zu sein,

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    In seiner letzten Sendung hat sich Dieter Nuhr auch Sahra Wagenknecht vorgeknöpft, deren potenzielle neue Partei sich durchaus nationalsozialistisch nennen dürfte. Aber wie auch immer, der gemeinsame Nenner von Linken und Rechten sei Putin, der als Führer einer nationalsozialistischen Internationale fungieren könne. Und wenn Isabelle Casel von der Linken schreibe, man müsse nun nicht gleich wieder auf Hitler kommen, die Bombardierungen der Alliierten, die Deutschland in Schutt und Asche legten und vor allem die Zivilbevölkerung trafen, seien auch nicht richtig gewesen, Kriegsverbrechen gab es auf beiden Seiten und Gewalt führe nie zu einer Lösung, so Nuhr, sie, dann hätten die Amerikaner eben mal rechtzeitig um einen Gesprächstermin bitten müssen oder die Grenzen des Reiches bis sagen wir Stalingrad verschieben helfen. Man kann von dieser Geschichtsklitterung halten, was man will; es ist Satire, Kabarett, und daher erlaubt; immerhin sorgt es für Denkanstöße.


    Geradezu denunziatorisch aber fielen die Reaktionen auf die vierfache Oscarprämierung der Neuverfilmung von Remarques „Im Westen nichts Neues“ aus. Da kam ein Anti-Kriegsfilm offenbar zur falschen Zeit mit großem Erfolg daher. Claudia Roth meint, es sei der richtige Film zur richtigen Zeit; er zeige, so Kanzler Scholz, wie furchtbar und unmenschlich Krieg ist. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, der Film könne mit seinen vier Oscars als ein politisches Signal gegen den russischen Angriffskrieg verstanden werden. Hier drängt sich schon der Verdacht auf, dass man weder den Roman noch den Film kennt bzw. die hermeneutische Methode einer Hans-Georg Gadamer nicht verinnerlicht hat. Richtig abstrus wird es aber, wenn Offizielle darauf verweisen, den Film bitte nicht misszuverstehen als Friedensgebot um jeden Preis; es gebe schließlich gute und schlechte Kriege und man könne erst nach einem Sieg über Russland verhandeln. Man könne den 1. Weltkrieg an der Westfront nicht mit dem Krieg in der Ukraine vergleichen und was Verhandlungen brächten, hatte man an Hitler gesehen.


    Es hat sich eben nichts geändert. Da nun inzwischen selbst der letzte Historiker begriffen hat, dass dem 1. Weltkrieg mit Kriegsschuldfragen nicht beizukommen ist auf Grund der außergewöhnlich komplexen Konstellationen und ein Hitler ohne den Versailler Vertrag, der den nächsten Krieg schon in sich trug, niemals denkbar gewesen wäre; muten einen die ahistorischen und unwissenschaftlichen Einlassungen politischer Entscheidungsträger immer wieder grotesk und suizidal an. Aber da der Westen an Verhandlungen nicht interessiert ist, die Ignoranz den chinesischen Vorschlägen gegenüber zeigt es eben wieder, kann man die Botschaft eines Anti-Kriegsfilms nur umdeuten. Und die eigene Verantwortung am Ausbruch des Krieges verschleiert man nach wie vor gerne in stehenden Wendungen wie der vom „Russischen Angriffskrieg“ und der Weigerung, die historischen und aktuellen Wurzeln des Konflikts offenzulegen. Es ist erneut ein großes Plädoyer für die Kunst, hier die des Filmes, dass sie den Finger in Wunden zu legen versteht und die Herrschenden demaskiert.

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    Rezension: Barrie Stradling „Millwall for Life. Lebenslang Millwall,Trolsen 2007


    "Ein Mythos wird aus der Perspektive eines FCC-Fans besichtigt


    Zunächst einmal: Es ist ein wild zusammengeschustertes Buch, ein Flickenteppich erster Güte, heterogen, unorganisiert, redundant, ohne einen anderen roten Faden als die Liebe zu Millwall. Dazu die lieblose Aufmachung, der billige Satz, die unglaublich vielen Druckfehler und die zuweilen unerträglich banale Sprache und Argumentationslinie, denn Stradling verwechselt in seiner derb-platten Diktion allzu häufig eine antithetisch-ironische Schreibweise mit einer schablonenhaft-witzigen Working-Class-Primitivität, aus der uns nur sein Humor und seine herrliche Leck-mich-am-Arsch-Ich-bin-Millwall-Einstellung rettet. Man möchte glauben, das alles mache es zu einer Fehlleistung großen Ranges und doch hat es im Gegenteil das Zeug dazu, die Bibel der wirklichen und wahren Fußballfans zu werden. Im Grunde präsentiert sich das Buch wie der darin beschriebene Verein: Ein heilloses Chaos, das nur übersteht, wer die Liebe zu seinem Verein bedingungslos im Herzen (und in den Fäusten) trägt. Ein (Ab)gesang auf die klassische Fankultur und ein Denkmal des Guten, Wahren und Schönen, wie wir Fußballfans es verstehen.


    Erst im vierten Kapitel ('Meine Entschuldigung, jedenfalls') erhält der Leser Nachricht von der Motivation des Verfassers, überhaupt dieses Buch zu schreiben. Es ist, man hat es sich fast denken können, eine Folge der Lektüre von 'Fever Pitch' des Nick Hornby, eines weltweit zum Verkaufsschlager avancierten Fußballfanbuches, weil jener brave und biedere Bestseller massenkompatibel und jugendfrei dem englischen und internationalen Publikum zugemutet werden konnte. Mir der Wirklichkeit auf Englands Plätzen und Stehrängen hat das nach Ansicht Stradlings nur wenig zu tun. Und so meint er zur zentralen Szene: 'In Fever Pitch gibt es eine Szene, wo Arsenal in einem Entscheidungsspiel in der alten ersten Division an der Anfield Road antritt. Ich erinnere mich: Ich saß damals vor dem Fernseher. So wie Nick Hornby. Aber ich bin kein Arsenal-Fan. Würde Millwall um irgendeinen Titel in irgendeiner Spielklasse antreten ' dann würde ich zu Fuß dort hingehen und für das Ticket jeden aufgerufenen Preis zahlen.' Ein Buch über Auswärtsfahrten hat es also in bewusstem Gegensatz zu Hornby werden sollen und unter den Fingern wuchs es sich aus zu einem Kaleidoskop englischer Fankultur an der Basis, den beinahe täglichen Wahnsinn einer Fußballfanexistenz focusierend.


    Der Fußballfan und Autor Stradling selbst bleibt im ganzen Buch von nebulöser Gestalt, nicht greifbar, verortbar ' ein Charakter ohne Profil, weil uns Lesern schlicht und einfach vorsätzlich (?) die entsprechenden Informationen vorenthalten werden. Aufgewachsen in Stepney, im East End von London, wird der junge Mann inmitten eigentlichen West-Ham-Kernlandes zum Millwall-Fan sozialisiert, aber wo er genau wohnt und was er arbeitet und wie seine Familienangelegenheiten stehen, erfährt man gar nicht oder nur andeutungsweise. Nur Stück für Stück und nachdem man das ganze Buch gelesen hat, kann man sich das kleine Puzzle zusammensetzen, nach dem der Schreiber ein nicht gerade schlanker 100-Kilo-Mann mit Karateausbildung und Schwarzem Gürtel ist, der eine Frau hat, viele Freunde (die übrigens alle typisch englische Namen tragen und gleichfalls austauschbar und einander zum Verwechseln ähnlich sind), kein Auto; ein bodenständiger Typ mit schlichten Ansichten über den Fußball und das Leben überhaupt. Oft heißt es 'wir machten', oder die 'Jungs haben' oder einfach 'Millwall kam' und das 'Ich' verschwindet aus der Erzählung, so dass man bis zum Schluss nicht genau weiß, inwieweit der Autor als typischer Fan seines Vereins selbst in diverse Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans oder der Polizei verstrickt war. Er selbst spricht zwar davon, dass er nur aus Verteidgungsgründen kämpfe und nur einmal in wirkliche Schwierigkeiten geraten sei, allerdings sprechen viele beschriebene Szenen und Konstellationen zwischen den Zeilen eine ganz andere Sprache. Wenn Stradling auch nicht unbedingt zu den ganz bösen Jungs, die nur auf Randale und Gewalt aus sind (Kategorie C bei uns), gehörte, zählte er ganz sicher in den enormen Graubereich jener, die je nach Situation und Stimmung heftig mittaten (Kategorie B bei uns) und sich so einbrachten, dass kein Auge trocken blieb. Die seltsame Unbestimmtheit und Vagheit in dieser Richtung hängt ganz sicher mit sicherheitstechnischen Erwägungen und einer Vorbeugung nachträglicher Strafverfolgung zusammen.


    Die im Titel des Eingangskapitels 'I was born Under The Cold Blow Lane' mythologisierte Millwallrekrutierung entzaubert der Autor nur wenig später reichlich proletarisch und macht uns dann mit seinen philosophisch motivierten Prinzipien bekannt: '1. Glaube nicht daran, dass Millwall jemals längerfristigen sportlichen Erfolg haben wird. ['] 2. Unterstütze die Mannschaft lautstark und mit aller Kraft, was immer auch passiert.' So lapidar lässt sich das wirklich ausdrücken, wenn man in England nicht zu den großen Vier gehört oder in Deutschland Bayern München heißt. Dieses Credo sollte für alle Fans aller Vereine in der Welt gelten, wobei freilich der totalen Erfolglosigkeit eines Milwall die einstigen Meriten etwa des FCC vorzuziehen wären.


    Wer etwas über den wahren Charakter des klassischen Millwall-Fans erfahren und die berühmt-berüchtigte Atmosphäre ihres Stadions erhaschen will, wird im ersten großen Kapitel 'Trautes Heim, Glück allein 1. Das Old Den' fündig und reichlich entlohnt. 27 Jahre lang dauerte die persönliche Beziehung des schreibenden Millwall-Fans zu seinem Stadion, dem für jeglichen Gegner furchteinfößenden Old Den. Er beschreibt präzise die triste und eher traurige Architektur, deren Stehränge im Zusammenhang mit einer beinahe kompletten Überdachung der ebenfalls beinahe zusammenhängenden Blöcke und der fanatischen a-sozialen Anhängerschaft eben jenes unverwechselbare Fluidum schuf, aus dem ein ganzer Mythos geboren wurde. Der alte Tempel von Millwall galt wohl zu Lebzeiten eingestandenermaßen als lautestes Stadion der Liga, nur gefolgt oder gar übertroffen vom Ninian Park. Da war alles primitiv, ohne Glanz und Glamour; alles baufällig, alt und verschmutzt; vom Service heutiger Tage keine Spur. Aber auch keine Zuschauertrennung, Alkohol in Strömen, nur wenige Sitzplätze, Leute, die während des Spiels durch Zeitungen auf die Ränge pinkeln, keine vernünftigen Fanshops. In der Halbzeit wechselten ganze Fanscharen die Stadionseite, um weiterhin ihre Mannschaft auf sich zuspielen zu sehen. Was Stradling höflich und zurückhaltend mit 'Wir hatten ein paar höchst ungastliche Heimrituale' (S.21) umschreibt und hernach genauer ausführt, bedeutete eigentlich nichts weiter, als dass man als Gästefan entweder vor dem Spiel, währenddessen oder danach fürchterlich aufs Maul kriegte oder am Besten entweder incognito und also unerkannt oder noch besser gleich dem Den fernblieb. 'Die kompakte Natur des Grounds, die Nähe zum Spielfeld und feindselige, aggressive Heimfans machten den Aufenthalt für jeden Gästefan- und spieler zu einer unangenehmen Erfahrung.' (S. 19) Die Palette reichte von normalen Schlägerein über Verbrennen gegnerischer Fanutensilien, die auch gerne zum Blutaufwischen genutzt wurden, bis hin zu Platzstürmen und gar zur Erstürmung der Gästetribüne. Man war auch nicht faul und sich nicht zu schade, in Richtung eines der großen Londoner Bahnhöfe gen Osten zu fahren, um sich dort mit den Fans anderer Vereine der Hauptstadt zu schlagen, wenn in oder um Old Den nichts Zufriedenstellendes in dieser Hinsicht gelaufen war. Um so erfrischender liest man dann im Folgeabschnitt 'Trautes Heim, Glück allein 2. Das New Den' vom Umzug ins New Den und den damit verbundenen Umstellungen, der architektonischen Allerweltskost mit den Sicherheitsauflagen moderner Zeit, von den zunächst auch zu erkennenden Stimmungseinbußen ' aber all dies tut der Autor, ohne in nostalgisches Schwärmen zu geraten. Stundenlanges Stehen, eingeschränkte Sicht, Drängelgitter, Traversen, Wellenbrecher, uneben abfallendes Gelände, glitschige hartkantige Stufen, kaputte Terassen Einlassdrehkreuze, enge Gänge ' die Freuden der Stehränge kann nur der blinde und taube Nostalgiker ohne Hirn und Herz wirklich unbefangen preisen. 'Man verstehe mich nicht falsch: Ich liebte unser altes Stadion leidenschaftlich, so sehr vermutlich wie jeder Löwe, und wollte es um alles in der Welt nicht aufgeben ' aber unser neues Stadion ist schlicht und einfach besser '' (S.62) Eine solche Haltung sei allen Sportfeldpuristen mit riesigen Lettern ins Stammbuch geschrieben. Aller Anfang ist nach jedem Umzug schwer, aber man kann sich auch an das Neue gewöhnen, denn letztlich ist der Ground Nebensache, wenn nur der eigene Verein da spielt. 'Die Wahrheit ist schlicht: Mir ist das Stadion eigentlich ziemlich egal, solange es Millwall ist, das darin spielt.' (S.63) Und allzuviel hat sich ja auch im Umfeld nicht geändert, die beigegebenen Bilder von der Umgebung und den Zufahrtsstraßen lassen den bürgerichen Betrachter schaudern angesichts der Spuren von Verfall und Elend. 'Davon abgesehen, und wie bei den meisten innerstädtischen Vereinen, ist der Charakter des typischen Millwall-Fans schlicht ein Spiegelbild seiner Umgebung. Ich bin, persönlich gesprochen, wirklich glücklich darüber, dass man bei uns immer noch das Kind beim Namen nennt, und man darf davon ausgehen, dass die Leute, die den Fußball und seine Fans in die Hände der Yuppies überführen wollen, bei uns sicher jede Menge Arbeit haben werden. Fußballstadien und harter Kern der meisten Vereine finden sich immer noch meist in den weniger begüterten Gegenden der Städte. Ist also der Trend, neue Stadien an der Peripherie der Stadt, in den Randbezirken zu bauen, ein Versuch, den innerstädtischen Einfluss zu schmälern? ' (S.56)


    Das mir liebste Kapitel des ganzen Buches trägt die Überschrift 'Zeit für Karaoke' und demonstriert eindrucksvoll die hohe Kunst des Schmähens, der Pöbeleien, Demütigungen und Beleidigungen der gegnerischen Fans, welche die Millwallanhänger in jahrzehntlanger Übung zu kristallener Vollkommenheit entwickelt haben. Ihre unendlich sich fortspinnende Kreativität, wenn es darum geht, die Spieler und Anhänger der Gastmannschaft geplant oder spontan psychologisch (und später zuweilen auch physiologisch) zu demontieren, mutet nahezu schon legendär an, ist aber ein Signum des insularen Fußballs überhaupt und lässt sich in dieser Art und Weise in der politisch allzu korrekten Bundesrepublik Deutschland nur sehr selten bis gar nicht mehr finden. Da gibt es keine einfallslosen Sprechchöre und Lieder, wie sie unsere Ultras unverändert und der Situation auf dem Platz und auf den Rängen unangepasst in Endlosschleife vor sich hin trällern, wie die Ultras ja überhaupt in England keinen Fuß auf den Boden kriegen, was ich irgendwie dennoch eher sympathisch finde, weil es einiges über die Leidenschaft und den Charakter der Briten aussagt. Verbalarlarm gilt bei Millwall für jeden Gegner und nichts ist dazu beser geeignet, als uralte Vorurteile und Pauschalisierungen lautstark zu bekräftigen: So sind die Leute im Norden eben beschränkt, auf dem Land ficken sie Schafe und jeder süße Blonde ist eine Schwuchtel. Keine menschliche Besonderheit, die man nicht zu nutzen verstünde ' zu klein, zu fett, zu hässlich, zu glatzköpfig, zu behaart, zu doof, zu große Nase etc.pp. Das alles lässt sich trefflich ausschlachten und persönlich ummünzen, sei es auf den Schiedsrichter, die Ordner, Spieler oder jeweiligen Fans. Nebe dem Standardrepertoire ist hier in der konkreten Situation Schöpfergeist und unbefangenes Rausbrüllen gefragt. Tabus gelten hier nicht und da wird dem Gegner schon mal dessen jüngst verstorbener einstiger Starspieler lauthals geschmäht, soziale Anspielungen gehören in einer stark differenzierten Gesellschaft natürlich auch dazu, immer wieder auch sexuelle, die nicht davor zurückscheuen, die Gattin des jeweiligen Vereinspräsidenten hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Präferenzen bloßzustellen. Die anderen sind immer provinziell, zu wenig, hässlich, arm, schwul, Sodomisten, Wichser, Kinderschänder, Pantoffelhelden, Männer, die ihre Frauen schlagen oder von denen geschlagen werden, debile Schwachköpfe, Braunlippen, Nazis, Kommunisten, Christen, Penner, Arschlöcher, Perverse, Obdachlose, Asoziale, Asylanten, Nigger, Albinos, Krüppel, Schwanzlutscher. Schwanzvergleiche und Prügelandrohungen runden das Bild ab, das den meisten unserer modernen Zeiss-Fans wohl nicht mehr opportun erscheinen mag. Aber der Autor selbst hat lediglich in einem eigenen Kapitel der Liverpooler Opfer von Hillsborough gedacht und die dummen Pöbeleien einiger Millwallfans dazu verurteilt. Ansonsten aber gehört genau das zum Fußball wie das Salz aufs Frühstücksei, denn Fakt ist, dass genau jene Schöpferkraft auf den Rängen in Sachen Verbalinjurien die Brisanz der Spiele ausmacht und zum Anheizen der Stimmung ausnehmend gut geeignet ist. Dazu gehören auch Utensilien, die den Gegner veralbern und man muss sich beim Fußball nicht über jede Banane oder jeden Affenlaut künstlich aufregen und einen politisch-ideologischen Staatsaffront daraus machen. Und wenn es nicht gerade ein zischendes und Gasaustritt imitierendes Geräusch ist, wie man es den Tottenhamfans gerne zukommen lässt, ist die Grenze des Erlaubten und Erlaubbaren relativ weitgesteckt, denn das Stadion ist kein rechtsfreier Raum, aber doch die letzte Bastion archaischen und unreflektierten Kriegsgeschreis, das, um der eigenen Angst Herr zu werden, dem Gegner aus vollen Kehlen an den Kopf wirft, was nur so geht und menschenmöglich wie daher nur allzu menschlich ist. Wer die Kunst des Pöbelns und Schmähens beherrscht, hat schneller einen Hexenkessel im heimischen Ground und auch auswärts, als wenn alle Ultras der Welt alle möglichen Lieder singen, die lediglich den eigenen Verein supporten und auf die moralische Niedermachung des Gegners durch Wort gewordenes Unrecht verzichten. Wo man auf den Tribünen mit Worten psychische Gewalt ausübt, bleibt wenig Kraft mehr für physische Gewalt nach dem Spiel.


    Das Kernthema Millwall und Gewalt, Hooliganismus in Englands Stadien, arbeitet das Kapitel 'Indianer auf den Hügeln' ab, wobei die Gewaltspanner richtigerweise zu kurz kommen, denn Stradling geht in seiner unnachahmlichen ironisch-sarakastischen Art eher auf die äußeren Umstände als die konkreten Kampfhandlungen ein. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm aber die Charakterisierung dessen, was er als die Kategorie 'feindseliges Stadion' (S.147) und als totalen Gegensatz zum Familienklub definiert. Neben Millwall ' das wissen wir aus den ersten Kapiteln ohnehin - gehören für ihn in London Chelsea und Westham dazu. 'Die meisten größeren Städte haben mindestens ein Team, bei dem es ungemütlich zugeht: Birmingham City, Leicester City, Wolves, Stoke City, die beiden Manchesters, Leeds United, Bristol City, Newcastle und Middlesbrough sind nur einige, die einem da so einfallen.' (S.147f.) Der FC Carl Zeiss Jena ist sicher kein Familienklub wie etwa Fürth, aber leider gehört ja auch das Ernst-Abbe-Sportfeld nicht unbedingt in die Kategorie der bösen Ränge - da muss man im Osten schon nach Dresden oder im Westen nach Essen reisen, es sei denn, es ist Derbyzeit. Was Millwall zusätzlich auswärts noch so an Restriktionen durch die Polizei und die örtlichen Behörden erdulden musste und muss, kann man hier des Weiteren nachlesen und ein weiteres mal erhält man Gelegenheit mit dem Autor nachzusinnen, inwieweit der Ruf von Millwall doch eher ein Produkt der Massenmedien und populistischer Politiker ist, als dass er der allumfassenden Realität gerecht wird. Stradling verharmlost hier nichts, wie er im ganzen Buch keinen Zweifel daran lässt, dass es sich bei vielen seiner Glaubensgenossen um total abgedrehte und kaputte Typen handelt, deren Aggressionen, Kampf- und Streitlust mit der hiermit einhergehenden Zerstörungswut schon pathologische Züge annehmen und die in der Welt der Fußballfans durchaus ihre zweifelhafte einzigartige Rolle spielen. Dennoch, und hier hat er sicherlich Recht, verweist der Verfasser auf die zahlreichen Untaten der Fans anderer Vereine, die eben nicht derart wie bei Millwall in der Öffentlichkeit breitgetreten und offiziell verurteilt werden. Zwischen sarkastisch eingeräumter Verschwörungstheorie aus Millwallfanperspektive und staatstragender Mediendarstellung dürfte die reine und lautere Wahrheit sicher wie immer in der Mitte liegen. Ein bezeichnender Auszug, auch für den lakonischen Humor des Autors: 'Stoke City: Wir werden immer äußerst herzlich empfangen bei Stoke. Mein erster Besuch im Jahre 1993 war ein 2:1-Sieg, gleich am ersten Spieltag der Saison. Ich war mir Simon im Sonderzug unterwegs. Vor dem Bahnhof fing uns die Polizei ab und fragte quasi obligatorisch, ob wir eine Eskorte wünschten; Stoke City hätte einige Härtefälle im Anhang. Wir bedankten uns höflich und erklärten, wir hätten unsere eigenen Härtefälle dabei.' (S.149f.)


    Extrem informativ und spannend ist das Kapitel 'Runter von meiner Schwester', das ausführlich die Londoner Fußballverhältnisse beschreibt und alle Mannschaften und Grounds, mit denen Millwall innerhalb der engeren und weiteren Hauptstadtgrenzen zu tun hatte, detailliert aus Gästesicht schildert. Anlässlich eines Spiels gegen Charlton begibt sich meine absolute Lieblingsstelle im ganzen Buch: 'In der Aufwärmphase vor diesem Spiel trug sich der folgende, herzerwärmende Moment zu: Kim Grant, der später zu Millwall kommen sollte, lief recht nahe an unserer Tribüne vorbei. Eine Stimme aus der Menge: 'Meine Schwester heißt auch Kim!' Kim lächelt. 'Ja, sie ist genau so eine verschissene Fotze wie du!' Kim lächelte nicht mehr.' (S.214) Stellen wie diese gibt es überall in dem Buch und man schnappt oft vor Lachen nach Luft wie ein Fisch am Ufer des Flusses, der den Osten und den Südosten Londons trennt. Überhaupt ist das Buch in Inhalt wie Stil politisch erfrischend inkorrekt und ich könnte mir denken, dass der Zensor oder ein kluger Verleger hier schon die größten Härten herausgeschnitten hat. Da wird nicht der Schöngeist bedient, sondern die Dinge werden beim Namen genannt ' nicht nur die Schlachten und Kämpfe, sondern vor allem die jeweiligen Kommunikationssituationen samt Vokabular der Gosse und des schlimmsten weißen Abschaums, der je in Londons Osten bzw. Südosten hauste. Ironisch immer wieder gebrochen, doch mehr als eindeutig und kernig kann man sich dieses Idioms und dieser Schreibe kaum entziehen, selbst wenn man auf der Tribüne einen eher weniger pöbelhaften und beleidigenden Stil pflegt.


    Natürlich hat das Buch auch seine schwachen Momente und die gar nicht mal so knapp. Da schüttelt man als Fan eines ostdeutschen Vereins mit gleichfalls langer Tradition nur den Kopf und wundert sich über die Belanglosigkeiten und banalen Dinge, die der Autor der Niederschrift für würdig erachtet. Da wird etwa im Kapitel 'Die großen Eisenbahnstrecken der Welt' der Zugfahrten zu diversen Auswärtsspielen gedacht ' man erfährt von Verspätungen und langen Fahrtzeiten, von kalten Abteilen ohne Licht und Zügen ohne Speisewagen, von Diskussionen mit dem Zugpersonal, von seltsamen Mitreisenden. Einen Jenafan können freilich solche Schilderungen nicht schrecken, England scheint, zumal aus Londoner Perspektive, geografisch-infrastrukturell gesehen eher klein gegenüber Deutschland, wo man ja nicht mal überall mit dem Zug hinkommt. Das Gleiche gilt für die im Kapitel Von ''Red Heat' bis 'Dschungelbuch'' beschriebenen Busreisen: Alkoholkonsum, Polizeieskorten ab der Autobahn, Staus, Unterhaltungsprogramm im Bus, Busse, die kaputt gehen, innerhalb des Stadions im Bus sitzen, bis der Regen aufhört, Busse, die durch Rotlichtviertel fahren ' also das sind wirklich keine Brüller und von so geringem Mitteilungswert, dass man sich willkürlich fragt, ob man nicht eher selbst schon verrückte Maßstäbe hat und die Darstellung den Normalbürger dennoch schocken würde!? Aber es geht ja weiter: im Kapitel 'Wieviel für das Bier?!' wird festgehalten, dass das Bier in der englischen Provinz wesentlich billiger ist als in London, in 'Der Scheibenwischer-Reparaturladen', wo es hauptsächlich um Auswärtstouren mit dem Auto geht, hält man für mitteilungswürdig, dass man unterwegs den Scheibenwischer einbüßte und der einzige Laden in der trostlosen angesteuerten Zielgegend ausgerechnet ' man höre und staune - ein Laden für Scheibenwischer gewesen sein soll. Da war ja selbst lustiger, als ein Freund des Protagonisten einem Parkplatzordner in Reading statt der geforderten drei Pfund anbot, ihm einen zu wichsen, was aber dankend und mit Beharrung auf Bargeld abgelehnt wurde. 'Der Mann mit den Plastiktüten' widmet sich seltsam gewandeten und überhaupt schrägen Figuren in anderer Städte Stadien, doch kann ich beim besten Willen an schäbig gekleideten Typen mit Plastiktüten, die Flaschen aufsammeln, nichts Besonderes finden, tut mir Leid, und auch nicht an Leuten mit Frack oder in der Verkleidung ihres Klubmaskottchens. Die in 'Erbsenpüree und Currysauce' geschilderten kulinarischen Schrecknisse (meistens geht es um Pasteten) vermögen auch nicht mehr als ein müdes Lächeln auf unsere Gesichter zu zaubern, wo bei uns nur wenige Kilometer reichen, um den verwöhnten zentralthüringer Gaumen ungeahnte Untaten zuzufügen und wer auswärts jeweils unweigerlich gezwungen ist, die eigenen Thüringer Bratwürste mit den so genannten Auswärtswürsten zu vergleichen, dem kann in masochistischer Selbstverleugnung ohnehin kaum ein Fan einer anderen Mannschaft etwas vormachen. In 'Ein Führer für Schaf-Freunde', 'Schiebermützen und Windhunde ' Hoch im Norden', 'Auf der Suche nach der verwunschenen Stadt' wird der Fahrten zu den ländlichen Vereinen Englands und von Wales und überhaupt an die Peripherie des Empire gedacht und die vielen merkwürdigen (für einen Londoner eben eher unwürdigen) Stadien ziehen am Leser vorüber und wie verwegen und kaputt die beschriebenen Grounds auch gewesen sein mögen, mit den uralten Sportstätten, Sportplätzen und Ackern in Grimma, Braunsbedra, Dessau, Auerbach oder Eilenburg kann sich das Millwall-Elend in Cambridge, Wrexham, Swindon oder Oxford nur schwerlich messen lassen. Man fährt in der vierten Liga die Saison dreimal nach Dresden, aber statt Dynamo heißen die Ziele FV Dresden-Nord, FV Dresden 06 Laubegast und Dresdner SC und man muss sich in der unmittelbaren Nachbarschaft mit einer Provinzposse wie Pößneck herumärgern. Da kann Millwall FC nicht mithalten, auch wenn man wie in 'Westwärts, im Möwenschiss-Bombardement' dargetan, in Plymouth auf der unüberdachten Stehtribüne der Gäste pausenlos von Möwen vollgeschissen wurde: 'Irritierend, dass diese Angriffe scheinbar nur auf die Gästetribüne geflogen werden. Vielleicht schmieren sie die Traversen vor Anpfiff mit Fischabfällen ein oder, noch weitaus hinterhältiger, die Möwen sind ferngelenkt?' (S.121) 'Ein schöner Tag für Fußball' lamentiert über die typisch britischen Wetterkapriolen; aber Regen und Wind, Hagel und Sturm, Schnee und Eis kennen auch wir Deutschen und besonders wir wärmeverwöhnten Jenenser auswärts zur Genüge. 'Großartige Ausflüge' widmet sich eher uninspiriert den Highlights des Fanlebens, den wenigen Siegen auf Gegners Platz und etwa einer Polizeiverarsche mittels traditionellen Liedguts in Liverpool. In die gleiche Kerbe schlägt 'Das kann man sich nicht ausdenken', wo angeblich besonders bizarre Away-Erlebnisse protokolliert werden. 'Hillsborough ' das hätte auch uns erwischen können' skizziert die Versäumnisse im englischen Fußball und das besondere Pech von Liverpool; 'Auf geht's, Jungs' ist eine Fallstudie zu einer Auswärtsfahrt nach Newcastle mit allem Drum und Dran, einschließlich des eindrucksvollen Erbrechens in die Küchenspüle der Gastgeberin.


    Das Buch schließt mit dem Kapitel 'Wo warst du, als wir in Macclesfield spielten?!', was bei uns wohl 'Wo warst du in Neugersdorf?' lauten würde, und behandelt abschließend das bereits an mehreren Stellen besprochene Problem der so genannten 'Erfolgsfans', von Stradling auch abschätzig und voller verständnislosen Verachtung 'Möchtegern-Anhänger', 'Zuhausebleiber', 'Schönwettersupporter', Sesselpuper' und 'Ofen-Leute' genannt. Das beliebte und auch bei uns immer wieder innig und so heiß wie kontrovers diskutierte Thema entscheidet er brachial gegen eben jene Leute, die nur bei wichtigen und großen Spielen bei gutem Wetter im Stadion anzutreffen sind. Die Begründung ist so schlicht wie nachvollziehbar: 'Wenn man mich fragt: Entweder unterstützt man seinen Verein, oder man lässt es. Mit 'unterstützen' meine ich regelmäßiges Fahren, zu den Heim- und den Auswärtsspielen, so oft, wie es physisch und finanziell möglich ist ['] Egal, ob es regnet oder schneit, ob es weht oder stürmt, und unabhängig davon, wer der Gegner ist oder die Tabelle aussieht.' (S.277) Überhaupt gehören manche Statements in Stein gemeißelt in die Herzen und Hirne eines jeden Fußballfans: 'Mich interessiert es im Grunde einen Scheiß, gegen wen wir spielen. Denn ich komme wegen Millwall, und nicht wegen dem Gegner, gleichgültig, ob der nun Real oder Rochdale heißt.' (S.277)


    Fazit: Ein krasses Buch für Fußballverrückte, dessen Schilderungen einmal mehr dartun, dass man die englischen Verhältnisse der 60er und 70er durchaus zuweilen mit denen der DDR-Oberliga noch in den 80ern vergleichen kann. Ein tolles Buch für Enthusiasten und die Erkenntnis, dass ein wenig mehr Millwall auch unserem FCC nicht schaden könnte. Hoffnung in dieser Hinsicht habe ich freilich keine. Nur ich persönlich fühle mich nach der Lektüre dieses Buches gestärkt und erfrischt und motiviert für die neue Saison in der neuen dritten Liga. Von Millwall lernen, heißt leiden lernen; aber auch und zuallererst seine Liebe zu seinem Verein zu leben, was auch immer sportlich wie vom Drumherum passieren möge. Millwall ist das fleischgewordene Symbol für eine fanatische Fußballvereinanhängerschaft ' seine positiven und seine negativen Auswüchse. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Wer Zivilisation, Kultur und Kommerz will, der wird keine Stimmung wie im Den erzeugen können; wer aber solche Fans wie die von Millwall hat, muss auch mit tickenden Zeitbomben rechnen. Das ist die Ambivalenz, die nicht zu überwinden ist ' ein schönes und tiefsinniges Sinnbild des Lebens selbst auch wieder."


    Diese Rezension habe ich im Herbst 2008 veröffentlicht und finde sie nach wie vor gut, vor allem aktueller denn je. Es war seinerzeit beinahe unmöglich, die Besprechung bei Amazon zu bringen, weil die automatischen Zensoren natürlich die bösen Wörter nicht durchgehen ließen. Es bedurfte mehrerer Interventionen und einer persönlichen Prüfung durch einen Menschen, der den Kontext verstehen konnte, bis die Publikation erfolgte, immer noch mit Auslassungen zunächst, die ich erst später peu à peu wieder ergänzte.

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    Sudo, ergo sum. Ich schwitze, also bin ich. Das ist die Prämisse meines Lebens, meiner sozusagen physiologischen Existenz. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich als Kind geschwitzt habe und ob mich das irgendwie beschäftig hat; aber ich weiß sicher, dass ich spätestens in der Pubertät so sehr zu schwitzen anfing, dass es ferner und bis heute hin mein Leben entscheidend mitbestimmt.


    Ich rede hier nicht von dem, was die meisten Menschen kennen; die schwitzen, wenn es wirklich warm ist oder man sich körperlich sehr anstrengt bei Arbeit, Sport und Spiel. Ich rede davon, dass man auch schwitzt, wenn es eigentlich recht frisch ist oder man bei normalen Temperaturen einen Spaziergang macht. Natürlich wurde das medizinisch alles hundertmal abgeklärt schon in meiner Jugend, es gab keinen Grund; Blutdruck und Herz in Ordnung, ich war schlank damals und halbwegs trainiert.


    Dennoch schwitzte ich. Und zwar immer. Was das im Alltag bedeutet, kann sich ein normaler Mensch nicht vorstellen. Einfach mal so irgendetwas unternehmen, ohne zu überlegen, wohin es geht, welches Wetter ist, ob man Wechselklamotten braucht, das ging nicht. Wenn ich mit einem Mädchen unterwegs war, musste ich versuchen; dass wir mit dem Moped fuhren und nicht allzu viel liefen. Wenn ich Sport machte, musste ich wenigstens eine Garnitur zum Wechseln mitnehmen; arbeitete ich den ganzen Tag irgendwo draußen oder drinnen, brauchte ich meist mehr als eine.


    Ein komplexe Infrastruktur für die alltäglichsten Dinge war so nötig, mit Vorüberlegungen und gründlicher Planung, intensiver Körperpflege und Hygiene danach und natürlich dem Trocknen, Waschen und Reinigen der Kleidung. Das führte bald dazu, dass ich kaum noch Lust hatte, irgendwas zu unternehmen und lieber daheimblieb. Und ich begann die kühlere Jahreszeit vorzuziehen; lieben konnte ich sie auch nicht, denn ich schwitze auch im Herbst und Winter. Wie oft musste ich mir anhören, ziehe doch nicht so viel an, wenn du so schwitzt. Aber wenn man im November durchgeschwitzt ist, muss man wenigstens noch ein trockenes Teil drüber haben, sonst holt man sich den Tod.


    Ich habe selbst im Winter bei minus zwanzig Grad geschwitzt, egal, wie ich auch achtgab, mich nicht zu übernehmen. Die nordischen Völker wissen das, die Jakuten, Inuit und wie sie alle heißen; sie laufen nur so schnell, dass sie nicht schwitzen, denn in kürzester Zeit frieren ihre Strümpfe und Unterkleider ein und dann kann es das gewesen sein im ewigen Eis. Wie so oft ist das Problem an sich schon schlimm genug, das Unverständnis und die „guten Ratschläge“ der Umgebung machen es nicht besser. Zuerst natürlich immer, man müsse abnehmen, man wäre zu fett. Ich habe abgenommen, der Wind pfiff mir durch die Rippen und trotzdem tropfte mir bei jeder Gelegenheit der Schweiß. Ich habe regelmäßig trainiert, Radfahren, schwimmen, laufen; ich habe trotzdem gleichbleibend viel geschwitzt.Trink nicht soviel, hieß es, also habe ich weniger getrunken und trotzdem geschwitzt; heute ist längst klar, dass man gerade viel trinken muss, wenn man viel schwitzt.


    Es kam die Zeit, dass ich trotz meiner Aversion gegen die Hitze des Sommers diesen schätzen lernte, weil man erstens kaum Klamotten brauchte, die nass werden konnten; und zweitens der Schweiß durch Sonne und Wind die wenigen schnell wieder trocknete. Freilich blieb es unangenehm: Ich erinnere mich noch genau, als ich vor 32 Jahren im Rahmen eines Praktikums als Betreuer in einem Ferienlager in der Schwäbischen Alb arbeitete und wir mit unseren Gruppen von Jungen und Mädchen eines Tages zur Burg Hohenzollern hochliefen. Sicher, es war Sommer und warm; aber verglichen mit heute durchaus erträglich. Alle marschierten prustend den Berg hoch und schwitzten, aber oben sah niemand so aus wie ich; das Hemd klitschnass, die Haare auch; der Schweiß lief in Strömen unter meinen Haaren hervor. Die Kinder, die mich mochten, stießen einander mit den Ellenbogen an und flüsterten, guck mal, was ist denn mit dem los, ist der krank?


    Sozial gesehen vertreibt jeder Schweißtropfen einen Menschen. Beziehungstechnisch gesehen laufen einem nicht nur die salzigen Wasser, sondern auch die Frauen davon. Man beginnt, auf Abstand zu gehen, sich selbst zu isolieren, um möglichst niemandem zu nahe zu kommen oder ihn gar körperlich zu benetzen mit den körpereigenen Perlen. Als ich 30 Jahre alt wurde, hatte ich die Schnauze voll; meine Haare ständig trocknen zu müssen und ließ mir den Schädel kahl schweren. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens; jetzt reichte es, mit dem Taschentuch oder Handtuch drüberzuwischen und fertig. Eng sitzende Schirmmützen und Base Capes taten künftig ihren Dienst, später bevorzugte ich männlich gebundene Kopftücher.


    Und ich entdeckte die Sauna für mich. Ich mag eigentlich keine Hitze, aber als ich auch vor 20 Jahren das erste Mal in eine Sauna ging, erkannte ich zum einen, wie gut das Körper und Seele tut; zum anderen aber, und das war viel wichtiger, durfte ich dort sozusagen offiziell, mit Erlaubnis und quasi gesellschaftlich sanktioniert schwitzen. Öffentliche Saunen meide ich zwar weitgehend, weil selbst dort die Leute komisch kucken, wenn mir unablässig der Schweiß literweise vom Schädel zu den Füßen herunterläuft, aber daheim in der eigenen fühle ich mich pudelwohl und frei. In der Sauna darf ich schwitzen und zwar soviel ich will und kann; dort wird keine Kleidung nass und danach verschließt eiskaltes Wasser beim Abduschen die Poren. Nie schmecken die Biere, die ich danach statt elektrolythaltiger Getränk trinke, besser.


    Jetzt im Alter glaube ich manchmal weniger zu schwitzen, aber da täusche ich mich sicher; denn ich bewege mich nicht mehr so viel und auch die schwere körperliche Arbeit ist mir wie ausdauernder Sport der Gelenke wegen nicht mehr möglich. Inzwischen leide ich aber nicht mehr darunter, ich komme gut zurecht; nicht zuletzt, weil ich meist gut vorbereitet bin und mein Los einfach akzeptiert habe. Da ich nicht der gesellige Typ bin, gern mit dem Hund allein unterwegs in der Natur, stört es auch niemanden, wenn die Bächlein helle dem alten weißen Mann die Erde weisen. Vielleicht hätte ich Schweißer werden sollen oder statt eines Schäfer- einen Schweißhund halten. Egal, ich bin sicher, wenn ich nicht mehr schwitze, dann geht auch sonst nichts mehr und ich liege auf der Bahre. Wobei ich fürchte, auch im Sarge perlt es mir noch von der Stirn; wenn ich die Reden hören muss; und würde ich mich nicht kremieren lassen, würden im Grabe noch die Würmer ertrinken.

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    Wer einmal die Stationen des diskursiven Niedergangs vertonen will, den Untergang der politischen Kultur der Bundesrepublik; hat inzwischen ein Libretto mit vielen Seiten vor sich liegen. Alles beginnt natürlich mit den 68ern, der APO, der extremen Linken und der Gründung der Grünen, aber öffentlichkeitswirksam im Sinne ganz und gar nicht herrschaftsfreier Diskurse würde ich den Historikerstreit von 1986/87 als den großen Startschuss ansetzen, in welchem die Thesen des Historikers Ernst Nolte zum Holocaust und zu dessen Rolle für ein identitätsstiftendes Geschichtsbild Deutschlands durch die haltlosen Vorwürfe der von dem Philosophen Jürgen Habermas angeführten sehr lauten Fraktion in der breiten Öffentlichkeit ankamen und dort diskutiert wurden. Immerhin gab es damals noch genügend Akademiker, Journalisten und sonstige Intellektuelle, die sich den Ideologen entgegenstellten und Nolte den Rücken stärkten.


    Weiter ging es mit der Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger zum 50. Jahresgedenken der Novemberpogrome 1938 am 10. November 1988 im Deutschen Bundestag, deren Bashing und Skandalisierung im Vorhinein bereits sorgfältig geplant war. Die Deutsche Einheit rückte zunächst derartige Kulturkämpfe in den Hintergrund, bis sie diese vergrößert in den Focus stellte. Der ungemein hellsichtige Botho Strauß traf mit seinem großartigen Essay „Anschwellender Bocksgesang" aus dem Jahr 1993 mitten ins Fleisch der sich längst siegreich wähnenden Meinungsmacher und entfesselte damit einen wahren Krieg an Denunziation, Verleumdung, Lüge und Vernichtung. Ihm folgte in ganz anderem Rahmen der Schriftsteller Martin Walser, der anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche eine Rede hielt, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ ablehnte, woraufhin es eben nicht nur zu kontroversen Diskussionen und Protesten kam, sondern erstmals auch zu inquisitorischen Ritualen und zu Jagdszenen im öffentlichen Raum.


    Den vom Bashing dieser irrationalen Art und gewaltigen Größenordnung überraschten Peter Sloterdijk traf es anlässlich seiner Rede „Regeln für den Menschenpark“ von 1999. Auch beim bedeutendsten und wirkungsmächtigsten Philosophen der Bundesrepublik scheute man sich nicht davor; mit Verdrehungen, kontextlosen Zitaten, Halbwahrheiten, Lügen, einseitigen Zuspitzungen etc. eine wahre Hexenjagd zu veranstalten. Eine neue Qualität konnte man beim Streit um Eva Herman und deren kontroversen Thesen zu Frauen, Emanzipation und Geschichte beobachten; hier ging es zum einen um eine neue Dimension der öffentlichen Berichterstattung am Pranger und zum anderen auch um eine soziale Vernichtung des Gegners.


    Höhe- und Wendepunkt des diskursiven Niedergangs wurde dann Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ von 2010. Ab dieser Publikation wurden keine Gefangenen mehr gemacht und man versuchte überhaupt nicht mehr, sich mit den inhaltlichen Aspekten auseinanderzusetzen. Man zog einen strittigen Punkt heraus, erklärte dann den Autor zum Häretiker, Nazi und somit für vogelfrei und stigmatisierte antizipierend alles im Dunstkreis als nicht diskussionswürdig. Wenn man bedenkt, dass nichts von dem, was Thilo Sarrazin vor 13 Jahren schrieb, sich als falsch erwiesen hat; sondern seine Voraussagen noch übertroffen wurden, überholt von der Wirklichkeit; dann weiß man, was die Stunde geschlagen hatte. Es ging nicht mehr um Inhalte, sondern um Meinungen und Ideologie.


    An politischen Ereignissen gemessen gibt es seit der Bankenrettung 2008 keinen gesellschaftspolitischen Diskurs mehr. Es folgten die Euro-Rettungsschirme vor allem für Griechenland ab 2010, die Flüchtlingskrise seit 2015; die Corona-Pandemie und schließlich der Ukraine-Krieg. Aber seit der verfassungswidrigen Grenzöffnung im Herbst 2015 kann man nicht einmal mehr von Versuchen einer demokratisch legitimierten öffentlich gleichwertigen Diskussion aller Aspekte der Problematik sprechen. Es geht nur noch um Diskursherrschaft, womit sich der Diskurs natürlich ad absurdum führt. Und ich sehe kaum eine Möglichkeit, wie man aus dieser demokratiefeindlichen Lage wieder herauskommt, ohne die falschen Propheten und Diktatoren zu entmachten.

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    Der Haushund (Canis lupus familiaris) stammt genetisch durchweg vom Wolf (Canis lupus) ab. Es gibt trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung in der Biologie, Zoologie Kynologie, Ethologie immer noch genug Fragen statt Antworten, obwohl Mensch und Hund seit 20.000 Jahren ihren Weg gemeinsam gehen. Konsens scheint hinsichtlich der Feststellung zu bestehen, dass der Haushund eine Art großes Kind bleibt und nie richtig erwachsen wird. Das zeige sich insbesondere am Spielen. Junge Wölfe spielen auch, aber sobald sie erwachsen sind, würden sie den Teufel tun und einem Stöckchen oder Ball hinterherjagen. Wenn man Ressourcen für den Ernstfall des Lebens sparen muss, vergeudet man weder Zeit noch Energie an sinnlose Dinge und Aktionen.


    Schaut man sich die heutige moderne Gesellschaft an in den westlichen Wohlstandsnationen, überkommt einen Anthropologen durchaus hin und wieder das Gefühl, dass auf verschiedenen Ebenen das Erwachsenwerden der Kinder, Jugendlichen und jungen Menschen verzögert und sogar ganz verhindert wird. Das lässt sich auf dem normalen Weg von Bildung und Erziehung beobachten, sofern diese sich nicht auf Ausbildung beschränken; im privaten Bereich von Familie und Verwandten; innerhalb der Massenmedien, des Internts und Social Media und letztlich allumfassend im gesamtgesellschaftlichen Zusamenhang. Diese Prozesse verlaufen schleichend und unbewusst, werden aber mehr oder weniger indirekt doch gelenkt durch die herrschende politische Kultur.


    Wenn nun die neuen Menschen große Kinder bleiben, drängt sich die Frage auf, was mit denen wird, aus denen sie genetisch hervorgegangen sind. Bleiben sie wie der Wolf als gleichzeitige Art erhalten und wer ist der große Lenker, der für das große KInd ja existieren muss wie der Mensch für den Haushund?

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    Wenn in süddeutschen und österreichischen Krimiserien der Gerichtsmediziner voller Respekt erklärt, das Mordopfer auf seinem Tisch in der Pathologie sei bis auf die tödlichen Wunden pumperlgsund gewesen, in einem ausgezeichneten körperlichen Zustand und hätte 100 Jahre alt werden können; dann weiß ich immer nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich hatte es in diesen Blättern schon einmal erwähnt; dass die Leute immer gesund sterben wollen, ein Gedanke, der auf der einen Seite grotesk absurd ist und auf der anderen wiederum verständlich.


    Es wäre natürlich tragisch, wenn man sich diese und jene Freude des Lebens versagt hätte über Jahrzehnte und dann stirbt man dennoch vor der Zeit und zwar pumperlgsund; gleichzeitig wäre es natürlich schön, so lange wie möglich vollkommen gesund zu sein, aber dann muss eben auch der Tod unerwartet vor Krankheit und Siechtum kommen, sonst wäre es ja wieder nichts mit den Vorteilen der gesunden und bewussten Lebensweise. Ein Teufelskreis.

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    Apropos Teufelskreis, der teuflischste und kreisigste von allen dürfte auf dem Schlachtfeld der Geschlechter zu finden sein. Denn je intensiver eine Frau spürt, wie nötig ein Mann auf Partnersuche eine Frau hat und je stärker sein Begehren und je fleißiger seine Bemühungen, desto weniger kommt er für diese in Frage. Und je länger ein Mann in dieser Position des immer Abgewiesenen verharrt und sich quasi ein Dunstkreis des Verlierers um ihn bildet, desto geringer werden seine Aussichten, jemals bei einer Frau landen zu können. Zwei Abwärtsspiralen, die sich umeinander schlingen und den Kandiaten in die ewige Einsamkeit ziehen. Wenn es einen dämonischen Circulus vitiosus geben sollte, dann ist es dieser.

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    Wenn man einem Mann wie mir mit 1,80m Körpergröße und 80kg Körpergewicht jeden Morgen zwei Wassereimer mit je 15 Litern angefüllt in die Hand geben würde mit dem Auftrag, diese den ganzen Tag mit sich herumzuschleppen, ohne sie jemals abzusetzen; dann würde man doch protestieren, den Leuten einen Vogel zeigen und sich verärgert trollen. Da die Gewichtszunahme aber meist schleichend geschieht und sich der Körper so überlisten lässt lange Zeit, kommt es eben doch dazu, dass man irgendwann "freiwillig" tut, was man bei Vernunft und rechtzeitig nie täte. Daher schleppe auch ich längst 110kg und zeige niemandem den Finger. Wie aber müsste jetzt die Umkehrmotivation aussehen?

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    Ein weiteres Beispiel für die unglaublichen Verhältnisse bei Wikipedia ist der biografische Eintrag zu Frank Lisson. Der Germanist, Philosoph und Historiker; Autor zahlreicher Bücher, wird ohne Belege der Neuen Rechten zugeordnet und keine der Bemühungen seitens des Autors, anderer Kritiker und auch von mir konnte daran etwas ändern. Es besteht auf keinem Weg die Möglichkeit, die Artikel so abzuändern, dass sie zu streng neutralen lexikalischen werden. Die diesbezügliche „Diskussion“ auf der dazugehörigen Seite spricht Bände: Offensichtlich mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete halbamtliche Wikipedia-Mitarbeiter, deren Kompetenzen sich im Googlen erschöpfen und die ansonsten ganz und gar nicht vorurteilsfrei und rein ideologisch „argumentieren“, blocken alles ab, was den Text verändern und neutraler gestalten würde.


    Ich betone noch einmal: In einer Enzyklopädie geht es um nichts Geringeres als das Zusammentragen sämtlichen Wissens auf der Welt. Dabei soll zuerst informiert werden und gewertet nur im Kontext und auf Grund von hinreichendem Wissen unter Angabe sämtlicher Quellen und der entsprechenden Forschungsdiskussion. Eine Wertung muss zwangsläufig auf einer enormen Kenntnis des Gegenstandes beruhen. Frank Lisson hat über ein Dutzend Bücher zu philosophischen oder wenn man so will geistesgeschichtlichen Themen veröffentlicht. Daher ist er nicht nur ein Autor, sondern ein philoosphischer Autor; und wenn man seine Arbeiten genau liest, ist er auch ein Philosoph. Kein einziges der Bücher wird auch nur referiert, keine Entwicklung des Denkens aufgezeigt; es erfolgt keinerlei Kontextualisierung.


    Eine Wertung allein auf Publikationsorte zu stützten und darauf, wo und wann ein Autor gesprochen hat in welchem Rahmen und zu welchen Personen, ist geradezu ein Paradebeispiel für die Veräußerlichung von Urteilen, die sich nicht auf Inhalte und Wesentliches beziehen, sondern ausschließlich auf außerliterarische, außerthematische Aspekte des „Kulturbetriebs“. Framing heißt das heute wohl, aber nicht einmal das trifft es. Die Weigerung, sich inhaltlich mit einem qualitativ hochstehenden Œuvre auseinanderzusetzen und lediglich nach Hörensagen zu richten; bedeutet nichts anderes als den totalen Verlust klassischer Ideale der Aufklärung, nämlich wenigstens anzustreben; objektiv, sachlich, vorurteilsfrei, ergebnisoffen und moderat zu argumentieren.


    Wikipedia ist daher in zeitgeschichtlicher, biografischer Hinsicht und bezüglich der Geistes-, Gesellschafts-, Kultur- und Sozialwissenschaften nicht mehr ernstzunehmen.