Herbert von Karajan, Genie im Geiste von Gestrigkeit (Tei 1)
Mit 27 Jahren war der hier zu Besprechende bereits Deutschland jüngster GMD und zwar ab 1934 in Aachen. Im Gegensatz zu Furtwängler, der zwar als DER geniale Musiker galt, aber den damaligen Machthabern auch als notorischer Eigenbrödler zu anstrengend war, zwar eher unpolitisch, aber doch ein Individualist, der sich herausnahm, bei Führers Geburtstag 4 Jahre hintereinander unpässlich zu sein... war Herbert von Karajan ein ganz anderer Typus. Er wurde fast aus dem Hut gezaubert und gegen Furtwängler >ausgespielt<, da offensichtlich pflegeleichter.
Anfänglich war er vor allem den Kultur-Traditionalisten suspekt, denn diesen erschien sein Dirigieren als eine einzige Theatermacherei, alle Gesten (vermutete man) habe er sich vor dem Spiegel einstudiert. Friedrich Herzberg: „Viel wird sein Auftreten beim Beginn eines Konzerts besprochen. Er versinkt, starr nach vorne übergebeugt, in einer Art von Trance, schließt die Augen und beginnt wie ein Heiliger. Erst allmählich gerät er in Fahrt und gelangt dann mit großer Heftigkeit bis zum Brutalen.“ HvK wurde bereits während des Krieges der neue Star und Furtwänglers Antipode. Für Kenner der Musikszene war klar, dass nur ER langfristig zu Furtwängler eine Alternative sein könnte und damit als Magnet im Sinne von Einzigartigkeit, sich als „FÜHREND“ durchsetzen würde... Furtwängler bekam eine zeitlang Berufsverbot, Celibidache war für ein paar Jahre (damals) eine notwendige >undeutsche< (Not)Lösung. Als dann einige Nachkriegstrümmer weggeräumt und die kollektive Verdrängungsüberlebensphilosophie sich breit gemacht, war klar, dass ein traditionsreiches Orchester wie die Berliner Philharmoniker, DAS Deutsche Orchester schlechthin, bei ihren Wurzeln bleiben würde, einvernehmlich dem Zeitgeist folgend... und –logischerweise- Herbert von Karajan zu ihrem neuen Chef machten.
Eigentlich wollte ich diesen Bericht ganz anders anfangen: Anfang der sechziger Jahre gab es in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen noch keine frische Luft, Umbrüche und Aufbrüche verschiedener Couleur begannen sich erst Ende des Jahrzehnts abzuzeichnen und in Gang zu setzen, als es dann an den Universitäten begann zu brodeln. Adenauer und Kiesinger waren und fühlten sich unbestritten >als Kanzler< der jungen Demokratie verpflichtet, doch ihre Wurzeln, ihre Prägungsfaktoren waren am Ende des 19.Jahrhunderts, oder fielen in die Zeit des ersten Weltkriegs (b Kiesinger). So wie diese Herren sicherlich trotzdem Einiges Wichtiges zum Aufbau eines neuen Staatsgebildes geleistet haben... so sind die Verdienste Karajans im Bereich der sogenannten >E – Musik< unbestritten und wohl auch einmalig. 1908 geboren, lagen seine Wurzeln in gutsituierten bürgerlich-akademischen Kreisen zu K & K – Zeiten in Österreich. Karajan wurde Anfang der Fünfziger DIE Lichtfigur, für andere herausragende Dirigenten war die Zeit, sprich die Gesellschaft, noch nicht reif. Genius, Führer, Oberhirte, Chef, EINER trug die Krone, DAS war >man< so gewöhnt.
Von den Jochum- Brüdern, Kempe, Keilberth, Böhm, Leitner, über Knappertsbusch, etc, gab es regional, wie überregional (aber eher) unter >Experten< natürlich andere sehr geschätzte gute Musiker. In Deutschland entsprach Karajan’s einzigartiger Rang der gesellschaftspolitischen Entwicklung. Obwohl fast 20 Jahre jünger, war es im Liedgesang mit der Regentschaft Dieskaus, in Punkto >Königsthron> quasi auch nicht sehr viel anders. Allerdings hatte DFD nicht annähernd eine ähnliche >Super-Star-Aura<, da die Massen sich nun mal nicht gerade für Liedgesang interessieren.
Karajan war (wie später andere Musiker) der ERSTE richtige >Selbstvermarkter<, gründete sein Imperium mit Produktionsgesellschaft und mit entsprechend fortschreitender technischer HI-Tech-Entwicklung, viele zusätzliche Privilegien im Sinne eines Feudalherrn und geschäftstüchtigen Marktstrategen zugleich. Wenn es schon keinen Politiker mehr gab, der das verinnerlichte/gewohnte >Führer-Prinzip< vertrat, zumal eine Umorientierung/Lernprozeß in Richtung Demokratie als DAS anzustrebende Ziel vorgegeben war... so war zumindest ein >Messias< etwas ganz Besonderes, ein Wunschtraum ....entsprechend dem damaligen Zeitgeist.
Ich fand Karajan toll. Als ich mich ab 1957 (13jährig) begann für Klassische Musik zu interessieren, war meine Sehnsucht die Musik, weil (unbewusst) die alte Werte nicht die meinigen waren...und neue Werte höchstens in kleinen Gruppen ansatzweise begannen zu keimen. Mit >ACHTUNDSECHZIG<, Willy Brandt, allmählich wachsenden Entwicklungen einer traumatisierten und zur Verdrängung neigenden Gesellschaft, in Richtung Demokratieentwicklung, pluralistischen Ansätzen, Infragestellung von Herrschafts-Modellen überlieferter Provinienz, ging mir HvK zunehmend auf den Keks. Hinzukam, dass er es sich meinte leisten zu können (und wahrscheinlich auch nicht hätte leisten können)....seine Unantastbarkeit -auch in Zeiten von aufkommender Diskussion über Grundwerte- weiter zu zelebrieren, indem er in fast renitenter Manier niemals selbstkritische Ansätze zeigte. Für mich wurde HvK ein Relikt von narzistisch-egozentrischer Dimension und ein Unbelehrbarer bezüglich neuer gesellschaftlicher Entwicklungen. Mich kolportierte seine Haltung in ziemliche Konflikte, denn seine Musik, seine Könnerschaft,präsentierten für mich DIE humanistische Botschaft schlechthin.
Die Majestät bewegte sich keinen Millimeter, sein Erfolg schien nicht versiegender Motor und Rechtfertigungsphilosophie in Einem zu sein. Als die bundesdeutsche Wirklichkeit sich allmählich und bald zunehmend, in einem Veränderungsprozeß zeigte, deren demokratischer Wandel Wurzeln zu schlagen begann .... hatten die Berliner Philharmoniker noch ihren erfolgreichen, mehr und mehr zerbrechlichen >Alleinherrscher<. Dieser garantierte ihnen Erfolg und Umsatz. Gleichzeitig wuchs aber auch in Musikerkreisen das Bewusstsein über die Widersprüche zwischen den hierarchischen Strukturen in der eigenen >Musikwelt< (ähnlich nur bei den „Wienern“) einerseits und sich öffenenden, als auch komplexen strukturellen Veränderungen in gesellschaftlichen Bereichen andererseits.
Nach Karajan kam bekanntlich Abbado.... größer konnte die Veränderung nicht sein. Einige Musiker haben den >Systemwechsel< nie verkraftet.
Arnulfus