Claudio Abbado und die Kunst der seelischen Versenkung
Über 16 Dirigenten habe ich bisher auf dem EROICA-Forum geschrieben.
Von Anfang an stand fest, recht bald über Abbado schreiben zu wollen, da es mir erstens wichtig ist und er zweitens - aus meiner Sicht - mit der größte lebende Dirigent ist. .........aber bis jetzt zögerte und zögerte ich. Da schien immer ein zu hoher Berg zu sein: das ABBADO-MASSIV. Es kann aber nur die einzigartige künstlerische Größe sein, die mich zum Zwergen macht, denn der warmherzige Mensch Abbado, würde mir wahrscheinlich eher Mut machen und mir nicht das Gefühl geben, dass so ein kleiner dahergelaufener Musikfreund wohl größenwahnsinnig sein muß, sich anzumaßen über ihn zu schreiben und vielleicht auch noch zu „urteilen“.
Auch jetzt ist mir etwas mulmig, denn über einen solch genialen und singulären Musiker zu schreiben, braucht es zur Charakterisierung, Einschätzung und Beschreibung der Kunst Abbados, in jedem Falle einen Fachman/frau. Genau DAS bin ich aber nicht und deswegen kann und will ich nur ein paar persönliche Eindrücke über diesen großen Maestro zu Papier bringen.
Nach den zwölf Jahren bei den Berliner Philharmonikern, konnte es eigentlich fast keine Steigerung mehr geben. Wenn man aber Abbado’s ganz eigene Mixtur aus Besessenheit und Liebe zur Musik und zum gemeinsamen Musizieren mit Musikern kennt, mit Musikern, die zu diesem Musizierstil, ja zu dieser Philosophie des Musizierens passen, auf eine ähnliche Art die Musik ATMEN............ Dann war klar, dass da noch ETWAS AUSSERORDENTLICHES folgen würde.
Die entscheidende Frage, ob er seinen Krebs schaffen würde zu besiegen, kann man heute wohl, enorm erleichtert, mit JA beanworten.
Das >>Lucerne Festival Orchester<< ist DAS Außerordentliche, und wie er sagt: Die >>Traumerfüllung<<. Er hat eine Musikerfamilie von 18 bis 88 gegründet (das älteste Orchestermitglied hat noch unter Furtwägler gespielt!), er hat sich kostbare Mosaiksteine zusammengesammelt, die unterschiedlich funkeln und in ihrer Pluralität doch zu einem ganzheitlichen Organismus von unverwechselbarer Art geworden sind.
Alle diese Künstler sprechen von Claudio, vom gemeinsamen Musizieren mit Claudio, vom gemeinsamen Gespräch mit Claudio..... mit dem Maestro inter pares,.......... nicht mit dem Chef, der sagt und suggeriert, ja bestimmt oder gar befiehlt, dass es nur genau SO richtig ist und basta.
Zu Abbado’s Wesensart gehört eine ruhig dahinfließende, ausdrucksstarke verinnerlichte Körper- und Zeichensprache, da kann es kein generalmäßiges Schlagen des Taktstockes geben. Er ist kein „General“(musikdirektor) der anordnet, ein solcher Dirigieransatz wäre fremd, aufgesetzt, nicht zu ihm passend, er könnte auf diese Art nicht seine Musiker anweisen, kommandieren.
Liebe zur Musik und Liebe zu den Menschen, mit denen er Musik macht, sind nicht voneinander zu trennen. Seine musikalische Feinarbeit benötigt ein feinsinniges Miteinander und muß auf eine ähnliche Philosophie der Musiker treffen, zu deren Möglichkeiten gehören muß, sich <feinsinnig< einlassen zu können.
Mein erstes Sinnieren über den Dirigenten Abbado will ich mit dem Bekenntnis beschließen, NIEMALS vorher derart ergriffen gewesen, glücklich und zugleich innerlich fast nicht mehr von dieser Welt gewesen zu sein, als er vor zwei Jahren in Luzern Mahler’s NEUNTE aufgeführt hat.: Weltentrückung, Hinwegschweben, Einsamkeit, Stille, Traum und Tod, Liebe, Frieden VER-RÜCKT-SEIN....
es müssen Abbado’s tiefste Gefühle sein, die ihn zu einer solchen intensiven Interpretation gebracht haben, einer Musiksprache die sprachlos macht und die unsere Sprache in diesem Moment überflüssig macht.
Sein Konzert an Mahlers 100. Todestag in der Berliner Philharmonie, wurde einen Tag später, gestern abend (DLR Kultur) gesendet. Das „Lied von der Erde“ mit Anne Sophie von Otter und Jonas Kaufmann war erneut eine Aufführung mit einer unverwechselbaren Eigenheit. Lebensdrang, höchstgradig engagierte, virile Tenorstrahlkraft konterkarrierte und vereinigte Abbado mit verinnerlichter zart-klarer Gesangskultur des Mezzo-Parts.
Er führte die 6 Teile dieses Werkes zu einem Kaleidoskop zusammen, das den Spagat zwischen Liebe und Tod, als unser aller gelebtes Schicksal, in narrativer, tief empfundener Diktion große MUSIK werden ließ.
Arnulfus