(konzertante) Sinfonie oder (sinfonisches) Konzert?

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    Hallo,

    Ich habe bei Mozarts bekannter Sinfonia Concertante Es-Dur KV 364 (für Violine und Bratsche) stets den Eindruck, ein (Doppel-) Konzert zu hören und nicht eine konzertante Sinfonie. Haydns Sinfonia Concertante B-Dur (Hob. I:105 - sic! bei den Sinfonien einsortiert!) hat auf mich formal (ohne, daß ich das vorerst differenziert auseinander zu nehmen gedenke) einen völlig anderen Charakter; spontan: mehr Sinfonie mit konzertanten Einlagen - Mozarts KV 364 hat für mich hingegen rein gar nichts sinfonisches an sich, dafür alles, was ein reines Concerto ausmacht.

    Charles Rosen (Der klassische Stil, Bärenreiter, 3. Auflage, 1999) meint auf Seite 174 z.B., wo er das sinfonische Konzept Haydns mit dessen Concertante vergleicht:

    Zitat von Charles Rosen

    Soloinstrumente wirken [in der Sinfonie]1 nicht mehr wie unabhängige Concertinos (abgesehen von der Sinfonia Concertante aus der Londner Zeit natürlich), sondern sind in eine wahrhaft orchestrale Konzeption eingebettet.


    1Ergänzung in eckiger Klammer von mir

    Das ist imo des Pudels Kern: Die Concertante ist zunächst eine Sinfonie mit konzertanten Einlagen der Solisten, die als Concertino (also kleines Konzertchen innerhalb der Sinfonie) hervortreten, aber eben nicht die Hauptacteure sind, allenfalls das Bonbon. Das ist - wie erwähnt - bei Haydn klar der Fall, bei Mozart nicht - da ist es gerade umgekehrt, also so, daß die beiden Soloinstrumente doch den Schwerpunkt setzen (anders wiederum ist es bei Mozarts Serenaden für Orchester, in deren Binnensätzen die sogenannten Concertanten auftauchen: kleine solistische Einlagen ggfs. verschiedener Instrumente, meistens Violine solo). Wie kommt also Mozart dazu, sein Werk Sinfonia Concertante zu nennen? Worin unterscheidet sich Mozarts Sinfonia Cocertante für Violine und Bratsche Es-Dur KV 364 von dem Konzert für Flöte und Harfe KV 299 formal?

    Zitat von Charles Rosen

    [S. 244] Einige Jahre scheint Mozart die Konzertform wenig gereizt zu haben, abgesehen von einer bemerkenswerten Ausnahme, der Sinfonia Concertante Es für Violine und Viola KV 364 = 320d.

    Rosen dürfte das also ganz ähnlich betrachten wie ich (ich habe noch die blaue Ausgabe, die allmählich zu einer Loseblattsammlung wird...).

    Auch die NMA sortiert KV 364 bei den Konzerten (Band I, S. 409) ein. Da das Autograph nicht vollständig erhalten ist, lässt sich nicht einmal mit Sicherheit bestimmen, ob die Genrebezeichnung von Mozart selbst stammt; das etwa aus derselben Entstehungszeit (1779/80) stammende Fragment A-Dur KV 320e hat Mozart jedoch mit //Sinfonia Concertante à tre istromenti// Violino, Viola, e Violoncello. betitelt, das Fragment KV 315f hingegen mit //Concerto per il Cembalo e Violino// (1778). Eine Sonder(bare)stellung nimmt letztlich auch noch die Concertone für 2 Violinen KV 190 ein... die Autoren der NMA meinen hierzu, Mozart wollte einen eigenen Genrebegriff für die bis dahin sich nicht durchgesetzt habende Sinfonia Concertante bilden...

    *hmmm*

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    Eine Sonder(bare)stellung nimmt letztlich auch noch die Concertone für 2 Violinen KV 190 ein... die Autoren der NMA meinen hierzu, Mozart wollte einen eigenen Genrebegriff für die bis dahin sich nicht durchgesetzt habende Sinfonia Concertante bilden...


    Wobei diese Nomenklatur, sollte diese These zutreffen, einen Blick in Mozarts Schwerpunkte gewährt: die 'Sinfonia' lässt er fallen und betont das Konzert. Im Italienischen ist '-one' eine Vergrößerungssilbe, also die Sinfonia Concertante bei ihm verstanden als 'Gewichtiges Konzert'. Das entspräche eher der Auffassung, dass Mozart die Sinfonia Concertante als Konzert denn als Sinfonie mit konzertanten Beigaben auffasste.

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    Schon klar. Wobei sich hingegen bei der Concertone das Problem der Schubladisierung als Sinfonie von vorneherein nicht stellt - im Gegensatz zur Concertante. Die Concertone mag wohl im Vergleich zu früheren Werken (anderer Komponisten) größer angelegt sein, der Begriff Concerto war wohl auch (noch) nicht so ganz auf das Solokonzert übertragen - man vergleiche einfach mal die Concerti grossi op. 3 und 6 von Händel (unabhängig von einer solistischen Besetzung sind das doch eher Orchesterwerke ohne solistischen Charakter, aber mit Verwendung von Soloinstrumenten (Ripieno)). Das der Concertone zeitlich vorangehende Clavierkonzert D-Dur KV 175 bezeichnet Mozart aber bereits als Concerto per il Clavicembalo (es ist nicht kleiner angelegt als KV 190), das Fagottkonzert KV 186e (ex 191) trägt keine Gattungsbezeichnung und das erste Violinkonzert KV 207 Concerto à Violino solo.

    Man muß wohl diese Umstände zusammenfassend so interpretieren, daß auch Mozart hier noch von der (barocken) Concertoform ausgeht und dem Orchesterpart ein Soloinstrument hinzugesellt resp. gegenüberstellt; der Begriff 'Concerto' hat im eigentlichen Sinne nichts direkt mit dem hervortretenden Solonistrument zu tun. Für uns heute bedeutet die Gattungsbezeichnung Konzert eigentlich stets, daß ein Solist tätig ist. Bei Wikipedia ist zum Stichwort Concerto auch nachzulesen, daß sich das (Solo)-Konzert parallel zur Sinfonie entwickelte und diese wohl zunächst voneinander profitierten, bis sie sich verselbständigten. Diese Art von Synthese betrifft wohl vor allem die Hinzunahme von Holz- und Blechbläsern aus der Sinfonie in den Concerto-Betrieb. Das wäre zumindest eine mögliche Erklärung, warum Mozarts Sinfonia Concertante eher ein Konzert denn eine Sinfonie ist, weil u.a. die Sachlage noch garnicht so klar war, wie sie es heute zu sein meint.

    Die Soloknozerte von Vivaldi und auch noch Carl Philipp Emanuel Bach wie auch die Violinkonzerte Joseph Haydns sind z.B. alle nur streicherbegleitet. Insofern muß wohl die Besetzungsforum bei Mozart mit Holz und ggfs. Blech/Pauken durchaus als Novum der Zeit betrachtet werden. Dem voran geht wohl das Hinzustellen von je 2 Oboen und Hörnern, z.B. bei den Clavier- und Cellokonzerten Haydns. Ganz sicher hat Mozarts Concertante sinfonische Züge - diese sind dann aber wohl eher in der großangelegten Bläserbesetzung zu suchen als in der musikalischen Form... das wurde mir jetzt auch klar. In diesem Kontext erscheinen dann auch die ad libitum ohne (Holz- und Blech!) -Bläser spielbaren Konzerte KV 413, 414, 415, 449 und 537 in neuem Licht...

    Nach heutiger Kategorisierung aber ist KV 364 imo als Doppelkonzert für Violine und Viola zu qualifizieren und ist ebensowenig Sinfonia Concertante wie Bastien und Bastienne eine Operette ist.

    :wink:

  • Das Thema hat mich zu Zeiten auch schon verwirrt:

    Leider ist mir (gerade) entfallen wo es war, aber in einer Beschreibung über "musikalische Gattungen bei Mozart" war zu lesen, dass die "Sinfonia concertante" (KV 320d (ex364), Es-Dur) vielmehr ein veritables Doppel-Concert sei (was ich, ebenso wie Ulli oben, als richtiger empfinde).

    Das "Concertone" (KV 190, C-Dur) wurde hingegen an die Seite des Doppel-Concertes für Flöte und Harfe (KV 299, C-Dur) gestellt und beide als "Sinfonia concertante" klassifiziert.

    Ich werde bei Gelegenheit nachschauen!

    :wink:

    Peter

    "erhaben, schön, alles was sie wollen – allein – zu übertrieben schwülstig für meine feinen ohren"
    W. A. Mozart (28.12.1782)

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    Leider ist mir (gerade) entfallen wo es war

    NMA V/14/6, Vorwort von Franz Giegling (S. 1.093):

    Zitat

    Interessant ist die Faktur des Werks: Es tendiert weniger zum Charakter eines Solisten-Doppelkonzerts als vielmehr zu dem einer Sinfonia concertante. [...] Da Mozart in dem [...] Brief vom 31. Juli 1778 KV 299 jedoch eindeutig "Concert" nennt und er sonst deutlich zwischen "Sinfonie concertante" und "Concert" zu unterscheiden weiß, bleibt auch die Neue Mozart-Ausgabe bei der traditionellen Bezeichnung "Konzert für Flöte und Harfe" und ordnet das Werk nicht in den Band Concertone, Sinfonia concertante (NMA V/14/2) ein.

    (Danke an Peter für den Hinweis... ich hatte Ähnliches auch im Hinterstübchen, wäre aber nie auf die Idee gekommen, in Band 6 zu KV 299 nachzuschauen...) KV 299 empfinde ich übrigens ebensowenig als Sinfonia concertante, da dem Werk das typisch Sinfonische fehlt und zumal auch die Besetzung (neben den Streichern) lediglich 2 Oboen und 2 Hörner fordert.

    Zum Concertone schreibt Gottfried Weber in Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste (Leipzig, 1830, S. 324):

    Zitat

    In der zweiten Bedeutung unterscheidet man Concerte für ein Instrument allein, von Doppelconcerten d. h. Concerten für zwei Instrumente zugleich (Concerto doppio) auch wohl für mehre, - und Concertantsymphonien, unter welchem Namen man Concerte für eine größere Anzahl von Orchesterinstrumenten zu verstehen pflegt, oder mit anderen Worten Orchesterstücke, in welchen nicht blos einige, sondern viele Orchesterinstrumente, bald einzeln abwechselnd, bald auch zusammengreifend, concertmäßig, concertirend, (dieses Wort hier seiner ursprünglichen Bedeutung am getreuesten, nämlich gleichsam wettstreitend, als concertirende, wettstreitende Stimmen) hervortreten. Zuweilen bezeichnet man Concertstücke dieser Art auch mit dem Namen concerto grosso oder concertone, sinfonia concertante oder concertata.

    Nach dieser Definition ab sind weder KV 364 noch KV 190 als Sinfonia concertante oder Concertone zu qualifizieren, da es eben "blos einige" (nämlich maximal zwei) und nicht "viele Orchesterinstrumente" sind, welche "bald einzeln abwechselnd, bald auch zusammengreifend, concertmäßig, concertirend, hervortreten". Bei Haydns Hob. I:105 hingegen wären es immerhin Violine, Violoncello, Flöte, Oboe und Fagott. Durch das von Gottfried Weber definierte Raster der Concertante fallen dann imo (zumindest bei Mozart) auch die Konzerte für ein, zwei und drei Klaviere sowie das schon genannte Doppelkonzert für Flöte und Harfe, da die Soloinstrumente keine typischen "Orchesterinstrumente" sind; zumindest, was die Harfe betrifft - beim "Clavier" könnte man trefflich streiten, ob dies grundsätzlich noch als zum Orchester (Continuo) gehört oder nicht. Meines Erachtens tritt das Clavier bei Mozart schon eher deutlich abgegrenzt auf, wenn es auch zuweilen noch als Continuoinstrument fungiert; ganz anders z.B. in Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050, in dem das Cembalo prinzipiell als Continuo agiert, dann doch eher aberwitziger Weise solistisch aus den Untiefen des Continuo herausströmt.

    Zu überprüfen wären die "Concertanten" von Johann Christian Bach, Joseph Myslivecek und Joseph Boulogne Chevalier de Saint-Georges.

    :wink:

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    Zu überprüfen wären die "Concertanten" von Johann Christian Bach, Joseph Myslivecek und Joseph Boulogne Chevalier de Saint-Georges.

    Was ich so auf die Schnelle finden konnte:

    Joseph Boulogne Chevalier de Saint-Georges (1745-1799)
    Sinfonia concertante A-Dur für Violine und Viola op. 10/2
    Sinfonia concertante Es-Dur für Violine und Viola op. 12
    Sinfonia concertante F-Dur für 2 Violinen op. 10/1
    Sinfonia concertante G-Dur für 2 Violinen op. 13
    Sinfonia concertante C-Dur für 2 Violinen op. 9/1
    Sinfonia concertante A-Dur für 2 Violinen op. 9/11

    Nach Webers Definition in meiner Auslegung sind dies alles Concerti doppi... (also keine Sinfonie concertanti) u.a. hier enthalten:

    Interessanter Weise wird die G-Dur-Concertante (lt. Coverrückseite) bei jpc auch als "Konzert für 2 Violinen und Orchester G-Dur" betitelt.

    Josef Myslivecek (1737-1781)
    Sinfonia concertante (Concertino) Es-Dur für 2 Hörner, 2 Flöten, 2 Klarinetten, Fagott und Streicher

    Hörner, Clarinetten und Fagott haben jeweils solistische Passagen bzw. treten sie als "Concertino" innerhalb des Werkes (also eigentlich als Bläserquintett) auf, spielen aber auch die Tutti-Ritornelle mit. Das wäre für mich die typische Form einer Sinfonia concertante. Im ersten Satz dominieren die Clarinetten, im zweiten die beiden Hörner, das Fagott geht (außer in der Kadenz des Finales) ziemlich unter...

    Bemerkenswert ist hier die Bezeichnung Concertino im krassen Gegensatz zum Concertone :?:

    :wink:

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    Johann Christian Bach (1735-1782)
    Sinfonia concertante C-Dur T289 Nr. 4 für Flöte, Oboe, Violine und Violoncello

    Das "konzertante" Solistenquartett spricht schon für sich allein, daß es sich auch hierbei um eine "würkliche Concertante" handelt. Dasselbe Solistenquartett engagierte Bach übrigens für die Bravourarie Infelice, in van m'affano (La clemenza di Scipione, 1778), die auch Mozart zu seiner Marternarie (Entfürung a. d. Serail) inspiriert haben dürfte.

    Und dann war da noch das Tripelkonzert für Violine, Oboe und Violoncello von Salieris Toni:

    Leider finde ich die CD irgendwie nicht mehr... *hä* - aus der Erinnerung aber auch eher konzertant...

    :wink:

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    Wollen wir uns in dieser Diskussion auf die sogenannte Wiener Klassik und Mozarts Werke beschränken oder weiter in der Zeit zu uns hin blicken und die Gattungsbezeichnung insgesamt diskutieren?

    Ich denke gerade an Bartoks 'Konzert für Orchester', das eigentlich eher in Webers Definition passt.

    Wie ist es denn mit Prokoffjew? Bei seinem Werk spielt nur ein Solocello, trotzdem nennt er es Sinfonia Concertante, weil die Dimensionen ein Solokonzert sprengen.

    Wollen wir solche Werke auch in die Diskussion einbeziehen?

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    Absolut. Wobei Martinů sich mit Haydn erschlagen läßt, oder?

    Aus aktuellem Anlass (Konzert in Düsseldorf) habe ich diese CD nochmal gehört (inzwischen auch vom Meister signiert... :rolleyes: :(

    Deshalb kam mir Prokoffjew in den Sinn. Aber gattungstheoretisch ein reines Solokonzert, oder?

    Beim Bartok bin ich eher der Ansicht, dass es eine Sinfonia Concertante ist. Oder haben die Orchesterinstrumente da zuwenig Soli?


    Wie ordnen wir das 'Konzert für Orchester' als Gattung ansonsten hier ein (gibt ja noch mehr als Bartok, Hindemith...)?

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    Wobei Martinů sich mit Haydn erschlagen läßt, oder?


    Angeblich hat er sich ja Haydns Hob. I:105 als Vorlage genommen (vermutlich nur seitenverkehrt gehalten...). Diese Vorbildnahme ist mindestens ebenso anmassend, wie meine Kritik an dem Werk: Wenn ich mir das Johann-Christian-Bach-Portrait von Thomas Gainsborough als Vorbild nehme und (leider) nur Strichmännlein zu Papier bringe, dann liegt das sicher nicht am Vorbild...

    Ich kann dem Werk überhaupt nichts abgewinnen. Dennoch empfehle ich gerne diese CD:

    Sie beinhaltet Mozarts KV 364 in einer versione riduttrice für Streichsextett, eine wunderbare Interpretation der Haydnschen Concertante und eben Martinůs Werk. Es spielt das Kammerorchester Basel (Christopher Hogwood).

    :wink:

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    Wie ist es denn mit Prokoffjew? Bei seinem Werk spielt nur ein Solocello, trotzdem nennt er es Sinfonia Concertante, weil die Dimensionen ein Solokonzert sprengen.


    Werkdimensionen haben eine gewisse Halbwertzeit ^^ Demzufolge dürfe ja Beethovens 'Eroica' bereits keine Sinfonie (mehr) sein, weil spätestens nach dem ersten Satz das Zeitlimit der bis dahin geltenden Zeitvorgaben überschritten ist, von der Neunten und Sinfonien der folgenden Generationen ganz zu schweigen... ebenso haben natürlich die (Solo-) Konzerte im Umfang zugelegt, deswegen sind sie aber doch immer noch Konzerte *hmmm*

    Ich denke, die Bezeichnung Sinfonia concertante wurde/wird wegen des besonderen Flairs, das sie umgibt, einfach zu oft missbraucht, ohne daß sich jemand darum schert, worum es sich dabei wirklich handelt: Sinfonie kennt jeder (langweilig, hatten wir schon), Konzert kennt jeder (langweilig, hatten wir schon), also aus rein werbetechnischen Gründen mal eine Sinfonia concertante, das hat Seltenheitswert! Da kennt man in der Regel nur die eine von Mozart, die keine ist...

    :wink:

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    Prokoffjew als Marketroid... ich weiß nicht...


    Bei Prokoffjew mag es auch an der Zeit liegen, in der mit derlei Begriffen ziemlich großzügig umgegangen wurde (eben einfach als Schmuck für das Werk). Ich finde z.B. auch seine Symphonie classique sehr reizend, aber nicht 'klassisch'... da wurden irgendwelche Maßstäbe angesetzt (vgl. meine obigen Ausführnugen zur Vorbildfunktion), die zumindest ich nicht nachvollziehen kann, weil sie imo einfach nicht des Pudels Kern treffen. Ein viersätziges Orchesterwerk ist nicht unbedingt gleich eine Sinfonie und wegen der Viersätzigkeit noch lange nicht klassisch. Welche klassische Sinfonie hat als dritten Satz bitte eine Gavotte? Aber wir weichen vom Thema ab...

    Seine von Dir so bezeichnete 'Sinfonia Concertante' wird bei Tante Wiki als 'Sinfonisches Konzert e-Moll für Violoncello und Orchester op. 125' gelistet. Das trifft es wohl auch am ehesten.

    :beatnik:

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    Aber was bedeutet 'Sinfonia concertante' denn anderes als Konzertante Symphonie? :) Meinst Du, durch das Italienisch klingt es klassischer? *flöt*

    Aber ich stimme Dir zu, der deutsche Begriff ist irgendwie suggestiver.

    Bei Harenberg las ich den gleichen Titel, außerdem den Hinweis, dass er schon ein Cellokonzert op.58 geschrieben hätte, mit dem er (und das Publikum) hochgradig unzufrieden waren, und von dem er vieles in seinem op.125 wiederverwendete - alles in größerem Maßstab.

    Und die Symphonie Classique, so habe ich gelesen, bezog er selbst auf Haydn. Sinngemäß hat er wohl geäußert, wenn Haydn bis heute weiterkomponiert hätte, so hätte er sich auch einige andere Techniken angeeignet und er meint es hätte so oder so ähnlich klingen können - wenn ich das korrekt im Kopf habe.

    Aber die Symphonie führt uns jetzt off-topic, und bei der Konzertanten Sinfonie scheint mir jetzt auch Konsens zu herrschen.

    Schauen wir uns noch weiter im Genre um. :)

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    Aber was bedeutet 'Sinfonia concertante' denn anderes als Konzertante Symphonie?


    Ja eben nichts. Aber ein Unterschied zum Sinfonischen Konzert besteht eben imo durchaus. Bei der Sinfonia concertante herrscht (wohl mittlerweile einvernehmlich) das Wesen der Sinfonie vor - es werden lediglich konzertante Einlagen (von mehr als bloß zwei Solisten) eingestreut. Beim Sinfonischen Konzert liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem (Solo-) Konzert, das allerdings sinfonische (oder besser: symphonische) Ausmasse hat.

    wenn Haydn bis heute weiterkomponiert hätte, so hätte er sich auch einige andere Techniken angeeignet und er meint es hätte so oder so ähnlich klingen können


    Mag ja sein. Das ist aber trotzdem nicht (mehr) klassisch. :D - Nichtmal klassizistisch, sondern konjunktivistisch...

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    Zitat von »Travinius«
    wenn Haydn bis heute weiterkomponiert hätte, so hätte er sich auch einige andere Techniken angeeignet und er meint es hätte so oder so ähnlich klingen können


    Mag ja sein. Das ist aber trotzdem nicht (mehr) klassisch. :D - Nichtmal klassizistisch, sondern konjunktivistisch...


    Indikativischer Neoklassizismus oder konjunktivischer Klassizismus? *tschak*

  • Ein bißchen kommt mir die Diskussion müßig vor... Meines Wissens ist die Sinfonia Concertante eine "Erfindung" der Vorklassiker und nimmt den Faden des barocken Concerto Grosso auf. Da die klassischen Formen zu der Zeit noch garnicht so gefestigt waren, kann man nicht so klar sagen, Symphonie oder Konzert...

    Vielleicht helfen die Übersetzungen weiter: "Symphonisch", das meint, zusammenklingend, "Konzertant" weist auf den Wettstreit... Da es aber mehrere Solisten sind, ist es ein "zusammenklingender Wettstreit", ist doch wunderbar?
    Insgesamt auf jeden Fall näher am Konzert als an der Symphonie, die im mittleren 18.Jh ja noch garnicht ihre spätere Form gefunden hatte, während es das Konzert eigentlich schon gab. In dem Sinne wäre das Tripelkonzert von Beethoven eigentlich eine Sinfonia Concertante, ebenso das Konzertstück für Vier Hörner von Schumann oder das Doppelkonzert von Brahms, das allerdings auch ein symphonisches Konzert ist wie alle Konzerte von Brahms.
    Das symphonische Konzert ist eine Erfindung des 19.Jh, die sich vom frühromantischen Virtuosenkonzert durch eine größere Rolle des Orchesters und überhaupt größere thematische Durchdringung unterscheidet, in der Nachfolge der klassischen Sinfonie. Warum man im 19.Jh. auch aufgehört hat, Doppelkonzerte, Tripelkonzerte etc "Sinfonia Concertante" zu nennen, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn Prokovjew ein Konzert von symphonischen Dimensionen so nennt, ist das eigentlich eine Begriffsverwirrung und nicht mit der provokanten (und innovativen, auf ein neues Genre zielenden) Bezeichnung "Konzert für Orchester" gleichzusetzen: Da handelt es sich wohl wirklich um ein neues, eben konzertantes verständnis von Orchestermusik.
    Die Sinfonia Concertante von Martinu wiederum trägt ihren Titel zu Recht, ist sie doch ein Konzert für mehrere Soloinstrumente und Orchester...
    ich denke, es geht nicht um den Werbeeffekt des interessanten Titels, sondern um die thematische Gewichtigkeit der Symphonie und die Leichtigkeit und Viruosität des Konzerts, die hier eine Verbindung eingehen...

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen,
    daß Alles für Freuden erwacht!

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    Beim Bartok bin ich eher der Ansicht, dass es eine Sinfonia Concertante ist.


    Das würde ich auch so hören.

    Oder haben die Orchesterinstrumente da zuwenig Soli?


    Dazu meint Tante Vicky:

    Zitat

    Bartóks Werk ist wohl das bekannteste einer Reihe von Stücken mit dem zunächst widersprüchlich erscheinenden Titel Konzert für Orchester. Bartók bezeichnete das Stück nach eigenem Bekunden deshalb als Konzert und nicht als Sinfonie, weil die einzelnen Instrumente eher solistisch und virtuos behandelt werden.

    *birne*

  • Einfach in die Runde gefragt: Unterstellen wir nicht (typisch deutsch) zu viel Systematik? Oder dürfen wir nicht doch von einer gewissen Austauschbarkeit der Begriffe ausgehen? Etwa im Sinne der Begriffe Canzona/ Sinfonia/ Sonata für frühbarocke Kammermusik oder Concerto/ Sinfonia/ Cantate/ Motetto für eine wie auch immer geartete solistische, chorische oder auch beides beinhaltende Kirchenmusik mit B.c. des Hoch- und Spätbarock?

    Das ist eine ganz offene Frage, ich bin nicht in die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema eingelesen!