- Offizieller Beitrag
Hallo,
mir wird das Thema immer wichtiger, wie Auszierungen - im Besonderen: die Vorschläge - korrekt wiederzugeben sind. In einem anderen Forum schrieb ich einst:
Zitat[...] Gerade diese Dynamikmöglichkeiten habe ich anhand des Mozartschen 'alla turca' mit meinem einchörigen (dafür aber ungebundenen) Instrument ausgetestet und aufgezeichet und bin mit dem Ergebnis insofern zufrieden, als es sich um einen Test handelt (zudem habe ich natürlich auch alla turca gespielt, d.h. in moderatem Tempo und mit entsprechenden Vorschlägen (mir ist keine solche Aufnahme bekannt)). Bei Tamino hatte ich dereinst meine diesbezüglichen Wünsche [...] dargelegt.
Diese Darlegung zitiere ich nachfolgend 1:1
ZitatAlles anzeigenDaß Mozart genau wußte, was er wie gespielt haben wollte, zeigt allein der Vergleich der hier gezeigten Zeilen 1 und 5 bzw. der Takte 1ff. mit den Takten 99ff. - die gleiche Figur wird anders notiert und muß m. E. dann auch anders ausgespielt werden. Daß für mich die Ausführung mit Vorschlägen - die übrigens, auf diese "neue Art" gespielt garnichtmal so einfach ist, wenn man es anders gewohnt ist! - in diesem Falle türkischer klingt, kann nur ein Indiz für die Richtigkeit sein: Man vergleiche dazu aber auch die Var. I von KV 265 - auch hier schreibt Mozart die 16tel-Umspielungen aus, warum sollte er auch zu jener aufwändigeren "Schreibvariante" ausweichen, wenn es keinen hörbaren Unterschied gäbe?
Meine Anmerkung im Notenbeispiel zu Zeile 5 "hätte so notiert werden müssen" beruht auf der m. E. irrigen Annahme, bei der gezeigten Notationsweise handele es sich um eine wenn auch aufwändigere, so doch etablierte "Marotte". Dem ist aber m. E. keines Falls so.
Einen möglichen Unterschied zwischen der Notation als kleine 16tel-Note und durchstrichener 8tel-Note kann ich indes bisher nicht ausmachen. Vermutlich führte allein das Vorhandensein dieser Faulenzerschreibweise [m. E.] im Falle der notierten durchstrichenen 8tel-Noten zu der Annahme, die ausgeschriebenen 16tel seinen flüssig anzubinden und nur die durchstrichenen 8tel als Vorschläge zu interpretieren.
Während die aktuellen HIP-Orchester mit dieser Lesart keine Probleme haben und stets in beiden Fällen Vorschläge spielen, wird solches beispielhaft von Koryphäen wie Badura-Skoda [hier: KV 271 mit musica flora] einfach ignoriert: Er spielt angebundene 16tel gleich zu Beginn des Konzertes, wo doch die Lesart als Vorschläge das Werk in ganz anderes Licht rücken würde [an anderen Stellen wiederum spielt er dann sinnwidriger Weise Vorschläge]. In einem anderen Fall [es waren wohl die Violinsonaten mit Bader-Kubizek/Fuller] wechseln sich die Interpreten mit den beiden "Möglichkeiten" der Ausführung einfach ab. Soll das ein Kompromiss sein oder den definitiven Unterschied vorführen?
Zu Zeile 3, Originaltext T. 41 ff. wäre zudem noch anzumerken, daß Mozart die Abwärtsfigur T. 42 beginnend auf a ohne jegliche Artikulation notiert und kurz später [in T. 46] mit jeweils einem Bindebogen a-e | e-h versieht. Auch diesen Unterschied zwischen nonlegato und legato hört man in den Einspielungen m. E. eher nicht.
Im Tempo dürfte das alla turca em ehesten der f-moll-Fuga aus Bachs WTC II entsprechen. Hier ebenfalls ein 2/4-Takt mit einziger Betonung auf Schlag 1, demnach nicht allzu hastend, aber auch nicht bloß gehend zu spielen: So kämen auch die unterschiedlichen Artikulationen wunderbar heraus.
Welche Interpretation ist also am meisten am originalen Notentext gebunden? Ich selbst habe Aufnahmen von KV 331, III nur eher zufälliger und beiläufiger Natur...
Zu dem Thema der kurzen Vorschläge hatte ich nun endlich Zeit, dies bei Kater Carlo zu eruieren. Dieser schreibt in seinem Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen in Das zweyte Hauptstück, zweyte Abtheilung, § 13:
ZitatEs ist ganz natürlich, daß die unveränderlichen kurtzen Vorschläge am häuffigsten bey kurtzen Noten vorkommen, Fig. VIII (a). Sie werden ein, zwey, dreymahl oder noch öfter geschwäntzt und so kurtz abgefertiget, daß man kaum merckt, daß die folgende Note an ihrer Geltung etwas verliehret. [...]
Bingo!
Mit dem 'Schwäntzen' ist die Anzahl der Fähnchen gemeint, wodurch z.B. bei sogenannten langen Vorschlägen die Vorschlagsnote den halben Wert der folgenden Note innehat, bei punktierten Noten zwei Drittel der folgenden Note. Bei kurzen Vorschlägen also höchstens ein Drittel des Folgenotenwerts, eher weniger, d.h. - wie beschrieben - so, daß die Folgenote kaum an Wertigkeit verliert. Fig. VIII (a) anbei:
Entsprechend wäre dann nämlich z.B. bei KV 271 (Clavierkonzert Es-Dur) zu verfahren, was aber in keiner mir bekannten HIP-Einspielung der Fall ist:
Vergleichbare Stellen gibt es bei Mozarts (nicht nur Clavier-) Werken zu Hauf und bei den mir bekannten HIP-Einspielungen der Clavierkonzerte, Sinfonien und Soloclavierwerken wird hier offenbar nur nach dem Zufalls- oder Geschmackssystem ein Vorschlag als Vorschlag gespielt oder simpel angebunden, wobei letzteres die aufwändige Notation ja überflüssig gemacht hätte. Auch ist der Hinweis (Anregung für die Ausführung von Verzierungen) in jeglicher Henle-Urtextausgabe damit völliger Humbug: hier wird nämlich der kurze Vorschlag als langer Vorschlag interpretiert:
Dies kann, wenn man Carl Philipp Emanuel Bachs Ausführungen folgt, einfach nicht korrekt sein und - nochmals - es widerspräche dem Notationsaufwand, der seitens der Komponisten betrieben wurde, besonders in Bereichen, bei denen zusätzlich noch (obere) Hilfslinien ins Spiel kamen. Diese Anweisung gehört daher, ganz wie es Keating im Club der toten Dichter vormacht, herausgerissen und atomisiert. Der Effekt dieser Spielweise ist nämlich der, daß er zu einem viel zu glatten und gleichgemachten (um nicht zu sagen: gebügelten) Mozart (und selbstredend anderer Komponisten dieser Zeit) führt - das Ergebnis ist eine langweilige 'Interpretation', jederzeit nachhörbar.
Das wäre hier also so ein Fall, wo HIP die Interpretation dann wirklich richtig stellen würde, wenn man sich nachhaltig an diese Vorgehensweise hielte (was ich persönlich spätestens jetzt, nachdem mich CPE überzeugt hat, tun werde).
(c) Notenbeispiele bei mir.