01 - Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55: Interpretationsvergleiche

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    Ich eröffne dann mal den Thread zu unserer Schutzpatronin, der


    Sinfonia Eroica


    composta
    per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo
    e dedicata
    A Sua Serenissima il Principe di Lobkowitz
    da
    Luigi van Beethoven


    Seinerzeit (und noch immer) auf der Suche nach der theoretisch besten Einspielung habe ich versucht, das vermeintlich 'Beste' durch Mathematik zu definieren. Mir ging es dabei insbesondere um die Relation der drei Teile des Finalsatzes. Ich hatte zu diesem Zwecke die Metronomangaben und Taktzahlen kombiniert und kam rechnerisch auf folgendes (zeitliches) Ergebnis:



    So - dachte ich - müßte die perfekte Zeitstruktur des Finalsatzes ausschauen. Meine suche nach Einspielungen, welche diese Vorgaben erfüllen, förderte folgendes zu Tage:



    Béla Drahos erfüllte die Vorgaben neben Andrew Manze und Thomas Dausgaard am ehesten. Das Hörerlebnis überzeugte mich aber dann nicht wirklich, da das Tempoempfinden der mathematischen Konstruktion einen Streich spielt (s.w.u.). Dennoch sind (natürlich) die Einspielungen als solche hervorragend, wenn sie auch nicht alle unbedingt zu meinen Lieblingsinterpretationen gehören.


    Nach der etwas ungewöhnlichen 'Einführung' nun ein paar Anmerkungen (mal mehr, mal weniger ausführlich) zu den gehörten Einspielungen:



    Swedish Chamber Orchestra Örebro
    Thomas Dausgaard
    omi


    Welch eine Präzision bei Dausgaard mit dem Schwedischen Kammerorchester! Ich bin so wunderbar überrascht. Folgendes ist mir positiv aufgefallen:


    *recht gutes Crescendo in I 35/36 (das ist mir sehr wichtig!)
    *Keile werden wunderbar kurz und stark gespielt, teils nur angerissen (z.B. I T. 109ff)
    *Legato wie es im Buche steht bei II 241 (1. Vl.)
    *Fetziges Alla Breve in III 381ff.
    *Fermate der 1. Vl. in IV 55 auf d (genial! - so steht es in der Partitur)


    Ansonsten ist die Dynamik sehr ausgetüftelt, sehr präzise, sehr differenziert im Gegensatz zu manch anderer Einspielung. Sie wirkt beinahe ein wenig gekünstelt. Besonders schön sind im ersten Satz die 2. Violinen zu hören - denn auch die haben etwas zu "sagen". Blech und Holz sind supergut! Eine sehr spannende und mitreißende Einspielung, die von knapp 40 Musikern im Oktober 2002 in der Örebro Concert Hall dargeboten wurde.


    Dausgaard gibt ganz schön Gas - manchmal meint man, er würde im Verlaufe einer Phrase immer schneller werden... aber irgendwie passt's dann plötzlich wieder, ohne dass jemand die Notbremse ziehen musste.


    Zu meckern gibt's aber auch was: Dausgaard wählt, wie alle bisher mit Ausnahme von Savall, ein für meinen Geschmack zu zügiges Tempo beim Poco Andante des Finales, so dass wie sooft das anschließende Schlußpresto ein wenig an Wirkung verliert.



    Helsingborg Symphony Orchestra
    Andrew Manze
    omi


    Stark beeindruckt hat mich die Gewalt des ersten und die getragene Spannug des 2ten Satzes.



    Smithonian Chamber Orchestra
    Jaap Schröder
    opi


    Eine besondere! Eine besonders gute! Ich glaube, sie kann der Savallschen durchaus das Wasser reichen. Die Aufnahme besticht durch abolute Transparenz, sehr fein abgestimmte Dynamik (kaum zu glauben, dass dies so spielbar ist). Die Tempi sind angemessen.


    Der erste Satz wirkt optimal, wie auch der zweite - das Tempo im 2ten ist mir sogar sehr angenehm bei Schröder. Hingegen wirkt das Scherzo eher ein wenig zu lahm, der poco-Andante-Einschub im 4. Satz ist eher zu flott für meinen Geschmack, so dass das Presto seine angedachte Wirkung etwas verfehlt.


    Die Aufnahme wurde 1987 im Richardson Auditorium der Priceton University, New Jersey hergestellt. Im Booklet wird jedes einzelne bespielte Instrument namentlich, d.h. mit Hersteller und Baujahr (soweit bekannt) genannt. Es spielen 13 Violinen, 4 Bratschen, 5 Celli und 2 Kontrabässe. Die Bläser sind üblich besetzt.



    KlangVerwaltung
    Enoch zu Guttenberg


    Das Klangfinanzamt hat mich eher kalt gelassen. Der Klang ist transparent, aber die Wiederholung der Exposition des erten Satzes fehlt - und das, wo doch der Booklettextautor von "kolossalen Ausmaßen" und einem "Verhältnis von 3 : 5 : 3 : 3" schreibt. Auch mein Lieblings-Crescendo im ersten Satz wird total ignoriert (da bin ich garnicht traurig, daß das nicht wiederholt wird). Fazit: langweilig.



    Ensemble28
    Daniel Grossmann
    opi


    Eigentlich gibt es, was Gossmann betrifft, für mich lediglich einen echten Kritikpunkt: Schön zwar, dass das Palais Lobkowitz für die Einspielung ausgewählt wurde (hier wurde die Eroica uraufgeführt), aber: hätte man den Eroica-Saal noch mit Menschen oder dämmenden Attrappen gefüllt, würde die Musik nicht so schweben und (leider) durch den Hall teilweise so verschwommen erklingen. Also klingt die Aufnahme nicht zu 100 v.H. hip, denn bei der Uraufführung werden wohl ein paar Leutchen dagewesen sein.


    Die beiden markanten Anfangsakkorde – das eigentliche „Markenzeichen“ der Eroica ist bei Savall sehr bestimmend und scharf – bei Grossmann eher unverbindlich, beinahe zu vorsichtig, was aber mitunter auch an dem Hall liegen mag. Insgesamt gefallen mir aber tatsächlich beide Interpretationen überaus gut, die beinahe kammermusikalische Besetzung Grossmanns (28 Musiker, davon vier 1. und vier 2. Violingruppen, zwei Violen, zwei Bratschen, zwei Violoncelli, zwei Kontrabässe, die Holzbläser paarweise, drei Hörner, zwei Trompeten und Pauken) klingt schon sehr reizvoll und ist keineswegs weniger „mächtig“ als die vollere Besetzung bei Savalls Concert des Nations. Nur eben werden die Holzbläser sehr viel leichter hörbar, besonders die Clarinetten sind in fast allen Sätzen sehr schön exponiert – am meisten fällt dies im Finale auf, in welchem sie triolisch gegen das eigentliche Metrum im von mir sogenannten „Saufgesang“ im langsamen Teil spielen.


    Im ersten Satz ist Grossmann deutlich hörbar gemächlicher (+7%) zu Gange, der zweite Satz ist dafür weniger am „Trauermarsch“ orientiert als an einem Trauer-Tanz (-12,5%), was ich aber keinesfalls negativ sehe bzw. höre. Es sind eben zwei unterschiedliche Ausführungen. Das Scherzo ist vom Tempo her wieder in Relation zum Hauptsatz (Grossmann +8% vs. Savall). Mir gefällt persönlich Savall hier deutlich besser, denn die rhythmisch interessante Stelle, bei deren Hören man stets vom Stuhl aufspringen muss, veranlasst mich nur bei Savall dazu, nicht bei Grossmann.


    Beim Finale ist optisch kein Unterschied festzustellen (13 Sekunden „Differenz“). Aber: Grossmann wirkt dennoch gemächlicher als Savall, denn Letztgenannter benötigt für den langsamen Mittelteil vor dem Schlußpresto etwas länger als Grossmann (die Temporelation pro Interpretation stimmt aber wohl im 4. Satz bei beiden), weshalb der „Endspurt“ bei Savall in exakt einer Minute, bei Grossmann in 55 Sekunden „erledigt“ wird. Durch das langsamere Metrum in der „Ruhe vor dem Sturm“ wirkt die Coda bei Savall allerdings nur sehr viel rasanter, trotz der sehr kurzen Zeitunterschiede. Interessant… ich hätte es genau umgekehrt eingeschätzt.


    Insgesamt geht Grossmann (44:16) schneller an mir vorüber als Savall (44:35). Natürlich sind die 19 Sekunden Unterschied nicht hör- oder fühlbar. Mein Erklärungsversuch ist, dass tatsächlich bei Savall mehr Erlebnis dahinter steckt, daher kommt es mir wohl länger vor (hat Einstein diesbezüglich auch Schrifttum hinterlassen, es müsste schon mit der Reltativitätstheorie zu tun haben…).


    Aber, trotz aller aufgezeigten Unterschiede, die mir persönlich aufgefallen sind, höre ich beide Einspielungen sehr gerne – den Grossmann als die etwas luftigere Version, den Savall als den akzentuierten, sehr viel kämpferischeren Interpreten.


    Die Savall-Einspielung sollte natürlich auch noch gezeigt werden:



    Les Concerts des Nations
    Jordi Savall
    opi


    Diese Einspielung gefällt mir deswegen so gut, weil sie eine (fiktive) Geschichte erzählt und alle Sätze in sich und untereinander schlüssig präsentiert werden. Was mir noch besonders wichtig ist, ist meine Beobachtung, daß die Eroica zwar in der Tonart Es-Dur steht, aber als heimliche Haupttonart g-moll hat. Die Herausarbeitung dieses g-molls ist für mich maßgebend bei einer guten Interpretation; Savall ist dies herausragend gelungen. G-moll taucht erstmals in der Durchführung des Kopfsatzes (T. 198ff.) auf, ganz unscheinbar auch in Satz II T. 155. Bedeutend wird g-moll im Finalsatz, der bereits auf der Dominante zu g-moll (D) beginnt, ab T. 211 folgt die längste g-moll-Phase der Eroica (46 wilde Takte im punktierten Rhythmus). Den Höhepunkt - auch imo des ganzen Werkes - hört man dann in dem apokalyptischen g-moll-Akkord im Poco Andante-Teil (T. 418 - auch dieser ist bei Savall einmalig und geht durch Mark und Bein).


    Meine Favoriten sind eindeutig (in dieser Reihenfolge):


    Platz 1: Dausgaard / Savall / Immerseel (eine Mischung, die ich zu bestimmen hätte, wäre gut)
    Platz 2: Manze
    Platz 3: Schroeder
    Platz 4: Grossmann


    Das kann sich, glaube ich, nur noch durch eine Schoonderwoerdaufnahme ändern. Der Guttenberg ist und bleibt eben nur ein Guttenberg und kein Besserberg. Wobei ich die Einspielung jetzt keinesfalls so schlecht finde - aber sie offenbarte mir keine Neuigkeiten und erfüllte auch nicht die Erwartungen, die ich hatte: Nämlich ein Umstoßen meines Rankings durch Vervollkommnung mir persönlich wichtiger Akzente, die bisher keine der in meinem Besitz befindlichen Einspielungen aufweist. Aber das ist eine komplizierte Angelegenheit...


    Ich beschäftige mich seit Jahren (natürlich) nicht nur mechanisch mit diesem Werk, sondern es ist ein Teil von mir - meines Herzens - geworden. Ein guter Freund bescheinigte dem Werk einst sehr zutreffend eine Katalysatorwirkung - dem kann ich nur zustimmen.


    :wink:



  • Ich nehme mir vor, über mehere EROICA-Interpretationen zu schreiben, da ich KEIN Musiker bin, werde ich mein Gesamturteil durch die sogenannte ASBS = Arnulfs Subjektive Bewertungs Skala : 0 bis 10 Punkte ergänzen.


    Franz Brüggen, Orchestre of the 18. Century, Gastspiel Schwetzingen, Mai 2003


    Hin und Hergerissen bin ich seit 10 min: Einerseits klang mir das Orchester gleich nach den beeindruckenden Eingangstakten insgesamt zu dünn... jetzt, in der Mitte des 1. Satzes, schätzt mein Ohr zunehmend eine Dramatik, die mich trifft, teilweise durch Mark und Bein geht... der Stellenwert, den die Voluminösität des Orchesterapparates eigentlich für mich hat, hat sich derart relativiert, dass er im Moment nicht zählt. Gegen Ende des 1. Satzes ist ein überzeugendes „Allegro con brio“... ielleicht ein bisschen „einstimmig“, aber stets von organischem Fluß. Die Bläser heben sich im Finale fulminant ab. Ein guter Schluß.


    Im 2. Satz geht es anfänglich (wieder) fast kammermusikalisch zu, auch etwas zu gemächlich, jetzt kommt nach 5 min der erste dramatische Ausbruch, zugespitzt und reduziert zugleich kommt das bei mir an. Das dialogisierende Musizieren bringt eine Art Aufbäumen der gegensätzlichen Themen... aber jetzt der March funebre: das trifft mich nicht wie ein Blitz, sondern ich sehe eher aus der Ferne (allerdings) gebannt einem Trauerzug zu, den ich silhuettenhaft auf einem gegenüberliegenden Bergkamm verfolge. Das Finale dieses Satzes wirkt wie ein Feuer, das langsam erlischt... unspektakulär... well (na ja)...


    Beim Scherzo geht Brüggen fast augenzwinkernd und trotzdem zupackend zur Sache. Wenn ich den Übergang vom 2. zum 3. Satz nicht (wie so oft) als eklatanten >Bruch< innerhalb des Werkes empfinde, dann weil es dem 2. Satz an Dramatik, ja an einer Wucht gefehlt hat, vor der man sich in Acht nehmen muß, damit sie einen nicht umhaut. Wenn die Gegensätze (der Teile 1+2 versus 3+4) von vorneherein relativ klein angelegt sind, ist man leider wenig erschüttert, andererseits hab ich mich kaum aufgeregt, bzw. geärgert.


    Finale: Prägnant der Beginn... aber dann auch etwas dahin plätschernd. Jetzt, beim 1. Hauptthema, wieder sehr schön ausgehört, fast reflektierend das Thema variierend, es bleibt feinnervig, der DRIVE, den ich herbeisehne, er kommt nicht... aber plötzlich wird das Tempo stark angezogen... doch wiederum eher abgeklärtes, eher distanziertes Spiel. Hoffen auf das Finale. Die Dynamikbreite ist zwar begrenzt, jetzt wollte ich die (erhoffte) durchdringende Schärfe der Bläser hervorheben... aber es gibt nix hervorzuheben. Beim Poco Andante des Finales geht es sehr überhastet zu, sodaß das Schluß-Presto wie eine Knallerbse in der Silvesternacht verpufft. Also: die Schlussakkorde: der Hase rennt, schnell nach Hause. Wie weit ist es von Schwetzingen nach Flandern ? :evil::D?(


    Arnulfus


    P.S. Leider konnte ich kein Cover der EROICA unter Brüggen finden, deshalb das Cover der 9. Sinfonie. Meine besprochene Aufnahme ist ein Radiomitschnitt.

    • Offizieller Beitrag

    P.S. Leider konnte ich kein Cover der EROICA unter Brüggen finden, deshalb das Cover der 9. Sinfonie. Meine besprochene Aufnahme ist ein Radiomitschnitt.


    Ich habe (mit Verlaub) das Cover gegen die seinerzeit bei Philips erschienene GA der Sinfonien getauscht, da hier die Eroica enthalten ist. Da Du aber einen Radiomitschnitt (von 2003) kommentiert hast, ist dieser (natürlich) mit der in der Philips-Box enthaltenen Einspielung, die ich habe, nicht vergleichbar. Diese Box bekam man vor anderthalb Jahren bei jpc nachgeworfen, einen bleibenden Eindruck hat sie bei mir nicht hinterlassen.


    :wink:

  • *flöt*


    Seit zwei Tagen höre ich die Aufnahmen dieser fünf Herren Dirigenten immer wieder... und "durcheinander" (teilweise „blind“, also ohne zu wissen, WER dirigiert)


    OTTO KLEMPERER, 1954, Kölner Rundfunksinfonieorchester ASBS: neun (9)


    Das Scherzo von Klemperer entspricht eher einer Demontage eines Scherzos. Wenn auch vom Thema her >aufgelockert<, so sorgt diese >scharf< angelegte Interpretation im Moment eher gerade für eine Gänsehaut bei mir. Dieser satte, ja schwere Orchesterton (Atmosphäre) sorgt zunehmend für Kopfschwirren. Knapp 50 min absolute Hochspannung... wobei das Charakteristische dieser Tonsprache viele persönliche Aspekte des Klemperischen Schicksals wiederzuspiegeln scheinen. Manches wirkt bohrend, sogar anklagend, fast herausgeschrien, durchweg hochdramatisch und an Intensität kaum zu überbieten. Seine Interpretation erzählt auf sehr eindringliche Weise auf dem eigenen persönlichen Hintergrund von Leiden, Verbitterung, Depression und Lebenskampf , in fast aufbäumender Art und Weise, wie mit der Pranke eines Löwen dirigierend, extrem eindringlich.


    DAS Demonstrative dieser Interpretation kann Geschmacksache sein, (das Leiden hört nämlich nicht auf) andererseits gibt es dadurch eine stimmige Verbindung zwischen den beiden gegensätzlichen Teilen Sätze 1+2 VERSUS Sätze 3+4



    IGOR MARKEVITCH, 1958 (?), Symphony of the Air (NY) ASBS: acht (8)


    Am Ende der Markevitch-Aufnahme mit dem Amerikanischen Orchster "Symphony of the Air" (1958) gibt es ein Interview... immer wieder wird seine leidenschaftliche Musizierweise, seine Expressivität, der dramatische Impetus und das große Pathos angesprochen....man wollte vorallem diese Gaben von ihm bei Prokofieff, Tschaikowsky, Schostakowitsch in Konzerten hören.


    Auf seiner EROICA sind genau diese Stärken von ihm zu bewundern. Was man weniger erwartet , war seine fast zerbrechlich-feinnervige Seite, die zwar auch einem (berechnenden) Impuls zu entspringen scheint, vielleicht ein wenig inszeniert... aber DAS kann auch mein Vorurteil sein. Jedenfalls antwortete Markevitch auf die Frage nach seiner geglücktesteten Aufnahme: es sei die 1958 ziger Aufnahme der Haydn'schen Schöpfung (DGG) mit den Berlinern. Irmgard Seefried, Richard Holm und Kim Borg.


    Ich höre im Moment den 2. Satz (March Funebre), die Binnenspannung ist fast zum Bersten gespannt im Piano, wie im Dramatischen. Ich finde Markevitch's "Amerikanische EROICA" (er hat auch eine mit den Berlinern gemacht) überzeugend, mitreißend, sie berührt mich tief. Insgesamt scheint es mir bei diesem großen Dirigenten (Vater von Oleg Caetani) eine gefühlsmäßige Vorstellungswelt bezüglich Beethoven, Revolution, etc zu geben, die ihn von Beginn an leitet. Mit den durchdringenden, fast gemeißelten undja aufrüttelnden Takten des Kopfsatzes anfangend, stellt sich eine durchgängige Musizierweise auf Hochspammungsniveau ein. Beeindruckend.....allerdings hat eine solche >mitreißende< Deutung ja auch einen Ansatz von Übergriffigkeit... deswegen ich sie auch nicht zu oft höre.



    EUGEN JOCHUM, 1954, Berliner Philharmoniker ASBS: sieben (7)


    Ich war nie ein großer Eugen Jochum-Fan. (eher von seinem Bruder, aber das ist durch dessen NAZI-Geschichte ein EXTRA-Kapitel, irgendwann...)


    So wie sich bei Inbal’s Bruckner und Mahler-Interpretationen immer schon die Geister geschieden haben, so waren es in den SIEBZIGERN die Kubelikschen MAHLER- und die Jochum’schen BRUCKNER-Interpretationen. Auch mit Seinem Wagner, Mozart + Beethoven verbinde ich keine besonderen Hörerlebnisse. In der 10 CD-Set-Box der BERLINER PHILHARMONIKER (historische Tondokumente für 10 Euro !) befindet sich eine EROICA von Eugen Jochum, die mich aufhorchen ließ. Sie ist in recht moderaten Tempi musiziert, durchweg voller Spannung, hat einen satten, eher warmen Klang. Die humanistische Botschaft klingt bereits mit dem 1. Ton mehr durch, wenn auch angemessen in ernsthafter und überzeugter Hingabe, als ein Grundton (z.T. wie bei Klemperer + Markevitch) von >überlebenskampfähnlicher Manier< . Eine spannungsreiche, abgerundete Vorführung der Beethoven’schen EROICA-Welt.



    MICHAEL GIELEN, 1980, Cincinnatti Symphony Orchestra ASBS: zehn (10)
    CLAUDIO ABBADO, 1989 (?) Berliner Philharmoniker ASBS: zehn (10)


    Diese beiden Dirigenten scheinen auf einer Wellenlänge zu schwimmen, als auch zu >fließen<. Ehrlich gesagt, habe ich die beiden Aufnahmen in 20 Jahren NIE direkt miteinander verglichen. (EROICA-Forum macht’s möglich/notwendig). Die >persönlichen Welten<, bezüglich eigenem Schicksal und entsprechenden Ausformungen, wie z.B. bei Klemperer u. Markevitch, spielen bei Gielen und Abbado keine Rolle. Ich wage mal die Hypothese: Wenn ich heute abend deren Aufnahmen mit der Partitur auf dem Schoß gehört hätte,(erst mal können :.) :.)...wäre mir das Herz aufgegangen. DAS EXORBITANTE, ja EINMALIGE dieser beiden Ausnahme-Interpretationen besteht in ihrer selbstlosen Art und Weise. Beide Maestri scheinen lediglich von dem Werk besessen, sie selbst brauchen keinen Weihrauch.


    In den letzten beiden Sätzen wirkt Abbado reflektierter und folglich in den Tempi weniger forsch, als in den ersten beiden Sätzen. Gielen, wie Abbado verkörpern durch ihren Dirigierstil einen pluralistisch philosophischen Ansatzpunkt, der (m.E.) durch keine Form der Reduzierung (Klang, Orchesterbesetzung)erreicht werden kann. Die Zuspitzung der Botschaft dieser Sinfonie, auf eine Dramatik und Palette von konträren Emotionen, die z.T. an die Grenzen unseres Mensch-Seins führt, scheint mir nur in der sogenannten OMI-Form möglich. Ergänzungen sind immer richtig.... und deswegen hat natürlich DIE andere Aufführungspraxis/Interpretation seine Meriten und Berechtigung. Einen >Rauschzustand< und >Lebenskampfduell< (Sätze 1+2) erreicht für mich aber kein Orchestre of Enlightment oder ähnlich besetze Gruppierungen. Für mich muß es in der EROICA krachen, schluchzen, kämpfen, zerreißen, etc... DAS geht nur bedingt in OPI-Deutungen, denn Stilisierung entspricht im Wesentlichen einem aesthetischen Bedürfnis, welches von Differenzierung bis Sublimierung träumt und das Klangerlebnis subjektiven Kriterien anpassen möchte.


    Gielen und Abbado haben atemberaubende Aufnahmen gemacht, weil sie in der Lage sind, die >Verrückt-Heit< unseres Daseins musikalisch auszudrücken. Ihre Aufnahmen sind packend, und vermögen durch ihre Qualität beim Zuhören "die Welt die Welt sein lassen zu können". 2 x ein MUSS für jeden EROICAOINICEN


    *yepp**yepp**flöt**flöt*:thumbup::thumbup:


    Arnulfus


  • Nikolaus Harnoncourt, 1990, The Chamber Orchestre of Europe ASBS : sechs (6)


    Heute habe ich seit fast zwanzig Jahren wieder die EROICA mit Harnoncourt gehört. Damals war Vieles für mich neu und ungewohnt, auch durchaus sensationell in einigen Sequenzen. Heute habe ich einige Passagen genossen und bewundert...ABER über der ganze Aufnahme lag eine Art Stallgeruch wie im Chemielabor. So wie in der Antibiotika-Ära das Hinterteil des Hausschweins plötzlich in seinen Proportionen fremd in dem vertrauten Stall-Ambiente wirkte, dafür aber mehr Ertrag brachte.......so erlebte ich heute in dem Dirigat von Harnoncourt insgesamt auch etwas >unorganisches<. Manche Passagen stimmten in ihren Proportionen nicht (wie des Schweinerls Hinterteil). Zeitweise gab's eine Aura von >Künstlichkeit<....diesen durchgängigen Atem, die Stringenz und Echtheit einer durchgehaltenen Interpretatitions-Linie habe ich vermißt. Hab mich plötzlich geärgert und aber auch wieder gestaunt, ja bewundert, z.B. beim Beginn des letzten Satzes. Natürlich haben mich 20 Jahre Harnoncourt-Rezensionen , als auch seine unterschiedlichen Auslegungen/Deutungen verschiedenster Werke, beeinflußt. Es kann gut sein, daß ich deswegen beim heutigen Hören besonders auf "Manierismen", uneinheitliche/widersprüchliche Aspekte der Deutung, etc geachtet habe.


    Ich sagte schon, dass ich kein großer Jochum-Fan bin (siehe Besprechung seiner EROICA)...aber im Gegensatz zu Harnoncourt hält er seine Linie durch, wirkt er glaubhafter auf mich. Wenn man einen Piemontesischen Barolo kauft, weiß man: es handelt sich um die Nebbiolo-Traube, die 3 Jahre (garantiert) in einem Eichen-Faß gelagert hat.....(simpel und charaktervoll zugleich)........wenn man eine Französische Creation der Extraklasse erwirbt, darf man sicher sein, aus dem Labor des Chateau Marie Curie, eine wirklich einzigartige Creation aus etlichen Spitzengewächsen zu bekommen. Die unbestechliche Nase des Weinzauberers und seine geigte Pipette sind die Garanten für eine Mixture Vine de Grande Superb (in Boucet und Preis)....aber ist es ein Naturgewächs ???


    Harnoncourts Dirigierstil erinnert mich mehr und mehr an ein "Kunst-Produkt" vom Chateau des Marquis de la Fontaine d' Harnoncourt.


    John Eliot Gardiner, 1993, Orchestre Révolutionaire et Romantique ASBS : sechs (6)


    DAS ist schon merkwürdig: nach meinem Geschmack gleiche Benotung (ASBS : 6) für zwei völlig verschiedene Interpretationsansätze, ja völlig verschiedene Ausdruckswelten der beiden Dirigenten Gardiner und Harnoncourt. Seitdem ich auf diesem Musikforum bin, weiß ich noch mehr als früher, daß es zwischen OMI und OPI unterschiede gibt. Ich hoffe, ich gehe richtig in der Annahme, daß beide Aufnahmen für OPI stehen. Wenn DAS so ist, sind zumindest diese beiden "Großväter" >widersprüchlich und teilweise sogar zerrissen<. Bei Gardiner gibt es für mich insgesamt mehr einen durchgängigen Stil...man hört zwar bei weitem nicht so überraschende und hervorstechende Momente/Aspekte wie bei Harnoncourt.....aber große Teile, insbesondere des Kopfsatzes, imponieren mir durch einen einheitlichen Duktus/Atem. Wiederum scheint es mir -unverständlicherweise- in allen vier Sätzen unterschiedliche Gewichtungen und Ansätze zu geben. Der 2. Satz, "Marche Funebre" ist eine große Enttäuschung, das ist kein Trauermarsch, eher >Jahrmarktsmusik< (frei nach Handke: die Angst des Torwarts vorm Elfmeter). Auch in den Sätzen 3 und 4 erkenne ich kein durchgängiges Konzept, trotz einiger beeindruckender Stellen.


    NE, DAS is es nich.....aber wegen des überzeugenden 1. Satzes und einigen guten Details, kriegen beide OPI's sechs Punkte (von 10 möglichen).


    Arnulfus

    • Offizieller Beitrag

    Ich hoffe, ich gehe richtig in der Annahme, daß beide Aufnahmen für OPI stehen.


    Ja, ganz genau.


    Da ich die Gardiner-Complete-Edition besitze, habe ich mir auch gerade seine EROICA reingezogen. Diese Box ist ist wesentlich preisattraktiver als die von Dir gezeigte, verfügt allerdings nicht (mehr) über die 6. CD mit den Gardiner-Interviews:



    1. Satz: Recht gut anzuhören, aber nicht wirklich mitreißend. Was mir besonders auffällt, ist eine Unausgewogenheit der Dynamik: oftmals ist das einfache f (forte) sehr viel stärker und lauter als das ff (fortissimo), beispielsweise T. 557 Des-Dur (forte) vs. T. 561 C-Dur (fortissimo), dito am Schluß: T 655 (forte) vs. T. 685 (fortissimo).


    2. Satz: Auch dieser gefällt beim Hören zunächst durchaus. Aber auch hier finde ich den wichtigen fortissimo-Einsatz auf as im Bass (T. 58) deutlich zu wenig erschreckend. Im Gegenzug sind die Piani und Pianissimi teils so extrem, daß man sich wirklich anstrengen muß, etwas zu hören (und ich habe bereits voll aufgedreht, wie es dem Werk gebührt).


    3. Satz: Klingt nur leicht scherzohaft, eher pastoral. Trotz des zügigen Tempos kein 'Schmackes'. Es mangelt zudem an der Delikatesse, die ich z. B. an Schuberts Scherzo aus D960 so schätze. Der Alla-Breve-Teil (T. 381-384) ist viel zu schwach - hier muß man vor Entzücken unfreiwillig aufspringen können, leider Fehlanzeige.


    4. Satz: Fermate falsch gespielt (T. 55 - sie sitzt in der 1. Violine auf dem Achtel, nicht auf dem vorhergehenden Viertel! - aber das machen sie bis auf Dausgaard alle). Auch hier sei die Dynamikinkontinenz noch mal der Vollständigkeit halber erwähnt: Übergang Fortissimo (T. 174) zu Piano (T. 175) kaum bemerkbar...!? Erst jetzt fällt mir die allgemeine Schwäche der Bässe auf. Das Poco Andante scheint mir nicht wirklich ruhig - da schwimmt (noch) eine Aufgeregtheit aus dem Vorhergehenden mit - keine wirkliche Entspannung, wie sie es imo sein sollte. Überraschend infernal der g-moll-Akkord (T. 418), da aber zu schnell, bleibt er ohne nachhaltige Wirkung. Im fast brüderlichen Schunkel vereinend kommt nun das Schlußpresto, aber es hinterlässt kein glühendes Herz...


    Roundabaout sicher gut musiziert, aber wie mein Vorschreiber es treffend formulierte:


    Zitat von Arnulfus heroicus

    NE, DAS is es nich.


    Maximal 3 Punkte von 10 möglichen (davon einer, weil's opi ist). :(


    Mir persönlich gefällt da die rund 10 Jahre jüngere DVD-Einspielung Gardiners weitaus besser.


    :wink:

  • Sakari ORAMO und die EROICA (Interpretation des RSO Frankfurt am 30. 03.12, gesendet auf hr 2)


    Es mag ja sein, daß mich die gesamte Diskussion mit den Praeferrenzen für den OPI überfordert, zumal ich ein ungehöriges Potential von >EIN MANN SIEHT ROT< gegen Tendenzen jeglicher Art von Dogmatismus in mir trage. Bei der teils leidigen aber auch irgendwie spannenden Diskussion über die Veränderungen im Deutschen-Orchesterwald durch die > HIP Kultur <, scheint das Orchester des Hessischen Rundfunks eine besondere Rolle zu spielen. Die Flexibilität und (VER)WANDLUNG / VIELSEITIGKEIT dieses excellenten Klangkörpers wurde am Freitag, 30. März (LIVE aus der ALTEN OPER) --so weit ich das beurteilen kann -- sehr deutlich.


    Ich kam aus dem Staunen + Begeisterung, insbesondere über den Kopfsatz, nicht heraus. Da hörte ich höchste Präzision und wunderbar federnde rythmische Prägnanz, viele Details und wahre Wunder an polyphonem Variantenreichtum. Die eindrucksvolle Transparenz des Orchesterklangs war der Hauptunterschied zu ansonsten fast >Toscaninischer Ekstase<. Insgesamt bin ich von der Immerseel'schen Interpretation der EROICA zwar enttäuscht, vorallem was die Berücksichtigung und Auskostung der Vielseitigkeit/Vielschichtig, ja >Gegen- Sätzlichkeit< dieser Sinfonie anbetrifft... in Punkto Transparenz schätze ich die Lesart von Immerseel allerdings. ORAMO's Dirigierstil hat mehr Facetten (als der von Immerseel). Ich muß ihn mit meinem laienhaften Gemüt (ohne Partiturkenntnisse) in Richtung Harnoncourt / Norrington positionieren. Diesen 1. Satz habe ich fast als >DAS ABSOLTUM< erlebt, was eine Interpretationsansatz wie der von ORAMOl für mich an NEUEM zu Tage bringen kann.


    Ich muß ehrlich bekennen: Dieser erste Satz hatte einen anderen >Kosmus<... im Vergleich zu Klemperer, Konwitschny, auch Toscanini....etc resultiert nicht nur ein >ANDERER KLANG< als Resultat einer OPI-OMI-MISCHUNG eines Rundfunkorchesters, SONDERN auch eine neue/andere Kategorie der >Deutung< im Sinne eines differenten kultur-philosophischen- Eindrucks. Ich kenne das Wort SYNKRETISMUS eigentlich aus meiner >Theologie-Zeit<... es scheint mir aber durchaus angebracht, dieses Wort für das NEUE im Interpretationsansatz (vorallem) des Kopfsatzes zu verwenden, weil es mir GRENZÜBERSCHREITEND im Sinne eines kulturübergreifenden (PAN-kulturell) Phaenomens vorkommt.


    Es ist spät geworden... weswegen ich nicht ausführlich auf meine widersprüchlichen Eindrücke der nachfolgenden Sätze im Einzelnen eingehen kann. Erwähnen will ich, daß ich beim ersten Hören den >Marcia funebre< eher "ausgezehrt", zumindest "verhalten" erlebt habe. Dieser Impetus an Leidenschaft für den 1. Satz, wechselt im 2. Satz zu fast distanzierten ... und damit entmythologiserenden Botschaft< über diesen TRAUER_MARSCH. Irgendwie war diese Deutung vom 2. Satz auch radikal und NEU... ABER dieser enorme Gegensatz zum 1. Satz macht mir noch zu schaffen.


    Den 3. Satz übergehe ich mal, weil er vielleicht am meisten der gängigen Interpretation entsprach. Der 4. dagegen, der für mich stets eine Schlüsselfunktion hat, war von ähnlich großem Wurf eie der 1. Satz. Ich muß ihn noch ein paar mal hören, bevor ich passende Worte finden kann. Schroffheit und Transparenz zeichnen ihn in jedem Fall aus. Da existiert jedoch ein Moment von >Agogik< (wie auch im 2. Satz) dem sich die Partitur-Leser mal widmen sollten... um ein wenig >NOTEN-bezogenene Deutungen< zum besseren Verständnis beizusteuern. In jedem Falle hatte das FINALE eine Sprengkraft, die mich sofort ansprach, wie auch überwältigte.


    DIESE INTERPRETATION DER EROICA von ORAMO ist in jedem Falle eine HERAUSFORDERUNG bezüglich der EROICA-Rezeption. OB sie auch >revolutionär< ist, kann ich natürlich nicht sagen... sehr hörenswert ist sie auf jeden Fall (HR 2 (Klassik), noch 1 Woche nachzuhören.


    Arnulfus

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,


    meinem "Gesucht II" aus dem Eröffnungspost kommt der neue Weil extrem nahe:


    Gesucht: 6:06 + 4:00 + 0:52 = 11:00
    Gefunden: 6:07 + 3:58 + 0:52 = 10:57


    *yepp*



    Ich möchte dennoch nicht vorbehaltslos behaupten, diese Interpretation sei das A und O... mir gefällt sie hingegen ziemlich gut: das Klangverhältnis Streicher/Bläser ist sehr ausgewogen (die Besetzungsgröße des Ensembles Tafelmusik Baroque für diese Einspielung ist mir leider nicht bekannt), die Hörner sind sehr knusprig, was ich mag (besonders gut zu hören natürlich im Scherzo). Ich habe die Einspielung zunächst ohne Partitur genossen, und das habe ich wirklich. Beinahe überwältigend ist der 2. Satz, der sich wie ein mächtiger Lavastrom unaufhaltsam über alles ergießt, besonderes Gefallen fand ich hier an der "Geharnischten"-Stelle, also dem Fugato ab T. 114. Meiner Vorstellung von infernal kommt auch der g-moll-Akkord (für ich der Höhepunkt der gesamten Sinfonie) im Finale (T. 418) reichlich nahe! Insgesamt sind mir die Dissonanzen etwas zu wenig akzentuiert. Ersten und dritten Satz fand ich überaus akzeptabel, mehr dazu nach der Hör-Session mit Partitur.


    OT: Für ebenfalls sehr gelungen halte ich die auf der CD enthaltene "Italienische" Sinfonie Felix Mendelssohns: spritzig, transparent und verklärt (wo es eben passt). Tolle Celli und Clarinetten!


    Erstes Fazit: ziemlich gut! :jubel:


  • Mein Eindruck nach einem ersten, intensiven Hören:


    Der Klang der ganzen CD ist eigentlich sehr schön, andererseits aber auch irritierend. Schön ist die Ausgewogenheit aller Instrumente und der fast kammermusikalisch anmutende, dichte Klang, der sehr detailreich ist (manches habe ich in anderen Aufnahmen nie zuvor gehört!). Irritierend ist, dass dermaßen wenig Nachhall vorliegt, dass das ganze ein wenig wie "durch Watte hindurch" klingt. Ich habe sogar fast den Eindruck, dass beim Abmischen am Hall herumgeschraubt wurde. Ebenfalls irritierend ist, dass die Dichte des Klanges (welche in erster Linie das Resultat von extrem nah an den Instrumenten positionierten Mikrofonen sein dürfte) nicht die ganze CD durch einheitlich ist. Es scheint, dass neben dem Gesamtstereobild auch einzelne Instrumentengruppen aufgenommen und hinterher gegeneinander abgemischt wurden. Das bedingt leider ein paar Stellen, an denen das nicht gut geglückt ist (siehe unten). Das Irritierende ist also, dass der Klang irgendwie inhomogen wirkt und im Verlauf der CD wechselt. Sollte ich recht haben, dass das besonders das Ergebnis von Mischpultarbeit ist, wäre das umso betrüblicher, da der Klang sonst noch toller hätte werden können. - Denn trotz alledem: Sehr schön und einen mittragend ist der Klang auf jeden Fall! Die angesprochene "Nähe" des Klangbildes lässt im Übrigen beeinflussen, je nachdem, wie laut man aufdreht.


    1. Satz:
    Gerade im ersten Satz wirkt der Klang so nah und detailreich, dass es fast kammermusikalisch wirkt. Da, wie Ulli schon angesprochen hatte, die Dissonanzen nicht furchtbar betont sind, bekommt der ganze Satz für mein Empfinden eine ungewohnt positive, fast freundliche Grundstimmung. Interessant, das einmal so zu hören!


    2. Satz:
    Wenn ich beim hören des ersten Satzes erwartet hatte, dass durch die Nähe des Klanges der zweite Satz noch bedrohlich näher an einen herangerückt wird, dann traf dies auch zu, allerdings nicht so stark, wie ich es erwartet hatte. Insgesamt fande ich den Trauermarsch nicht schroff genug, was aber ebenfalls als Kritik auf hohem Niveau anzusehen ist.
    Die "tick-tack"-Stelle fande ich nicht völlig gelungen, weil sie zu schnell im piano anlangt; der alles entscheidende Paukenschlag war in Ordnung (hier ist Savall nachwievor unübertroffen); das Aufbäumen am Schluss war für meine Ohren "falsch", ich weiß aber nicht, was genau mich gestört hat (vermutlich bin ich mit der Art und Weise des ritardandos unzufrieden; mehr nach erneutem Nachhören). An diesen gesamten Schlussteil des zweiten Satzes habe ich allerdings auch sehr hohe Ansprüche, da er für mich zum Tiefgründigsten gehört, was ich musikalisch bislang kenne. Ich könnte diese Stelle tagein tagaus hören, wie sonst nur Mozarts KV 482 (für mich persönlich entsprechend sich diese Werke übrigens ganz ungemein...auch abgesehen von Äußerlichkeiten wie der gleichen Tonart).


    3. Satz:
    Dem dritten Satz "steht" der Klang der CD am besten, wie ich finde. Er gefällt mir so überaus gut! - Wobei mich erstaunt hat, dass die Hörner im Trio ausgerechnet nicht so "nah" klingen wie an anderen Stellen und wie die übrigen Bläser. Das dürfte wohl den oben genannten "Manipulationen" anzukreiden sein. Schön knusprig - dieses von Ulli gewählte Wort passt ausgezeichnet finde ich - klingen die drei Hörner aber wirklich. Insofern ist das Trio trotzdem wunderbar.


    4. Satz:
    Den vierten Satz der Eroica habe ich mir bislang am wenigsten erschlossen, gleichwohl habe ich hier am grundlegendsten zu kritisieren. Hauptsächlich empfinde ich die Variationen als einen Tick zu schnell. Besonderss in der langsamen Variation hat sich dieser Eindruck noch erhärtet. Es geht vielleicht nur um eine Nuance, aber eben eine Nuance zu viel. Gerade zu "empört" war ich dann hinsichtlich des Schlusses. Er kommt zwar in diesem Tempo furios daher, jedoch versagt ausgerechnet dort die Ausgewogenheit zwischen den Instrumenten recht kläglich, so dass die Bläser (besonders die Hörner) im Sturm der Streicher fast untergehen. Dazu ist noch der letzte Akkord mit verkürzter Pause an den vorletzten angehängt, was dem ganzen ein unfreiwillig komisches Ende beschert. So gesehen hat die Einspielung für mich mit einer klleinen Enttäuschung geendet.


    Insgesamt jedoch gibt es zwar Höhen und Tiefen, aber die Höhen überwiegen bei weitem und so hat mich das Hören trotz aller Kritikpunkte unheimlich mitgenommen!


    :wink:

    "erhaben, schön, alles was sie wollen – allein – zu übertrieben schwülstig für meine feinen ohren"
    W. A. Mozart (28.12.1782)

    • Offizieller Beitrag

    Danke für die Beschreibung Deines Erlebnisses, Peter. Ich habe heute - bedingt durch das tolle Wetter - diese Ecoica dreimal hintereinander offen im Wagen gehört und war von Mal zu Mal mehr begeistert. Ich habe zwar auch einige Kritikpunkte, aber die sind eher zweitrangig, wenn es um die Beurteilung des Gesamtergebnisses geht. Was mir im Scherzo beim Solo der Hörner (Trio) noch auffiel, daß der Ton vor dem Leitton (Partitur habe ich gerade nicht parat), keinen definierbaren Ton darstellt, sondern an sich ein unbestimmtes Knuspern und (ich kann es nicht anders umschreiben) ein Platzhalter ist - was mir überaus gut gefällt (es erinnert mich blöderweise an die Triangeln, die extra, damit sie keinen bestimmten Ton erzeugen, mit kleinen Ringen besetzt wurden...).


    Im offenen Wagen ist diese Eroica das reinste Erlebnis, weil die Düfte der Natur (verbranntes Holz, gemähtes Gras usw.) das ganze gut untermalen. Dazu die irritierten Blicke der Menschen an den Ampeln... :D


    Da ich nicht über Kopfhörer höre, kann ich die angebliche Inhomogenität nicht beurteilen. Ich brauche zum Musikhören stets das gefühlsechte Quasi-Live-Erlebnis - und das macht hier, voll aufgedreht - wirklich Spaß!


    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    manches habe ich in anderen Aufnahmen nie zuvor gehört!


    Ganz genau diese Erfahrung machte ich auch.


    Die "tick-tack"-Stelle


    T. 209 - bei mir "Psycho-Thriller-Stelle" :D
    Die Stelle ist sogar m. E. sehr sorgfältig ausgeführt: nur die ersten beiden Achtel von T. 209 sind forte, danach beginnt das decrescendo, das bereits nach weiteren sechs Achteln im piano landet. Das von Peter so bezeichnete "Aufbäumen" (ich nehme an, er meinte die Takte 200 bis 208 des Adagio assai?) findet für mich wesentlich früher statt, nämlich in den Takten 158ff... ab 168 federt das ganze jedoch ab, um seinen absoluten Höhepunkt erst im Finalsatz T. 418 zu finden. Interessant, wie unterschiedlich man die "Eroica" erleben kann... und schließlich zum selben Ergebnis kommt.


    Was mir im Scherzo beim Solo der Hörner (Trio) noch auffiel, daß der Ton vor dem Leitton (Partitur habe ich gerade nicht parat), keinen definierbaren Ton darstellt, sondern an sich ein unbestimmtes Knuspern und (ich kann es nicht anders umschreiben) ein Platzhalter ist - was mir überaus gut gefällt (es erinnert mich blöderweise an die Triangeln, die extra, damit sie keinen bestimmten Ton erzeugen, mit kleinen Ringen besetzt wurden...).


    Um jetzt (mit Partitur) genauer zu werden: es handelt sich um das hohe c im Horn I (notiert: a²), T. 180. Diese Stelle gehört seit dieser Interpretation neben den Alla-Breve-Takten (381-384), die ich hier nicht so aufsehenerregend empfinde, zu meiner Lieblingsstelle im Scherzo.


    Hauptsächlich empfinde ich die Variationen als einen Tick zu schnell.


    Welche Variationen? Die Eroica-Variationen op. 35 wurden komischerweise (lt. mir vorliegenden Werkverzeichnisses 1802, also) vor der Sinfonie, komponiert und 1803 veröffentlicht).


    Gerade zu "empört" war ich dann hinsichtlich des Schlusses. Er kommt zwar in diesem Tempo furios daher, jedoch versagt ausgerechnet dort die Ausgewogenheit zwischen den Instrumenten recht kläglich, so dass die Bläser (besonders die Hörner) im Sturm der Streicher fast untergehen. Dazu ist noch der letzte Akkord mit verkürzter Pause an den vorletzten angehängt, was dem ganzen ein unfreiwillig komisches Ende beschert. So gesehen hat die Einspielung für mich mit einer klleinen Enttäuschung geendet.


    Keineswegs. Für mich passt der Finalsatz in seiner hier dargebotenen Form absolut in mein Raster (siehe Einfünhrungsposting). Besonders hervorheben möchte ich die geniale Sturheit, mit der im Poco Andante des Finales die Rhythmen durchgezogen werden: Sechzehnteltriolen (2. Clarinette, Bratsche, Celli, Bässe) gegen Sechzehntel (Hörner), Synkopen resp. Offbeats der 1. Oboe und 1. Clarinette gegen die Rhythmen der Violinen (T. 373ff). Ganz ähnlich ausgeführt sind auch die Schlußtakte des 2. Satzes (T.232ff). Rhythmisch ist das ein absolutes Fest! Allerdings ist Dausgaard in der Transparenz des abschließenden Prestos unschlagbar, besonders in den letzten 5 Takten. Ich kann hier weder eine klägliche Ausgewogenheit noch einen unfreiwillig komischen Schluß hören.


    Was ich persönlich etwas schade finde, ist der Umstand, daß es keine wirklichen Unterschiede zwischen forte und fortissimo gibt - jedenfalls ist entweder das forte von vorneherein zu stark (T. 655) oder sie geben beim fortissimo nicht alles (T. 671). Insofern kann ich der von Peter festgestellten Unausgewogenheit zustimmen. Besonders gut hingegen finde ich die Lyrik, inbesondere im ersten Satz, z.B. das fast walzerhafte ab T. 623.