op. 19 - Sechs kleine Klavierstücke

  • Op. 19 ist heute Schönbergs beliebteste Klavierkomposition, was einerseits an der für Schönberg ungewohnten Prägnanz und Aphoristik und den außergewöhnlichen Sätzen II (Variation über die Terz g-h) und VI (Totengeläut für Gustav Mahler) – andererseits einfach daran liegt, dass es die am einfachsten einzustudierende Klaviermusik Schönbergs ist.

    Es handelt sich um eine Reihe kurzer Charakterstücke, wobei der für Schönberg typische zerklüftete Dschungel auf die Nummer I beschränkt bleibt (und auch hier fast durchgehend stark gedämpft ist). Die Sätze sind sehr übersichtlich durch vereinzeltes Aufbäumen aus dem Piano gegliedert, oder einmal durch laut-leise als Gesamtbauplan eines Stückes (III), das letzte Stück verharrt im Verhauchen, ist also vergrößerte Schlusswendung, da auch die meisten anderen Stücke so enden (mit Ausnahme eines wild geknallten Stakkato-Schlusses in IV). Man muss ja bedenken, dass in der Phase der freien Atonalität die Kadenz als Schlusskennzeichnung verlorengegangen ist, nicht aber das Bedürfnis, Schlüsse zu setzen. Im Finalsatz, bei dem das Verhauchen nicht als Lösung funktioniert, da es hier allgegenwärtig ist, markiert der weit absteigende „Melodieschritt“ das Ende.

    Das Ausklingen der Sätze erfordert längere Pausen dazwischen, sodass ein ungewohntes Verhältnis aus kurzer Musik und langer Pause entsteht – ich kenne die Noten, in denen das explizit verlangt wird – umso merkwürdiger, dass in der zweiten oben verlinkten Partitur „[attacca]“ am Ende des Stückes I steht (die andere verlinkte Partitur hat den Nachteil, dass die Stücke durcheinander gewürfelt sind).

  • Das Stück ist eine atonale Phantasie über die Terz g-h. Sie wird als Ostinato-Figur vorgestellt, in Einer- und Dreiergruppen in Mittellage pianissimo tickend mit Viertelpausen dazwischen (womit sich identische 4/4-Takte ergeben). Während der ersten Wiederholung, just dann, wenn es langweilig werden könnte, da man die Wiederholung als solche mitbekommen könnte, setzt als Gegenpol eine ausdrucksstarke Miniatur-Kantilene ein. Diese ist aber raffiniert mit dem Terzgeklapper verbunden: Anstelle des ersten Melodietons steht nämlich auch eine Terz, h-d, womit der Dreiklang perfekt wäre (sie kommt aber in der Pause) – durch die Unterschiede in Lage und Dynamik hört das Ohr aber den Dreiklang nicht ganz zusammen. Und damit das so bleibt, dissoniert der zweite Melodieton ordentlich mit der nun wieder einsetzenden kollidierenden g-h-Terz. Diese punktuelle Verquickung findet passenderweise auf dem einsamen Ostinato-Achtel statt und nicht in der Dreiergruppe. Außerdem wird sie durch eine plötzliche Zurücknahme der Lautstärke von der melodiösen Fortsetzung abgesetzt. Diese ist eine Viertongruppe, ein Seufzer. Am Ende dieses kurzen melodiösen Emotionseinbruchs gerät das Ostinato etwas außer Kontrolle und leistet sich nun seinerseits etwas Legato und einen Sprung in eine andere Terz hinauf. Somit ist die Gegenstimme zum Ostinato in dieses am Anfang und am Ende deutlich eingebunden, und alles das mit sparsamsten Mitteln.

    In Takt 6 gibt es dann einen Zwitter – das Ostinato (das ja kein sauberes mehr war) pausiert, und an dessen Stelle tritt wieder eine Vierton-Melodie mit dynamischer Schwellung (auch etwas gedehnt vorzutragen) – aber sie wird in Terzen vorgetragen und wandert nur noch in kleinen Schritten auf und ab.

    Danach gibt es quasi eine Reprise des Ostinato-Beginns, nur dass anstelle der dreier-Morsefigur eine mit zwei Tönen getreten ist und anstelle der Viertelpause eine aus drei Achteln – womit die gleichmäßige Lage im 4er-Takt verlorengeht. Die Terzen, zu denen zuvor die Melodie verkommen war, werden nun auch zu Stakkato-Achteln und wandern in den Lücken des Ostinatos gleichmäßig abwärts. Als Vorwegnahme gab es schon mal eine einzelne geklopfte Baßterz im zentralen Takt 5.

    Bleiben noch drei Akkorde zu betrachten, sie kommen in Takt 5, 6 und ganz am Schluss vor. In den Takten 5 und 6 erweitern sie den Tonraum nach oben und unten, einmal ganz kurz und arpeggiert, einmal lang und getragen. Der hohe Akkord zwingt eine Assoziation zu dem ersten Melodieeinsatz auf. Der zweite bewirkt eine Art Innehalten. Der dritte und letzte Akkord dient tatsächlich als abschließendes Ereignis. Das gelingt, indem er ausschließlich bereits vorgekommene Töne wiederaufnimmt: Der Spitzenton war der Melodieeinsatz und der Rest kommt aus dem Zusammenklang am Anfang von Takt 5 – so eine Art wehmütige (?) Zusammenfassung der verklungenen Impulse.