Glenn Gould der Erneuerer
Gestern abend haben mich in Bayreuth die MEISTERSINGER in Katharina Wagners >ver-rückten< , zumindest überspitzten, bzw. auf mit dem Thema zusammenhängenden gesellschaftlichen Widersprüche zugespitzten Interpretation, vollgepowert, heimgesucht aber auch begeistert... Vorhin kam in mir das Bedürfnis nach einer komprimierten musikalischen Deutung auf, einer Zuspitzung auf das WESENTLICHE dieser Musik gewissermaßen (auch aus Zeitgründen). Noch trunken von den Melodien u. Motiven in ihrer Verschachtelung, in Zusammenwirken mit der szenischen Umsetzung. fiel mir eine CD mit Wagner-Transkriptionen von Glenn Gould ein.
In den vergangenen Stunden habe ich wiederholt diese 10 min. Vorspiel zum 1. Aufzug gehört, quasi ein Potpourri und Leitmotivfaden zugleich. Goulds Spiel bringt das Erlebnis von gestern Abend schnell zurück. Seine kraftvolle, auch überzeichnende Art, das Herausmeißeln und seine Freude der Motiv-Verschränkungen zu polyphoner Strahlkraft, schafft es, daß wie von selbst Bilder und szenische Schwerpunkte vor meinem geistigen Auge ablaufen. Gould selbst hat mal seine Vorliebe für dieses Stück kundgetan und dass es sich wie von selbst spiele, da es wundervoll >kontrapunktisch< sei.
Zitat: >>> Obwohl ich zugeben muß, dass darin die einzige Stelle vorkommt (bei Liszt’schen Transkriptionen), wo ich mogele; ich muß nämlich in den letzten 3 Minuten Kopfhörer aufsetzen, wenn Wagner alle Themen wieder aufnimmt, für die man, wenn man sie richtig wiedergeben will, mindestens drei Hände brauchte, am besten vier.<<<
Seit meinem 20. Lebensjahr ist Gould >der mich am meisten prägende Pianist< geworden. Auch wenn ich ihn heute seltener höres, so scheine ich bei vielen Klavier-Werken seinen Interpretationsansatz verinnerlicht zu haben. Höre ich eine Appassionata, ist Gould’s Deutung in meinem Ohr. Dabei habe ich gerade zu dieser Aufnahme ein sehr gespaltenes Verhältnis, sie ist nicht meine Lieblingsinterpretation……aber Goulds Gestaltungs-Manie, die hier in stark überzeichnender Manier, fast zu einer Appassionata-Karrikatur mutiert, bringt es fertig, durch diese überdehnte, swingende Spielweise, eine andere, ungeahnte Seite dieser Komposition aufzuzeigen. Sie wird mir immer im Ohr bleiben.
Die Liszt’sche Transcrption der Pastorale, war in Gould’s Deutung für gut 2 Jahre meine absolute Lieblingsinterpretation. Kein Dirigent konnte mich eine zeitlang so überzeugen und den Geist dieser Musik mitatmen lassen, wie es in fast hypnotischer Weise GG konnte. Da die Liszt’schen Transkription ganz am Original bleibt, kann der Pianist zum >Original-Täter< werden.
Von den vielen Büchern, die es über Glenn Gould gibt, hatte eines den Titel: Glenn Gould, der Unheilige am Klavier.
Bei der genannten Buchbetitelung denkt man an >Sünde<….manche meinen genau DAS sei es, so wie er Partituren gegen den Strich bürste. Exzentriker, Psychopath, Bilderstürmer, Heiliger, DER Erneuerer, der GRÖSSTE, ALL DAS WAR UND IST GLENN GOULD BIS HEUTE.
So ungewohnt wie für die meisten Musikfans sein Spiel anfänglich war, als die Goldberg Variationen 1955 erschienen, so kunterbunt und kontrovers sind seitdem die Charakterisierungen vom Künstler und seiner Musizierweise. Eine Zeitlang schien es nur PRO oder CONTRA bezüglich Gould zu geben... doch fast 30 Jahre nach seinem Tod 1982, (mit 50 Jahren) ist er sowieso ein >Klassiker<, einer der ganz GROSSEN im Interpretenlager. Insgesamt hat sich die Diskussion über Gould versachlicht und ist auch komplexer geworden, seitdem eine ganzheitlichere Betrachtung sich verbreitet hat, die den EIGENHEITEN des Künstlers auch Rechnung trägt bei der Würdigung der künstlerischen Qualitäten... und nicht alleine ein gewisse Demut gegenüber Werk und Komponist zählt.
Bahnbrechend ist sein typisches, ja unverwechselbares Spiel in jedem Fall... und die Auswirkungen auf nachfolgende Pianisten-Generationen, wie Fazil Say, Martin Stadtfeld, David Fray u.v.a. sind eigentlich nur mit den revolutionären Auswirkungen/Folgen auf >normale Interpretationen< (OMI) durch Veteranen der sogen. HIP Bewegung und deren maßgeblichen Gründungsvätern wie Savall, Herrweghe, Harnoncourt u.a. zu vergleichen.
Ich mochte als junger Mann ihn vor allem als DENJENIGEN, der eine neue Sichtweise für Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, etc brachte. Trotzdem waren die PRO und CONTRA-Lager nicht lediglich in 2 Lager verteilt, die dem Partitur-Lesen MÄCHTIG oder OHNMÄCHTIG gegenüberstanden. Ich erinnere mich an meinen alten Kantorund an andere Profi-Musiker, die ihn genauso verehrten, wie ich es von Anfang an tat.
Ich bin neugierig auf Eure Meinungen zu diesem Pianisten.
Arnulfus