Wenn's genehm ist, würde ich gerne auf den Anfang des Threads zurückkommen und dabei, so gut ich kann, einen Wunsch des Thread-Starters erfüllen:
Wer mich zudem vollends glücklich machen möchte, nennt obendrein bevorzugte Aufnahmen (Interpret*in/Instrument) incl. einer kurzen Begründung.
Also: Ich bin durch mit dem angekündigten Hörvergleich zu Passacaglia und Fuge BWV 582. Leider konnte ich erst heute meinen Plattenspieler in meine Anlage integrieren. Ins Rennen gingen (in alphabetischer Folge) Marie-Claire Alain, Lionel Rogg, Wolfgang Stockmeier und Helmut Walcha. Gibt es einen "eindeutigen" Sieger? Ebenso "eindeutige" Antwort: Nein! Gibt es andererseits einen eindeutigen Verlierer? Eigentlich auch nicht; zum einen: Wer dazu in der Lage ist, Bachs Gesamt-Orgelwerk auf CD einzuspielen, kann per se kein Verlierer sein, zum anderen haben alle genannten Aufnahmen ihre Meriten. Im direkten Hörvergleich kann dann allerdings die Aufnahme von Stockmeier nicht ganz mit den anderen mithalten. Das liegt zunächst an der Tempowahl (er braucht gute 2 min länger als Alain), dann aber auch an der Registrierung, die ich als etwas uninspiriert, um nicht zu sagen langweilig empfinde. An der verwendeten Orgel kann es nicht liegen, denn ihre Disposition bietet hinreichende Möglichkeiten (https://orgelbau-kreienbrink.d…au-1978-umbau-1998-iii48/). Trotzdem kann ich der Aufnahme auch Positives abgewinnen: Ich höre Musik bei allem Genuss und Vergnügen auch analytisch, und durch das ruhige Tempo und die unaufdringliche Registrierung kann man sich sehr gut auf das Nachspüren der Stimmenverläufe im polyphonen Geflecht einlassen.
Bei den übrigen Aufnahmen wird es echt schwierig, so etwas wie eine Rangfolge zu erstellen. In meinem Post zu Beginn schrieb ich, dass mir die Aufnahme mit Rogg als am überzeundsten in Erinnerung war, aber diese Einschätzung muss ich revidieren (Da wurde mir bewusst, wie wenig man sich auf seine Erinnerung verlassen kann). Vermutlich war ich da zu sehr auf die Fuge fixiert, die Rogg ungeheuer sportlich und mit starker Registrierung angeht, wodurch die Wucht dieses großartigen Werkes umso deutlicher und unmittelbarer hervortritt. Insgesamt gesehen ist mir aber die Registrierung, auch bei der Passacaglia, etwas zu kompakt, speziell im 8- und 4-Fußbereich, wodurch gerade in den virtuosen Passagen die Stimmenverläufe manchmal etwas "verschwimmen", was aber auch ein Problem der Aufnahmetechnik sein könnte. Interpretatorisch kommt ihm Alain am nächsten hinsichtlich Temperament und Virtuosität, aber sie bietet eine farbige und phantasievolle Registrierung, die mir ausgesprochen gut gefällt. Es ist natürlich schwierig den "Raum-Klang" einer Orgel abstrahiert von der Registrierung zu beurteilen, aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass die Interpretation von Alain an einer anderen Orgel noch überzeugender sein könnte. Am meisten im Stich gelassen hat mich meine Erinnerung aber bezüglich Helmut Walcha. Dieses Wiederhören war für mich eine echte Überraschung, fast wie eine Neu-Entdeckung des Werks. Diese Interpretation strahlt eine solche Ruhe und Innigkeit aus, wie sie schwerlich wiederholbar ist. Woran das liegt, ist schwer zu sagen; an der Tempowahl ganz sicher nicht, denn er benötigt nur knapp 1 min länger als Alain. Vielleicht spielen aber dann doch die Orgel, die er ausgewählt hat, und seine Registrierung eine entscheidende Rolle. Es ist die große Orgel der St.-Laurenskerk Alkmaar. Ein Genuss, diese Orgel zu hören, zumal sie von der Tontechnik hervorragend eingefangen wurde (Aufnahme 1962!!).
Fazit zum Schluss: Welche Aufnahme man bevorzugt, richtet sich nach den Prioritäten, die man sich setzt. Legt man Wert auf eine virtuose Interpretation und eine phantasivolle Registrierung, ist Marie-Claire Alain die erste Wahl. Ist einem eine verinnerlichte und intensive Interpretation - in diesem Fall verbunden mit einem herrlichen Orgelklang - wichtiger, greift man besser zu Helmut Walcha. Zieht man eine sehr virtuose und kräftig registrierte Wiedergabe vor, ist man mit Lionel Rogg gut bedient. Wer eine unspektaluräre, gediegene Sicht des Werks bevorzugt, kommt bei der keineswegs schlechten Interpretation von Wolfgang Stockmeier auf seine Kosten.
Abschließend: Dies sind alles meine ganz persönlichen Ansichten zu den mir zur Verfügung stehenden Interpretationen. Sie erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Wer die genannten Aufnahmen kennt und meine Ausführungen kommentieren möchte, kann dies gerne tun.
Viele Grüße aus dem schönen Odenwald
harry