Im Heimatsender wurde gestern über eine Fachtagung unter dem Titel "Doch es geht! – Schule in einer Kultur der Digitalität gestalten" berichtet. Dort trafen sich Lehrkräfte und diskutierten über Lernen in der digitalen Welt, unter anderem widmete sich ein Workshop der Frage, wie man Videospiele im Unterricht einsetzen könnte. Ich will jetzt gar nicht einmal in Abrede stellen, dass letztere durchaus Potenzial haben; nur habe ich bereits oft genug darauf hingewiesen, dass sich das Bildungswesen hier zwiefach auf dem Holzweg befindet, wenn es glaubt, die Digitalisierung sei entscheidend bei der Lösung unserer Bildungsmisere und noch mehr, wenn man meint, man müsse wieder und wieder und immer mehr vermeintlich moderne Alltagsdinge aus der Lebenswelt der Schüler einbinden, um den Unterricht für diese attraktiver zu gestalten.
Dass Tafel und Kreide völlig ausreichend und wesentlich weniger störanfällig sind als sündhaft teure digitale Whiteboards und digitale Tafeln, noch dazu das Tempo der eigenen Erarbeitung bessere Ergebnisse zeitigt als vorgearbeitete digitale, will ich nicht schon wieder diskutieren. Digitale Möglichkeiten können den Unterricht bereichern, erleichtern und effizienter gestalten; aber sie sind nur ein Aspekt eines wesentlich vielgestaltigeren Lernprozesses. Dass es nicht die Aufgabe von Schule sein kann und schon gar nicht in diesen unruhigen, nervösen und reizüberfluteten Zeiten, alle möglichen Zerstreuungen der Unterhaltungsindustrie in den Lehrplan einzubauen, sondern sogar ganz im Gegenteil diesen bewusst entgegenzusteuern hätte, muss immer wieder betont werden. Eingängige Bücher zu lesen, populäre Musik zu hören und PC-Spiele zu zocken, sollte auch weiterhin der Freizeit der Schüler überlassen werden; wenngleich es gerade am Gymnasium sinnvoll wäre, auch auf diese außercurricularen Beschäftigungen Einfluss zu nehmen.
Ich vergleiche das gerne mit den christlichen Kirchen in der westlichen Welt, besonders der evangelischen; die glauben, sie könnten die verlorenen Schäfchen mit Mätzchen, Albernheiten, infantilem Entgegenkommen und Kinkerlitzchen zurückgewinnen in den Schoß der heiligen Mutter Kirche und die Gemeinschaft der Gläubigen. Oder wie Bibliotheken, Museen und andere kulturelle Einrichtungen glauben, sie müssten sich nur auf das Niveau der imaginierten Klientel begeben, um sie wieder anzulocken. Dass sie alle irren, habe ich in diesen Blättern schon mehrfach ausgeführt, denn der Preis für diese Anbiederung ist der Verlust der eigenen Identität und die Leute werden trotzdem nicht bekehrt, weder religiös noch hochkulturell. Wer seine wesentlichen Glaubenssätze aufgibt, um Gläubige zurückzugewinnen, verliert am Ende beide. Moderne Konzerte in der Kirche und Motorradgottesdienste sind interessante Bereicherungen, aber sie gewinnen niemandem den Glauben zurück, es ist nur eine Unterhaltungsmöglichkeit mehr im Spätkapitalismus. Kein Mensch wird später Tolstoi lesen, nur weil er in der Schule „Harry Potter“ behandelt hat. Niemand wird nach einer langen Nacht im Museum zum regelmäßigen Museumsgänger oder ins klassische Konzert gehen, weil mal eines in einem Park draußen stattfand.
So ist und bleibt das auch in der Schule. Die ist dafür da, die kulturelle Tradition zu vermitteln und abendländische Kultur weiterzuführen in modernerem Gewand. Oft genug ist sie der letzte Ort, an dem Menschen mit den großen Kulturgütern vom Buch bis zur Hochtechnologie bekannt gemacht werden. Es ist eben nicht die Aufgabe der Schule, jede Mode mitzumachen und auf jeden Trend aufzuspringen; sondern ganz im Gegenteil die Beständigkeiten und Kontinuitäten deutlich zu machen, Sinn und die großen Zusammenhänge zu vermitteln und die Schüler in die Lage zu versetzen, mit diesen erprobten Bildungsgütern ihre eigene Welt zu verstehen, zu genießen und mitzugestalten. Natürlich wird jede moderne Schule die Lebenswelt des Schülers aktiv einbinden, produktionsorientiert arbeiten und in verschiedenen sozialen Konstellationen. Aber die Inhalte und Methoden haben sich an dem zu orientieren, was über die eigene Gegenwart hinaus Bestand hatte über Jahrtausende und damit seinen Wahrheitsgehalt bewiesen. Alles Weitere kann der mündige junge Mensch und Bürger später alleine angehen mit seinen Altersgenossen und Generationskollegen.