Ich eröffne dann mal den Thread zu unserer Schutzpatronin, der
Sinfonia Eroica
composta
per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo
e dedicata
A Sua Serenissima il Principe di Lobkowitz
da
Luigi van Beethoven
Seinerzeit (und noch immer) auf der Suche nach der theoretisch besten Einspielung habe ich versucht, das vermeintlich 'Beste' durch Mathematik zu definieren. Mir ging es dabei insbesondere um die Relation der drei Teile des Finalsatzes. Ich hatte zu diesem Zwecke die Metronomangaben und Taktzahlen kombiniert und kam rechnerisch auf folgendes (zeitliches) Ergebnis:
So - dachte ich - müßte die perfekte Zeitstruktur des Finalsatzes ausschauen. Meine suche nach Einspielungen, welche diese Vorgaben erfüllen, förderte folgendes zu Tage:
Béla Drahos erfüllte die Vorgaben neben Andrew Manze und Thomas Dausgaard am ehesten. Das Hörerlebnis überzeugte mich aber dann nicht wirklich, da das Tempoempfinden der mathematischen Konstruktion einen Streich spielt (s.w.u.). Dennoch sind (natürlich) die Einspielungen als solche hervorragend, wenn sie auch nicht alle unbedingt zu meinen Lieblingsinterpretationen gehören.
Nach der etwas ungewöhnlichen 'Einführung' nun ein paar Anmerkungen (mal mehr, mal weniger ausführlich) zu den gehörten Einspielungen:
Swedish Chamber Orchestra Örebro
Thomas Dausgaard omi
Welch eine Präzision bei Dausgaard mit dem Schwedischen Kammerorchester! Ich bin so wunderbar überrascht. Folgendes ist mir positiv aufgefallen:
*recht gutes Crescendo in I 35/36 (das ist mir sehr wichtig!)
*Keile werden wunderbar kurz und stark gespielt, teils nur angerissen (z.B. I T. 109ff)
*Legato wie es im Buche steht bei II 241 (1. Vl.)
*Fetziges Alla Breve in III 381ff.
*Fermate der 1. Vl. in IV 55 auf d (genial! - so steht es in der Partitur)
Ansonsten ist die Dynamik sehr ausgetüftelt, sehr präzise, sehr differenziert im Gegensatz zu manch anderer Einspielung. Sie wirkt beinahe ein wenig gekünstelt. Besonders schön sind im ersten Satz die 2. Violinen zu hören - denn auch die haben etwas zu "sagen". Blech und Holz sind supergut! Eine sehr spannende und mitreißende Einspielung, die von knapp 40 Musikern im Oktober 2002 in der Örebro Concert Hall dargeboten wurde.
Dausgaard gibt ganz schön Gas - manchmal meint man, er würde im Verlaufe einer Phrase immer schneller werden... aber irgendwie passt's dann plötzlich wieder, ohne dass jemand die Notbremse ziehen musste.
Zu meckern gibt's aber auch was: Dausgaard wählt, wie alle bisher mit Ausnahme von Savall, ein für meinen Geschmack zu zügiges Tempo beim Poco Andante des Finales, so dass wie sooft das anschließende Schlußpresto ein wenig an Wirkung verliert.
Helsingborg Symphony Orchestra
Andrew Manze omi
Stark beeindruckt hat mich die Gewalt des ersten und die getragene Spannug des 2ten Satzes.
Smithonian Chamber Orchestra
Jaap Schröder opi
Eine besondere! Eine besonders gute! Ich glaube, sie kann der Savallschen durchaus das Wasser reichen. Die Aufnahme besticht durch abolute Transparenz, sehr fein abgestimmte Dynamik (kaum zu glauben, dass dies so spielbar ist). Die Tempi sind angemessen.
Der erste Satz wirkt optimal, wie auch der zweite - das Tempo im 2ten ist mir sogar sehr angenehm bei Schröder. Hingegen wirkt das Scherzo eher ein wenig zu lahm, der poco-Andante-Einschub im 4. Satz ist eher zu flott für meinen Geschmack, so dass das Presto seine angedachte Wirkung etwas verfehlt.
Die Aufnahme wurde 1987 im Richardson Auditorium der Priceton University, New Jersey hergestellt. Im Booklet wird jedes einzelne bespielte Instrument namentlich, d.h. mit Hersteller und Baujahr (soweit bekannt) genannt. Es spielen 13 Violinen, 4 Bratschen, 5 Celli und 2 Kontrabässe. Die Bläser sind üblich besetzt.
KlangVerwaltung
Enoch zu Guttenberg
Das Klangfinanzamt hat mich eher kalt gelassen. Der Klang ist transparent, aber die Wiederholung der Exposition des erten Satzes fehlt - und das, wo doch der Booklettextautor von "kolossalen Ausmaßen" und einem "Verhältnis von 3 : 5 : 3 : 3" schreibt. Auch mein Lieblings-Crescendo im ersten Satz wird total ignoriert (da bin ich garnicht traurig, daß das nicht wiederholt wird). Fazit: langweilig.
Ensemble28
Daniel Grossmann opi
Eigentlich gibt es, was Gossmann betrifft, für mich lediglich einen echten Kritikpunkt: Schön zwar, dass das Palais Lobkowitz für die Einspielung ausgewählt wurde (hier wurde die Eroica uraufgeführt), aber: hätte man den Eroica-Saal noch mit Menschen oder dämmenden Attrappen gefüllt, würde die Musik nicht so schweben und (leider) durch den Hall teilweise so verschwommen erklingen. Also klingt die Aufnahme nicht zu 100 v.H. hip, denn bei der Uraufführung werden wohl ein paar Leutchen dagewesen sein.
Die beiden markanten Anfangsakkorde – das eigentliche „Markenzeichen“ der Eroica ist bei Savall sehr bestimmend und scharf – bei Grossmann eher unverbindlich, beinahe zu vorsichtig, was aber mitunter auch an dem Hall liegen mag. Insgesamt gefallen mir aber tatsächlich beide Interpretationen überaus gut, die beinahe kammermusikalische Besetzung Grossmanns (28 Musiker, davon vier 1. und vier 2. Violingruppen, zwei Violen, zwei Bratschen, zwei Violoncelli, zwei Kontrabässe, die Holzbläser paarweise, drei Hörner, zwei Trompeten und Pauken) klingt schon sehr reizvoll und ist keineswegs weniger „mächtig“ als die vollere Besetzung bei Savalls Concert des Nations. Nur eben werden die Holzbläser sehr viel leichter hörbar, besonders die Clarinetten sind in fast allen Sätzen sehr schön exponiert – am meisten fällt dies im Finale auf, in welchem sie triolisch gegen das eigentliche Metrum im von mir sogenannten „Saufgesang“ im langsamen Teil spielen.
Im ersten Satz ist Grossmann deutlich hörbar gemächlicher (+7%) zu Gange, der zweite Satz ist dafür weniger am „Trauermarsch“ orientiert als an einem Trauer-Tanz (-12,5%), was ich aber keinesfalls negativ sehe bzw. höre. Es sind eben zwei unterschiedliche Ausführungen. Das Scherzo ist vom Tempo her wieder in Relation zum Hauptsatz (Grossmann +8% vs. Savall). Mir gefällt persönlich Savall hier deutlich besser, denn die rhythmisch interessante Stelle, bei deren Hören man stets vom Stuhl aufspringen muss, veranlasst mich nur bei Savall dazu, nicht bei Grossmann.
Beim Finale ist optisch kein Unterschied festzustellen (13 Sekunden „Differenz“). Aber: Grossmann wirkt dennoch gemächlicher als Savall, denn Letztgenannter benötigt für den langsamen Mittelteil vor dem Schlußpresto etwas länger als Grossmann (die Temporelation pro Interpretation stimmt aber wohl im 4. Satz bei beiden), weshalb der „Endspurt“ bei Savall in exakt einer Minute, bei Grossmann in 55 Sekunden „erledigt“ wird. Durch das langsamere Metrum in der „Ruhe vor dem Sturm“ wirkt die Coda bei Savall allerdings nur sehr viel rasanter, trotz der sehr kurzen Zeitunterschiede. Interessant… ich hätte es genau umgekehrt eingeschätzt.
Insgesamt geht Grossmann (44:16) schneller an mir vorüber als Savall (44:35). Natürlich sind die 19 Sekunden Unterschied nicht hör- oder fühlbar. Mein Erklärungsversuch ist, dass tatsächlich bei Savall mehr Erlebnis dahinter steckt, daher kommt es mir wohl länger vor (hat Einstein diesbezüglich auch Schrifttum hinterlassen, es müsste schon mit der Reltativitätstheorie zu tun haben…).
Aber, trotz aller aufgezeigten Unterschiede, die mir persönlich aufgefallen sind, höre ich beide Einspielungen sehr gerne – den Grossmann als die etwas luftigere Version, den Savall als den akzentuierten, sehr viel kämpferischeren Interpreten.
Die Savall-Einspielung sollte natürlich auch noch gezeigt werden:
Les Concerts des Nations
Jordi Savall opi
Diese Einspielung gefällt mir deswegen so gut, weil sie eine (fiktive) Geschichte erzählt und alle Sätze in sich und untereinander schlüssig präsentiert werden. Was mir noch besonders wichtig ist, ist meine Beobachtung, daß die Eroica zwar in der Tonart Es-Dur steht, aber als heimliche Haupttonart g-moll hat. Die Herausarbeitung dieses g-molls ist für mich maßgebend bei einer guten Interpretation; Savall ist dies herausragend gelungen. G-moll taucht erstmals in der Durchführung des Kopfsatzes (T. 198ff.) auf, ganz unscheinbar auch in Satz II T. 155. Bedeutend wird g-moll im Finalsatz, der bereits auf der Dominante zu g-moll (D) beginnt, ab T. 211 folgt die längste g-moll-Phase der Eroica (46 wilde Takte im punktierten Rhythmus). Den Höhepunkt - auch imo des ganzen Werkes - hört man dann in dem apokalyptischen g-moll-Akkord im Poco Andante-Teil (T. 418 - auch dieser ist bei Savall einmalig und geht durch Mark und Bein).
Meine Favoriten sind eindeutig (in dieser Reihenfolge):
Platz 1: Dausgaard / Savall / Immerseel (eine Mischung, die ich zu bestimmen hätte, wäre gut)
Platz 2: Manze
Platz 3: Schroeder
Platz 4: Grossmann
Das kann sich, glaube ich, nur noch durch eine Schoonderwoerdaufnahme ändern. Der Guttenberg ist und bleibt eben nur ein Guttenberg und kein Besserberg. Wobei ich die Einspielung jetzt keinesfalls so schlecht finde - aber sie offenbarte mir keine Neuigkeiten und erfüllte auch nicht die Erwartungen, die ich hatte: Nämlich ein Umstoßen meines Rankings durch Vervollkommnung mir persönlich wichtiger Akzente, die bisher keine der in meinem Besitz befindlichen Einspielungen aufweist. Aber das ist eine komplizierte Angelegenheit...
Ich beschäftige mich seit Jahren (natürlich) nicht nur mechanisch mit diesem Werk, sondern es ist ein Teil von mir - meines Herzens - geworden. Ein guter Freund bescheinigte dem Werk einst sehr zutreffend eine Katalysatorwirkung - dem kann ich nur zustimmen.