01 - Bläserserenaden: KV 361, KV 375 und KV 388

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    Aus ganz persönlichen Gründen sind die drei genannten Serenaden für Bläserensembles unter meinen absoluten Lieblingsstücken. Als Jugendlicher war ich Fagottist in diversen Ensembles der Meerbuscher Musikschule (Meerbuch im Kreis Neuss, bei Düsseldorf gelegen). Wir waren stolz, dass insbesondere unser Bläserensemble ein bemerkenswertes Niveau erreichten, das uns über die Stadt- und Kreisgrenzen hinaus leidlich bekannt machte und uns immer wieder Auftritte in entfernteren Lokalitäten ermöglichte.

    Deshalb habe ich für die Literatur für speziell größere Bläserensembles eine besondere Liebe entwickelt, namentlich Mozart, Strauss, Dvořák, Brahms (mit ein paar Streichern dabei...) und Lachner.

    Genug der persönlichen Vorliebe, dieser Beitrag soll sich den meines Erachtens epochemachenden Werken des Genres vom Genie Wolfgang Amadeus Mozart widmen, ohne die wohl die Kompositionen der späteren, oben erwähnten Meister schwer vorstellbar gewesen wären.

    Drei Werke hat Mozart in seiner Wiener Zeit erschaffen, die er Serenaden nannte, der Gattung auch einigen Tribut zollte, und dennoch weit über einfache Abend- und Partymusik hinausging und dafür höchst individuelle, persönliche Beiträge zur Gattung beisteuerte:

    • Serenade B-dur, KV 361 für 13 Bläser (später "Gran Partita" genannt, aber nicht von Mozart)
    • Serenade Es-dur, KV 375 für je zwei Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte
    • Serenade c-moll, KV 388 für je zwei Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte

    Die Gattung der 'Harmoniemusik' hat Mozart nicht erfunden. Von Haydn beispielsweise sind zahlreiche Harmoniemusiken für diese oder ähnliche Besetzungen überliefert; man verwendete sie gerne auch als Soundtrack für ein Fürstliches Picknick (deshalb nannte Haydn seine Werke häufiger "Feldparthie", wobei die "Partie" anders als dem heutigen Sinne gemeint ist und eher von der Partita, also der Form der Suite herstammen dürfte).

    Auch Mozart schuf zahlreiche Serenaden und andere Unterhaltungsstückchen, bevor er die Gattung der Serenade, der Abendmusik, mit der der Harmoniemusik kreuzt und dennoch weder das eine noch das andere schafft, sondern etwas Drittes, bisher so noch nicht dagewesenes (zumindest meiner Ansicht nach).

    Von den drei Werken ist m.E. die Es-dur Serenade KV 375 noch das traditionellste Werk. Das Werk ist symmetrisch gebaut: ein gewichtiger Kopfsatz und ein Kehraus-Finale rahmen zwei Menutte, im Zentrum steht ein typisch mozartisches Adagio. Die Besetzung entspricht einer eher herkömmlichen Harmoniemusik, wird aber deutlich individueller behandelt als bei vielen Zeitgenossen, viele Instrumente kommen zu quasi solistischen EInlagen, die Ansprüche an das Ensemble sind vergleichsweise hoch.

    Bei der später so genannten Serenade B-dur KV 361 "Gran Partita" sprengt Mozart die Besetzung der Harmoniemusik: es treten zwei weitere Hörner, zwei Bassetthörner und ein Bass hinzu. Der Bass kann vom Kontrabass, m.E. aber noch passender vom Kontrafagott gespielt werden. Der Kontrabass wirkt in den Aufnahmen, die ich kenne, immer ein Wenig wie ein Fremdkörper im Klangcorpus, das Kontrafagott fügt sich ein.

    Die Serenade beginnt mit einem grandiosen Kopfsatz, eine langsame Einleitung führt zu einem straffen, motivisch gearbeiteten Satz. Das Adagio, der dritte Satz, ist mein absoluter Liebling. Fast romantisch unterhalten sich die 1.Oboe, die 1.Klarinette und das 1.Bassetthorn über einem durchlaufenden Bass vom 2.Fagott und dem Bass gespielt, immer gebettet in rhythmische Begleitakkorde der restlichen Instrumente. Die Meldodien, die Mozart ausbreitet, sind von fast überirdischer Schönheit, die Instrumente nehmen die Gedanken der Gesprächspartner auf, führen sie weiter aus, fügen Gedanken hinzu. So schön kann Musik sein!

    Der fünfte Satz ist eine Romanze, in einer großen ABA-Form gebaut. Der A-Teil ist ein cantables Adagio im 3/4-Takt, das einen eher choralartigen Eindruck bei mir hinterlässt, von einer ganz anderen Faktur als das erste Adagio. Dazwischen entfaltet sich ein munteres Allegretto von gänzlich kontrastierendem Charakter im 2/4-Takt. Ein merkwürdiger Satz. Zwischen den drei genannten Sätzen finden sich wieder zwei Menuette, am ehesten noch eine Konzession an die Form der Serenade, wie das Publikum sie erwartete. Beide Menuette sind verhältnismäßig lang, mit je zwei Trios, in denen unterschiedliche Teil-Ensembles musizieren, zum Beispiel das Klarinettenquartett im ersten Trio des ersten Menuetts.

    Vor das Finale hat Mozart dann noch einen Satz gesetzt, der alleine schon fast ein eigenes Werk bildet: Tema con variazioni. Auf engstem Raum entwirft Mozart unterschiedlichste Charakterbilder, fast alle Instrumente werden solistisch behandelt. Selbst der Bass verdoppelt nicht nur das zweite Fagott, sondern hat eigene passagen, eigene Figuren, kommt auch mal ohne die Fagotte zum Einsatz. Spätestens hier wird meines Erachtens gerechtfertigt, wenn man sich für das Kontrafagott statt den Kontrabass entschieden hat. In einigen Variationen wird fröhlich musiziert, in anderen bettet Mozart melancholische Melodien auf fast wagnersche Klangteppiche. Was für ein Meister! Das Finale ist dann wieder ein echter Serenaden-Kehraus in Rondoform; weg mit allem Besinnlichen, alle dürfen noch mal ran, die ersten Bläser dürfen sich noch mal profilieren, das wars, nun spendet den Musikern reichlich Beifall. Diese Serenade hat den Weg geebnet zu der Art, wie später Brahms, Strauss und andere die Bläser behandelt haben.

    Die Serenade in c-moll KV 388 ist von der Besetzung her wieder das klassische Oktett. Aber was für ein Werk! Die Stimmung ist so gar nicht heiter und gelassen, die Instrumente sind durchweg sehr individuell behandelt; aus eigener Erfahrung weiß ich um die Anforderungen, die das Finale an den Fagottisten stellt. Die Satzfolge nähert sich der Symphonie an: Allegro, in mozart-typischem c-moll-Gestus, gefolgt von einem ruhigen, langsamen Adagio, dann ein Menuett und ein Rondo-Finale. Aber das Menuett ist ein Kanon, durch und durch fugierend gearbeitet und kein Menuett, wie man es in einer Serenade erwartet, von Leichtigkeit spüre ich hier nichts. Und das Finale ist ähnlich, das Thema ist melodiös, der Satz bietet wieder allen Instrumentengruppen Soli und starke Momente. Erst kurz vor Schluss wird das Thema in Dur wiederholt, um das Werk noch zu einem freundlichen Abschluss zu führen. Aber ist das ein Happy-End? Nur weil es in Dur steht?

    Mit dem zunehmenden Erstarken der Bürgerlichen Musikkultur, speziell im Wien des ausgehenden 18.Jahrhundert, hatte das Genre der Harmoniemusik seinen Zenith bereits überschritten, so dass den Werken zu Mozarts Lebzeiten wenig Erfolg beschieden war.

    Heute erfahren die Stücke wieder eine größere Würdigung, Einspielungen gibt es viele. Aber werden diese Werke nur als Rennomierstücke der großen Bläserensembles betrachtet oder wird ihr Gewicht tatsächlich angemessen gewürdigt?

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)

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    Danke für die Einführung, mein Praetor!

    Es bleiben mir vorerst nur ein paar technische Daten zur Ergänzug:

    Zu 375
    Hier existiert noch eine originale Version, in der die beiden Oboen nicht vorhanden sind. Eine Blassextettfassung also, welche nach Köchel der 1782er Oktettfassung vorausging. Diese Urfassung wurde Mozart zu seinem Namenstage (31.10.1781) 'auf die Nacht um 11 uhr' gegeben.

    Zu 361 (jetzt: 370a)
    Den von Dir geschätzten Variationssatz hatte Mozart bereits im Flötenquartett C-Dur KV 285b als Andantino (ähnlich) untergebracht. Bemerkenswert finde ich die angebundenen Sechszehntel im Adagio der Oboen - sie erinnern mich stets an gleichlautende Schreibweise in Beethovens 'großer Fuge'.

    zu 388 (jetzt: 384a)
    Auch hiervon gibt es eine 'hauseigene' Bearbeitung: nämlich das Streichquintett c-moll KV KV 516b (ex 406). Das Menuetto in canone erinnert mich in der Machart stets an jenes aus der g-moll-Sinfonie KV 550. Ich betrachte das Dur-Ende nicht als Happy-End, weil ich c-moll in der Bedeutung sehe, die es damals hatte: Feierlichkeit (und damit waren nicht zwingend Trauerfeierlichkeiten gemeint, was auch einer Serenade als Nacht Musique genauso widersprechen würde wie der Anlass zu Mozarts unvollendeter c-moll-Messe, die er nämlich zu schreiben gelobte, nachdem er Constanze Weber geehelicht haben würde...)

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    Danke für Deine Ergänzungen.

    Der Satz des Flötenquartetts ist musikalisch natürlich von der gleichen Genialität, aber m.E. fehlt ihm die Farbe des großen Bläserapperates. Gleiches gilt für mich für die Streichquintettfassung von KV 388: stark, aber nicht so unmittelbar und mächtig wie die Bläserfassung.

    Von der reduzierten Fassung von KV 375 hatte ich in der Partitur gelesen, nur leider so schnell keine unabhängige Stelle zur Bestätigung gefunden.

    Als 'Trauer' empfinde ich das c-moll in KV 388 auch nicht, aber wirklich feierlich... eine gewisse Düsternis haftet dem Werk an, eine freundliche, laue Sommernacht ist das nicht! Im Finale bricht der Mond durch, aber das Licht bleibt fahl, es wird nicht hell...

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    Der Satz des Flötenquartetts ist musikalisch natürlich von der gleichen Genialität, aber m.E. fehlt ihm die Farbe des großen Bläserapperates.


    Das höre ich genau so. Nur ist die Flöte überflüssig...

    Gleiches gilt für mich für die Streichquintettfassung von KV 388: stark, aber nicht so unmittelbar und mächtig wie die Bläserfassung.


    Ich nehme an, daß dies eine reine Vorarbeit zu den grandiosen Quintetten KV 515 und 516 war. In jener Zeit schwirren auch viele Fragmente zu Streichquintetten herum, die aussagen, daß Mozart experimentiert hat.

    Als 'Trauer' empfinde ich das c-moll in KV 388 auch nicht, aber wirklich feierlich... eine gewisse Düsternis haftet dem Werk an, eine freundliche, laue Sommernacht ist das nicht! Im Finale bricht der Mond durch, aber das Licht bleibt fahl, es wird nicht hell...


    Mozart bezeichnet das Werk aber eindeutig als Nacht Musique. Man sollte die Serenade oder Nachtmusik (als musikalische 'Gattung') auch nicht so romantisch konnotieren, wie dies heute gemacht wird. Auftraggeber war wohl Alois Joseph Fürst Liechtenstein (1759-1805); ein definitiver Anlass ist hingegen nicht bekannt. Mozart hätte das Werk auch für Festivitäten im Hause der Haffners verwenden wollen, wenn es eben keine reine Harmoniemusik gewesen wäre. Stattdessen komponierte er schnell die Haffner-Sinfonie KV 385, die freilich einen ganz anderen Charakter hat. Ich empfinde das Werk durchaus als feierlich (getragen), so wie auch das c-moll-Klavierkonzert KV 491 und die c-moll-Klaviersonate KV 457 und die Maurerische Trauermusik KV 477; auch bei letztgenannter überwiegt für mich die feierliche Erhabenheit der Trauer.

    :wink:

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    Mozart bezeichnet das Werk aber eindeutig als Nacht Musique. Man sollte die Serenade oder Nachtmusik (als musikalische 'Gattung') auch nicht so romantisch konnotieren, wie dies heute gemacht wird. Auftraggeber war wohl Alois Joseph Fürst Liechtenstein (1759-1805); ein definitiver Anlass ist hingegen nicht bekannt. Mozart hätte das Werk auch für Festivitäten im Hause der Haffners verwenden wollen, wenn es eben keine reine Harmoniemusik gewesen wäre. Stattdessen komponierte er schnell die Haffner-Sinfonie KV 385, die freilich einen ganz anderen Charakter hat. Ich empfinde das Werk durchaus als feierlich (getragen), so wie auch das c-moll-Klavierkonzert KV 491 und die c-moll-Klaviersonate KV 457 und die Maurerische Trauermusik KV 477; auch bei letztgenannter überwiegt für mich die feierliche Erhabenheit der Trauer.


    Die Nachtmusik an sich habe ich (zumindest vor Mahler...) nicht romantisch konnotiert, mir ist klar, das im Wortsinne nur eine Musik für die Nacht gemeint ist.

    Aber das konkrete, vorliegende Werk ist alles, aber keine leichte Nachtmusik. Ich bleibe dabei: eine gewisse Düsternis kann das Werk nicht leugnen. Das Thema des 1.Satzes liegt dem c-moll-Klavierkonzert tatsächlich sehr nahe, mit dem charakteristischen gebrochenen Akkord aufwärts. Aber von der Stimmung atmet es auch viel vom d-moll-Konzert.

    Wenn mich jemand so beim Nachtmahl unterhält, bleibt mir der Bissen im Halse stecken... memento mori — bedenke, dass Du sterblich bist!

  • Ich nehme an, daß dies eine reine Vorarbeit zu den grandiosen Quintetten KV 515 und 516 war. In jener Zeit schwirren auch viele Fragmente zu Streichquintetten herum, die aussagen, daß Mozart experimentiert hat.


    Mozart gab 1788 drei Streichquintette auf Subscription heraus: KV 515, KV 516 und eben KV 516b. Man vermutet daher, dass Mozart vielleicht schlicht aus Zeitgründen die c-moll Serenade umgearbeitet hat, um die dreier Gruppe rasch zu komplettieren. Insofern könnte die Nummer KV 516b tatsächlich passend sein - und die Umarbeitung der Serenade, anders als die schon benannten zahlreichen Quintettsatz-Fragmente, nicht als Wegbereiter für die Quintette ex C und g gedient haben. Dies wurde wo überzeugend dargelegt - aber auch Ullis Vorschlag ist natürlich durchaus plausibel.

    Der Bass kann vom Kontrabass, m.E. aber noch passender vom Kontrafagott gespielt werden. Der Kontrabass wirkt in den Aufnahmen, die ich kenne, immer ein Wenig wie ein Fremdkörper im Klangcorpus, das Kontrafagott fügt sich ein.


    Dem würde ich subjektiv-persönlich eher widersprechen (was aber nichts zur Sache tut). Im Autograph des Werkes heißt es klar "Contrabasso"; ebenso nennt der Bericht über die erste überlieferte Aufführung des Werkes selbiges Instrument. Ob das natürlich auch so klar befolgt werden "muss" sei dahingestellt. Ich persönlich empfinde, wiegesagt, den Bass tatsächlich als unterstützenden Bass und in diesem Sinne durchaus als etwas "abgesetzt" von den (anderen) Stimmen, von den melodiös gestaltenden Blasinstrumenten. Aus diesem Aspekt ist es für mein Ohr gerade "sinnwidrig" den Bass mit Kontra-Fagott zu besetzen, welcher im Klang mehr mit den übrigen Bläsern "verschwimmt"

    Zitat

    Aber das konkrete, vorliegende Werk ist alles, aber keine leichte Nachtmusik.


    Richtig. Es ist - in Ullis Worten - feierliche Nachtmusique. Nobel und erhaben.

    Zitat

    Ich bleibe dabei: eine gewisse Düsternis kann das Werk nicht leugnen.


    Welche Nacht könnte dies?

    :wink:

    "erhaben, schön, alles was sie wollen – allein – zu übertrieben schwülstig für meine feinen ohren"
    W. A. Mozart (28.12.1782)

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    Die Nachtmusik an sich habe ich (zumindest vor Mahler...) nicht romantisch konnotiert, mir ist klar, das im Wortsinne nur eine Musik für die Nacht gemeint ist.


    Naja, mit Nachtmusik verbindet man wohl doch meistens eher so etwas wie eben die kleine Nachtmusik, ebenfalls eine Serenade, weitaus bekannter durch ihre Luftigkeit und Romantik (2. Satz!).

    Aber das konkrete, vorliegende Werk ist alles, aber keine leichte Nachtmusik. Ich bleibe dabei: eine gewisse Düsternis kann das Werk nicht leugnen. Das Thema des 1.Satzes liegt dem c-moll-Klavierkonzert tatsächlich sehr nahe, mit dem charakteristischen gebrochenen Akkord aufwärts.


    Der c-moll-Sonate aber noch viel mehr. Nachtmusik kann hier ja durchaus - wenn man unbedingt mit Worten spielen möchte - auch als 'dunkle Musik' interpretiert werden.

    Wenn mich jemand so beim Nachtmahl unterhält, bleibt mir der Bissen im Halse stecken... memento mori — bedenke, dass Du sterblich bist!


    Diesen Moment findest Du aber in den meisten anderen Werken Mozarts (abgesehen von den Frühwerken, aber auch dort) überall... wenn sie auch noch so fröhlich sind, irgendwie sind sie es dann doch nicht (z.B. Prager- und Jupiter-Sinfonie, B-Dur-Klavierkonzert, Zauberflöte...). Es ist schon etwas paradox: ich kenne kein ernst (!) zu nehmendes Werk Mozarts, das durchgehend fröhlich (unbefangen) ist.

    :wink:

    • Offizieller Beitrag

    Momentan versuche ich, das Formschema des Kopfsatzes von KV 361 zu verstehen, vielleicht können die Experten hier im Forum mir ja helfen.

    Den Anfang machen 14 Takte langsame Einleitung, die schön erwartungsgemäß auf einem Tutti-F-dur-Dreiklang mit kleiner Septime, also dem Dominantseptakkord der Haupttonart eindet.

    Und dann frage ich mich, ob das, was dann kommt irgendwie einem Sonatensatz entspricht oder nicht.

    Nehmen wir an, es wäre einer, wie wäre er dann gebaut? Mir liegt die Partitur in der Bärenreiter-Urtextausgabe der NMA von 1979 vor.

    Die Exposition ist durch die Wiederholungszeichen regelgerecht abgeteilt und gekennzeichnet. Das erste Thema beginnt mit einem den ganzen Satz charakterisierenden Motiv aus zwei Legato-Halben und zwei Staccato-Vierteln, im vierstimmigen homophonen Satz in vier Takten, und dann vier Takten von einer Synkope geprägter Antwort, beide Teile bleiben in B-dur.

    Die Modulation zur Dominante, die man jetzt erwarten darf, nutzt den ruhigen, homophonen Kopfteil des Themas in g-moll, also der parallelen Molltonart, aber dann kommt eine neue Figur, immer noch synkopisch, aber durch weite Sprünge gekennzeichnet und damit doch sehr vom 1.Thema unterschieden. In Takt 39 ist dann die Doppeldominante C-dur erreicht.

    Jetzt erwarte ich ein zweites Thema, nach der klassischen Lehre im Kontrast zum ersten. Aber Kontrast sehe ich hier nicht. Das 2. Thema beginnt wie das erste, jetzt in F-dur, und dann einem asymmetrischen Nachsatz (wenn man davon sprechen kann) von sechs Takten; die Synkope, die im ersten Thema prominent am Anfang des Nachsatzes standen, folgen jetzt erst im dritten Takt des Nachsatzes und sind nicht prägend.

    Im Takt 59 beginnt eine neue, legato-Achtel-Spielfigur, die uns wieder vorgaukelt, in B-dur zurück zu sein, schlängelt sich dann aber über D-dur und g-moll zurück Richtung F-dur, was dann noch mal wiederholt wird. Der Schluss der Exposition festigt jetzt endgültig F-dur, die letzten Takte sind von einer verspielten Sechzehntel-Spielfigur geprägt, die so bisher noch nicht da war.

    Ab Takt 91 beginnt dann die Durchführung. Und was macht Mozart? Bringt ein ganz neues Thema... in F-dur, das jetzt auch erstmals nicht das charakteristische Eröffnungsmotiv des 1.Themas nutzt, sondern ein neues Motiv einführt: rhythmische (jambische Vorschläge), wogegen der zweite Teil des Themas eine Variation des zweiten Expositionsthemas mit den aufsteigende Achtel-Skalenläufe in den Begleitfiguren ist, die dann auch die Durchführung bis Takt 115 prägen. Bis Takt 127 beschäftigt sich Mozart dann in enger Faktur mit dem charakteristischen Motiv, auf tiefe Orgelpunkte im Bass gestützt, nach einer Überleitung zuerst in Synkopen und ab Takt 132 mit der Spielfigur vom Schluss der Exposition folgt eine kurze Rückmodulation, bevor im Takt 139 auf der Tonika B-dur die Reprise anfängt.

    Die Reprise hat mich dann wenig überrascht; wie in der Zeit nicht unüblich beginnt die Modulation einfach auf c-moll statt auf g-moll, um dann nicht in F-dur sondern in B-dur zu enden, bis im Takt 164 das zweite Thema in B-dur folgt.

    Im Takt 216 ist dann die Reprise mit ihrem Material durch, es schließt sich noch eine Coda an, der Fluss kommt im Takt 220 auf einer Generalpause mit Fermate nach einem verminderten Septakkord zum Erliegen, den ich hier als verkürzten Doppeldominantseptnonakkord verstehe, dann noch einmal auf der Dominanten, um dann befreit in B-dur gefestigt zu enden.

    Könnte man also als Sonatensatz verstehen, so, wie ich ihn von Mozart erwarte, also reich an Themen und Spielfiguren aber mit einer weniger intensiven motivischen Arbeit etwa des reifen Beethoven. Was mich verwirrt ist der nahezu identische Beginn vom ersten Thema, Modulation und zweitem Thema, was beim ersten Hören fast den Eindruck eines monothematischen Satzes vermittelt.

    Die Lehre von der Dialektik des Sonate, aus These, Antithese und Synthese ist ja eher eine Erfindung des XIX. Jahrhunderts, aber dieser Satz ist doch sehr kontrastarm.

    Wie steht denn das Auditorium zu meinem Analyseversuch (bin kein Profi...), habe ich was Wesentliches übersehen oder missdeutet?

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    Gute Analyse!

    Daß es den klassischen Sonatenhauptsatz nicht gibt, jedenfalls nicht in der Form, wie er im Lehrbuch steht, darüber sind wir uns wohl einig.

    Könnte man also als Sonatensatz verstehen, so, wie ich ihn von Mozart erwarte, also reich an Themen und Spielfiguren aber mit einer weniger intensiven motivischen Arbeit etwa des reifen Beethoven. Was mich verwirrt ist der nahezu identische Beginn vom ersten Thema, Modulation und zweitem Thema, was beim ersten Hören fast den Eindruck eines monothematischen Satzes vermittelt.


    Auch ein 2. Thema, das oftmals als Nebenthema interpretiert und herabgewürdigt wird, gibt es eigentlich nicht. Vielmehr bezeichnete es Carl Philipp Emanuel Bach als zweiten Hauptgedanken. Diese Bezeichnung ist viel einleuchtender, erklärt sie doch die z.T. unterschiedliche Gewichtung (bei verschiedenen Werken verschiedener Komponisten) des ersten und zweiten Hauptgedankens im Kopfsatz. Insofern wundert es auch nicht, wenn mit einem konstrastierenden 2. Thema gerechnet wird, dieses dann aber nicht kommt... auch bei Haydn findet man sehr oft anstelle des 2. Themas (nur) eine Variation des ersten. Wenn Du bei KV 361, I den 'Vorbau' (das viertaktige Thema aus je zwei halben und zwei Viertelnoten) gedanklich ausblendest, hast Du im Prinzip Deine gewünschten 'unterschiedlichen' Themata; unterschiedlich jedenfalls hinsichtlich der Melodielinie und auch im Charakter: der 2. Hauptgedanke setzt sich vom ersten durch das lyrischere Legato ab.

    Ab Takt 91 beginnt dann die Durchführung. Und was macht Mozart? Bringt ein ganz neues Thema..


    Auch das ist nichts Besonderes - man findet das gerade bei Mozart sehr oft - und zwar oftmals genau dann, wenn die beiden Hauptgedanken einander sehr ähnlich sind: KV 502, I ist z.B. ziemlich baugleich. Eine Durchführung mit den Themen der beiden Hauptgedanken würde dann vielleicht doch zu eintönig sein. Dabei führt Mozart dann aber doch (ab T. 103) den 2. Hauptgedanken ohne Vorbau durch und ab 116 den Vorbau selbst. Als Rückführung selbst würde ich lediglich die drei Takte 136ff. bezeichnen.

    Zitat

    Die Reprise hat mich dann wenig überrascht; wie in der Zeit nicht unüblich beginnt die Modulation einfach auf c-moll statt auf g-moll, um dann nicht in F-dur sondern in B-dur zu enden, bis im Takt 164 das zweite Thema in B-dur folgt.


    Die Reprise folgt dann in T. 139 in der Tonika (wie gewohnt). Die Takte 116ff. sind m. E. allenfalls eine Scheinreprise, die noch deutlichen Durchführungscharakter hat.

    :wink:

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    Daß es den klassischen Sonatenhauptsatz nicht gibt, jedenfalls nicht in der Form, wie er im Lehrbuch steht, darüber sind wir uns wohl einig.


    Natürlich. Habe gerade den Schmidt-Beste noch einmal gelesen, der seinerseits häufig auf Rosen bezug nimmt, dessen Buch dann auch folgerichtig Sonata-Forms, also Plural, heißt. Eben weil es die Sonatenform nicht gibt.

    Auch ein 2. Thema, das oftmals als Nebenthema interpretiert und herabgewürdigt wird, gibt es eigentlich nicht. Vielmehr bezeichnete es Carl Philipp Emanuel Bach als weiten Hauptgedanken.


    Schmidt-Beste zieht als wesentliche Essenz der Exposition nicht die zwei Themen heraus (er selbst bring Beispiele, in denen es nicht weniger als sieben gibt), sondern die harmonische Struktur: Tonika-Bereich, Modulationsbereich, Dominantbereich. Der Tonartenverlauf wird im XIX.Jahrhundert komplexer, es tritt oft noch ein Mediantischer Bereich hervor, der sich aus der Modulation emanzipiert, aber die harmonische Blockbildung läßt sich hier tatsächlich gut beobachten. Auch wenn Mozart in seiner typischen Art ein Wenig mit den Hörern spielt, indem er gleich nach dem Dominant-Thema wieder in B-dur plänkelt, dass sich aber als Subdominante des neuen tonalen Zentrums entpuppt, nicht als ein Rückfall in die Tonika...


    Die Reprise folgt dann in T. 139 in der Tonika (wie gewohnt). Die Takte 116ff. sind m.E. eher eine Scheinreprise, die noch deutlichen Durchführungscharakter hat.


    So habe ich die tatsächlich nicht empfunden, sondern nur als Durchführung des charakteristischen Motivs.

    Ich glaube, wenn ich unsere Postings so studiere, dass wir uns aber über den Aufbau einig sind... das beruhigt mich, dann habe ich den Satz doch richtig verstanden...

    Ich liebe Mozart... simple Struktur, aber niemals banal, tolle Musik zu jeder Zeit, die sofort mitreißt.

    • Offizieller Beitrag

    Schmidt-Beste zieht als wesentliche Essenz der Exposition nicht die zwei Themen heraus (er selbst bring Beispiele, in denen es nicht weniger als sieben gibt), sondern die harmonische Struktur: Tonika-Bereich, Modulationsbereich, Dominantbereich. Der Tonartenverlauf wird im XIX.Jahrhundert komplexer, es tritt oft noch ein Mediantischer Bereich hervor, der sich aus der Modulation emanzipiert, aber die harmonische Blockbildung läßt sich hier tatsächlich gut beobachten.

    Klar. Mit 'Gedanken' (CPE) ist ja auch nicht unbedingt ein abgeschlossenes musikalisches Thema gemeint, sondern eher die Fläche... Gedanken schweifen umher. Ähnlich ist das auch mit der Scheinreprise zu betrachten: m. E. gehört der Teil noch zur DF, wenn man ihn aber herauslösen möchte (und das tut das Ohr automatisch), dann wäre diese Stelle subjektiv als Scheinrepsrise zu betrachten.

    Zitat

    Ich glaube, wenn ich unsere Postings so studiere, dass wir uns aber über den Aufbau einig sind... das beruhigt mich, dann habe ich den Satz doch richtig verstanden...

    *yes*

    • Offizieller Beitrag

    Der Kopfsatz von KV 375 ist noch deutlich merkwürdiger im Aufbau, wie ich finde, so konventionell sich die Es-dur-Serenade auch ansonsten gibt.

    Es fällt auf, dass die Exposition nicht wiederholt wird. Das Hauptthema ist durch einen wenig bewegten, volltönigen Es-dur-Akkord geprägt. Mozart schiebt noch ein Es-dur-Thema hinterher, dass dieses Mal von einem gebrochenen Es-dur-Akkord und schnellen Sechzehntelläufen geprägt ist.

    Eigtentlich würde ich jetzt die Modulation nach B-dur erwarten, für den zweiten Tonartenblock der Exposition. Aber nicht so bei Mozart, stattdessen folgt ein neuer Gedanke in b-moll! Als ob er den Fehler bemerkt hätte, hält der Satz inne (auf einer ganztaktigen Generalpause mit Fermate), als würde er kurz überlegen, wie es jetzt nun wirklich weitergehen müsse, und dann folgt endlich noch ein neues Thema in B-dur. Überhaupt finde ich, dass Mozart in der Exposition Gedanken an Gedanken reiht, aber das ist bei ihm ja nicht so ungewöhnlich.
    Die folgende Überleitung, geprägt zunächst durch Akkorde und dann durch schnelle Skalenläufe führt endlich zu so etwas wie einer Schlussgruppe, die das erreichte B-Dur ab Takt 85 solide festigt. In Takt 89 wird der Schlusston der Exposition gehalten und führt gleich in die kurze Durchführung ab Takt 90, die nach einer kurzen Modulation aus zwei Akkorden gleich mit dem Hauptthema in Es-Dur (!) einsetzt. Nanu? Schon die Reprise? Waren die beiden Akkorde die Durchführung? Nein, so einfach macht Mozart es uns dann doch nicht. Es folgen einige Modulationen, aus Es-dur wird über Es-dur mit kleiner Septime as-moll erreicht, und durch enharmonische Umdeutung von ces und es wird ein H-dur-Septakkord, e-moll ein G-dur-Quintsextakkord. Die Auflösung führt nach c-moll, thematisch kommt nach den Akkordverarbeitungen des ersten Themenkopfs jetzt der b-moll-Seitengedanke aus der Exposition. Mozarts Durchführung ist sehr kurz und knapp, umspannt aber einen sehr weiten harmonischen Raum; die Modulationen machen wett, was an Themenaufarbeitung zu kurz kommt. In Takt 110 wird wieder ein B-dur-Septakkord erreicht; die Bewegung kommt in Takt 112 wieder auf einer Fermate zum Erliegen — dieses Mal auf einem Dominantseptakkord, nicht auf einer Pause — 23 Takte Durchführung liegen hinter uns.

    Dann folgt ab Takt 113 wirklich die Reprise. Der b-moll Seitengedanke wurde ja in der Durchführung schon aufgearbeitet und hat sein Überraschungsmoment inzwischen verloren, deshalb verzichtet Mozart hier darauf. Stattdessen — ein neuer Gedanke, ein Hornthema in Es-dur! Sind wir jetzt in der Durchführung? Oder doch in der Reprise? Mozart macht es uns nicht einfach! Dieses Mal 'bemerkt' die Musik ihren Irrtum nicht so schnell, das Thema wird im Tutti bestätigt, bevor wieder eine Generalpause mit Fermate die Bewegung anhält. Das B-dur-Thema der Exposition erlöst uns, es ertönt ab Takt 172 im regelgerechten Es-dur.

    Bis Takt 211 verläuft die Reprise ansonsten regelmäßig. Die Coda ist mit 27 Takten länger als die Durchführung! Aber die harmonischen Wirrungen sind nicht mehr so komplex, die Coda beweist uns, dass der Satz mit Es-dur sein Ziel erreicht hat. Der markante Es-dur-Dreiklang des ersten Themas erklingt, alle Dreiklänge, die durchlaufen werden, dienen im Grunde der Kadenz nach Es-dur, das in Takt 229 im Forte in Dreiklangsbrechungen ertönt. Aber es ist nicht Schluss, die Oboe klingt mit süßen Portamento-Tonwiederholungen und Legato-Achtel-Pendelfiguren immer wieder rund um B, bevor der Satz leise und unscheinbar verklingt. Es ist alles gesagt. So massig, wie der Satz beginnt, so bescheiden endet er.

    Das ist es, was ich an Mozart so liebe. Eigentlich klingt alles vertraut, aber immer wieder entdeckt man im Detail einen solchen Formen- und Themenreichtum, dass es doch niemals eintönig und langweilig wird.

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)