Stumme Lieder

  • Nacht um Nacht



    Der Mond zieht hinterm Schiff einher,
    Er wird des Abends Herr im Meer,
    Begleitet Nacht um Nacht die Fahrt.


    Ich hab’ ihm forschend nachgestarrt,
    Ich fragte ihn: „Wohin so spät?“
    - Auch er weiß nicht, wohin es geht.



    Max Dauthendey (1867-1918)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Das Leid



    Als ich in wildem Schmerze lag,
    Da schrie ich laut: Komm, heller Tag!
    Und als der Tag, der lichte, kam
    Und meinen Schmerz nicht von mir nahm,
    Da hab' ich still und stumpf gedacht:
    Nun komm, du letzte, ewige Nacht!
    Und wenn die letzte Nacht erscheint,
    Ich weiß, daß dann mein Auge weint,
    Weil doch mein Leben wunderbar
    Und schön just durch die Schmerzen war.



    Ludwig Mahnert (1874-1943)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Abendstunde



    Die Straße versinkt im Schatten.
    Die Giebel der Häuser stehn
    noch in des Tages Ermatten,
    in Dunst und Traum zu vergehn.


    Getaucht in die blaue Stunde
    die Welt zur Stille zerrinnt.
    Stille, in der auf dem Grunde
    gelöst alle Dinge sind.


    Wo sind nun des Tages Nöte?
    Das Licht hält offen ein Tor:
    Da tritt eine letzte Röte
    aus fernen Räumen hervor.



    Bernhard Mock (1903-1984)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Mauern



    Wir gehen aneinander vorüber,
    Jeder in sich und sein Schicksal gebannt –
    Wir schicken Gruß und Gebärde hinüber
    und leben jeder in anderem Land...
    Aber hinter Wällen und Mauern,
    Die sich unsichtbar zwischen uns baun,
    Lebt der einsamen Seelen Trauern
    Und der verwirrten Geschöpfe Grau'n.
    Suchender Sehnsucht trübe Funken
    Schwirren über den Mauerrand –
    Aber schon hat sie die Nacht getrunken,
    Ehe das Licht zum Ziele fand...
    Und von der nächtlichen Schwermut Fächeln,
    Von der Wehmut des jähen Verwehns
    Bleibt nur der wissenden Seele Lächeln
    Über den kurzen Trug des Versteh'ns. –
    Alles wähnt, im andern zu leben –
    Wenige küssen im Dunkeln sich sacht,
    Wenn die Mauern klingend erbeben –
    Doch über allen brütet die Nacht. –



    Kurt Walter Goldschmidt (1877-1942)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Wiederkehr (Povratak)



    Wer weiß - ach, niemand kann wissen -

    Wissen ist Schaum!

    Ob ein Strahl der Wahrheit vielleicht mich traf -

    oder wars nur Traum.

    Noch einmal könnt mir die Liebe geschehen,

    mich die Liebe erfassen -

    doch ich weiß nicht ob ich mir's wünschen soll,

    oder es bleiben lassen.


    Im Meer des Lebens, wo es wallt und verdampft

    in tiefen Gründen,

    könnten die gleichen Tropfen aufs Neue

    sich formen, sich finden.

    Und wenn ein Äon auf Sternenwegen

    vorübergegangen,

    könnten zwei Lippen sich wieder begegnen

    im gleichen Verlangen.


    Eines Tages bist du so schön und in Blau

    wiedergekehrt

    Nicht ahnend daß mir all diese Zeit

    dein Leuchten verklart

    Doch ich, der Jetzt dichtet, erfüllt ganz von dir

    im tiefsten Innern,

    werd mich deines Namens - o du Sinn meines Seins!

    nicht mehr erinnern...


    Und wenn dann plötzlich aufhorcht die Seele

    ungläubig voll Staunen,

    gleich erstickt die Vernunft mit sicherer Stimme

    das ahnende Raunen

    Beim Lampenschein tauschen wir dann wie zwei Fremde

    verstohlene Blicke,

    nicht wissend wie stark uns immer noch ketten

    die alten Stricke.


    Doch die Zeit dreht sich, sie hastet und dreht sich

    wie die Sonne im Kreise,

    Freud bringt sie, und Leid, die einmal gewesen

    auf gleiche Weise.

    Aufleuchten Augen, Hände sich finden,

    Herzen erbeben -

    und blind für unsre Fußspur wandern wir wieder

    auf alten Wegen.


    Wer weiß - ach wer kann schon wissen -

    Wissen ist Schaum!

    Ob ein Strahl Wahrheit vielleicht mich traf

    oder nur ein Traum?

    Noch könnt vielleicht mir die Liebe begegnen,

    mich die Liebe erfassen -

    und ich weiß nicht ob ich mir sie wünschen soll

    oder es bleiben lassen.



    Dobrica Cesaric (1902 -1980)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Als Sie, zuhörend, am Klavier saß


    Still saß sie da, die Lieblichste von allen,

    Aufhorchend, ohne Tadel, ohne Lob;

    Das dunkle Tuch war von der Brust gefallen,

    Die, nur vom Kleid bedeckt, sich atmend hob;

    Das Haupt gesenkt, den Leib nach vorn gebogen,

    Wie von den fliehnden Tönen nachgezogen.


    Nenn ich sie schön? Ist Schönheit doch ein Bild,

    Das selbst sich malt und nur sich selbst bedeutet,

    Doch Höheres aus diesen Zügen quillt,

    Die wie die Züge einer Schrift verbreitet,

    An sich oft bildlos, unscheinbare Zeichen,

    Doch himmlisch durch den Sinn, den sie erreichen.


    So saß sie da, das Regen nur der Wangen

    Mit ihren zarten Muskeln rund und weich,

    Der Wimpern Zucken, die das Aug umhangen,

    Der Lippen Spiel, die Purpurlädchen gleich,

    Den Schatz von Perlen hüllen jetzt, nun zeigen,

    Verriet Gefühl, von dem die Worte schweigen.


    Und wie die Töne brausend sich verwirren,

    In stetem Kampfe stets nur halb versöhnt,

    Jetzt klagen, wie verflogne Tauben girren,

    Jetzt stürmen, wie der Gang der Wetter dröhnt,

    Sah ich ihr Lust und Qual im Antlitz kriegen

    Und jeder Ton ward Bild in ihren Zügen.


    Mitleidend wollt ich schon zum Künstler rufen:

    »Halt ein! Warum zermalmst du ihre Brust?«

    Da war erreicht die schneidendste der Stufen,

    Der Ton des Schmerzes ward zum Ton der Lust,

    Und wie Neptun, vor dem die Stürme flogen,

    Hob sich der Dreiklang ebnend aus den Wogen,


    Und wie die Sonne steigt; die Strahlen dringen

    Durch der zersprengten Wetter dunkle Nacht,

    So ging ihr Aug, an dem noch Tropfen hingen,

    Hellglänzend auf in sonnengleicher Pracht;

    Ein leises Ach aus ihrem süßen Munde,

    Sah, wie nach Mitgefühl, sie in die Runde.


    Da triebs mich auf; nun soll sies hören!

    Was mich schon längst bewegt, nun werd ihrs kund!

    Doch blickt sie her; den Künstler nicht zu stören

    Befiehlt ihr Finger schwichtgend an dem Mund,

    Und wieder seh ich horchend sie sich neigen

    Und wieder muß ich sitzen, wieder schweigen.



    Franz Grillparzer (1791-1872)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Ein Jahr ist nun geschwunden


    Ein Jahr ist nun geschwunden,

    Seit du geschieden bist,

    Und wie zwei trübe Stunden

    Gemahnt mich diese Frist.


    Und hättest du gelebet,

    Mein Kindchen, dieses Jahr,

    So wär' die Frist entschwebet

    Ein helles Stundenpaar.


    Nun, seit ich auf der Bahre

    Dich mußte sehn, mein Kind,

    Denk' ich, wie wenig Jahre,

    Verliehn dem Menschen sind.


    Ob trüber oder heller,

    Wie Stunden sind sie nur,

    Ob langsamer, ob schneller,

    Entschwunden ohne Spur.


    Einst wünscht' ich langes Leben,

    Um lang' dich blühn zu sehn;

    Nun mag es schnell entschweben,

    Da ich dich sah vergehn.

    Friedrich Rückert (1788-1866)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)

  • Wer ist in das Haus weh gekommen


    Wer ist in das Haus weh gekommen,

    In allen Ecken es weint?

    Jemand hat mein Bett mir genommen

    Und hat meine Kissen versteint.


    Jemand geht um mich immer

    Viel schleichender noch als der Tod,

    Seine Schritte seufzen im Zimmer

    Und meine Augen suchten sich rot.


    Ich fühl in den leeren Armen

    Die Leere als wie eine Last,

    Kann an keinem Feuer erwärmen,

    Jede Stunde mich kälter anfasst.


    Ich möchte die Menschen laut fragen:

    Könnt ihr mich vor Sehnsucht noch sehn?

    Die Tage sind nur noch wie Sagen

    Und ich muß gestorben drin gehn.



    Max Dauthendey (1867-1918)


    "Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
    Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
    So sei mir wenigstens für das verbunden,
    Was ich zurück behielt."
    (Lessing)