Die "Meistersinger"... ODER die unendliche Geschichte unser bürgerlich-spießigen Gesinnung
In Zusammenhang mit der auch kurz auf dem EROICA-Forum aufflackernden Diskussion, über subjektive Zugänge und Meinungen zur Musik und einer Art (moralischen ? ) Verpflichtung, auch >objektivierbare< Kriterien bezüglich der Qualität einer Partitur, also quasi >Ehre dem Meister(+)Werk, dem Ehre gebühret, zu berücksichtigen, oder gar sich solchen Kriterien gegenüber verpflichtet zu fühlen, passt die Oper >Die Meistersinger von Nürnberg< wunderbar in diese Diskussion hinein/dazu.
Dieses Werk hat sehr viele verschiedene Facetten und eignet sich wegen des Stoffes/Handlung geradezu IDEAL dazu, es in eine (z.B. unsere eigene) Schublade zu packen, wie auch dazu >Verwirrung zu schaffen<. Das subjektive Moment kommt zum Tragen, wenn die eigene lebensphilosophische Richtung, z.B. Elemente von Tradition und konservativer oder nationaler Gesinnung enthält...
ODER: wenn einer wie ich, erst 47 Jahre alt werden musste, um langsam einen Zugang zu dieser Oper zu bekommen, weil Vorurteile und bestimmte Überlieferungen über DIE DEUTSCHE „Nationaloper“, (Lieblingsoper Hitlers) teils „unbewusst“ in mir entstanden/gewachsen sind und ich lange Zeit deswegen zu kämpfen hatte. Aus meiner persönlichen Betrachtung kann man entnehmen, dass ich eher im Sinne der "Marschallin" aus dem Rosenkavalier sage: (leicht abgewandelt) >die Musik ist ein wunderbar Ding< ...und ein einzigartig SUBJEKTIVES dazu.
Über die Dimensionen, Qualität, Eigenarten dieses Stückes, welches in Nürnberg in der Mitte des 16. Jahrhunderts spielt, kann man sich fast tausend Quellen heranziehen und viel, sehr viel lesen (lernen und staunen) und Interessantes finden, wenn’s teils auch befremdlich wirken mag. Es sind vor allem Bücher der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die dem Geiste des nationalen Findungsprozesses (ab 1848) oder der Nazi-Ideologie nahe stehen, die unser Bild über diese Oper geprägt haben, uns eventuell ideologisch beeinflußt oder uns auch vergrault, bzw. negativ oder voreingenommen haben werden lassen / geprägt haben.
Fest steht, die Geschichte der >Meistersinger von Nürnberg< ist keine historische Begebenheit, ist keine wahre Geschichte über die Stände im mittelalterlichen Nürnberg und deren „Meister“, kein Stück über >wirkliche Personen< Deutscher Geschichte. Vor der 10 jährigen Entstehungszeit des Werkes, interessierte sich Wagner bereits ab 1845 für >diesen Stoff< . Er studierte Franz Deinhardstein’s Schauspiel „Hans Sachs“, Lortzings gleichnamige Oper und wohl insbesondere des Georg Gottfried Gervinus’ >Geschichte der Deutschen Nationalliteratur<, die sich ausführlich mit „Hans Sachs und dem Meistergesang“ befasst.
Wagner hatte einen wichtigen Ausgangspunkt, dem sein Hauptinteresses galt: >Das Beharrungsvermögen meistersingerlicher Spießbürger, die längst in ihrem dogmatischen Regelwerk erstarrt sind<, in einer Oper zu verarbeiten......und zwar eine „komische Oper“ darüber zu komponieren.
Eigentlich ist Wagners Ansatzpunkt –ganz im Sinne der >Aufklärung< -- ein Art Ideen-Drama, welches den politischen Konflikt zwischen Progressiven (hier, Stolzing, dem Adligen) und den Konservativen, den Handwerksmeistern, den „Ständen“, an einem >aestethischen Konflikt< gespiegelt wird. Gegenspieler ist Beckmesser, der Stadtschreiber (Typ des an der Vorschrift klebenden „Beamten“).
Da es sich um eine OPER handelt, gibt es einen >Sängerwettbewerb< und es geht natürlich um überlieferte Traditionen des sogenannten >Meistergesangs<... denn da passt Stolzings >ELVIS-Mentalität< natürlich überhaupt nicht rein... SACHS, die tragende, teils tragische Figur (alternder Mann verzichtet zugunsten des jugendlichen Siegertyps >weise< auf das „Evchen“). Gleichzeitig ist er >derTyp< eines >Meisters<, der gesellschaftlichen Wandel reflektieren kann, der Erneuerung und Tradition zusammenführen möchte.
Als der >Neuerer< STOLZING sein Evchen im Sängerstreit zum Schluß gewonnen hat und dem konservativen Vereins-Haufen den Rücken kehren will, treffender gesagt: >Ihr könnt mich mal < denkt... und sich folgerichtig davon machen will... singt der Schuster-Meister Hans Sachs:
„Verachtet mir die Meister nicht
und ehrt mir ihre Kunst.
Was Ihnen hoch zum Lobe spricht,
fiel reichlich Euch zur Gunst...
was deutsch und echt, wüßt keiner mehr,
lebt’s nicht in deutscher Meister Ehr.“
JA und bei solch einem Text MUSS man ja (persönlich) Stellung beziehen... Die Frage ist, da es sich um eine Oper mit aufklärerischem Ansatz handelt und nicht um eine, die dem spießbürgerlichen Klüngel Deutscher Provinienz huldigen wollte, WAS dieses Werk doch (lange Zeit, oder z.T. bis heute) für einen >Ruf< hat(te), WAS es bei vielen Leuten (die es nicht wirklich kennen) bis heute auslöst.
Der Dirigent der hier vorgestellten Aufnahme ist Franz Konwitschny, (1901-1962) Nachfolger von Hermann Abendroth beim Leipziger Gewandhaus, auch Leiter der Semper Oper...und ab 1955 für 3 Jahre zusätzlich Chef der Staatsoper unter den Linden. Diese Aufnahme der "Meistersinger" ist der Mitschnitt der Wiedereröffnung des Berliner Hauses im Jahre 1955.
Ich habe die Aufnahme unter F.Konwitschny heute (gestern)erstmalig ganz gehört, (genau 260 Minuten lang).
In einer Hamburger Inszenierung dieses Werkes, die vor ca 10 Jahren herauskam, hat der Sohn des Dirigenten, Peter Konwitschny ( Jahrgang 1944), sich kühn mit den oben zitierten Aussagen über das >Deutschtum< auseinandergesetzt. Ich würde sagen, dass er im Sinne Wagners inszeniert hat, der den Missbrauch seiner MEISTERSINGER durch die Nazis glücklicherweise nicht erleben musste... Im Sinne Wagners deswegen, weil durch einen, in der Partitur nicht vorgesehenen Kunstgriff, in Form der Infragestellung >Deutscher Werte< , der Regisseur dem politischen Ansatz Wagners Rechnung getragen hat. Der Hintergrund dieser Unterbrechung des Schlussmonologs von "Sachs" geschah durch eine entrüstete Frage wegen der Pervertierung >Deutscher Werte< durch die damalige Ideologie. Diese Frage eines Meistersingers steht in Zusammenhang mit der bewussten Korrumpierung gerade dieser Oper im 3. Reich, da Wagners aufklärerischer Ansatz wirklich pervertiert wurde, einer nationalistischen Ideologie einverleibt wurde.
Die Aufnahme unter Franz Kontwitschny gefällt mir sehr. Die stupende und lebendige Dirigierkunst ist durch sehr am Wort orientierte, narrative Manier charakterisiert, folglich eher langsame Tempi, in keinem Falle aber deshalb spannungsarm.
Schaut man sich die wichtigen SACHS-Sänger zwischen 1940 und 1970 an, so liest man immer wieder die selben Namen. Josef Herrmann ist nicht bei diesen durch Plattenaufnahmen bekannten Sängern, obwohl er zu den führenden Interpreten dieser Rolle gehört hat. (wie Edelmann, Frantz, Schorr, Nissen, Schöffler, Hotter, Adam und ab 1970 dann Dieskau, Bailey u. James Stewart, die häufiger auf verschiedenen Plattenaufnahmen zu hören sind).
Herrmann ist eher ein Bariton als ein Bass, aber einer mit großer Differenziertheit und einem wohltuendem „Sprech-GESANG“, denn es ist jedes Wort zu verstehen. Mit dem „Stolzing“ von Erich Witte habe ich ein bisschen Probleme, da ihm das jugendlich -heldenhafte, die Frische, fehlt. Zwar meistert er die Höhen und schwierigen Passagen durchaus, doch kennt man ihn zur damaligen Zeit bereits als Typus des „Loge“-Sängers (oder „Mime“)...und >SO< singt er m.E. auch. Theo Adam ist 1955 natürlich eine Luxus-Besetzung für den Pogner. Die anderen Rollen sind –für meinen Geschmack- passend besetzt.
Ich freue mich auf den neuen Sachs in Bayreuth, der letztes Jahr erstmalig und sensationell dort gesungen hat. (im Moment ist mir der Name des jungen Briten entfallen... (Burrows ?)... ich werde Mitte August in Bayreuth sein).
Gruß................Arnulfus