Beiträge von Melina

    Wer ist in das Haus weh gekommen


    Wer ist in das Haus weh gekommen,

    In allen Ecken es weint?

    Jemand hat mein Bett mir genommen

    Und hat meine Kissen versteint.


    Jemand geht um mich immer

    Viel schleichender noch als der Tod,

    Seine Schritte seufzen im Zimmer

    Und meine Augen suchten sich rot.


    Ich fühl in den leeren Armen

    Die Leere als wie eine Last,

    Kann an keinem Feuer erwärmen,

    Jede Stunde mich kälter anfasst.


    Ich möchte die Menschen laut fragen:

    Könnt ihr mich vor Sehnsucht noch sehn?

    Die Tage sind nur noch wie Sagen

    Und ich muß gestorben drin gehn.



    Max Dauthendey (1867-1918)

    Ein Jahr ist nun geschwunden


    Ein Jahr ist nun geschwunden,

    Seit du geschieden bist,

    Und wie zwei trübe Stunden

    Gemahnt mich diese Frist.


    Und hättest du gelebet,

    Mein Kindchen, dieses Jahr,

    So wär' die Frist entschwebet

    Ein helles Stundenpaar.


    Nun, seit ich auf der Bahre

    Dich mußte sehn, mein Kind,

    Denk' ich, wie wenig Jahre,

    Verliehn dem Menschen sind.


    Ob trüber oder heller,

    Wie Stunden sind sie nur,

    Ob langsamer, ob schneller,

    Entschwunden ohne Spur.


    Einst wünscht' ich langes Leben,

    Um lang' dich blühn zu sehn;

    Nun mag es schnell entschweben,

    Da ich dich sah vergehn.

    Friedrich Rückert (1788-1866)

    Als Sie, zuhörend, am Klavier saß


    Still saß sie da, die Lieblichste von allen,

    Aufhorchend, ohne Tadel, ohne Lob;

    Das dunkle Tuch war von der Brust gefallen,

    Die, nur vom Kleid bedeckt, sich atmend hob;

    Das Haupt gesenkt, den Leib nach vorn gebogen,

    Wie von den fliehnden Tönen nachgezogen.


    Nenn ich sie schön? Ist Schönheit doch ein Bild,

    Das selbst sich malt und nur sich selbst bedeutet,

    Doch Höheres aus diesen Zügen quillt,

    Die wie die Züge einer Schrift verbreitet,

    An sich oft bildlos, unscheinbare Zeichen,

    Doch himmlisch durch den Sinn, den sie erreichen.


    So saß sie da, das Regen nur der Wangen

    Mit ihren zarten Muskeln rund und weich,

    Der Wimpern Zucken, die das Aug umhangen,

    Der Lippen Spiel, die Purpurlädchen gleich,

    Den Schatz von Perlen hüllen jetzt, nun zeigen,

    Verriet Gefühl, von dem die Worte schweigen.


    Und wie die Töne brausend sich verwirren,

    In stetem Kampfe stets nur halb versöhnt,

    Jetzt klagen, wie verflogne Tauben girren,

    Jetzt stürmen, wie der Gang der Wetter dröhnt,

    Sah ich ihr Lust und Qual im Antlitz kriegen

    Und jeder Ton ward Bild in ihren Zügen.


    Mitleidend wollt ich schon zum Künstler rufen:

    »Halt ein! Warum zermalmst du ihre Brust?«

    Da war erreicht die schneidendste der Stufen,

    Der Ton des Schmerzes ward zum Ton der Lust,

    Und wie Neptun, vor dem die Stürme flogen,

    Hob sich der Dreiklang ebnend aus den Wogen,


    Und wie die Sonne steigt; die Strahlen dringen

    Durch der zersprengten Wetter dunkle Nacht,

    So ging ihr Aug, an dem noch Tropfen hingen,

    Hellglänzend auf in sonnengleicher Pracht;

    Ein leises Ach aus ihrem süßen Munde,

    Sah, wie nach Mitgefühl, sie in die Runde.


    Da triebs mich auf; nun soll sies hören!

    Was mich schon längst bewegt, nun werd ihrs kund!

    Doch blickt sie her; den Künstler nicht zu stören

    Befiehlt ihr Finger schwichtgend an dem Mund,

    Und wieder seh ich horchend sie sich neigen

    Und wieder muß ich sitzen, wieder schweigen.



    Franz Grillparzer (1791-1872)

    Wiederkehr (Povratak)



    Wer weiß - ach, niemand kann wissen -

    Wissen ist Schaum!

    Ob ein Strahl der Wahrheit vielleicht mich traf -

    oder wars nur Traum.

    Noch einmal könnt mir die Liebe geschehen,

    mich die Liebe erfassen -

    doch ich weiß nicht ob ich mir's wünschen soll,

    oder es bleiben lassen.


    Im Meer des Lebens, wo es wallt und verdampft

    in tiefen Gründen,

    könnten die gleichen Tropfen aufs Neue

    sich formen, sich finden.

    Und wenn ein Äon auf Sternenwegen

    vorübergegangen,

    könnten zwei Lippen sich wieder begegnen

    im gleichen Verlangen.


    Eines Tages bist du so schön und in Blau

    wiedergekehrt

    Nicht ahnend daß mir all diese Zeit

    dein Leuchten verklart

    Doch ich, der Jetzt dichtet, erfüllt ganz von dir

    im tiefsten Innern,

    werd mich deines Namens - o du Sinn meines Seins!

    nicht mehr erinnern...


    Und wenn dann plötzlich aufhorcht die Seele

    ungläubig voll Staunen,

    gleich erstickt die Vernunft mit sicherer Stimme

    das ahnende Raunen

    Beim Lampenschein tauschen wir dann wie zwei Fremde

    verstohlene Blicke,

    nicht wissend wie stark uns immer noch ketten

    die alten Stricke.


    Doch die Zeit dreht sich, sie hastet und dreht sich

    wie die Sonne im Kreise,

    Freud bringt sie, und Leid, die einmal gewesen

    auf gleiche Weise.

    Aufleuchten Augen, Hände sich finden,

    Herzen erbeben -

    und blind für unsre Fußspur wandern wir wieder

    auf alten Wegen.


    Wer weiß - ach wer kann schon wissen -

    Wissen ist Schaum!

    Ob ein Strahl Wahrheit vielleicht mich traf

    oder nur ein Traum?

    Noch könnt vielleicht mir die Liebe begegnen,

    mich die Liebe erfassen -

    und ich weiß nicht ob ich mir sie wünschen soll

    oder es bleiben lassen.



    Dobrica Cesaric (1902 -1980)

    Mauern



    Wir gehen aneinander vorüber,
    Jeder in sich und sein Schicksal gebannt –
    Wir schicken Gruß und Gebärde hinüber
    und leben jeder in anderem Land...
    Aber hinter Wällen und Mauern,
    Die sich unsichtbar zwischen uns baun,
    Lebt der einsamen Seelen Trauern
    Und der verwirrten Geschöpfe Grau'n.
    Suchender Sehnsucht trübe Funken
    Schwirren über den Mauerrand –
    Aber schon hat sie die Nacht getrunken,
    Ehe das Licht zum Ziele fand...
    Und von der nächtlichen Schwermut Fächeln,
    Von der Wehmut des jähen Verwehns
    Bleibt nur der wissenden Seele Lächeln
    Über den kurzen Trug des Versteh'ns. –
    Alles wähnt, im andern zu leben –
    Wenige küssen im Dunkeln sich sacht,
    Wenn die Mauern klingend erbeben –
    Doch über allen brütet die Nacht. –



    Kurt Walter Goldschmidt (1877-1942)

    Abendstunde



    Die Straße versinkt im Schatten.
    Die Giebel der Häuser stehn
    noch in des Tages Ermatten,
    in Dunst und Traum zu vergehn.


    Getaucht in die blaue Stunde
    die Welt zur Stille zerrinnt.
    Stille, in der auf dem Grunde
    gelöst alle Dinge sind.


    Wo sind nun des Tages Nöte?
    Das Licht hält offen ein Tor:
    Da tritt eine letzte Röte
    aus fernen Räumen hervor.



    Bernhard Mock (1903-1984)

    Das Leid



    Als ich in wildem Schmerze lag,
    Da schrie ich laut: Komm, heller Tag!
    Und als der Tag, der lichte, kam
    Und meinen Schmerz nicht von mir nahm,
    Da hab' ich still und stumpf gedacht:
    Nun komm, du letzte, ewige Nacht!
    Und wenn die letzte Nacht erscheint,
    Ich weiß, daß dann mein Auge weint,
    Weil doch mein Leben wunderbar
    Und schön just durch die Schmerzen war.



    Ludwig Mahnert (1874-1943)

    Nacht um Nacht



    Der Mond zieht hinterm Schiff einher,
    Er wird des Abends Herr im Meer,
    Begleitet Nacht um Nacht die Fahrt.


    Ich hab’ ihm forschend nachgestarrt,
    Ich fragte ihn: „Wohin so spät?“
    - Auch er weiß nicht, wohin es geht.



    Max Dauthendey (1867-1918)

    Du bist die Ruh



    Du bist die Ruh,
    Der Friede mild,
    Die Sehnsucht du
    Und was sie stillt.


    Ich weihe dir
    Voll Lust und Schmerz
    Zur Wohnung hier
    Mein Aug und Herz.


    Kehr ein bei mir,
    Und schließe du
    Still hinter dir
    Die Pforten zu.


    Treib andern Schmerz
    Aus dieser Brust!
    Voll sei dies Herz
    Von deiner Lust.


    Dies Augenzelt
    Von deinem Glanz
    Allein erhellt,
    O füll es ganz!



    Friedrich Johann Michael Rückert (1788-1866)

    Kein Lied fällt mir mehr ein



    Locktest mich in dein Herz hinein,
    Mir ist die Luft ausgegangen,
    Meine Stimme liegt bei dir gefangen,
    Kein Lied fällt mir mehr ein.


    Und rings hör' ich doch Lieder genug,
    Es fingen beim Nesterbauen
    Die Vögel im Grünen und Blauen
    Und haben noch Lieder im Flug.


    Nur ich muß schweigen und geh' herum,
    Als fürcht' ich die Vögel zu stören,
    Und ließ mich do gern vor dir hören, —
    Doch atemlos bin ich und stumm.



    Max Dauthendey (1867-1918)

    Geh’ ich an dem Bach entlang



    Der Bach, der rinnt wie helles Glas,
    Als habe meines Mädchens Hand
    Den Himmel, der im Herz ihr saß,
    Ins Wiesengras hell ausgegossen,
    Und heimliche Gedanken schossen
    Als Fischlein fort mit schlanken Flossen.


    Drum, geh' ich an dem Bach entlang,
    Mein Blut stets Liebeslieder sang.
    Es denkt bei jedem Schritt ans Minnen
    Und will wie's Bächlein mir entrinnen.



    Max Dauthendey (1867-1918)


    für Daniel, der mich fand als er dem Bach entlang ging...

    Wir gehen am Meer im tiefen Sand



    Wir gehen am Meer im tiefen Sand,
    Die Schritte schwer und Hand in Hand.
    Das Meer geht ungeheuer mit,
    Wir werden kleiner mit jedem Schritt.
    Wir werden endlich winzig klein
    Und treten in eine Muschel ein.
    Hier wollen wir tief wie Perlen ruhn,
    Und werden stets schöner, wie die Perlen tun.



    Max Dauthendey (1867-1918)

    Die Worte, das Wort



    Worte, hohlstes Ausdrucksmittel,
    Des´wir Menschen uns bedienen, -
    Heute sind sie mir wie immer
    Unzugänglich, arm erschienen.


    Wort, das du vom Weltbeginne
    Machtvoll herrschtest überall,
    Künderin der Tat, dir beugt sich
    Heute noch der Erdenball.


    Worte möchte ich nicht machen,
    Weil sie gar so billig sind -
    >>Leute<< speist man ab mit Worten,
    Die verwehn wie Spreu im Wind;


    Doch das Wort, das erzgegossen
    Nur dem Menschen hörbar ist,
    Das gebrauche ich, weil niemand
    Dieses wahre Wort vergißt.


    Unaufhörlich fließen Worte -
    Mancher ward durch sie verstummt;
    Doch das Wort, das ich dir sage
    Zwingt die Herzen und - verstummt.



    Johann Friedrich Cotta (1764-1832)

    Morgen, Kinder, wird’s nichts geben



    Morgen, Kinder, wird’s nichts geben
    Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
    Mutter schenkte euch das Leben.
    Das genügt wenn man`s bedenkt.
    Einmal kommt auch eure Zeit.
    Morgen ist`s noch nicht so weit.


    Doch ihr dürft nicht traurig werden.
    Reiche haben Armut gern.
    Gänsebraten macht Beschwerden.
    Puppen sind nicht mehr modern.
    Morgen kommt der Weihnachtsmann.
    Allerdings nur nebenan.


    Lauft ein bisschen durch die Straßen!
    Dort gibt`s Weihnachtsfest genug.
    Christentum vom Turm geblasen,
    macht die kleinsten Kinder klug.
    Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
    Ohne Christbaum geht es auch.


    Tannengrün mit Osrambirnen –
    Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
    Reißt die Bretter von den Stirnen,
    denn im Ofen fehlt`s an Holz!
    Stille Nacht und heil`ge Nacht –
    Weint, wenn`s geht, nicht! Sondern lacht!


    Morgen, Kinder wird`s nichts geben!
    Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
    Morgen Kinder lernt für`s Leben!
    Gott ist nicht allein dran schuld.
    Gottes Güte reicht soweit…
    Ach, du liebe Weihnachtszeit!



    Erich Kästner (1899-1974)

    Schlaflied für Mirjam



    Schlaf mein Kind - schlaf, es ist spät!
    Sieh wie die Sonne zur Ruhe dort geht,
    Hinter den Bergen stirbt sie in Rot.
    Du - weißt nichts von Sonne und Tod,
    Wendest die Augen zum Licht und zum Schein -
    Schlaf, es sind so viel Sonnen noch dein,
    Schlaf mein Kind - mein Kind schlaf ein!


    Schlaf mein Kind - der Abendwind weht.
    Weiß man, woher er kommt, wohin er geht?
    Dunkel, verborgen die Wege hier sind,
    Dir, und auch mir, und uns allen, mein Kind!
    Blinde - so gehn wir und gehen allein,
    Keiner kann Keinem Gefährte hier sein -
    Schlaf mein Kind - mein Kind schlaf ein!


    Schlaf mein Kind, und horch nicht auf mich!
    Sinn hats für mich nur, und Schall ists für dich.
    Schall nur, wie Windeswehn, Wassergerinn,
    Worte - vielleicht eines Lebens Gewinn!
    Was ich gewonnen, gräbt mit mir man ein.
    Keiner kann Keinem ein Erbe hier sein -
    Schlaf mein Kind - mein Kind schlaf ein!


    Schläfst du, Mirjam? - Mirjam, mein Kind,
    Ufer nur sind wir, und tief in uns rinnt
    Blut von Gewesenen - zu Kommenden rollts,
    Blut unsrer Väter, voll Unruh und Stolz.
    In uns sind Alle. Wer fühlt sich allein?
    Du bist ihr Leben - ihr Leben ist dein - -
    Mirjam, mein Leben, mein Kind - schlaf ein.



    Richard Beer-Hofmann (1866-1945)

    Hab Sonne im Herzen...



    Hab Sonne im Herzen,
    ob's stürmt oder schneit,
    ob der Himmel voll Wolken,
    die Erde voll Streit -
    hab Sonne im Herzen,
    dann komme, was mag,
    das leuchtet voll Licht dir
    den dunkelsten Tag!


    Hab ein Lied auf den Lippen
    mit fröhlichem Klang,
    und macht auch des Alltags
    Gedränge dich bang -
    hab ein Lied auf den Lippen,
    dann komme, was mag,
    das hilft dir verwinden
    den einsamsten Tag!


    Hab ein Wort auch für andre
    in Sorg und in Pein
    und sag, was dich selber
    so frohgemut läßt sein:
    Hab ein Lied auf den Lippen,
    verlier nie den Mut,
    hab Sonne im Herzen,
    und alles wird gut!



    Cäsar Otto Hugo Flaischlen (1864-1920)

    An eine Freundin



    Du saßest oft an dem Klavier,
    Ich hielt die Geige in der Hand
    Und niemals konnt’ ich’s sagen dir,
    Wie sich mein Herz zu deinem fand.


    Doch wenn die Töne klangen dann
    In hehrer, edler, Konsonanz,
    Wenn unser leises Lied erklang,
    Da fühlt’ ich’s: Du verstehst mich ganz.



    Franz Th. Bayer


    für Yorick, die Ausnahme - zweites Gedicht am selben Tag. Aber wenn es so gut gefällt..

    Herbststimmung



    Blätter fallen von den Bäumen,
    Durch die herbstlich frische Luft
    Schaukeln sie. Ein Heller Duft
    Zittert in den Waldesräumen.
    Abends, wenn aus Wolkenballen
    Sonne glüht auf Strauch und Baum,
    Ist’s, als ob der Waldessaum
    Lodernd flamme in den Strahlen.
    Herrlich so versinkt die Sonne.
    Einsam nur ein Vogel schreit
    Und man ahnt der Ruhezeit
    Unaussprechlich süße Wonne.
    Du auch, Herz, wirst ruhig werden,
    Wirst vergessen alles Leid,
    Wirst entsagen aller Freud; —
    Aber nicht auf dieser Erden!



    Franz Th. Bayer

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