Sinfonien: Gesamteinspielungen (opi)

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    Franz Peter Seraph Schubert (1797-1828)
    Sinfonien. integral.

    Anima eterna
    Jos van Immerseel
    opi

    Besonders die frühen Sinfonien Nos. 1 bis 3 werden hier sehr dramatisch dargeboten - die "Wiener Klassik" erscheint hier lediglich durch einen dicken Nebel hindurch: Für mich ein ganz neuer, wertvoller Ansatz: Fern aller Jugendlichkeit - hier zeigt sich ein durchaus reifer und moderner Komponist Schubert.

    Die Vierte wird hier ganz ohne zusätzliche Gewürze der Tragik einfach so gespielt - und sie wirkt tragisch. Der Titel stammt ja von Schubert selbst und wenn ein Werk von ganz allein so wirkt, dann ist das schon toll. Dieser ganze Zusatzmüll diverser anderer Einspielungen ist ja sowas von plusquamliquide...

    Die Fünfte wirkt hier sehr leicht und spielerisch, fast zerbrechlich. Einfach wunderschön - und so gänzlich unmozartisch. Auch das will ich lobpreisen!

    Anima Eterna und Jos van Immerseel haben hier wirklich hervorragende Arbeit geleistet: Jedes Werk behält trotz der Auflage als Gesamteinspielung seine Individualität - ja, sie wird sogar herausgearbeitet. Zutaten der Romantik (bei Wikipedia wird Schubert ja der Romantik zugeordnet) wurden restlos eliminiert (gute 1.500 Änderungen durch die Brahms-Edition) und die Werke wurden - wie die Original-Instrumente der Schuppanzighs - wieder "zurückgebaut". Dabei wurden auch vier (von Brahms/Schumann?) im Scherzo der "Großen C-Dur" eliminierte großartige Takte wieder reaktiviert. Neben Immerseel hat diese obligatorisch fehlenden Takte imo nur Claudio Abbado (Chamber Orchestra of Europe, 1987) eingespielt. Nun macht für mich das Scherzo erst wirklich Sinn - irgendwas hatte mir da stets als Knaller gefehlt. Die Dynamik ist fein herausgearbeitet und die Bläser lassen sich ganz individuell heraushören. Darin liegt auch eine Stärke dieser Edition.

    Sicherlich geht es "noch besser" - aber zunächst bin ich mit dieser Gesamteinspielung hochzufrieden, zumal auch das Preis-Leistungs-Verhältnis (was für mich allerdings kein notwendiges Kriterium ist) hervorragend war. Diese Einspielung, wenn auch bereits knapp mehr als 10 Jahre alt, beweist mir allzu deutlich, dass die HIP-Fraktion die absolut richtigen Wege beschreitet: Hier scheppert nichts, hier ist nichts unausgewogen, keine Hakeleien - eine saubere Arbeit!

    Leider ist diese Box derzeit bei Amazon nicht zu haben - es gibt neben dem oben gezeigten Design noch zwei weitere, auch da - leider! - Fehlanzeige:

    Allerdings sind einige Alben einzeln erhältlich:


    Sinfonie Nr. 6 C-Dur D589
    Sinfonie h-moll D759


    Sinfonie Nr. 5 B-Dur D485
    Oubertüre zu Rosamunde/Die Zauberharfe

    Gerade diese Ouvertüre zählt für mich zu den wunderbarsten Orchesterwerken, die Schubert geschrieben hat. Just die Ouvertüre gibt es nicht als Einzeldownload, nur komplett als Album - die Fünfte hab ich aber schon... das wäre eine schöne Ergänzung zur GA gewesen.

    :wink:

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    Franz Schubert (1797-1828)
    Sinfonie Nr. 4 c-moll D417
    Sinfonie Nr. 5 B-Dur D485
    Sinfonie Nr. 6 C-Dur D589
    Sinfonie h-moll D759
    Ouvertüre zu "Die Zauberharfe" D644

    London Classical Players
    Sir Roger Norrington
    (opi)

    Hier wartet typisch knalliger LCP-Sound auf. Mir persönlich sind die Sinfonien 4 bis 6 doch etwas zu gehetzt - ich denke ungeprüft darüber nach, ob hier diverse Wiederholungen ausgelassen wurden, oder ob es tatsächlich nur so schnell gespielt ist...

    Sehr gut hingegen gefällt mir die unvollendete h-moll-Sinfonie, welche in dieser Einspielung die Dramatik und erschreckende Todesnähe, wie man sie von Günter Wand kennt, beheimatet; bei Immerseel vermisse ich dies ziemlich. Ansonsten wird hier trotz der sich verbreitenden Hektik (in den Sinfonien 4-6, teilweise aber auch im 2. Satz der "Unvollendeten") sehr feinsinnig musiziert, Holzbläser sind schön hervorgehoben, ohne penetrant zu wirken. Die Streicher-Pianissimi sind in allen Sinfonien beeindruckend - wie ein taubenetzter Seidefaden, auf dem so vorsichtig gespielt wird, damit er nicht wie ein hoffnungsvoller Traum zerplatzt...

    Die Ouvertüre zur "Zauberharfe" D644 (der Grund meines CD-Erwerbs) ist in einer mitreißenden Interpretation inkludiert.

    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    ich denke ungeprüft darüber nach, ob hier diverse Wiederholungen ausgelassen wurden, oder ob es tatsächlich nur so schnell gespielt ist...

    Vergleichen wir mal:

    Sinfonie Nr. 4 c-moll D417
    1 - IM 08:24 | NO 08:59
    2 - IM 09:15 | NO 07:38
    3 - IM 02:56 | NO 03:30
    4 - IM 10:30 | NO 07:29

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur D485
    1 - IM 06:40 | NO 06:21
    2 - IM 08:08 | NO 07:47
    3 - IM 04:11 | NO 05:22
    4 - IM 07:29 | NO 07:47

    Sinfonie Nr. 6 C-Dur D589
    1 - IM 08:51 | NO 08:50
    2 - IM 06:01 | NO 06:24
    3 - IM 06:04 | NO 07:14
    4 - IM 09:46 | NO 09:22

    Sinfonie h-moll D759
    1 - IM 13:44 | NO 12:44
    2 - IM 09:49 | NO 09:12

    Roundabout scheinen Immerseel und Norrington doch recht ähnliche Tempi zu verwenden (bis auf die eklatanten Differenzen in Satz 2 und 4 der Vierten, die aber möglicher Weise auf ausgelassene Wiederholungen zurückzuführen sind, was zu überprüfen wäre) - und dennoch erklingt Norrington asthmatischer... vielleicht liegt es doch am zerbrechlicheren Sound der LCP?

    *hä*

    • Offizieller Beitrag

    Demnächst er scheint die Complete-Box Mark Minkowskis mit den Musicien du Louvre-Grenoble:

    Wie dies heue mehr und mehr üblich wird (was ich im Übrigen nicht für verkehrt halte) sind dies alles Live-Aufnahmen.

    Sie enthält übrigens die Angaben

    7 (8) Unfinished
    8 (9) Great

    Ich bin da nachwievor für

    o.N. Unvollendete
    7 Große

    *sante*

  • Demnächst erscheint die Complete-Box Mark Minkowskis mit den Musicien du Louvre-Grenoble:

    Dazu gibt es ein offizielles Promo-Video, welches gespannt macht auf die CDs:

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    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."
    Max Bruch (1838-1920)

  • Eine weitere Gesamtaufnahme (opi) ist jene mit der "Hanover Band" unter Roy Goodman:

    Leider, leider, leider macht das Ensemble seinem Spottnamen (Hall-over Band) alle Ehre. Zwar wird gut gespielt, aber als Aufnahmeort musste irgendeine hallige Kirche herhalten - die amazon-Rezensionen decken sich mit meiner Meinung: eine eigentlich tolle Interpretation wird durch miserable Tontechnik und einen falschen Aufnahmeort kaputt gemacht. Durch die große Distanz zum Orchester klingen manche Passagen - gerade bei den letzten Sinfonien - teilweise unsauber, verwaschen und dumpf. Aber zumindest die frühen Sinfonien leiden nicht so stark darunter, so dass diese Aufnahme aufgrund des günstigen Preises durchaus interessant sein kann.

  • Mit der Kammerakademie Potsdam entsteht derzeit eine neue Gesamteinspielung für Sony, die halb-HIP zu nennen ist - historisches Blech und Schlagwerk, Streicher "informiert". Der Dirigent der Aufnahmen ist der Chef der Truppe, Antonello Manacorda.

    Soeben ist der erste Teil erschienen, die nächsten zwei CDs sind vor ein paar Wochen eingespielt worden.

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."
    Max Bruch (1838-1920)

    • Offizieller Beitrag

    Zu Norrington schrieb ich:

    Sehr gut hingegen gefällt mir die unvollendete h-moll-Sinfonie, welche in dieser Einspielung die Dramatik und erschreckende Todesnähe, wie man sie von Günter Wand kennt, beheimatet; bei Immerseel vermisse ich dies ziemlich.


    Dramatisch, mystisch und auch transzendent in der h-moll-Sinfonie - die keine Nummer hat, da unvollendet - ist Minkowski:

    Sinfonien. Integral.

    Les Musiciens du Louvre Grenoble
    Marc Minkowski

    Todesnähe höre ich in D759 hier zwar nicht, dafür aber durchaus gewisse Angstgefühle. Das Wechselspiel zwischen den versöhnlichen und beängstigenden und teilweise gar erschreckenden Tönen ist wunderbar gelungen. Insgesamt, soweit bislang gehört, eine mehr als passable Gesamtausgabe, bei der mich allerdings die Reihung der Sinfonien auf den CDs etwas wundert (3-1-2 / 5-4 / h-moll-6 / 7) - das kann man ja jederzeit umsortieren, dennoch finde ich das etwas eigenartig...

    Gehört habe ich heute (vor der Unvollendeten) bislang als Einstieg eine dezent bestimmende "Tragische", die nicht sonderlich tragisch war (da gebe ich Immerseel gerne weiterhin den Vorzug), eine federnd-lebendige Zweite und eine opernhafte, ja gar rossinische, Sechste (wie kann man etwas als rossinihaft bezeichnen, wenn man von Rossini nur wenig kennt? Man kann, wie man sieht...).

    Gespannt bin ich vor allem natürlich auf D849, die Siebente, C-Dur, von der geschrieben steht im Booklet S. 31:

    Zitat

    "In der Großen hingegen erinnert Schuberts Ambition verhältnismäßig stark an die Haydns in der Schöpfung oder an die Beethovens in der Neunten", erklärt Marc Minkowski. "Ich habe mich daher für fünf Kontrabässe entschieden und dafür, Flöten und Oboen in den höheren Stimmlagen zu verdoppeln, ebenso wie die Klarinetten und Fagotte in den tieferen; was uns ermöglicht, bei drei Instrumenten pro Stimmgruppe jenen Orgelklang zu erzielen, der später für Bruckners Orchester ausschlaggebend ist, während die Holzbläser in den ersten Symphonien wie eine Pastoralgruppe klingen."


    2+2 = 3. Aha.

    8-)

    • Offizieller Beitrag

    Nunmehr habe ich auch die "große C-Dur" (Nr. 7, D849) gehört. Es ließ sich zu Beginn ganz gut an: ausgefeilte Triller bei den Bläsern und andere Detailarbeit, die 5 Kontrabässe machen sich wirklich sehr gut, besonders an rhythmisch präpositionierten Stellen: schön, wenn man die Bässe da so markant hören kann. Aber eigentlich war es das; die Bläserverdoppelungen muten schon etwas merkwürdig an - ich kann es nicht wirklilch beschreiben und weiß auch nicht, ob ich das ohne vorheriges Wissen so bemerkt hätte... aber, daß es irgendwie anders klingt, wäre mir schon aufgefallen. Der in der Beschreibung (s.o.) erwähnte "Orgelklang" ist mir so auch nicht bewusst begegnet - als Orgeklang empfinde ich z.B. die gehaltenen Ganztöne der Oboe in Mozarts Kopfsatz von KV 201...

    Der Schmerz ist groß, daß im Scherzo eine und vor allem im Finale die erste Wiederholung nicht gespielt wird (Akkolade von 4 Takten wird dem Hörer vorenthalten!) - soviel Platz ist doch auf der CD allemal. Die Takte sind vielleicht nicht von höchstem Erfindungsreichtum, aber sie existieren nunmal - auf die von fremder Hand gestrichenen Takte der Scherzo wartet man auch leider vergebens. Das Stretto am Ende des Kopfsatzes nimmt Minkowski nicht so breit, heroisch und majestätisch wie es sonst entgegen Schuberts più-moto-Anweisung üblich ist, aber auch nicht so selbstironisch übertrieben wie dereinst van Beinum... schon eher ungewohnt flott (was ich gut finde).

    Insgesamt wirkt die Einspielung aber unbeweglich, wenig behende und etwas starr, teilweise wie lustlos hingenudelt; aufgefangen wird dies höchstens durch die Wucht der Orchestergröße... Warum soll Schubert nach Bruckner klingen und nicht wie Schubert? Bruckner hat doch auch hörenswertes komponiert... da muß man doch keinen Schubert verbrucknern. Mich erinnert das irgendwie an die vermeintlichen Instrumentierungsverbesserungen bei Schumann und Beethoven... für mich leider nicht nachvollziehbar.

    *hä*

  • Sicherlich geht es "noch besser" - aber zunächst bin ich mit dieser Gesamteinspielung hochzufrieden, zumal auch das Preis-Leistungs-Verhältnis (was für mich allerdings kein notwendiges Kriterium ist) hervorragend war. Diese Einspielung, wenn auch bereits knapp mehr als 10 Jahre alt, beweist mir allzu deutlich, dass die HIP-Fraktion die absolut richtigen Wege beschreitet: Hier scheppert nichts, hier ist nichts unausgewogen, keine Hakeleien - eine saubere Arbeit!

    Ich weiß nicht, ob es noch besser geht, ich habe auch noch nicht alle Sinfonien gehört, bisher nur die üblichen Verdächtigen, die Neunte und die Achte (ich weiß, große C-Dur und Unvollendete, also h-moll, die Siebte fehlt leider leider :P). Ich habe mich also von der JPC-Immerseel-Aktion breit schlagen lassen, habe eigentlich nur auf die Gelegenheit gewartet, um mir zu meiner Brüggen-Einspielung (und der Harnoncourtschen *omi* ) noch den Immerseel zuzulegen.

    Also Brüggen ist gut, aber Immerseel ist besser - für mich. Auch wenn bei Immerseel besonders die frühen Sinfonien gelobt werden, die beiden (große C-Dur und h-moll) haben mich umgehauen. Das geht an die Schmerzgrenze. Freundlicherweise liegt der lesenswerte Text des Booklets nicht nur in Französisch und Niederländisch (oderwasauchimmer), sondern auch in Englisch vor. Eine Übersetzung ins Deutsche hätte wohl den Rahmen des kleinen Kistchens gesprengt. Immerhin sind überhaupt substantielle Informationen enthalten. In der Brüggen-Decca-Box, die mehr Raum geboten hätte, steht nichts zur Herangehensweise, nur allgemeine Aussagen zu den Werken.

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    Ich suche schon sooooo lange nach einer wirklich guten Schubert-GA, also doch Immerseel statt Brüggen? Mit NH bin ich nämlich absolut nicht glücklich ...

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    Mit NH bin ich nämlich absolut nicht glücklich ...


    Wen wundert's?

    Aber: ob Immerseel oder Brüggen, das ist wohl sicher Geschmacksache. Mir persönlich gefällt Immerseel auch besser (zumal wegen der hier eingespielten gestrichenen Takte im Scherzo der 7ten D849) - bei Immerseel bekommst Du also ein paar Gramm mehr Musik.

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    Mit der Kammerakademie Potsdam entsteht derzeit eine neue Gesamteinspielung für Sony, die halb-HIP zu nennen ist - historisches Blech und Schlagwerk, Streicher "informiert". Der Dirigent der Aufnahmen ist der Chef der Truppe, Antonello Manacorda.

    Soeben ist der erste Teil erschienen, die nächsten zwei CDs sind vor ein paar Wochen eingespielt worden.


    Sie ist nun längst fertig und ich höre die Box mit Begeisterung, besonders die 1,2, 3 und die Uv haben es mir angetan. Wenn die Termini Transparenz und Durchhörbarkeit nicht so allgeläufig den Leuten aus den Schreibfingern liefen, würde ich die mit dicken Ausrufezeichen hierhersetzen. Der Klang, besonders in den Tutti und mit Schlagwerk, ist beängstigend klar und durchsichtig; für fast schon eine Spur zu hell und zu hoch, zu wenig bassfundiert. Aber das soll wohl so sein.

    • Offizieller Beitrag

    Ein Vergleich mit Minkowski, Brüggen, Immerseel, Godman wäre sicher reizvoll. Ersterer rast allerdings zu sehr, letzterer mit üblem Klangbild; bleiben die mittleren in der engeren Auswahl und da bevorzugen hier wohl die meisten den Belgier.

    "Wenn man sich nur das Urteilen abgewöhnen könnte, dieses dilettantische Verfälschen der Dinge! Wir wollen immer verstanden werden und sind selber unerbittlich verständnislos." (Verdi bei Franz Werfel)